Von den Lippen lesen – Groteske in einem Aufzug

Es klingelte an der Wohnungstür. Da standen zwei junge Frauen. Ich fragte: „Sie wünschen?“
„Wir sind die Lippenleserinnen vom ZDF und der ARD.“
„Ach, Sie lesen Lippen, wozu?“
„Angenommen, sie schauen eine Sendung der ARD oder des ZDF und verstehen die Dialoge nicht. Dann könnten wir den Schauspielern den Text von den Lippen lesen und ihnen zuflüstern, was gesagt wurde.“
„So so. Ich weiß nicht, ob ich Ihrer Hilfe bedarf, zumal sie ja nur bei deutschen Filmen von den Lippen lesen könnten.“
„Wir beherrschen Fremdsprachen, so dass wir auch in synchronisierten Filmen von den Lippen lesen könnten.“
„Und Sie würden simultan übersetzen oder was?“
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„Außer Finnisch“, sagte Dame ZDF.
„Außer Baskisch“, ergänzte Frau ARD.
„Und warum können Sie nicht für beide öffentlich-rechtlichen Anstalten Lippen lesen?“
„Das wäre doch ungewöhnlich“, sagte die eine.
„Unüblich, Sie verstehen“, ergänzte die andere.
„Nein, eigentlich nicht. Es ist doch unökonomisch, Sie doppelt zu besetzen. Natürlich fände ich es durchaus apart, von zwei attraktiven jungen Damen flankiert zu werden, den Ton meines Fernsehgerätes auszuschalten und eine Kostprobe Ihrer Fähigkeiten zu hören. Aber angenommen ich schaue einen ganzen Abend das Programm des ZDF oder seiner Ableger. Dann würde sich die Dame für die ARD, welchen von Ihnen ist’s noch?“
„Ich“, sagte die linke.
„Also, dann würden Sie sich den ganzen Abend langweilen, es sei denn, Sie würden mir die Nägel feilen und polieren, derweil Ihre Kollegin Lippen liest.“
„Sehen Sie“, meinte die Dame ARD triumphierend.
„Ich weiß ja nicht mal, ob Sie dazu qualifiziert sind.“
„Lippenlesen? Wir haben Diplome.“
„Nein, Pediküre!“

Die beiden wurden ungeduldig, traten einen Schritt vor und drängten: „Wir dürfen doch hereinkommen!?“
„Hinein! Aus Ihrer Sicht wäre es hineinkommen, hereinkommen wäre es aus meiner Sicht. Also entbehrt Ihr Ansinnen nicht einer gewissen Dreistigkeit. Sie sagen ‚herein‘, als wären Sie schon drin. Außerdem besitze ich nur einen Fernsehsessel. Sie beide müssten sich leider neben mich hocken. Da fürchte ich, fängt bald schon eine von Ihnen zu jammern an, die Hockerei so auf den Pömps wäre unbequem, die schönen Fesseln würden dabei überstrapaziert, vom Rücken erst zu schweigen. Und ich müsste dann den Kavalier spielen und der Jammernden den Sessel anbieten.“
„Der da?“, fragt Dame ARD und zeigte auf Frau ZDF.
„Ihre Frage enthüllt das Problem. Ließe ich Sie sitzen, würde Frau ZDF sich beschweren, und umgekehrt. Am Ende fangen Sie an zu zanken und ich verstehe von der Fernsehsendung kein Wort.

Darum danke ich Ihnen für Ihr Angebot, aber muss bedauerlicherweise verzichten. Guten Tag.“
Das letzte hatte ich geflüstert, quasi tonlos gehaucht. Ich schloss die Tür. Die beiden staken die Treppe hinunter.
Lippenlesen konnten sie. Das musste ich ihnen lassen.

Was bringt der Wonnemonat Mai?


Diesen Cartoon habe ich Ende der 1970-er Jahre für die Studentenzeitschrift Aachener Prisma gezeichnet. Ich habe ihn auch der noch jungen Titanic angeboten. Man wollte ihn aber nicht drucken, weil der Zeichenstil an FK Waechter erinnert. Man schrieb, die Arbeit wäre gut, aber zu sehr „die Waechterschiene.“ (Für Teestübchen Trithemius animiert Mai 2016)

Die Art der Bosheit III – Blödes Wunder

Der opulente Zeichenstil wie im untenstehenden Cartoon, ist gewiss längst aus der Mode. Ich habe wohl gerne Strukturen gezeichnet, unabhängig von der Frage, ob die Bildidee den zeichnerischen Aufwand rechtfertigt. Hier passt er, weil er sich an die Bibel-Kupferstiche des Gustave Doré anlehnt. Ende der 1970-er Jahre habe ich monatlich eine Seite in der Studentenzeitschrift „Aachener Prisma“ veröffentlicht, auch dieses Cartoon. Mit dem sonstigen Inhalt der Zeitschrift war ich nicht einverstanden, denn sie war unter der Egide ihres Herausgebers von ehemals links immer weiter nach rechts gerückt. Aber er ließ mir freie Hand. Zudem fühlte ich mich dem Mann verpflichtet, denn er ermunterte mich zu studieren und förderte mich.

