Wegelagernde Scheinehirten

Warum ich nicht an der Scannerkasse online bezahlen will und stattdessen in der Kassenschlange vor den drei verbliebenen Bargeldkassen warte, will die Mitarbeiterin von Edeka wissen.
„Weil ich Ihren Arbeitsplatz erhalten möchte.“
„Der bleibt auch so. Wir haben hier soviel Arbeit.“
„Ja, aber die persönliche Begegnung an der Kasse verschwindet.“
Schon das bescheuerte Aufrufsystem hat mir den Einkauf verleidet. Schließlich bin ich in der Vergangenheit gern zu bestimmten Kassiererinnen gegangen, der gegenseitigen Sympathie wegen. Eins meiner schönsten Bücher ist einer Supermarktkassiererin gewidmet.

Natürlich werde ich die Entwicklung nicht aufhalten können. In der EDEKA-Zentrale wird es nicht heißen: „Der van der Ley weigert sich, bargeldlos zu bezahlen. Wir werden eine Kasse für ihn offen halten müssen, schon aus literarischen Gründen.“ Das geschieht nicht, wie RWE im Braunkohletagebau auch niemals um ein Dorf herumgegraben hat und es als Insel im Nichts stehen ließ. Bald wird der, die, das Mensch hinter der Kasse durch einen frigiden Kassenautomaten ersetzt werden, schlimm für jene, die sonst keinen zum Reden haben.

Bei der Sparkasse schräg gegenüber nimmt man gar kein Bargeld mehr in die Hand. Man hat die Kasse nur noch im Namen. Auch die ehemalige Kassenhalle erinnert noch an Zeiten, als ein Dutzend flinker Kassierer/Kassiererinnen mit geübten Fingern das Geld zählten. Wo sind die hin? Alle schon weggestorben? Oder zählen sie in Kellerverliesen Goldbarren?

Foto: Frankfurter Rundschau 18.5.1997 / Teestübchen Archiv

Jedenfalls hatte ich gestern in der Sparkasse zu tun, ging einfach hin und äußerte mein Begehr. Ob ich „einen Termin“ hätte, wurde ich gefragt. Ich erinnere mich an Zeiten, da bat man winselnd, die Geldgeschäfte der arbeitenden Bevölkerung erledigen zu dürfen, lockte mit einem kostenlosen Girokonto. Jetzt haben sie einen Fuß sicher in der Tür, da rümpfen sie vor Bargeld die Nase, weil sie sich zwischen jede Transaktion legen wollen, um abzukassieren. Und will man sie sprechen, fragen sie nach vorheriger Verabredung. Davon haben wegelagernde Schweinehirten nicht zu träumen gewagt, dass ihre Opfer sich mit einem Termin ankündigen.

Betreutes Bloggen

„Bist du eher ein Tag- oder Nachtmensch?“, fragt mich kürzlich der WordPress-Editor. Tags darauf: „Welche eine Sache würdest du an dir ändern?“ Häh? Geht der Irrsinn jetzt auch bei WordPress los? Wer fragt da ungebeten und warum? Bei der Veröffentlichung eines Beitrags, tauchen die Fragen nicht auf. Sie sind nur „placeholder“, Platzhalter, dienen also nicht direkt der Datenerhebung wie bei den Windowsfragen. Diesen Fragen-Algorithmus hat man sich mit dem letzten WordPress-Update eingefangen. Bislang habe ich bei anderen nur Ablehnendes gelesen, zuletzt hier bei Mitzi.

Der Algorithmus soll vermutlich Texte anregen, falls da jemand den Editor aufruft, ins leere Formular starrt und nicht weiß, worüber er/sie schreiben soll. Zu „Welche eine Sache würdest du an dir ändern?“ fällt mir sogar etwas ein. Ich wäre gerne so ein Schaf, das derlei betreutes Bloggen begrüßt. Zudem möchte ich mich vorbehaltlos über alle Segnungen der digitalen Kommunikation freuen. Und als dritte Sache: Alles zurück! So einen Kopf möchte ich lieber doch nicht haben.

