Erkundung der Vergangenheit (1) – Das Jahr im Keller

Einen absolut seltsamen Tag habe ich mir heute bereitet. Es begann schon gestern Abend, als ich am Retro-Projekt arbeitete und dabei von der Wucht der Zeitempfindung fast atemlos wurde. Ja, da gibt es Wellen von Einsicht in die Gewalt der Zeit, die können dich erschlagen. Plötzlich nämlich tauchen ziemlich deutliche Erinnerungen auf, du willst dich erheben und vollends hineingehen, da aber siehst du mit Beklemmung, dass du etwas Unmögliches und daher Schädliches tun willst. Anders als die Gegenwart ist die Vergangenheit ja völlig determiniert. Wenn du also Zweifel an der Existenz des freien Willens zerstreuen willst, dann so, indem du dir die Vergangenheit vergegenwärtigst. Das Unerbittliche, Unverrückbare der Vergangenheit lehrt dich, die Freiheit gegenwärtiger Entscheidungen zu schätzen.

[Tagebuchnotiz, geschrieben 1997.] Das oben genannte „Retro-Projekt“ war der Versuch, mein Tagebuch in frühere Jahre auszuweiten, 30 Jahre zurück in eine Zeit, aus der es nur wenige Dokumente gibt. Ich hatte eine DIN-A4-Chinakladde für das Jahr 1967 angelegt, das spärlich vorhandene Fotomaterial und Dokumente – wie meinen Gesellenbrief, den Jugendherbergsausweis usw. fotokopiert und hatte in der Stadtbibliothek im Bildband der Harenberg-Chronik 1967 nach Bildern und Ereignissen gesucht, zu denen ich einen Bezug hatte. Dieses Material klebte ich in die Kladde 1967, ergänzt durch handschriftliche Erinnerungen. Die Kladde lagert noch in meinem Keller in unausgepackten Umzugskartons. Und es scheut mich seit Jahren, danach zu suchen. Aus dem gleichen Jahr stammt das Foto hier. Im Bild mein Freund Fritz [Name geändert], ein mir unbekanntes Mädchen und ich [von rechts], sitzend vor der JH Brüggen, auf der Rückfahrt unserer Radtour zur Insel Texel.
[Das hier ist Beitrag Nummer 1000 im Teestübchen Trithemius, wie WordPress mir mitteilt]

Gekritzelt – Transit in Nichts??

Knatschjeck
Junge Menschen umstehen ihre junge Lehrerin. Während ich nebenan auf einer Bank sitze und ein Eis lecke, höre ich ungewollt, worüber sie sprechen, nämlich über „Baywatch.“ Baywatch? Augenblicklich fühle ich mich unwohl und danke Gott, obwohl ich keinen habe, dass ich nicht in der Gruppe stehen muss. An derlei Gesprächen habe ich mich noch nie beteiligen können, fühlte mich sofort wie ein Außerirdischer, den ein böses Schicksal in eine Welt von Deppen verschlagen hat. Und es ist ja kein Entkommen. Doch selbst, wenn man mir für jede läppische Bemerkung zum Thema Fünf Millionen intergalaktische Credits geben würde, auf dass ich den Transit in intelligente Sektoren des Universums bald bezahlen könnte, selbst dann könnte ich nichts zur Unterhaltung über Baywatch, überhaupt zu Serien beitragen, nicht mal, um der hübschen Lehrerin zu gefallen.

Binge Watching
Sich durch Serien glotzen am Stück den Verstand zu veröden, heißt Neudeutsch „Binge Watching.“ Wenn das Fernsehen schon eine gigantische Verblödungsmaschine ist, wird es noch durch Video-on-Demand-Anbieter wie Netflix oder Prime Video getoppt. Sag bitte nicht: „Binge Watching ist toll! “ Manche bohren sich auch ein Loch ins Knie und säen Salat rein.

Reicht für die intergalaktische Tarifzone
Eben fiel mir ein, wie ich mich doch gewinnbringend am Gespräch über Baywatch hätte beteiligen können. Ich hätte sagen können: „Schade, dass es bei Baywatch so wenig Enthauptungen gibt.“ Das wäre schon die halbe Fahrkarte. Den Rest schaffe ich locker per Beförderungserschleichung.

