Merseburger

Gegen Morgen träumte ich von Peter Merseburger. Ich wusste, dass er ein bekannter Journalist ist, doch als ich im Traum Wikipedia aufrief, stand da, Merseburger sei Musikkabarettist. Ich mochte das nicht glauben, war sicher, dass Merseburger etwas mit dem NDR zu tun hatte, sah sogar sein TV-Gesicht frontal vor mir. Deshalb schaute ich mehrmals bei Wikipedia nach, vergeblich. „Merseburger ist Musikkabarettist.“ Warum ich ausgerechnet das träumte? Von allen Kabarettisten finde ich Musikkabarettisten am langweiligsten, kenne überhaupt nur einen, den Niederländer Hans Liberg.

Seltsam ist jedenfalls, dass ich vom Aufruf eines Wikipedia-Eintrags träumt. Das hat nicht mal der Mühlhiasl gekonnt. Noch seltsamer ist, dass der Artikel zu Merseburger in Wirklichkeit genau so lang ist wie ich ihn träumte, ohne ihn je vorher gesehen zu haben. Wirklich unheimlich wäre freilich, wenn der Merseburger-Eintrag in meinem Traum den Tatsachen entsprochen hätte.

Wie ich hörte, arbeitet Google an einem Mensch-Maschine-Interface. Die Vision ist, dass ich nur an einen Inhalt denken muss, schon spiegelt mir Google entsprechende Informationen in die Datenbrille und zwar als dreidimensional dargestellte Texte, die ich beliebig verschieben und in den Fokus rücken kann, indem ich hinschaue. Das ist etwas anderes als aus der Provinz mit Bahn oder Bus in die Stadt zu fahren, um in der Bibliothek ein Buch zu suchen, in dem ich eine gewünschte Information vermute. Der Weg und die Handlungen der Suche nach Versuch und Irrtum entfallen schon jetzt. Digitale Suchfunktionen machen sie überflüssig. