Aus dem Digitalen in die Natur und zurück

Die Sonne scheint. Ich fahre Richtung Niederlande. In de laage landen. Tatsächlich geht es auf der Maastrichter Laan eine Weile bergab. Der Wind kommt von West. So werde ich beim Heimweg Rückenwind haben. Wenn ich den Grenzort Vaals hinter mir habe und die Maastrichter Laan entlangsause, schalte ich ab. Es ist, als würde ich an der Grenze meinen Packen abgegeben. Ich brauche mir deswegen keine Sorgen zu machen. Er liegt noch da, wenn ich zurückkomme. Den lädt sich keiner freiwillig auf, der noch bei Sinnen ist.

Ein schöner Weg biegt von der befahrenen Maastrichter Laan ab, führt bald durch einen kleinen Ort, wo vor der Kirche die pfingstlichen gelb-weißen Fahnen flattern, dann zwischen Wiesen eine Anhöhe hinauf. An der Flanke säumt sattes Gras den Weg; groß wie Getreide wogt es im Wind. Bald werden die Samen fliegen. Der Weg führt steil aus dem Tal hinauf. Unten zwischen den fetten Wiesen schlängelt sich ein Bach Richtung Göhl. Darüber staune ich immer wieder, dass ein kleiner Bach über die Jahrtausende ein so weites Tal ausspülen kann. Weiter oben steht doch eine Bank? Oder habe ich sie übersehen, weil sie vom Gras überwuchert ist? In einer Biegung taucht sie auf. Sie ist weinrot angestrichen. Erst kürzlich muss jemand mit einem Topf Goldbronze hier gewesen sein. Er hat die acht Nietnägel, je vier links und rechts, nachlässig damit angepinselt. Das Holz rund um die Nägel ist ein bisschen übermalt. Doch es macht nichts – dieses Gold auf Weinrot inmitten von Grün sieht einfach prima aus. Die Holländer wissen Akzente zu setzen.
Weiterlesen

Unter Gemüseschnitzern (3) – Kein Glück ohne Schatten

„Warum noch darüber reden? Das alles macht mir Weltschmerz. All den Lug und Betrug aus den Reihen der machtgeilen Politik, das Leid, dass diese Leute im Dienste eines angeblichen Infektionsschutz bei Alten, Kranken, Familien und Kinder angerichtet haben, die Ignoranz unserer Medien, die inquisitorische Weise, in der man Kritiker mundtot machen will, kann ich kaum ertragen. Und mich schmerzt, dass Freunde und Freundinnen, deren Intelligenz und Urteil ich geschätzt habe, der Panikmache und Angstmacherei zum Opfer gefallen sind.“

„Ich heule gleich“, sagte der Schriftsteller.

„Na na, der Lockdown war nötig, stand in meiner geliebten FAZ“, sagte Frau Spangenberg.

„Aber unser Gesundheitssystem war zu keiner Zeit überlastet. Und die alberne Maskenpflicht wurde erst eingeführt, als der magische „R-Wert“ weit unter 1 war und die Intensivstationen in unseren Krankenhäusern leer standen.“

Der Weg führte nun steil bergab. Inzwischen sahen wir unter uns in die Mauereinfassung der Grabanlage mit der zentralen Pyramide, die der Graf von Münster sich hatte erbauen lassen.

„Wie glücklich die Zeiten, als die Eliten sich mit derlei Quatsch begnügt haben“, sagte ich.

„Das werden die Dienstboten anders gesehen haben, als sie dem Fürsten zu Lebzeiten die Genüsse den Berg hinaufschaffen und servieren mussten, nur damit er Tee schlürfend den Blick auf sein Anwesen und die Ländereien genießen konnte“, wandte der Schriftsteller ein,

„Da sind sie wenigstens fit geblieben“, sagte Frau Spangenberg,

„Inzwischen ist auch der die Fitteste von ihnen längst tot“, sagte der Schriftsteller düster und ließ sich auf eine Bank sinken. „Fitness wird total überschätzt. Ich gehe keinen Schritt mehr weiter.“

„Ob sich aber ein Dummer findet und Ihnen das Abendessen bringt?, lachte Frau Spangenberg.