Wir zwei Herren
„Frohen Herrentag!“, wünschte mir heute Morgen die Bäckereifachverkäuferin. Und ich sagte mechanisch: „Danke, gleichfalls.“ „Herrentag“ ist ja ganz was Neues. Alleweil ändert sich was. Heißt denn der Muttertag demnächst „Damentag?“ Und Christi Himmelfahrt wird Peterchens Mondfahrt? (Im Bild: Damen-, Herren- und Kindertag aus: SZ, 06/1994, Klicken)

Transit ins Leere?
Eine erschütternde wahre Geschichte las ich unterwegs. Am hübsch geschwungenen schmiedeeisernen Gitter eines Jugendstilhauses an der Davenstedter Straße hing ein eingeschweißtes Blatt, worauf zu lesen, dass im Haus zwischen 1975 und 1977 drei befreundete Physiker gelebt hatten, ein Ehepaar und ein weiterer Mann. Das Ehepaar habe seinerzeit gegolten als John Lennon und Yoko Ono der Physik. Man forschte gemeinsam an der Leibniz-Universität zur Relativitätstheorie. Der Ehemann ist dann verschwunden, seine Frau zog sich krank in ein Stift zurück.

Bei Spiegel online las ich, ein hochgeachteter Physiker der Harvard-Universität habe die Existenz unseres Universums angezweifelt. Vermutlich habens die Lindener Physiker schon 1977 herausgefunden.

Schon wieder Davenstedter Straße
Letzte Nacht, ich hatte mich gerade zur Ruhe gebettet, sah ich mich die Davenstedter Straße überqueren, und zwar, wo ein Heer von Arbeitern kürzlich Teilstücke der Gleise ausgetauscht hat. Ich sah meinen Fuß auf eine Schiene treten und spürte, wie er am frischen Teer ringsum festklebte. Da erschrak ich fürchterlich, und mein Fuß im Bett schnellte hoch und riss sich los. Zum Glück. Wer will schon einschlafen, derweil der Fuß an einer Straßenbahnschiene klebt?

Annegrets Himmelfahrt

Gestern dachte ich, mich gegenüber Kramp-Karrenbauer vielleicht zu harsch geäußert zu haben. Heute lese ich, dass sie demnächst an der dubiosen Bilderberg-Konferenz teilnehmen wird. Den weiten Weg von der Ortsvorsteherin des Saarlands hinauf zum geheim tagenden Zirkel der Mächtigen schafft nur eine mit dem unbändigen Willen zur Macht. Drum mit Recht zur Vorsicht gemahnt.

Annegret Kramp-Karrenbauers Zensurgelüste – Und willst du nicht mein Bruder sein …

… so schlag ich dir den Schädel ein. Zuerst hatte die vom CDU-Zerstörungsvideo überraschte CDU-Führung ihren scharfen Kritiker Rezo zum Gespräch eingeladen, offenbar in der Hoffnung, man könnte Rezo auf die eigene Seite ziehen, nicht unbedingt mit Argumenten, sondern indem man ihm die Nähe zur Macht gewährt, was ja bei unseren sogenannten Hauptstadtjournalisten so gut funktioniert, dass viele zu regierungsamtlichen Papageien mutieren. Als Rezo nicht reagierte, kam Annegret Kamp-Karrenbauer mit der Anregung hervor, über Zensur des Internets nachzudenken.

Wer sich nicht vereinnahmen sprich korrumpieren lässt, dem möchte man das Maul verbieten. Hier zeigt sich, dass zumindest die CDU-Spitze nicht weit weg ist von demokratiefeindlichen Ideen, – wie Heinz-Christian Strache (FPÖ), sich willfährige Medien zu kaufen, oder wie Viktor Orbán und Recep Tayyip Erdoğan, die Meinungsfreiheit ganz abzuschaffen, damit man nach Belieben schalten und walten kann. So fand dann selbst der brave ARD-Journalist Frank Plasberg, Annegret Kamp-Karrenbauers Liebäugeln mit Internetzensur sei „zwanzig Minuten vor Orbán.“ Die Frau macht mir Angst, und das nicht zum ersten Mal.