Ich verstehe ja, dass die WordPress-Programmierer sich langweilen, wenn sie den ganzen Tag Däumchen drehen müssen. Also denken sie sich Sachen aus, beglückten uns ungebeten mit einem frech „Gutenberg“ genannten Editor. Jetzt muss ich nicht nur den lästigen „Gutenberg“ umgehen, sondern auch noch vor jedem Beitrag zuerst den „placeholder“ abräumen. Das alles sind Steine, die einem im Weg liegen, wenn man im eigenen Blog publizieren will. Huhu, WordPress! Könntet ihr nicht wenigstens fragen, ob man das Zeug haben will?

Juchheirassassa

Vor der Aldi-Kasse sammelten sich die Kaufwilligen. In der Reihe vor mir stand ein gut gekleidetes altes Paar. Sie, sorgfältig geschminkt, er ein bisschen klapprig, von ihr „Schätzchen“ genannt. Die Frau vor ihnen sagte, sie habe was vergessen und wollte es holen. „Machen Sie nur, wir haben Zeit!“, sagte die Geschminkte, dann an mich gewandt: „Nur kein Geld.“
„Sie sehen nicht aus, als hätten Sie kein Geld“, sagte ich.
Sie fühlte sich überführt und lenkte ein: „Es ist ja alles so teuer geworden.“ Das machte es nicht besser. Ich muss mich fremdschämen, wenn gut situierte Leute über Teurung klagen. Zu ihrer Ehrenrettung sagte ich mir, dass die Frau auf einem Schlagervers von 1962 ausgeglitten war.

Peter Alexander und Bill Ramsey sagen im Duett:

    Keine Zeit und kein Geld,
    aber viel viel Sorgen.
    Und kein Mensch auf der Welt
    will uns zwei was borgen
    Nix l’amoure und no love,
    aber viel, viel Platz.
    Und das nennen die Leute
    den Fortschritt von heute
    rufen Hurra Juchhei.

Grund zum Juchheien soll auch „die Mannschaft“ gehabt haben – nach Liebesnächten mit den eigens nach Katar eingeflogenen Spielerfrauen. Die bei Aldi ausgelegte Bildzeitung stellt den Zusammenhang her und fordert: „Aber jetzt wollen wir Tore!“ Laut Bild hat also der DFB die Frauen nach Katar geholt, damit ihre Männer gegen die spanische Elf Tore schießen. Diese Instrumentalisierung scheint mir reichlich frauenfeindlich zu sein. Wird auch nicht klappen. Unter den Trainern Herberger und Schön waren die Nationalspieler kaserniert und isoliert. Sie durften ihre Kräfte nicht woanders verschwenden. Und wer hätte je geglaubt, dass eine Belohnung vorab die Motivation fördert? Wenn der Damenbesuch überhaupt für jeden eine Belohnung war. Vielleicht wird man heute Abend die von Bild geforderten Tore sehen – und juchheiende Spanier.

Zeitenwandel

Ich kann mich gar nicht mehr aufregen über die Zeitumstellung, höchstens über Texte, die mir immer noch deren Unsinnigkeit erklären. Jaaa! Ich weiß es. Die blödsinnige Uhrzeiger-Rochade nehme ich inzwischen hin wie das Wetter und funktioniere wie der gutmütige Trottel, der im Herbst auf Geheiß seine Terrassenmöbel zurück in Garage oder Keller schleppt und im Frühling brav wieder hervorholt. Die Möbel im Winter draußen zu lassen, bekommt ihnen nicht. Das kann sich jeder denken, auch wer gar keine Gartenmöbel hat. Und schon erscheint eine widernatürliche Zeitumstellung jedes halbe Jahr wie ein sinnvoller Akt.

Kongenial diese Sitzmöbelmetapher!
.
Es hat ja auch Zeiten gegeben, da konnte ich mich über die unhandliche Qwertz-Tastatur aufregen. Zumindest habe ich das Zehnfingersystem nicht lernen können, nachdem ich herausgefunden hatte, dass diese Tastaturanordnung auf die mechanische Schreibmaschine des Waffenfabrikanten Philo Remington zurückgeht. Aber he! Waffen schaffen Frieden, lerne ich heute, also ist Remington posthum rehabilitiert. Das neue gute Image von Waffenhandel nutzt mir aber gar nichts. Erstens ist Waffenhandel für mich immer noch ein schmutziges Geschäft, auch wenn er heute euphemistisch „Waffenlieferung“ heißt und zweitens konnte ich mich noch nie gut umstellen, heute weniger denn je: „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.“

Zeitumstellung und Qwertz-Tastatur sind exemplarisch für das Phänomen, dass einmal eingeführte Systeme die Tendenz haben, sich zu erhalten. Ihr Sinn und die Gründe ihres Entstehens geraten in Vergessenheit und niemand weiß, wie ein solches System noch zu ändern ist. Irgendwann haben sich alle unterworfen, und der Impuls zur Veränderung schwindet. Auf einem Gemälde sah ich eine Herde Wildpferde in Schneetreiben und Sturm. Die Pferde hatten den Hintern in den Wind gedreht und scharten sich eng zusammen. Daran sollte man sich ein Beispiel nehmen: Tun, was alle in der Herde tun, Kopf nach unten und Hintern voraus, das spart Energie und Ressourcen.

NDR – Das Übel hat Metastasen

Der NDR hat über Jahre Beiträge im Sinne einer PR-Agentur gesendet, die der Tochter der NDR-Direktorin Sabine Rossbach gehört. Frau Rossbach habe die Anregungen der Agentur mit den Worten „Sollten wir haben“ oder „Mit der Bitte um Berichterstattung“ an die Redaktion des „Hamburg Journals“ weitergereicht. Im „Flurfunk“ sei das ein offenes Geheimnis gewesen, doch niemand habe den Mut gehabt, sich der mächtigen Direktorin zu widersetzen. Den Vorwürfen ging am 14. September 2022, um 22:45 Uhr das NDR-Medienmagazin Zapp nach. Sabine Rossbach ist beurlaubt, und der NDR verspricht Aufklärung.

Zu hören war von „einem Klima der Angst“ im Umgang mit Sabine Rossbach, das besonders die freien Mitarbeitenden so empfunden hätten. Mit den Worten ihres Sprechers Joern Strehler-Pohl: „Es gibt die verbreitete Sorge, dass, wenn man den Mund aufmacht, der Rahmenvertrag nicht mehr verlängert wird und man sich tatsächlich einen neuen Job suchen muss (…)“ Im maßgeschneiderten weißen Hemd setzte sich der NDR-Chefjustitiar Michael Kühn vor die Zapp-Reporterin und sagte zur Sache nichts. Er wolle dem Ergebnis der Untersuchung nicht vorgreifen. Überhaupt scheint der Aufklärungswille nicht groß zu sein. Wenn die Sitten in einer Institution einmal verkommen sind, wenn der Hase schon eine Weile falsch gelaufen ist, haben sich alle darauf eingerichtet. Man ist ein Rädchen in einer Maschine, hat seinen Platz und weiß, wie man zu ticken hat, wer das große Rad dreht, dessen Lauf man nicht behindern darf. Wer sich da nicht reibungslos einfügt, wer sich querstellt, wird bald von der Maschine abgestoßen.

Verkommene Sitten zeigen sich dann auch anderswo. Folglich wunderte ich mich nicht, als am 15.9. in der Sendung „Hallo Niedersachsen“ ein PR-Beitrag über einen norddeutschen Freizeitpark lief. „Reporter“ Johannes Koch hatte sich in das Bärenkostüm des Maskottchens „Wumbo“ stecken lassen und war für einen ganzen langen Arbeitstag darin herumgelaufen. Sein schwitzendes Gesicht und seine Erschöpfung standen im Vordergrund der Berichterstattung. Der Kerl jammerte in den Pausen schier herzerweichend. Nur drängte sich mir die Frage auf: „Warum machst du das, du Depp?“ Geht es im Beitrag um die Situation der Billiglöhner in Maskottchenkostümen? Nein, kein Thema. Die ganze Aktion war schlicht Werbung für den Freizeitpark. Moderator Arne-Torben Voigts hatte den Beitrag angekündigt mit: „Der Johannes wollte nämlich mal ausprobieren, wie das ist als Maskottchen in einem Freizeitpark. Falls Sie jetzt schon schmunzeln müssen, dann viel Freude bei den kommenden fünf Minuten.“