„Der Hunger treibt ihn schon rein“, sagte ich und ging weiter. Die Aussicht, mit Sibylle Spangenberg alleine weiter zu bummeln, war höchst erfreulich. Zum Glück blieb der Dicke sitzen.

„Sie hätten ihn ruhig ermuntern können“, rügte sie.

„Warum sollte ich? Ihre aparte Gesellschaft reicht mir.“

„Mich beunruhigt, dass Sie so düstere Gedanken denken. Können Sie auch anders?“, fragte Sibylle Spangenberg.

„Oja. Es gibt auch bei mir seltene Minuten, da ich von innerer Zufriedenheit durchdrungen bin, dass mir nichts zu fehlen scheint.“

Der Weg folgte nun den Windungen eines Baches. Im dichten Buschwerk der Uferböschung erhob sich ein Kirschbaum mit leuchtend roten Früchten.

„Die hängen leider zu hoch“, sagte ich.

„Wieso?“ Frau Spangenberg stieg in die Böschung, reckte sich zu einem Zweig hin, der voller Kirschen hing und pflückte sie.

„Mein Bruder hat gesagt: ‚Mit einer großen Frau ist nicht gut Kirschen essen‘.“

„Ihr Bruder hatte wohl keine Ahnung“; sagte sie lachend und gab mir ihre Handvoll Kirschen. Sie schmeckten köstlich. Aber ich biss mir auf die Zunge und schmeckte Kirschsaft mit einer Ahnung von Blut. Kein Glück ohne Schatten.

Links: Die gesponserte Pandemie

Die Ballerman-Hysterie

Covid19-Entscheidungen und -Debatte sind wie der Offenbarungseid einer beschränkten Politik und abnickender Medien


Unter Gemüseschnitzern (2) – Weltschmerz

Wie warteten, bis Frau Spangenberg heran gekommen war, nahmen sie in die Mitte und stiegen gemeinsam hinan. Im Wald hatte man im großen Stil Bäume gefällt, die Stämme seitlich des Wegs aufgestapelt, das Knüppelholz aber achtlos im Wald und sogar über den Weg verstreut. Stellenweise mussten wir hintereinander gehen. Ich hatte Mühe, nicht zu straucheln, während die Spangenberg hurtig bergan eilte und scheinbar mühelos wie das göttliche Kind über alle Hindernisse hinweg schritt.

„Ich möchte nicht wissen, wie es bei dem Förster zu Hause aussieht, der das Chaos hier zu verantworten hat“, sagte ich.

Frau Spangenberg lachte. Bringst du eine Frau zum Lachen, hast du schon gewonnen, freute ich mich. Der korpulente Schriftsteller blieb schnaufend zurück und schien aufgeben zu wollen. Frau Spangenberg wusste ihn zu motivieren. „Oben am Teehaus gibt es eine Bank. Da können Sie verschnaufen und uns erzählen, was sie schreiben.“

„Meistens schreibe ich Dystopien“, sagte der SF-Schriftsteller düster.

„Gibt es nicht genug? Das Genre ist doch schon voll von Dystopien“, wandte ich ein.

„Man kann sich schlechte Welten einfach besser vorstellen, wenn man derzeitige negative Entwicklungen weiter in die Zukunft denkt.“

Wir erreichten die Bank und setzten uns. Vor uns erhob sich auf einem Sockel das unförmige Teehaus, einem dorischen Tempel nachempfunden, den der Hannoveraner Architekt Georg Ludwig Friedrich Laves im Jahr 1827 dem Grafen auf den Berg baute. Sagt man so, obwohl Laves keine Steine geschleppt haben wird.

„Hauptsache plausibel. Die Menschen mögen es, wenn die Entwicklungen so dargestellt sind, dass jeder mitkommt“, sagte ich.

„Ich weiß nicht“, widersprach Frau Sprangenberg. „Die menschliche Erfahrung lehrt etwas anderes. Schon der Blick in die Vergangenheit zeigt genau das Gegenteil von Plausibilität: “ Sie deutete mit ihrer schönen Hand in die Runde: „Der griechische Tempel hier, die Grabpyramide im Tal und die Fischerhäuser an der Straße. Das architektonische Ensemble mit dem Schloss und den weitläufigen Gebäuden der Meierei. Plausibel ist doch nur das umgebende Idyll. Wenn wir nicht wüssten, dass die Anlage einst ein Zisterzienserkloster gewesen ist und ein Fürst es im 19. Jahrhundert der Kirche entrissen hat, um das Haupthaus im Tudorstil zum Schloss umzubauen, stünden wir vor einem Rätsel und würden nichts mit unserer Gegenwart zusammenbringen können.“

„Das deprimiert mich ja so“, sagte der Schriftsteller. „Wenn man die derzeitige Entwicklung unserer Gesellschaft zur Gesundheitsdiktatur betrachtet, so ist auch nichts plausibel. Schon die handelnden Figuren sind es nicht. Die Charaktere sind so schlecht entwickelt, einfach dumm. Kein Verlag würde mir ein Manuskript abnehmen mit Figuren wie Frau Merkel, Jens Spahn, Karl Lauterbach und so weiter. Dass derlei banale Menschen die Akteure sind, hätte ich nie erwartet. Und dass es kaum gesellschaftlichen Widerstand gibt, das völlige Versagen der Leitmedien als kontrollierende Vierte Gewalt, ihr arrogantes Ignorieren der Fakten, das alles ist nicht plausibel. Einzig wie sie Abweichler, Zweifler und Kritiker dämonisieren, das erinnert an längst bekannten religiösen Eifer.“

„Plausibel ist die Entwicklung schon“, sagte ich. „Ich muss immer denken an Warren Buffetts Befund, dass die Klasse der Superreichen einen Klassenkampf begonnen hätten.’There’s class warfare, all right, but it’s my class, the rich class, that’s making war, and we’re winning.‘ Waren das nur Worte des zweitreichsten Mannes der Welt oder gab es konkrete Kriegshandlungen?“

Müde bestätigte der Schriftsteller: „Er hat das anlässlich der Finanzkrise gesagt. Banken wurden mit Steuergeldern gerettet, und am Ende waren die Superreichen noch reicher geworden. Das Geld wurde also von unten nach oben geschaufelt.“

„Hinsichtlich der Kriegsmetapher war die Finanzkrise ein Scharmützel“, warf Frau Spangenberg ein.

„Ja, die nächste Kampfhandlung, der nächste Angriff muss heftiger sein. Wie könnte es weitergehen? Entwickeln Sie ihre Dystopie, Herr Schriftsteller!“, sagte ich.

„Zuerst bringt die Pharmaindustrie die WHO dazu, die Definition der Pandemie zu ändern, damit man eine ausrufen kann trotz geringer Todesfälle wie damals bei der Schweinegrippe. Dann versetzt man die Leute durch geschicktes Marketing in Todesangst, so dass sie nicht mehr geradeaus denken können. Dann macht man mit Shotdowns und Lockdowns den Mittelstand kaputt, so dass die großen Wirtschaftsplayer sich deren Marktanteile unter den Nagel reißen können.“

„Nicht besonders originell“, sagte ich. Genau das ist doch passiert oder passiert derzeit. Die Auswirkungen können wir jetzt schon sehen an Amazon und dem Bankrott von Karstadt/Galeria Kaufhof.“

„Ich bin halt müde. Wie kann ich mir eine eigenständige Dystopie ausdenken, wenn die Welt erkennbar auf eine zustrebt?“, fragte der Schriftsteller. „Wenn der Krieg bereits im Gange ist und in so großem Stil geführt wird, wie Sie sagen, ist eh alles verloren. Dann bleibt uns nur Gemüseschnitzen und sonstiger Eskapismus. Warum sollten wir noch über die derzeitige Entwicklung reden?“

Fortsetzung: Kein Glück ohne Schatten

Unter Gemüseschnitzern – eine Erzählung aus unseren Tagen in drei Folgen

„Das weiß doch inzwischen jeder Dorfdepp, dass man eine Dame nicht nach ihrem Falter fragen darf“, sagte Referent Carlo Mobenbach und schaute streng in die Runde. Als sein eisiger Blick an mir hängen blieb, zuckte ich schuldbewusst zusammen und fragte: „Auch Stubenmädchen nicht?“

Mobenbach schnaubte: „die Hausdame ist kein Stubenmädchen. Den Unterschied sollte ebenfalls jeder Dorftrottel kennen.“

„Entschuldigung, ich bin nicht von hier und übernachtete nie zuvor in einem Etablissement, in dem die Stubenmädchen Hausdamen sind und oder umgekehrt.“

Die aparte Kulturwissenschaftlerin, die mir seit Beginn des Seminars „Lebensart und Gemüseschnitzen“ schöne Augen gemacht hatte, eine gewisse Sibylle Spangenberg, sprang mir bei. „Heute Morgen habe ich einen großen Nachtfalter auf meinem Handtuch gefunden und keinen Moment gezögert, die Hausdame zu rufen und zu fragen, wie sich der Falter in mein Bad hat verirren können. Das ist doch die natürlichste Reaktion der Welt.“

Carlo Mobenbach geriet für einen Moment aus dem Konzept, stieß seine Manuskriptseiten mit den Kanten auf dem Tisch auf, griff an seine Brille und sagte: „Wer wäre ich, Ihnen, Frau Doktor Spangenberg, zu widersprechen. Äh, ich korrigiere. Ein Tippfehler offenbar. Gemeint ist nicht ‚Falter‘. Es muss natürlich ‚Falten‘ heißen. Eine Dame fragt man nicht nach ihren Falten, merken Sie sich das, Herr Trittenheim!“

„Aaalter:“

„Wie bitte?“

„Da wo ich herkomme, fragt niemand eine Dame nach ihren Falten. Vielmehr wissen wir, dass man eine Dame nicht nach ihrem Alter fragen darf. Hingegen ist es ratsam, sich nach ihrem Alten zu erkundigen.“ Ich zwinkerte der Dame Spangenberg zu.

„Der ist auf Geschäftsreise in Porno.., äh, Portugal“, sagte Frau Sibylle errötend.

„Nachdem jetzt alle Missverständnisse geklärt sind, entlasse ich Sie in die Pause“, sagte Carlo Mobenbach. „Abendessen gibt es in zwei Stunden. Sie haben also Zeit genug, die idyllische Umgebung zu erkunden.“

Das Auditorium, 15 Leute an der Zahl, rückte die auf Lücke gesellten Stühle und begab sich nach draußen auf den sonnigen Schlosshof. Bedauernd sah ich, dass Frau Spangenberg von der kleinen Sterneköchin vereinnahmt worden war. Ich hörte sie sagen: „Ich bin gespannt auf das Gemüsesschnitzen. Bisher kann ich nur Röschen aus Tomaten gestalten. Habe ich von meiner Mutter gelernt. Und die hat es von ihrer Mutter. Unsere ganze Familie kann Tomatenrosen schnitzen.“

„Aha“, sagte Frau Spangenberg. „Sie wollen also das karge Familienvermögen bereichern.“