Nur unwesentlich klügere Politiker, oft aus den Reihen der SPD, schwafeln gern davon, man habe ein Kommunikationsproblem. Den Bürgern müsse die Politik nur besser erklärt werden. Das ist schlichtweg falsch. Wer die Regierungspolitik kritisiert, hat kein Kommunikationsproblem. Ein Kommunikationsproblem läge vor, wenn die Bürger Bohnen in den Ohren hätten oder nur Esperanto verstehen würden. Doch viele verstehen die Sprache der Mächtigen nur zu gut, bemerken längst den falschen Zungenschlag, wenn groß von frommen Absichten getönt wird, aber insgeheim die exakt gegenteilige Politik gemacht wird. Nicht von ungefähr gibt es die Metapher von „Sonntagsreden.“ Wer aber trotz aller Skandale, trotz gesellschaftlich schädlicher Lobbypolitik treu und brav weiter CDU wählt, hat ein Intelligenzproblem. Diese Wählerschaft, soweit sie nicht zu den Begünstigten der CDU-Politik zählt, ist milde ausgedrückt schlicht denkfaul, mag sich lieber von den Mainstream-Medien erklären lassen, wie sie zu denken hat und ist einfach zu bequem, liebgewonnene, aber schädliche Verhaltensweisen zu ändern.

Die Statistiken zeigen, dass just die jungen Wählerinnen und Wähler den Sonntagsreden nicht mehr glauben. Sie sind nicht sozialisiert in der Zeit der Einkanalmedien, in der Journalisten als Torwächter fungierten und nur die ihnen passenden Informationen durchgelassen haben, um auf diese Weise die Welt zu erklären. FAZ-Politikchef Jasper von Altenbockum mag sich noch immer nicht damit abfinden, dass die Zeit vorbei ist, wie sein verbaler Rundumschlag als Reaktion auf das Rezo-Video zeigt. Kaum ein anderer Journalist ist ihm darin gefolgt. Man möchte sagen: „Merkst du selbst, Jasper.“ Aber merkt er nicht. Deshalb ist er als Torwächter in einer veränderten Medienwelt ungeeignet und kann sich mit Frau Annegret die Hand geben.

Raben auf der Flucht

Am Boden liegt die Barbara. Ich widerstehe der Versuchung, das gefallene Mädchen aufzuheben. Ja, läge da ein Männermagazin auf dem Bürgersteig, hätte ich mich sogleich gebückt. So frage ich mich nur, wer von meinen Nachbarinnen sich die neue Barbara gekauft und beinah druckfrisch entsorgt hat. Für diesen flüchtigen Kick mussten grüne Bäume sterben, wissen Sie das? Trotzdem erregt das Barbara-Heft meinen Neid. Gerne wäre ich gleichberechtigt. Wie eine moderne Frau die Barbara würde ich gern mal am Kiosk verlangen: „Geben Sie mir die neue Philipp!

Aber eine Männerzeitschrift namens Philipp fehlt auf dem Zeitschriftenmarkt.
Und so ein Gespräch unter Männer wäre auch hübsch:
„Schon die neue Philipp gelesen?“
„Nein, ich bleibe meiner Stefan treu.“
Aber dat gibbet nich. Ich bedauere das auch, weil sowohl Philipp wie auch Stefan aus meinem Freundeskreis mir wesentlich sympathischer sind als Barbara Schöneberger. Früher beherrschten ja nur die katholischen Heiligen Bilocation, konnten also gleichzeitig an mehreren Orten sein. Dank Fernsehen und anderen Medien kann Frau Barbara das auch, kann sogar als Bückware unter meinem Fenster liegen, weil die Müllwerker achtlos verstreut haben, was ihnen bei der Altpapierabholung aus einem Karton gefallen ist.

„Wird schon ein Idiot kommen und die aufheben“, hat der Müllmann gedacht, denn Barbara war ihm einfach zu schwer, ist ihm plumps auf die Füße gefallen, derweil sie zur gleichen Zeit anderorts jemanden vollgequatscht hat. Während der wähnte, ein echter Unglücksrabe zu sein, weil er aus den Ohren blutete, sollte er sich mal vor Augen halten, dass Frau Schöneberger an vielen Orten gleichzeitig Unheil anrichten kann. Ein Müllmann hat ja auch ein Herz! Und spürt genau wie du den Schmerz.

„Raben auf der Flucht“, titelte die Süddeutsche gestern, und ich dachte noch, was für ein poetischer Titel: „Raben auf der Flucht!“ Erst beim Lesen des Textes ist mir aufgefallen, dass keine Raben gemeint sind. Das bemerkte ich spät, ich las und las und fragte mich: Wann fliehen denn jetzt endlich die Raben? Da ich aber Optimist bin, vertröstete ich mich: Der Text muss ja einen Spannungsbogen halten. Irgendwann werden die Raben noch flüchten. Aber am Ende flüchteten die Reben, was ja noch ungeheuerlicher ist – schon wieder wegen Barbara eventuell?

