Plausch mit Frau Nettesheim – Dümmer als die Molche

Trithemius
Erinnern Sie sich noch an Karel Čapeks satirischen Roman „Der Krieg mit den Molchen“, Frau Nettesheim?

Frau Nettesheim
Natürlich. Die Besatzung eines Kolonialschiffs findet in den Küstengewässern Sumatras eine Gattung intelligenter Molche. Der Kapitän beginnt mit den Molchen einen Tauschhandel, indem er ihnen irgendwelchen Schund als Gegenwert für Perlen gibt.

Trithemius
Ich glaube, es waren Messer, mit denen die Molche die lästigen Haie bekämpfen konnten.

Frau Nettesheim
Ja, genau. Die Molche merken aber bald, dass sie übervorteilt werden und gucken sich den betrügerischen Handel und andere schändliche Verhaltensweisen von den Menschen ab, wodurch es zu Interessenskonflikten und später zum Krieg kommt. Wie kommen Sie jetzt auf den „Krieg mit den Molchen“, Trithemius?

Trithemius
Zufällig sah ich in der Show „Bares für Rares“ wie ein altes Ehepaar eine über Generationen vererbte kostbare goldene Taschenuhr verhökerte, anschließend stolz vor die Kamera trat und mit bedrucktem Papier wedelte.

Frau Nettesheim

Sie meinen Geldscheine. Das sind keine Glasperlen. Für Geld können sie etwas kaufen.

Trithemius
Messer vielleicht, falls sich im Vorgarten Haie tummeln, hehe. Ich muss immer schmunzeln, wenn die Leute den Tausch kostbarer Familienerbstücke gegen Geldscheine stereotyp begründen: „Damit es in gute Hände kommt“, weil das im Umkehrschluss die Selbsteinschätzung enthält, die eigenen wären schlechte Hände.

Frau Nettesheim
Natürlich, wenn die missratenen Urenkel verscherbeln, was von Generationen zuvor treulich gehütet wurde.

Trithemius
Ich habe mich ja hier schon mal negativ über „Bares für Rares“ ausgelassen. Aber gestern wurde mir klar, was in dieser populären Verkaufsshow eigentlich geschieht. Horst Lichter mit seiner Bande aus Experten und Händlern sammelt aus der mediengeilen Mittelschicht die seltenen Kostbarkeiten für reiche Sammler ein. Dass dazwischen auch Trödel verramscht wird, lenkt nur davon ab, wie hier teure Kulturgüter in die Hände der Oberschicht geschaufelt werden. Den Leuten bleibt nur mit Zahlen bedrucktes Papier, dessen Wert ja über Nacht durch den Kamin gehen kann.

Frau Nettesheim

Er mal wieder.

Edit: WOW! Der alte Editor ist weg! WordPress arbeite mit Fleiß daran, einem das Bloggen zu vermiesen. Ich habe nicht die geringste Lust, mich um den Gutenberg-Hirnriss zu kümmern. Der stiehlt mir Lebenszeit. Zähneknirsch! Vorerst gibt es hier nichts Neues mehr, liebe Freundinnen und Freunde.

Mit Strümpfen winken

Es ist reichlich albern, einem Arzt mit einem Strumpf zu winken. Ich habe das getan. Die Frage, ob ich vielleicht das eine oder andere Rad ab hätte, kann ich vorsorglich verneinen. Ich winke sonst nie mit Strümpfen, kann mir auch keinen vernünftigen Grund dafür denken. Die Tat ist aus einem Überschwang an Dankbarkeit entstanden, und das kam so: Am vergangenen Freitag ist mir beim Abtrocknen ein Weinglas zu Boden gefallen und zerbrochen. Ich sammelte die Scherben auf, übersah allerdings ein paar Splitter. Samstagmorgen sagte, was in mir klüger ist als ich, ich könnte doch meinen Staubsaugerroboter mal durch die Küche fahren lassen. Das ist eine gute Idee, dachte ich, vergaß aber, sie in die Tat umzusetzen.

Am Nachmittag kochte ich einen aufwändigen Auflauf, für dessen Vorbereitung ich in der Küche umhergehen musste und trat achtlos in einen Glassplitter. Der schlitzte mir ein Loch in den Socken und setzte sich fest in meiner Fußsohle. Aua! Besser nicht darauf rumlaufen, um ihn nicht noch tiefer hineinzutreiben. Am Ende gerät er noch in die Blutbahn und fährt mir wie das Mini-U-Boot im SF-Film „Die phantastische Reise“ pfeilgrad ins Hirn.

Trotzdem musste ich natürlich umherhumpeln. Man glaubt gar nicht, wie viele Gänge für die alltäglichen Verrichtungen nötig sind. Ich konnte mir den Schaden ansehen, konnte den Splitter sogar fühlen, doch es war mir unmöglich, ihn zu entfernen. Gelenkigere Leute als ich, also kleine Kinder und Schlangenmenschen, können sich ihre Fußsohle unter die Nase halten. Ich nicht, obwohl kein olfaktorischer Hinderungsgrund vorlag. Die in vielen Dingen kompetente Frau an meiner Seite hat in ihrer Jugend sogar eine staatliche Prüfung als Schwesternhelferin abgelegt, doch sie war leider nicht an meiner Seite, sondern aus Gründen unerreichbar fern. Ich habe verschiedenes ausprobiert und kann mitteilen, was nicht funktioniert, beispielsweise eine Sohle aus Luftpolsterfolie zu schneiden. Als sie gut saß, fein mit einer Leukoplastbindung justiert, platzten die Luftpolster beim ersten Schritt. Eine junge Dame hat mal bei mir einen Haargummi hinterlassen. Den wie einen Ring um die Stelle gelegt und befestigt, kann man sich auch sparen. Er drückt sich einfach platt. Also musste ich das Wochenende so verbringen und auf einen frühen Termin in der Arztpraxis meines Vertrauens hoffen. Die Ärztin, zu der ich immer gehe, war leider erst um 10:30 Uhr verfügbar, aber um 10:20 Uhr hatte ich bereits einen Termin bei meiner Zahnärztin, weil mir ein Stück vom Zahn abgebrochen war.

Man könnte sagen, ich hätte eine kleine Pechsträhne, aber zumindest das Pech mit dem Glassplitter hatte ich selbst verschuldet, weil ich mal wieder ein Bruder Leichtfuß gewesen war. Obwohl ich sonst nur Ärztinnen an mich heranlasse, hielt ich um 8:45 Uhr einem Kollegen den Fuß hin. Der brauchte nur fünf Minuten, um mit der Pinzette zwei Glassplitter aus meiner Fußsohle zu ziehen. Er zeigte sie mir stolz, aber ohne Brille sah ich gar nichts.
„Das nenne ich ärztliche Kunst!“, rief ich erleichtert, nachdem er die kleine Wunde verpflastert hatte. Im Rausgehen sagte er noch: „Sie sollten davon keine Beschwerden mehr haben. Ich glaube, ich habe alles erwischt.“

Ich wollte ihm zum Dank winken, aber vergaß, dass ich meinen Strumpf in der Hand hielt. Es war mir im Augenblick peinlich, doch ich sagte mir, dass ein Arzt in seinem Berufsleben mancherlei Absonderlichkeit erlebt. Da kann ihn ein Wink mit einem Socken nicht schocken, zumal er ganz frisch und sauber war.

Horribel

Als ich noch ADAC-Mitglied war, irgendwann in den 1990-er Jahren, sah ich mir gerne den gruseligen Anzeigenteil in der ADAC-Hauszeitschrift „Motorwelt“ an. Dabei dachte ich, dass die werbenden Unternehmen durch Marktforschung doch eine Vorstellung von ihrer Zielgruppe haben müssten. Man verplemperte schließlich kein Geld an Leute, die die beworbenen Produkte nicht brauchen. Folglich ließ sich von den Anzeigen rückschließen auf das durchschnittliche ADAC-Mitglied. Es wäre ziemlich kurios, wie meine Aufstellung aus dem Tagebuch von Januar 1995 zeigt. (Größer: Bitte Klicken!)

Die Werbespots im Vorabendprogramm der ARD zeichnen ebenso ein Zerrbild des typischen Zuschauers. Er/sie ist vergesslich, hat Ohrgeräusche (Tebonin), nächtlichen Hardrang (Granufink), Verstopfung (Dulcolax), kann abends nicht einschlafen (Neurexan), kommt morgens nicht in die Gänge (Vitasprint). Suggeriert wird ein naiver Medikamentenglaube. Man redet den Leuten ein, sie wären Maschinen mit Fehlfunktionen, die sich quasi auf Knopfdruck medikamentös ausschalten lassen würden. Um ihnen den restlichen Verstand zu rauben, bietet die ARD im sogenannten anzeigenfreundlichen Umfeld dümmliche Quizshows vom Format „Wer weiß denn sowas?“ oder „Quizduell.“

Dass das kontextlose Abfragen und Wissen in Kreuzworträtsel und Quiz nicht die Intelligenz fördert, habe ich hier schon mal begründet. Der dumme Konsument ist ein guter Konsument. Folglich verkleistert man seinen Verstand mit Quatschwissen.

Du lieber Himmel, jetzt habe ich alle Medikamente gegoogelt, um sie zu verifizieren, denn es darf ja nichts Falsches im Teestübchen veröffentlicht werden. Hoffentlich überschütten mich die fürsorglichen Pharma-Unternehmen jetzt nicht mit einschlägigen Angeboten. Und alles nur, weil ich über die horrible Werbung im ARD-Vorabendprogramm geschrieben habe.

    Holla? Meine Rechtschreibprüfung kennt „horribel“ nicht? Der Duden schimpft das Adjektiv aus dem Französischen „veraltet.“ Also beuge dich, horribel, damit du wieder gelenkig wirst!
    Positiv horribel,
    Komparativ horribler,
    Superlativ am horribelsten.
    Klingt komisch.

Adjektive klingen meistens komisch. Eine Anekdote, mit der Journalisten-Stilpapst Wolf Schneider in seinem Ratgeber Deutsch fürs Leben aufwartet, handelt von Clemenceau und geht so: „Der französische Zeitungsverleger und spätere Ministerpräsident hängte in seine Redaktionen ein Schild, auf dem es hieß: ‚Bevor Sie ein Adjektiv hinschreiben, kommen Sie zu mir in den 3. Stock und fragen, ob es nötig ist‘.“ Ein Rat für alle, die von der Ausschmückeritis befallen sind. Wer unbedingt auf der „Glatze Locken drehen“ [Karl Kraus] muss, dem hilft auch nichts von Ratiopharm.

Warum ich das interstellare Reisen aufgegeben habe

Wer sagt, dass man im vorgerückten Alter seine Verhaltensweisen nicht mehr ändern kann? Zeit meines Lebens habe ich mir etwas abgeschaut von Menschen, die mir nahe standen. So auch von meiner neuen Lebensgefährtin. Bevor ich sie kannte, habe ich beispielsweise den Abwasch prokrastiniert. Ich hatte Tricks, mich zu überlisten. Wenn ich kein sauberes Geschirr mehr hatte, so dass es unumgänglich wurde zu spülen, ich aber trotzdem unwillig war, obwohl mir der Zustand der Küche längst Unbehagen bereitete, auch, wenn ich gar nicht in der Küche war, wenn also diese guten Gründe kaum ausreichten, mich zum Handeln zu bewegen, dann stellte ich mir eine Bezahlung in Aussicht.

Vor mir das Spülbecken, und darin so viele Teile, die gespült werden mussten. Da wollte ich am liebsten gleich wieder aufhören. Aber ich stellte mir vor, dass ich für jedes Teil, das ich herausfischte und abwusch, den doppelten Betrag von x bekam, also 1+2+4+8+16. Wenn die letzten Löffel abzuwaschen waren, brachte mir jedes Teil, das ich noch aus dem Spülwasser nahm, bereits mehr Millionen, als ich überhaupt haben wollte. Ich wurde also beim Spülen steinreich. Vom Tellerwäscher zum Millionär.

Freilich wären Millionen für mich kein ordentlicher Anreiz gewesen, da ich keinen Anlass hatte, soviel Geld zu besitzen. Darum sagte ich mir, ich müsste das Spiel um eine Vorstellung erweitern: Stell dir vor, du bist ein humanoider Außerirdischer und hast auf einer interstellaren Schiffsreise eine Karte für Zone 1 gelöst, also für das Zentrum unserer Milchstraße. Das Sonnensystem der Erde liegt aber schon weiter außen im Spiralnebel. Dich erwischt ein Kontrolleur, du kannst nicht nachzahlen, da setzt er dich einfach vor die Tür, nämlich auf der Erde ab. Um die Rückfahrkarte zu deinem Heimatplaneten bezahlen zu können, musst du den Gegenwert von etwa 90 Millionen Euro verdienen.

Wie das? In welcher Branche könnte man 90 Millionen Euro verdienen? Ehrliche Arbeit käme nicht in Frage. Auch immer nur Wurstenden zu kaufen wie die reiche Frau Liebherr (Teestübchen berichtete), hülfe bei mir Vegetarier nicht. Man müsste schon Finanzspekulant werden oder ein Finanzberatungsunternehmen gründen wie Carsten Maschmeyer den Allgemeinen Wirtschaftsdienst (awd). Er hat inzwischen seine Drückerfirma verkauft und ist jetzt reich genug, sich eine interstellare Fahrkarte für die Spiralnebelzone 2 zu kaufen, macht es aber nicht. Inzwischen ist er derart integriert in ein machtvolles Netzwerk, befreundet mit Hinz und Kunz, Gerhard Schröder, Kai Diekmann und Christian Wulff, vollwertiges Mitglied in der Fernsehsendung „Höhle der Löwen“, Ehrendoktor der Universität Braunschweig, warum sollte einer wie Maschmeyer dahin zurückgehen, wo er hergekommen ist?

Ähem, vom Thema abgekommen.

Der einfache Trick, den ich von der Frau in meinem Leben gelernt habe: „Die gute Hausfrau nimmt immer etwas mit.“ Steht also Geschirr herum, nehme ich es als guter Hausmann beim nächsten Gang in die Küche mit und spüle es sogleich ab. Interstellare Reisen sind daher überflüssig. Ich habe durch eine einfache Verhaltensänderung erneut den Lauf der Welt zu meinen Gunsten verändert. Neuerdings habe ich sogar Geld übrig und kann mir wieder eine Spülmaschine leisten. Da ist die Welt gekniffen.

Impulswerkstatt – traumhaftes Schlüsselerlebnis

Nachdem mein Vater gestorben war, schliefen meine jüngere Schwester und ich im verwaisten Ehebett. Abwechselnd durften wir zur Mutter ins Bett. Irgendwann, ich muss etwa zehn Jahre alt gewesen sein, entschied meine Mutter, dass ich nicht mehr mit im Bett schlafen dürfte. Es war wie die Vertreibung aus dem Paradies der Geborgenheit.
Zu dieser Zeit war das Zimmer meines jüngsten Onkels im Haus meiner Großeltern verwaist, weil er in Bonn Jura studierte und dort eine Studentenbude hatte. In seinem Zimmer sollte ich hinfort schlafen. Ich fühlte mich wie ausgesetzt.

Das Zimmer lag allein auf der ersten Etage und hatte noch einen Vorraum. Die offene Verbindungstür war durch einen Vorhang abgetrennt. Das angrenzende Zimmer stand leer. Ich hatte im Zimmer meines Onkels große Angst, starrte bis zum Einschlafen auf den Vorhang und oft narrte er mich durch eine scheinbare Bewegung. Eines Nachts wurde ich wach mit dem Gedanken, ich hätte keinen Schlüssel, um zu Hause aufzuschließen. Wie im Tran stand ich auf und tappte, nur mit dem Schlafanzug bekleidet, die dunkle Treppe hinunter in den Hausflur. Ich erinnere mich, dass der Hausschlüssel meiner Großeltern von innen steckte, so dass ich aufschließen konnte. Die Landstraße lag ruhig. Das Licht der Gasolin-Tankstelle drüben warf einen trauten Schein. Ich querte die Straße und ging die wenigen Schritte bis zur elterlichen Wohnung. Dort stellte ich mich unters Schlafzimmerfenster und rief. Nach einer Weile kam meine Mutter ans Fenster und fragte entsetzt:
„Hannes, was machst du denn hier?“
„Ich habe doch keinen Schlüssel“, sagte ich und wusste im selben Moment, dass ich keinen Schlüssel brauchte, um nach Hause zu gehen. Da erst kam ich zur Besinnung, spürte die nächtliche Kälte und dass ich barfuß war.

Schlüsselbild als Schreibimpuls – Foto: Myriade

Im Haus meiner Großeltern war große Aufregung. Sie hatten gehört, wie ich aufgeschlossen hatte und gegangen war. Ich war froh, wieder in mein Bett kriechen zu können. Am nächsten Morgen hörte ich, dass ich geschlafwandelt hatte. Noch heute bin ich mir unsicher, ob es wirklich Schlafwandeln gewesen ist. Denn ich habe in dieser Nacht durchaus wahrgenommen, was ich tat.

Mein Beitrag zu Myriades Impulswerkstatt.

Einiges über Zahlen im Straßenbild

Auf einem Stadtmöbel abgelegt lag ein weißes Schild mir roter Umrandung, das normalerweise an einer Hauswand angebracht ist, denn es zeigt an, wo sich auf dem Gehweg ein Hydrant befindet. Wo dieses Schild hingehörte, konnte ich nicht ermitteln, denn ich sah in der Nähe keinen Hydranten.

Recherchen zeigen mir jetzt, dass das Schild einen Abstand zwischen Schild und Armatur nach links (1 m) und zum Gehsteig (4,8 m) anzeigt. Ich hoffe, das Schild wird bald an der richtigen Stelle erneuert, damit keine Komplikationen bei einem Brand auftreten. Dieses Fundstück erinnerte mich daran, dass meine Schriftforschungen Mitte der 1980-er Jahre mit Reflexionen über die Zahl im Straßenbild und die vielfältigen Bedeutungen begann. Tatsächlich fand ich in meiner umfangreichen Kartei auch eine lange vergessene Abteilung ZAHL. Eine Karteikarte davon ist vermutlich die erste, die ich überhaupt anlegte. Sie ist noch in vereinfachter Ausgangsschrift geschrieben.

Als junger Lehrer schämte ich mich meiner Handschrift und betrachtete meine Tafelanschriebe als Zumutung für Schülerinnen und Schüler. Darum lernte ich mit Übungsheften für Grundschüler noch einmal Lateinische Ausgangsschrift (LA), war nicht zufrieden, dann Vereinfachte Ausgangsschrift (VA) und schrieb sie eine Weile, bis ich Anfang 1990 mit der Isländischen Ausgangsschrift eine bessere fand. Daher lässt sich die Karte zeitlich auf etwa 1985 einordnen.


[Getreu abgetippt] Schriftliche Kommunikation im Straßenbild/Zahlen
Schriftliche Kommunikation im Straßenbild zeigt mitunter auf engem Raum (Bsp. Einer Fahrt von Forst nach Kor[nelimünster]) verschiedene Abstraktionsebenen. Neben den nur kontextabhängigen Informationen situationsabhängige oder vom Vorwissen abhängige Informationen:
1. Vorwissen (Faktor Weltwissen)
– Auf der Brandmauer eines Wohnhauses die große Aufschrift „1920“ = Vorwissen, dass Jahreszahl der Erbauung gemeint ist, „1920“ nicht Alter oder Hausnummer bedeutet
– Straßenschild „… 50 m“ (Niederforstbach 1,5 km) = Vorwissen, daß Entfernung gemeint ist.
– Straßenschild „70 km“ = keine Entfernungsangabe, sondern Geschwindigkeitsbegrenzung.
Kartenrückseite
Gerade die beiden letzten Bsp. zeigen, wie schwierig die richtige Erfassung der Information für einen Menschen mit dem fehlenden Vorwissen ist. Formal weisen sie die gleichen Merkmale auf (Dezimalzahl und Abkürzung einer Entfernungsangabe). Es genügt also nicht zu wissen, daß die Abkürzungen Rechnungseinheiten für Entfernungsvermessung bedeuten und deren Bedeutung zu kennen (m = Meter, km = Kilometer) Man muß auch zusätzlich wissen, daß die zweite Angabe („70 km“) keine Entfernung anzeigt, sondern Geschwindigkeit, also logisch falsch gebildet ist.

Soweit der Inhalt der Karteikarte. „Straßenschild“ müsste „Verkehrsschild“ heißen. Kontext-, bzw. Situationsbezug von Zahlen im Straßenbild sind leider nicht mehr ausgeführt. Es fehlt noch eine Systematik. Vor allem ist der Gedanke noch nicht zu Ende gedacht. Die Zahlen auf dem Hydrantenschild sind nur dem Eingeweihten verständlich, erfordern also Fachwissen, sind vor allem nur sinnvoll im Kontext mit einem Hydranten. Auch Hausnummern sind nur im Kontext der jeweiligen Häuser aussagekräftig. Das unten stehende Gif ist der Versuch, ihre Bedeutung anderweitig aufzuladen.


Was es damit auf sich hat, findet sich hier.

I N D I E B O O K D A Y

I N D I E B O O K D A Y

Der umtriebige Buchkünstler, Verleger und Blogger Ernst Christian Dümmler macht auf den Indiebookday am 20. März aufmerksam. Es ist der Feiertag des unabhängigen Verlegens. Da feiert die Edition Teestübchen Trithemius gerne mit.

Dümmlers Blog

Meine liebe Freundin Eva Schickler schickte mir folgenden Link: https://www.indiebookday.de.

Das fand ich natürlich sehr gut. Ich dachte, prima, da komm ich auch mal unter. Aber nix – eine Challenge: Bücher kaufen, Cover fotografieren, im Blog, auf FB oder Instagram mit dem Hashtag „indiebookday“ posten.

Moment, jetzt kommts mir erst – alle die ein Heft der Edition Blumen besitzen könnten dies eigentlich tun. Nein, nicht eigentlich! Sofort! Unverzüglich! Und wer noch keines hat, dem kann sofort geholfen werden:

Die Seite www.edition-blumen.de aufrufen, z.B. den Beitrag Raumschiff, auf die Mailadresse habenwollen@edition-blumen.de klicken, in die Mail schreiben: „hallo ich bin die/der, ich will das heft haben, über paypal habe ich schon alles überwiesen, schicks mir doch an diese adresse… edition-blumen.de find ich total toll! mit freundlichen grüßen olé“. Dann schick ich das los. Wenn das prächtige und leise glitzernde, shiny Heft angekommen ist, gleich fotografieren, damit die…

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Tag der Druckkunst

Am 15. März 2018 wurden die traditionellen Drucktechniken in das Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes der UNESCO übernommen. Seither feiern wir am 15. März den Tag der Druckkunst. Wieso das vereinnahmende Wir? Bekanntlich bin ich ein Jünger der Schwarzen Kunst gewesen, habe die, wie Abraham Lincoln befand, „Universität des einfachen Mannes“ besucht und im Alter von 17 Jahren die Gesellenprüfung als Schriftsetzer bestanden. Obwohl das nur wenige von sich sagen können, ist das vereinnahmende Wir berechtigt.

Auch wer nur digitale Techniken der Fernkommunikation nutzt, wer per Smartphone Nachrichten über Messenger versendet, wir Blogger*Innen sowieso, wir alle stehen mit einem Bein noch in der Buchkultur, verwenden Schrifttypen, die für den Buchdruck geschaffen wurden, benutzen typographische Ordnungs-Prinzipien wie Blocksatz, Flattersatz, rechts- oder linksbündig, bedienen uns der gängigen Orthographie, die natürlich ein Kind des Buchdrucks ist, denn erst im Buchdruck war es möglich, einen Fehler spurlos zu korrigieren. Daher auch der Anspruch an Texte auf orthographische Richtigkeit.

Mir persönlich hat die Arbeit in der Buchdruckerei den Weg zum Studium geebnet. Im Studium Germanistik und Kunst konnte ich mich weiterhin dem Phänomen der schriftlichen Kommunikation widmen. Zeit meines Lebens habe ich mich für alle möglichen Aspekte der Schrift begeistert, etwa 20 Jahre geforscht und die Befunde in einem hübschen Büchlein niedergelegt, auf das ich bei dieser Gelegenheit erneut aufmerksam mache.

Linoldruck zur Feier der Druckkunst

Kalligraphisches Blatt aus dem Jahr 1990 von JvdL (mit Photoshop bearbeitet)
Papier des Originals chamios, Format 31 cm x 24 cm
Linolplatte verschollen
Der Schriftzug ist ein Zitat von Friedrich Hölderlin (1770-1843): „Am Anfang des Alphabets steht das schreckliche Geheimnis des Altertums“ Hölderlins dunkle Äußerung steht für alphabetmystische Ansichten des 18. und 19. Jahrhunderts. Geschnitten ist der Text nach Vorlagen des englischen Schriftkünstlers Edward Johnston. In der Tradition englischer Kanzleischriften begann Edward Johnston zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit Schriftkursen an der Londoner Central School of Crafts and Arts. Der Schriftunterricht von Edward Johnston war der Beginn einer großen Erneuerungsbewegung der europäischen Schriftkunst. Er ist der Schöpfer der englischen „Kunsthandschrift“, die wie die Fraktur als grafisches Element eingesetzt wird, wenn Waren als besonders wertvoll oder als antik ausgezeichnet werden sollen.

Über Gruß und Grüßen

Was für ein hohles Ritual, dachte ich, als die Frau den Raum verließ. Sie wandte uns den Rücken zu und sagte: „Auf Wiedersehen.“
„Auf Wiedersehen!“, sagten alle wie im Chor, ich auch. Was wäre die Alternative? Hätte sie grußlos den Raum verlassen, hätten alle gedacht: Wie unfreundlich. Das Ritual bei der Verabschiedung einander wildfremder Menschen ist Teil unserer Sozialisation. Sich dagegen zu verhalten, bereitet den anderen ein ungutes Gefühl. Wieso? Im Studium besaß ich ein Buch über menschliche Kommunikation. Der Autor, dessen Name mir entfallen ist, nein, es war nicht Paul Watzlawick, entwickelte die Theorie der Streicheleinheiten.

Ein einfacher Guten-Morgen-Gruß wäre demnach eine Streicheleinheit. Wer sie gibt, erwartet eine angemessene Gegenleistung. Angemessen bedeutet nicht übertrieben und nicht zu wenig. Angenommen man begegnet einem flüchtig bekannten Kollegen regelmäßig auf dem Flur. Da wäre ein „Guten Morgen“ angemessen. Die Antwort: „Guten Morgen, wie geht es Ihnen?“, würde als aufdringlich empfunden, denn man hat nur eine Streicheleinheit bekommen und gibt zwei zurück. Etwas anderes wäre es, wenn die morgendliche Begegnung eine Weile ausgeblieben wäre. Dann dürfte eine schlichte Ergänzung folgen: „Guten Morgen, lange nicht mehr gesehen.“

Wenn man voneinander den Namen wüsste, wäre „Guten Morgen, Herr/Frau Sowieso“ angemessen. Au, Mist, der Name fällt einem nicht ein. Man antwortet schlicht: „Hallo“ und hat ein ungutes Gefühl, denn man hat zwei Streicheleinheiten bekommen, aber nur eine halbe zurückgegeben. Weitere Grußsituationen lassen sich jetzt herleiten. Warum gibt es diese sozialen Zwänge und warum unterwerfen wir uns?

Affen stärken den Zusammenhalt ihrer Gruppe, indem sie einander kraulen. Dies wird schier unmöglich, wenn die Gruppe zu groß ist. Hier meine persönliche Sprachentwicklungstheorie: Einander wahr zu nehmen und diese Wahrnehmung durch einen Laut kund zu tun, ist eine Sorte Fernkraulen. Das entspannt die Situation und zeigt an: „Du bist eine/einer von uns.“

Das war’s vorläufig. Ich sage Tschüs und schönes Wochenende!

Ein konspiratives Treffen

Unser erstes konspiratives Treffen in Steffen Gauklers großer Wohnung war nicht der Mühe wert. Wir wollten eine subversive Zeitung machen, aber kamen nicht vorwärts. Gaukler hatte einen Drucker eingeladen, einen Altkommunisten wohl, der kürzlich ein derartiges Heft herausgebracht hatte. Weil John, unser programmatischer Kopf, noch immer nicht eingetroffen war, blätterte ich das Heft durch, konnte aber nicht viel damit anfangen, da ich meine Lesebrille nicht bei mir hatte. Die Texte im Heft waren durchgängig in Acht-Punkt-Schrift gesetzt und auch das Layout war Kleinklein. Die Schrifttype erinnerte mich an ein derartiges Heft mit einem Text des Anarchisten Michail Alexandrowitsch Bakunin, das mir vor langer Zeit ein gewisser Günther, Student der Freien Grafik an der Kölner Werkkunstschule, zugesteckt hatte. Es war im Duplexverfahren gedruckt gewesen mit einem Verlauf im Text von Rot zu Schwarz. Das hier hatte zum Glück keine Verläufe, war aber für mich trotzdem unlesbar.

Zeitweise saß Julia neben mir, wieder einmal mit sich und der Welt im Hader. Die Beziehung zu mir sei ja irgendwas zwischen verheerend und verzehrend gewesen. Ich bezweifelte das. Sie war schon immer bereit gewesen, für ein gelungenes Wort die Realität zu verzerren. Aus dem Nichts war damals ein Dissens entstanden, und nichts, was ich versucht hatte, war geeignet gewesen zu verhindern, dass das Zerwürfnis sich verschlimmerte. Eine Lawine von Hader und Selbsthader ging zu Tal und riss mit, was im Weg stand. Julia seufzte. Sie schien genug zu haben vom Warten, denn mit einem Mal stand sie auf und war verschwunden. „Sich Polnisch verabschieden“ nennt man das wohl.

Auch Philipp verabschiedete sich, wollte sich wohl irgendwas vom Kiosk holen. Im Rausgehen sagte er beiläufig, er habe gerade den alternativen Nobelpreis in Pataphysik bekommen, aber da wäre nichts dran, den bekomme schließlich jeder zum Geburtstag. Ich widersprach: „Das Institut hat über 1200 Mitglieder, also haben im Schnitt täglich drei Leute Geburtstag. Der alternative Nobelpreis wird aber nur einmal im Jahr verliehen.“

Gaukler kam hinzu und verkündete, John habe angerufen. Er werde in 45 Minuten sicher eintreffen.
„Wie sicher?“, fragte ich.
„Nun, sein Problem ist das neue Bett mit der vorzüglichen Matratze. Da liegt er so fein, dass er sich morgens kaum zum Aufstehen überreden kann.“
„Früher scheiterte die Revolution an Bahnsteigkarten, heute an zu bequemen Betten. War er schon auf, als er anrief?“
„Er sagte ja, aber kontrollieren konnte ich das natürlich nicht.“
„Scheiß Schnurlose!“, sagte der alte Drucker.
Zu Philipp sagte Gaukler: „Denk daran, dass dieses Haus 110 Kellergeschosse hat und der Kiosk ganz unten ist.“
„Du wohnst auf der 111ten Etage, du Trollo!“, sagte Philipp.

Marga, eine Arztehefrau und Hobbyfotografin, breitete ihre weiten schwarzen Röcke aus und setzte sich neben mich auf die Couch. Sie steckte mir ein Dutzend Folien zu, von denen man selbstklebende Sticker abziehen konnte.
„Mach was draus!“, sagte sie.
„Spätkapitalistischer Tinnef!“, sagte der Drucker verächtlich, „daraus wird nie was.“
Ich fand das auch, zumal ich das Layout machen sollte. Wie gesagt, unser erstes konspiratives Treffen war nicht der Mühe wert.