Ich musste nicht schmunzeln und wollte leider brechen. Die journalistische Relevanz des Beitrags war gleich null. Dass Johannes Koch am eigenen Leib erfuhr, wie sich so ein stummes, winkendes Maskottchen fühlt, während es dem Gaudi der Freizeitparkbesucher dient, hätte auf einer überindividuellen Ebene Anlass zu Fragen gegeben: Wer übernimmt eine derart schweißtreibende Arbeit? Wie ist die Bezahlung? Werden solche Tätigkeiten über die Arbeitsagentur vermittelt? Welche Perspektive hat ein Maskottchen, winkt eventuell die Beförderung zum Ober-Wumbo? Es gibt 117 Freizeitparks in Deutschland. Wieviele Maskottchen gibt es? Sind sie gewerkschaftlich organisiert? Keine dieser Fragen wurde angerissen. Die Botschaft des Beitrags: Es gibt diesen Freizeitpark in Soltau, sein Maskottchen heißt Wumbo. Es darf nicht reden, sondern nur herumtappen und winken. Ein NDR-„Reporter“ hat in der Maskerade entsetzlich geschwitzt. Vielleicht sollte der Beitrag nebenher zeigen, dass ein freier Mitarbeiter beim NDR sich nicht zu schade sein darf, den Wumbo-Deppen zu machen.

Verantwortet haben den Mist: Thorsten Hapke (Leitung der Sendung), Susanne Wachhaus (Redaktionsleiterin) und Produktionsleiter/in Wolfgang Feist.
Glückwunsch! Ein journalistisches Meisterstück im Zirkus des schlechten Geschmacks.

Die Digitalisierung der Vorahnung

Als hätte ich nie Vorahnungen gehabt. In den 1980-er Jahren schrieben zwei Freundinnen und ich uns rege hin und her. Die eine hieß Christine, die andere Susanne und waren ihrerseits befreundet. Christine studierte in Wien, Susanne in Berlin. Wir schrieben uns lange, mehrseitige Briefe mit der Hand über Themen, also keinen Beziehungskram. Meine Frau nahm das locker. Sie pflegte meine Post auf die Küchenfensterbank zu legen. Wenn ich von der Schule nach Hause radelte, ahnte ich, dass da Post für mich liegen würde.

Zu jener Zeit drängte es mich, Cartoons oder Texte an diverse Redaktionen zu schicken, nach Frankfurt zur TITANIC, nach Hamburg zur ZEIT. Man sandte mir anfangs freundlich formulierte Formblätter, von ungenannten Redaktionsmitarbeiterinnen in einen Umschlag gesteckt. Ich brauchte viel Frustrationstoleranz, bis ich in die Liga aufstieg, dass mir Redakteure frei formulierte Briefe schickten, woraus sich ergab, warum man die Einsendung nicht drucken wollte, später dass, wann und wie man sie ins Heft heben würde. Auch diese Briefe ahnte ich voraus. Wie das funktioniert, kann ich nicht erklären. Sehnlichst erwartete Ereignisse wie eine Briefantwort kündigten sich mir aus der nahen Zukunft an.

Nur einmal versagte meine Ahnung. Ich hatte eine ganzseitige kalligrafische Arbeit an die Zeit geschickt und fand eines Tages eine Antwort der Redaktion vor. Da frohlockte ich ob der Tatsache, dass ich nicht die Arbeit zurückbekam, sondern ein Brief auf der Fensterbank lag. Es war trotzdem eine Ablehnung. Die Versandrolle mit meiner Arbeit hatte der Postbote bei meiner Nachbarin abgegeben. Getrennte Sendungen zu einem Sachverhalt unter Einbeziehung der Nachbarin waren wohl zu kompliziert für meine Vorahnung.