Aus dem Netz gefischt – Das Gurkenkondom

In meiner linksrheinischen Heimat heißt die Schlangengurke „Komkommer“, genau wie im Niederländischen. Entsprechend stark alliteriert die niederländische Neubildung: „Komkommercondoom“, womit die Plastikhülle gemeint ist, in die in Supermärkten der EU die „Biogurke“ eingeschweißt ist, quasi DAS Symbol für den Plastikwahnsinn. Das Wort „Gurkenkondom“ ist mir im Videoblog der flämischen Radiomoderatorin Linde Merckpoel begegnet, worin sie mit dem Fernsehmacher Dieter Coppens einkauft, anschließend allen Plastikmüll in den Supermarkt zurückbringt und den Filialleiter darauf verpflichtet, ins Management der Supermarktkette zu melden, dass die Kunden den Plastikmüll nicht mehr wollen. Zur Nachahmung empfohlen. Das Video ist natürlich Flämisch, aber trotz Sprachbarriere sehenswert, weil es zeigt, wie sich der Plastikwahn in den Supermärkten kreativ anprangern lässt. Zusätzlich steht das Video exemplarisch für die stilistische Machart heutiger YouTube-Videos, geprägt durch schnelle Schnitte, rasch wechselnde Perspektiven und virtuose Schrifteinblendungen.

Gif-Montage aus Standfotos vom Video: JvdL

Supermarkt aangevallen met Dieter … [Supermarkt überfallen mit Dieter …]

Hartelijk dank. Goed gedaan, Linde & Dieter!

Armutszeugnis – Wie FAZ und CDU auf Rezos Zerstörungsvideo reagieren

Der FAZ sterben die Abonnenten weg. Ihre verkaufte Auflage hat sich seit den 1990-er Jahren halbiert und beträgt noch etwa 230.000 Exemplare. Seit Mitte der 1980-er Jahre gibt die FAZ über bundesweite Zeitungsprojekte mit Schulen viel Geld aus, um junge Leserinnen und Leser zu gewinnen, damit sie die gelichteten Reihen der konservativen Greise auffüllen. In Reaktion auf das Rezo-CDU-Zerstörungsvideo reißt FAZ-Politikchef Jasper von Altenbockum das zarte Ergebnis jahrzehntelanger Mühe mit dem Hintern wieder ein. Man spürt noch beim Lesen seiner Polemiken den blindwütigen Tastenanschlag.

Denn: Seine Freunde von der Atlantikbrücke waren nicht amüsiert, das weltweite kriegerische Gebaren der USA kritisiert zu sehen und haben den armen Jasper vor ihren Karren gespannt. Altenbockum geifert, tritt um sich, schwingt die rechtspopulistische Totschlagkeule, spart aber Rezos Kritik an den USA aus, die Kritik an ihren Drohnenkriegen und wie sie Deutschland über Ramstein in die Ermordung von Zivilisten hineinzieht, darf das und die Problematik der US-Atomwaffen auf deutschem Grund nicht erwähnen, denn das sollte besser nicht länger öffentlich diskutiert werden. Stattdessen nimmt sich von Altenbockum erst mal die Kritiker der devoten Politik unserer Bundesregierungen vor. Seine Polemik „Jeder Like ein Armutszeugnis“ zielt gegen die 9 Millionen Betrachter des Videos, die Rezo in rund 150.000 Kommentaren fast rundweg beipflichten (Stand 25.05). Zudem widerlegt er Rezos Befund von der weiteren Spreizung der Schere zwischen Reich und Arm mit – falschen Fakten, wie der Bild-Blog zeigt.

Wer in den letzten Jahren aufmerksam das politische Geschehen verfolgt hat, hat auch all die im VIdeo angesprochenen bedenklichen Sachverhalte gewusst, weil sie verstreut schon in den Medien berichtet wurden. Dankenswert ist Rezos Fleißarbeit, dass er das Bekannte, aber wieder Vergessene oder Verdrängte zusammengetragen und zugespitzt auf den Punkt gebracht hat.

Die CDU reagierte bislang hilflos. Eilfertig hatte sich CDU-Jungstar Philipp Amthor (26) im Konrad-Adenauer-Haus daran gemacht, ein Gegenvideo zu drehen, aber es blieb bei der vollmundigen Verkündigung. Die CDU gab das Video nicht frei. Amthor, verwöhnt durch mediale Aufmerksamkeit, weil jeder diesen altklugen Jungen in der Talkshow haben wollte, überschätzte wohl seine Sympathiewerte in der jungen Generation. Er würde als YouTuber nicht mithalten können. „Rezo, ich will Politik von dir!“ war auf einem Demonstrationsplakat zu lesen. Über Amthor heißt es in der Community: “Lebe dein Leben so, dass Philipp Amthor Angst vor dir hat.“ Vielleicht war man in der CDU klug genug, den jungen Mann nicht zu verheizen. Oder es trifft zu, was der Postillion gemeldet hat: „Mussten leider feststellen, dass Rezo in jedem Punkt recht hat“: CDU erklärt, warum sie kein Konter-Video veröffentlicht.“
Danke für den Lacher!

Finger, Vokale und Königsheilgebärde

Tagebuch JvdL vom März 1997

Die hellenistische E-Gebärde ist nach Fischer die rechte Faust am gestreckten Arm. Frage mich, wie die Symbolik der Finger und alltäglicher Gebrauch wohl zusammenhängen. Beispiel Handschrift: tres digiti scribunt et totum corpus laborat [Drei Finger schreiben und der ganze Körper arbeitet]. Drei Finger schreiben …

    Daumen (Liebe)
    Zeigefinger (Geist)
    Mittelfinger (Leben)

Und umgekehrt, welcher Alltagsgebrauch hat welche Symbolbedeutung motiviert? (Beispiel Kleiner Finger (Leib), weil am leichtesten in Körperöffnungen einzuführen?)

Radfahren verkehrt

Nachdem das stationslose Fahrradverleihsystem Obike aus Singapur im Juni 2018 Konkurs angemeldet hatte, standen und lagen überall in den Großstädten die Leihfahrräder in gelb-grauer Optik herum [Abb.1]. Weil die Fahrräder nach dem Konkurs nicht abgeräumt wurden, waren sie bald Zielscheiben von Vandalismus. Kaum hatten die Städte den fabrikneuen Sperrmüll auf Kosten der Steuerzahler entfernt, tauchte ein neuer Anbieter stationsloser Leihfahrräder auf, diesmal aus China, Mobike. Seit Herbst 2018 stehen die orange-grauen Räder beispielsweise in Hannover-Linden herum. Das Leihfahrrad von Abb 2 wurde monatelang nicht bewegt. Nur einmal in all den Monaten sah ich jemanden mit einem Mobike fahren. Eine Freundin zu Besuch hat im Februar versucht, eines zu buchen, landete aber bald auf einer Seite mit chinesischen Schriftzeichen und gab den Versuch glücklicherweise auf.

Alle Fotos: JvdL

Inzwischen stehen die Mobikes in meinem Viertel alle Kopf. Ob das eine Vorform von Vandalismus oder die vom Verleiher empfohlene Abstellweise ist, weiß ich nicht. Möglich wäre das, denn dem Vernehmen nach gibt der Verleiher per App Anweisungen wie und wo das Fahrrad abgestellt werden soll. Wer sich als Nutzer registrieren lässt, erhält ein Guthaben von mehreren hundert Punkten. Verstöße gegen die Nutzungsbedingungen werden durch Punktabzug geahndet. Sinkt der Punktestand unter 100, wird das Konto des Nutzers gesperrt. Das Konto lässt sich wieder auffüllen, indem man Verstöße anderer Nutzer meldet. Auf diese Weise wurde das chinesische Sozialscoring auch in Deutschland eingeführt.

Drei weitere Aspekte erscheinen mir problematisch:
1) Stationslose Verleihsysteme nutzen den öffentlichen Raum, ohne dafür zu zahlen. Da die Fahrräder überall herumstehen können, ist eine Wartung kaum möglich. Das ist auch der Grund für die Vollgummireifen. Wie die Stiftung Warentest festgestellt hat, ist zudem das Bremssystem der Mobikes mangelhaft, wodurch ebenfalls eine ständige Wartung nötig würde, die aber nur als Fernwartung aus China organisiert ist. Fraglich ist, was die Fernüberwachung des Fahrrads bedeutet. Lässt sich aus der Ferne das Rad blockieren, am Ende sogar während der Fahrt?