Ich wandte mich ab und gabelte den trübsinnigen Sciencefiction-Autor auf, der in seiner ganzen Pummeligkeit wie ein Trottel da stand und seine Fußspitzen betrachtete. „Kommen Sie mit auf den Hügel? Ich will mir das griechische Teehaus des Grafen anschauen.“

„Diese Geschmacksverirrung schreckt mich nicht. Mir ist eh alles egal“, sagte der Mann und folgte mir zum Wald. Am Weg zum Teehaus wies ein windschiefes Schild den Laves-Kulturpfad aus. Gerade als wir in den steilen Pfad einbogen, rief Frau Spangenberg von der Toreinfahrt herüber: „Huhu! Ich komme mit Ihnen!“

Fortsetzung: Weltschmerz am griechischen Tempelbau

Die Dinge des Lebens – Der bunte Mann

Mit einem kräftigen „Guten Tag!“ betritt ein großer glatzköpfiger Mann das Wartezimmer. Er trägt eine orangefarbene Hose und einen türkisblauen Hoodie, statt Maske hat er einen dunkelblauen Rollkragen übers Gesicht gezogen. Er setzt sich kurz, steht dann plötzlich vor mir und sagt: „Können Sie mir kurz helfen?“, wobei er mir ein geöffnetes Taschenmesser in die Hand drückt. „Ich möchte den Faden abschneiden, aber mir fehlt dazu eine weitere Hand. Mit der Linken zieht er einen Faden von der Naht des Hodies an der Innenseite seines rechten Unterarms stramm. Ich prüfe mit dem Finger, wo die Schneide des Taschenmessers ist und schneide den Faden ab. Er bedankt sich, setzt sich wieder und beginnt aufmerksam in einem roten Büchlein zu lesen. Seine Welt ist wieder in Ordnung. Jetzt sehe ich, dass er auch orange und türkis geringelte Socken trägt. Seine Segeltuchtasche hat die Kombination Blau-Orange. Selten habe ich so einen selbstgewissen bunten Mann gesehen.

„Ich bin der Bischof von Bugolaland und brauche ein halbes Pfund Margarine.“
[Patricia Moyes; Murder Fantastical, dt. „… daß Mord nur noch ein Hirngespinst“]

Hübsche Kursiv der Bleistiftmarke Bruynzeel (hier falsch Bruynseel kalligrafiert von mir)

Die Vogelscheuche schreckt die Vögel wenig. Einst war sie der Gott der Grenzmarken.“ (Carl Faulmann) Vom Gott zum Lumpenhund: Die Banalisierung befällt auch das Göttliche.

Immer öfter passiert es mir, dass ich nach Verlassen eines Ladenlokals vergesse, die Maske abzustreifen. Ich bemerke an mir eine perverse Lust, Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen. Offenbar geht es nicht nur mir so. Manche fahren sogar mit der Maske Rad. Der Nutzen der Mund-Nasen-Bedeckung ist ja so gering, dass sich eine Ritualisierung andeutet. Die Maske als Erkennungszeichen einer Sekte, zu der man zwangsrekrutiert wurde. Rollt eine Straßenbahn vorbei, und aus allen Fenstern schauen welche mit Maske, muss ich denken, dass uns die herrschende politische Klasse endlich zu den Deppen gestempelt hat, für die sie uns schon lange halten.

Niederländisch für alle

Flashback Mai 1989, Bernd K., mein Freund und Kollege für Niederländisch am Gymnasium hatte sich einen Stempel anfertigen lassen, um ihn statt Unterschrift auf die Klausuren seiner Schülerinnen/Schüler zu drücken. Darauf zeichnete ich folgendes Cartoon (zum Lesen klicken) Der Freund ist auch hier am Schluss des Textes in einer Zeichnung von mir zu sehen, wo er mit Saxophon den Tod seiner Katze betrauert.

Magermilchjoghurt

Zeichnung und Gif-Animation: JvdL


„Wann ich Morgens auffstehe, sprach Grschwbtt, so spreche ich ein gantz A.B.C., darinnen sind alle Gebett auff der Welt begriffen, vnser Herr Gott mag sich darnach die Buchstaben selbst zusamen lesen vnd Gebet drauß machen, wie er will, ich könts so wol nicht, er kan es noch besser. Vnd wann ich mein abc gesagt hab, so bin ich gewischt vnd getrenckt, vnd denselben Tag so fest wie ein Maur.“
(Hanß Michael Moscherosch, Satyrische Gesichte Philanders vom Sittewalt, IV. Theil, anders Gesicht: Soldaten-Leben) vergl.: Zwei Boxkämpfer jagen Eva quer durch Sylt

Über die Gefühlswerte der Zahlen

Es ist etwas Seltsames in den Formen unserer Zahlen. Die Fünf beispielsweise, wenn man beim Schreiben nicht aufpasst, wirkt die Fünf wie ein böser alter Mann. Der untere Bogen gemahnt an einen offenen Mund, die Senkrechte oben ist wie eine zornige Stirn.
Die Drei hat etwas Tölpelhaftes. So schaut der dumme Narr in die Welt. Die Neun hat etwas von einer faul herumhängenden Vettel.
Die Zwei wirkt immer grundehrlich, egal welche Ausformung sie hat. Die Zwei kann nicht lügen.


Der böse Alte, der Tölpel, die Vettel und die Ehrliche. So lässt sich die Zahl 5392 gut merken. [Nach einem Tagebucheintrag von 12/1993]

Kaffeeplausch mit Frau Nettesheim – Feinripp trumpft

Frau Nettesheim
Sie kennen den Unterschied zwischen einem Amateur und einem Profi, Trithemius?

Trithemius

Natürlich kenne ich den Unterschied. Aber sagen Sie es mir, werte Frau Nettesheim!

Frau Nettesheim

Der Profi macht fertig, was er angefangen hat.

Trithemius

Soll das etwa eine Anspielung sein, Frau Nettesheim? Wollen Sie mir das Amateurhafte unterstellen, mich quasi mangelnder Professionalität zeihen, etwa sagen, dass ich herum dilettiere?

Frau Nettesheim

Immerhin erinnere ich mich an mindestens drei Projekte aus der letzten Zeit, deren Enden noch lose herumbaumeln: die Forschungsreise, das Romanfragment Mit der Hand gesetzt und jetzt die Erzählung Auf dem Gang. Tiefer will ich nicht graben, sonst fliegt mir ihr Dilettantismus um die Ohren wie aufgewirbelter Kellerstaub.

Trithemius

Hallo? Was meckern Sie da, Frau Nettesheim? Angenommen, in der Bäckerei sitzt ein Arbeiter, meinetwegen ein Maurer oder Anstreicher, trinkt einen Kaffee und isst ein Pausenbrot. Gehen Sie da hin und schimpfen den Mann unprofessionell, nur weil er sein Tagewerk unterbrochen hat?

Frau Nettesheim

Wie käme ich dazu, ein ehrlicher Handwerksmann hat meinen Respekt.

Trithemius

Aha! Aber mich schelten Sie, wenn ich mal Pause mache.

Frau Nettesheim

Das ist etwas anderes.

Trithemius

Etwas anderes? Nur weil ich nicht dienen kann mit Männerschweiß und Feinripp-Unterhemden? Sie denken vielleicht, dass hier ein intellektueller Unterschied vorliegt. In Wahrheit geht es um das Fließen von Körpersäften. Da kriegt ein Ihnen völlig unbekannter Maurer ihre Sympathie, aber ich muss mich schurigel lassen.

Frau Nettesheim

Meine Sympathie haben Sie doch auch. Ich sorge mich nur, wenn Sie sich verzetteln.

Trithemius

Ich verzettele mich? Was sollen die Kundinnen und Kunden denken? Zur Strafe schreibe ich Ihre Antwort gar nicht mehr auf.