Gestern erreichte mich ungeahnt eine E-Mail von GMX:

    „haben Sie schon die Briefankündigung aktiviert? Indem Sie kostenlos über Briefe, die Ihnen gerade zugestellt werden, informiert werden, bleiben Sie stets auf dem Laufenden über Ihre Post. Noch mehr Online-Infos über Ihre Post erhalten Sie mit der ebenfalls kostenlosen Zusatzfunktion „Digitale Kopie“, die es ermöglicht verfügbare Briefinhalte auch als PDF-Anhang zu bekommen.“

Nanu? Wie soll das gehen? GMX erklärt:

    „Ganz einfach: Heutzutage werden einige Briefe, z. B. von Banken oder Versicherungen bereits digital bei der Post eingeliefert, dort gedruckt und verschickt. Diese digitale Version können Sie jetzt als „Digitale Kopie“ anfordern. Dann erhalten Sie zusätzlich zum Umschlagbild eines Briefes auch den Inhalt als PDF.“

Gut zu wissen wie die Digitalisierung der Vorahnung funktioniert. Wo aber bleibt das Postgeheimnis, wenn Anbieter wie GMX in die Geschäftspost schauen? Offenbar gilt das erst, sobald ein Brief in einem geschlossenen Umschlag steckt. Vorher darf die Post Inhalte von Geschäftsbriefen an GMX verkaufen. Eigentlich skandalös. Ich möchte das nicht. Meine rein private Vorahnung reicht mir.

Warum ich den Kriegsdienst verweigert habe

Ein Manöver. Wir biwakten in einem Wald. Ein Feldwebel hatte sich von Rekruten eine Dusche bauen lassen. Eine Gießkanne hing oben im Baum an einem Ast, und wenn er an einer Schnur zog, konnte er duschen. War das ein Spaß und Gejohle, wie er prustend seinen durchtrainierten Körper einschäumte und abbrauste. Da wurde auch ein langer Graben ausgehoben, ein Baum gefällt, entastet, entrindet und vor den Graben gelegt – das war wohl der Donnerbalken. Das alles war derart kurios, dass ich dachte, es kann nicht sein, dass erwachsene Männer so einen Quatsch machen.

Am Waldrand mussten wir Schützenlöcher ausheben, so tief, dass man bis zur Brust drin versinken konnte. Vor uns ein Abhang. Als wir in unsere Löcher gestiegen waren, kam per Flüsterpost durch, dass am Fuß des Abhangs der Feind gesichtet worden war. Er hatte sich wohl gut getarnt, denn ich sah ihn nicht. Plötzlich erhoben sich aus dem Abhang etwa 100 Leute und stürmten schreiend und schießend auf uns zu. Dann kam der Schießbefehl. Ich dachte: Moment. Diese Leute kenne ich nicht. Warum soll ich auf die schießen? Und mir wurde schlagartig klar, dass es im Ernstfall keine Möglichkeit des Innehaltens gibt, dass dann Kriegshandwerk gefordert ist, dass ich mir in der heranstürmende Meute junger Männer einen aussuchen und ihm den Leib zerschießen, ihn möglichst ermorden muss, egal ob er einer Mutter Sohn, eines Mädchens Liebster, eines Kindleins Vater ist, und dass ich froh sein werde, ihn abgeknallt zu haben, weil er das hat mit mir machen wollen.

Und warum? Weil Politiker ihre Macht ausweiten wollen, weil sie Rache wollen für vergangene Schmach, weil sie dem Wahn verfallen sind, weil sie den Einflüsterungen mordlustiger Militärs gelauscht haben, weil Lobbyisten von Rüstungsfirmen sie dusslig gequatscht haben, weil die Medien Hass geschürt haben, weil Aktionäre der Rüstungsunternehmen Rendite wollen, weil einfach Scheißkerle an Schreibtischen sich für Krieg entschieden haben, darum soll ich dich jetzt zum Krüppel schießen, armer Junge, besser dich alle machen, du armer Hund, darum soll ich dir und deinen Lieben Leid antun.

Am Tag nach dieser Manöverübung habe ich den Kriegsdienst verweigert. Sollen sie doch selbst in Schützenlöcher steigen, die Putins, die Stoltenbergs, die Bidens, du auch, Christian Lindner, der du von der „schlagkräftigsten Armee“ Europas schwafelst. Steigt in die Dreckslöcher, besudelt euch mit fremdem Blut, lasst euch von Kugeln und Granaten zerfetzen, und wenn ihr Schiss bekommt, dann habt ihr ja den Donnerbalken.

Schöne Aussichten für Saarländer

Astronaut Matthias Maurer aus dem Saarland ist am 12. November auf der internationalen Raumstation ISS angekommen. Zufällig hörte ich seine Botschaft aus dem All, wiedergegeben vom Wettermann des Heute-Journals, „die Aussicht“ sei irgendwas „wunderbar“ oder „grandios“, jedenfalls schön. Gut zu wissen, aber hätte man sich für den Mann nichts Besseres überlegen können? Etwa, was Neil Armstrong sagte, als er im Jahr 1969 als erster Mensch den Mond betrat. Man kann sich die Tondatei sogar bei Wikipedia anhören, und es klingt wie abgelesen:

“That’s one small step for ‹a› man… one… giant leap for mankind!”
„Das ist ein kleiner Schritt für (einen) Menschen… ein… großer Sprung für die Menschheit!“

Die NASA hatte sicher ein paar Ghostwriter aus Hollywood beauftragt, sich einen guten Spruch zu überlegen, denn es wäre doch zu blöd, die aufwendige Mondlandung zu inszenieren und Neil Amstrong würde sagen, was ihm gerade durch den Kopf geht, nämlich: „Good Luck, Mr. Gorsky“ oder: „Schöne Aussicht!“

Matthias Maurer hat, wie zu lesen, einen Doktortitel in Materialwissenschaft, was nicht bedeutet, dass er gut mit Wortmaterial umgehen kann. Man hätte ihm schon etwas aufschreiben müssen, etwa: „Eine schöne Aussicht für mich, aber ein gigantischer Ausblick für alle Saarländer.“ Das wäre angemessen bescheiden, denn dass Matthias Maurers schöne Aussicht irgendeine Bedeutung für die Menschheit hätte, kann niemand behaupten. Diese Menschheit blickt gerade in den Abgrund, an den Rand getrieben von eigener Unvernunft und Blödheit, was Saarländer und uns alle betrifft; der ärmere Teil der Weltbevölkerung hat die düstere Aussicht gierigen Superreichen und korrupten Politikern zu verdanken. Da helfen keine Klimakonferenz und kein „Druck von der Straße“, keine Greta (‚This is greenwashing‘) Thunberg, kein „Fridays for Future.“ All die Folklore der Apokalypse in den letzten Tagen dürfen wir für kurze Zeit vergessen und uns freuen über Matthias Maurers schöne Aussicht im Zirkus des schlechten Geschmacks. Weiterlesen

Uhrenvergleich – Einiges über Zeit und Fernkontakte

Heute Morgen ist die Sonne in Görlitz um 7:06 Uhr aufgegangen, in Aachen jedoch erst um 7:41 Uhr, also etwas mehr als eine halbe Stunde später. Eine Sonnenuhr in Görlitz im äußersten Osten Deutschlands zeigt den Höchststand der Sonne 35 Minuten früher an als eine in Aachen, der westlichsten Stadt Deutschlands. Denn eine Sonnenuhr zeigt die Ortszeit. Das heißt, wenn die Sonne an einem bestimmten Ort im Zenit steht, wirft sie den Schatten des Stabes genau auf die Zwölf der Sonnenuhr. In alter Zeit entsprach die Mitte des Tages, der Mittag, genau dem Augenblick, wenn die Sonne im Zenit stand. Die innere Uhr der Menschen war nach dem Sonnenstand getaktet, was bedeutet, dass der Takt sich zum Beispiel bei Aachenern und Görlitzern deutlich unterschied. Aber sie merkten es nicht, denn ihre Lebenswelten waren ja nicht miteinander verbunden. Wenn je nach Sonnenstand die Dämmerung einbrach, endete der Tag. Dann begaben sich die Eulen auf die Jagd, weshalb die Dämmerung einst „Eulenflucht“ hieß. Das anschauliche Wort Eulenflucht ist leider versunken wie die Orientierung des Menschen am Sonnenstand.

Erst die Fernkommunikation bringt die Idee der Einheitszeit mit sich. Die Notwendigkeit einer Einheitszeit entstand im Jahr 1830 mit der heute weitgehend vergessenen optischen Telegrafie. Die etwa 550 Kilometer lange preußische Telegrafenlinie reichte von Berlin bis Koblenz. Diese frühe Form der Telegrafie bestand aus Türmen mit Signalmasten. Sie waren im Sichtabstand von etwa sechs Kilometern auf Anhöhen errichtet, meistens außerhalb von Ortschaften, weshalb die Turmbesatzung, zwei Telegrafisten, mit ihren Familien in Wohngebäuden beim Turm lebten. Auf der Telegrafenlinie galt Berliner Ortszeit. Sie wurde allmorgendlich mit dem Kode B4 durchtelegrafiert und auf Schwarzwälder Kuckucksuhren eingestellt. Die Telegrafenbesatzungen waren also nicht nur räumlich isoliert, sondern auch zeitlich, lebten in einer fiktiven Einheitszeit, während die Menschen in den Ortschaften ringsum ihre Kirchturmuhren nach dem Sonnenstand stellten. Die Einheitszeit ist eine technische Idee, eine Idee der Fernkommunikation und später der Eisenbahn, die ja einen einheitlichen Fahrplan benötigt. Die Einheitszeit entspricht nicht dem menschlichen Maß, sondern ist ein Kompromiss, dessen Nützlichkeit man nicht bestreiten kann.

UhrenvergleichFotomontage: Trithemius

Doch in keiner Weise nützlich ist das alljährliche Hin und Her der Zeitumstellung von Sommerzeit auf Winterzeit und zurück. Der Mensch benötigt vier Tage bis zu vier Wochen, um seine Innere Uhr umzustellen, weshalb auch an den Montagen nach der Zeitumstellung die Zahl der Verkehrsunfälle deutlich ansteigt. Die Idee, mit der Sommerzeit ließe sich Energie sparen, hat sich als trügerisch erwiesen. Es wird sogar mehr Energie verbraucht.

Laut einer aktuellen repräsentativen Forsa-Umfrage im Auftrag der Krankenkasse DAK sind nur 26 Prozent der Bevölkerung für die Zeitumstellung, aber 71 Prozent wollen diesen Humbug nicht. Ein Kompromiss wäre doch, die Uhren ein für alle mal eine halbe Stunde vor- oder zurückzustellen. Dann entspräche zwar der Sonnenstand noch immer nicht der einheitlichen Uhrzeit, doch wir müssten uns nicht zweimal im Jahr quälen.

Leider neigen einmal eingeführte Systeme dazu, sich zu erhalten, auch wenn ihre Nützlichkeit fragwürdig ist. Und natürlich sind es immer die Herrschenden, die uns die Zeit diktieren. Diese technokratische Arroganz der EU erinnert an den rumänischen Diktator Ceauşescu, der in einem harten Winter sogar die offiziellen Temperaturangaben nach oben korrigieren ließ, als sein Volk wegen des Ölmangels fror.

Den Eulen ist übrigens egal, was die Uhr des Menschen anzeigt. Sie fliegen nach wie vor bei Einbruch der Dämmerung. Doch alle Haustiere leiden unter dem willkürlichen Eingriff des Menschen, was der Bauer vor allem bei seinen Kühen erkennt, die einfach nicht einsehen wollen, dass es plötzlich eine Stunde später zum Melken geht. Wie soll die Kuh auch verstehen, dass dem Menschen nach und nach jedes natürliche Maß abhanden kommt.