2) Die Daten (auch Sozialkredit- und Bewegungsdaten) der Nutzer werden nach China übermittelt, womit das System gegen die Datenschutzgrundverordnung verstößt. Es fehlt jeder Einblick, was mit den Daten geschieht, ob sie weiterverkauft werden und wer darauf zugreifen kann.

3) Die Lebensdauer der Mobikes ist laut Unternehmen begrenzt auf etwa fünf Jahre. Was geschieht mit einem defekten Rad? Wer entfernt es?

Zusammenfassend muss gefragt werden, wieso die Städte, hier Hannover, ein solches Verleihsystem auf Kosten der Allgemeinheit überhaupt erlauben. Sie sind doch schon einmal damit reingefallen.

Aus dem Netz gefischt – Lob vom Rentner

„Die Europawahl bzw EU-Wahl steht vor der Tür. Ob CDU, SPD oder AfD gute Parteien sind, die im Einklang mit Wissenschaft und Logik stehen, versuche ich in diesem Video zu beantworten. In jedem Fall: Geht wählen am nächsten Wochenende. Sonst entscheiden Rentner über eure Zukunft“, schreibt YouTuber Rezo unter seinem bereits 4 Millionen mal aufgerufene YouTube-Video. Ich muss gestehen, dass ich bislang die Riege der YouTuber ignoriert habe. Dank Xeniana und ihrer Tochter Anna wurde ich auf Rezos erhellendes Video zur Europawahl aufmerksam, worin er die herrschende politische Klasse abmeiert, und zwar auf eine Weise, die man in unseren klassischen Medien vermisst. Mir scheint Rezos Kritik gut belegt und recherchiert zu sein. Dass er sich beim Podcaster Tilo Jung bedient, dem Schrecken unserer Regierungssprecher, hilft, so manche Ungereimtheit der Regierungspolitik zu entlarven. Also auch von mir als Rentner: Daumen hoch, Rezo!

Episoden aus meinem Lehrerdasein (3) – Die Liebe der Frauen (Tagebuchfunde)

Bei der Lehrer- und Lehrerinnenkonferenz kam ein Wort kam aufs Tapet, das meinem Empfinden nach einen unschlagbar oberen Platz auf der Hässlichkeitsskala besetzt: „Ranzenwache.“ Eine „Ranzenwache“ einzurichten empfahl eine neue Kollegin, weil angeblich etwas aus vor Klassenräumen abgelegten Ranzen gestohlen worden sei. Diese Frau ist genau der Typ, der solche Wortbildungen transportiert, mir in allem unangenehm, ich glaube, gänzlich durch und durch stockkonservativ und selbstgerecht. Eine Frau, hätte sie die Macht, das ganze Land mit Ranzenwachen überziehen würde.

    Ranzenwache die; -, -n;
    – halten, stehen;
    Landesweite Ranzenwachen;
    Ranzenwachablöung;
    Ranzenwachappell;
    Ranzenwachbataillonskommandeurin;
    Ranzenwachvergehen („Was? Die Kerls haben auf Ranzenwache gepennt!!?“);
    Ranzenwacherschießungskommando

*
Als ich an einem Freitag zu spät zu meiner 5e kam, erwartete mich Johannes B. im Treppenhaus und sagte, heute sei ich nur ein wenig zu spät. Darauf sagte ich: „Du kannst ja mal eine Zu-spät-komm-Statistik der Lehrer machen.“ Da sagt er: „Nee, das mache ich nicht. Da schneiden Sie zu schlecht ab.“

*
Der gleiche Junge lief in der großen Pause neben mir her durchs PZ und sagte mehrmals „cool-cool!“, wobei er mich anstrahlte. Ich frage: „Was meinst du?“
Er: „Ich spiele ja in einer Bigband, und bisher war mein Trompetenlehrer für mich der coolste. Aber jetzt muss ich ihm leider sagen, dass er Konkurrenz bekommen hat.“
„Wer ist es?“
„Ja, Sie!“

*
Die 13-jährige Schülerin Isabel belehrte mich, alle gutaussehenden Jungs seien auf der Hauptschule – denn wenn einer gut aussehe, sei er so von Mädchen umschwärmt, dass er überhaupt keine Motivation habe, sich in der Schule anzustrengen. Deshalb sei er auf der Hauptschule. Wenn er wolle, könne er natürlich auf dem Gymnasium sein, das wolle er aber eben nicht, da er alles Wichtige auch so bekäme: Die Liebe der Frauen.