Im Keller fand ich kürzlich eine Sammlung der Zeitschrift und werde gelegentlich daraus im Teestübchen veröffentlichen. Hier also die Federzeichnung „Blödes Wunder“:

Die Art der Bosheit II – Unter Gegenfüßlern

Das Wilhelm-Busch-Museum für Karikatur und Zeichenkunst im hannöverschen Georgengarten zeigt derzeit Cartoons des Zeichner-Duos Greser und Lenz. Seit Ende der 1980-er Jahre veröffentlichen sie regelmäßig im Titanic-Magazin. Nachdem Titanic im Heft 1/1996 ein Cartoon von mir veröffentlicht hatte, wuchs in mir wieder die Lust am Zeichnen. Beim Titanic-Buchmessenfest, sagte ich dem damaligen Chefredakteur Hans Zippert: „Ich würde gerne mehr für Titanic zeichnen.“ Zippert sagte: „Dann musst du zuerst Greser und Lenz beseitigen.“
„Ich weiß ja nicht mal, wie die aussehen.“
„Die zeige ich dir. Ich male ihnen ein Kreuz auf den Rücken.“

Obwohl mir Zippert so freundlich helfen wollte, blieben die Platzhirsche verschont, weil erstens Heribert Lenz ein sympathischer Zeitgenosse war und zweitens Achim Greser nie auf Buchmessenfesten auftauchte und sich damit trickreich seiner Beseitigung entzog. Also sah ich nur geringe Chancen, weitere Cartoons in der Titanic zu platzieren. Ich gab das Zeichnen auf und schrieb bis etwa 2006 nur noch für das Format „Briefe an die Leser.“ Dann verlor ich auch daran die Lust, weil es mir zu anstrengend wurde, mich intensiv mit Äußerungen dubioser Personen des öffentlichen Lebens zu beschäftigen. Wenn es etwas aus dem Fernsehen betraf, musste ich mir den Beitrag noch in der Mediathek aufrufen und den Quark genauestens dokumentieren, was wirklich sehr sehr unerquicklich war. Hier also mein Cartoon in der Titanic:heinziZeichenfeder/Aquarellpinsel, Tusche laviert, veröffentlicht in Titanic 1/1996

Der Page und der König

Wer wie ich mit dem katholischen Zeitungsindex aufwächst, zu Hause nur die Neuß-Grevenbroicher-Zeitung, das katholische Liboriusblatt und die Kirchenzeitung fand, für den war schon ein Friseurbesuch ein Schritt in die geistige Freiheit. Beim Dorffriseur lagen all die von der Kirche verteufelten Illustrierten aus. Mit 17 Jahren entdeckte ich am Kiosk das subversive satirische Magazin Pardon. Die Zeitschrift gehört zu meiner medialen Sozialisation. Deren Logo zeigt ein Teufelchen, das den Hut lüpft. Gestaltet hatte es F. K. Waechter. Die Cartoons des damals noch jungen Zeichners haben mich von Beginn an begeistert. Meine eigene zeichnerische Entwicklung war stark von Waechter geprägt, klick!

Die befreundeten Zeichnern F.K.Waechter, F.W.Bernstein und Robert Gernhardt entwickelten eine eigene Form des Humors, den sie später in Anlehnung an die Kritische Theorie der Frankfurter Schule um Horkheimer und Adorno „Neue Frankfurter Schule“ nannten. Ihre Cartoons boten einen Blick in eine bis dahin nicht gekannte humoristische Parallelwelt.

Im Bild: Ein Kellerfund, früher Cartoon von FK Waechter, in der Pardon doppelseitig abgedruckt, von mir damals ausgeschnitten und mit dem Montagekleber Fixogum aufgeklebt. Da konnte ich nicht ahnen, dass Fixogum nach etwa 20 Jahren durchschlägt und die Vorlage beschädigt, wie im kleinen Bild zu sehen. Von mir restauriert für die Gif-Animation. Viel Vergnügen:

Gereimte Schöpfungsgeschichten

Bin am Sonntagmorgen aufgewacht nach einem geselligen Spieleabend mit etwas Wein oder mehr und erinnerte ich mich geträumt zu haben, ich hätte in der Runde gesagt: „Ich habe ein Spiel erfunden, nämlich reimen.“ Und ich träumte einige Beispielverse, die es leider nur als vages Vorbild ins Erwachen geschafft haben. Sie waren ziemlich einfach gebaut, nämlich zwei Endreim-Verse mit vierhebigen Jamben, also unbetont, betont. Um das Versmaß zu veranschaulichen, sind die betonten Silben fett gesetzt:
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Der HErr erschuf sein Ebenbild:
Den Schotten mit kariertem Kilt.

Im Erwachen musst‘ ich lachen, postalkoholische Albernheit quasi, und ersann noch weitere Beispiele, hier eins mit unreinem Reim:

Es schuf der HErr sich auch noch Eva,
und fand: sie ist ein flotter Käfer!

Der HErr erschuf dann rasch noch Dorte,
zu backen eine HErrentorte.

Es schuf der HErr sich beide Ohren,
die sind ihm leider bald erfroren.

Weil es um den Schöpfergott geht, sind nach mittelalterlicher Tradition bei HErr immer die ersten beiden Buchstaben groß geschrieben. Wie das geträumte Spiel ablaufen sollte, weiß ich leider nicht mehr. Vielleicht erfindet jemand Regeln. Einstweilen bitte ich um Erfindung weiterer Beispiele nach obigem Muster und wünsche: viel Vergnügen beim Reimen!
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