    Literatur: Herbarth, Dieter; Die Entwicklung der optischen Telegraphie in Preussen, Köln 1978

Die Dämonen der Selbstinszenierung

Etwa drei Jahre redigierte und gestaltete ich wöchentlich eine Seite zu Umweltthemen mit Texten von Schülerinnen und Schülern für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Es war mühsam. Von den betreuenden Deutschlehrern hatte es kaum einer geschafft, den Schülerinnen und Schülern die Ichform auszutreiben. Demgemäß musste ich viele Reportagen umschreiben. Die Person des Reporters soll die Aufmerksamkeit nicht beanspruchen und den Blick auf das Geschehen nicht verstellen. Diese stilistische Vorgabe des Printmediums wird bei Fernsehreportagen oft missachtet.

Es ist die moderne Pest des TV-Reportage-Entertainments, dass ständig Blödmänner und natürlich auch Blödfrauen mit Mikrophon in der Hand im Bild sein wollen. Sie dürften eigentlich nicht bezahlt werden, sondern müssten für die Befriedigung ihrer Eitelkeit Vergnügungssteuer entrichten.

Wir machen was mit Medien – Foto: JvdL

Augenfällig ist das wieder bei den derzeitigen Berichten aus Überflutungsgebieten des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, besonders der Landesprogramme. Statt Betroffene oder Helfer ins Bild zu setzen und anzuhören, stehen und standen Reporter*innen im Weg, und gaben klägliche Beispiele ihrer sprachlichen Unfähigkeit ab, die Verheerungen durch die Wassermassen, das Entsetzen über Verlust, Leid und Tod in Worte zu fassen. Rasch hatte man zu den üblichen Floskeln gefunden, sprach von oben herab über „die Menschen“, denen das Wasser Hab und Gut, Existenzgrundlagen und sogar das Leben genommen hatte.

Natürlich befriedigte man nicht nur die Eitelkeit eigener Reporter, sondern setzte beflissen Politiker ins Bild, die in Gummistiefeln in Katastrophengebieten auftauchten, um Sprechblasen abzusondern. Was sonst? Das politische Personal, weil verantwortlich für Infrastruktur und Katastrophenschutz, muss natürlich Anteilnahme darstellen. Eher versehentlich zeigten die Fernsehbilder, wie es wirklich darum gestellt ist, als während einer salbungsvollen Rede des Bundespräsidenten Franz-Walter Steinmeier in Erftstadt im Hintergrund NRW-Ministerpräsident Armin Laschet mit einem Landrat feixte und lachte.[vom Kollegen noemix kongenial bedichtet]

Auch Bundesinnenminister Horst Seehofer wollte dabei gezeigt werden, wie er im Katastrophengebiet unbürokratische Hilfen versprach, ohne aufwändige Angaben zum Vermögensstand zu verlangen, worüber sich gewiss jene gefreut haben, die über Vermögen in der Hinterhand verfügen. Darüber hinaus sind derlei flott daher kommenden Versprechungen immer mit Vorsicht zu genießen, zumal sowohl Bayern wie NRW erst 2019 die Soforthilferichtlinie verändert hatten. Da heißt es in NRW laut Frankfurter Rundschau: „Schäden, die wirtschaftlich vertretbar versichert werden können, sind grundsätzlich nicht soforthilfefähig.“ Dazu gehören: „Schäden, verursacht beispielsweise durch Überschwemmungen, Rückstau, Erdbeben, Erdfall, Eisregen, Starkfrost, Schneedruck et cetera.“ Man streicht Rechtsansprüche, damit Politiker sie medienwirksam gewähren können. So geht „schlanker Staat.“ Bürger verlieren Rechtsansprüche und werden zu Almosenempfängern.

Zurück zu den Dämonen der journalistischen Selbstinszenierung. Die ganze Absurdität zeigte sich bei den ARD-Tagesthemen vom 22.07.2021. Aufgrund einer Bildstörung präsentierte man Reporterin Iris Völlnagel als Standbild – mit Ton aus dem Off. [Im Video ab 4:57]

Ulkiges am Rande: „Um einen Beitrag über die Hochwasserkatastrophe authentischer wirken zu lassen, beschmierte sich RTL-Reporterin Susanna Ohlen heimlich mit Schlamm.“ [t-online]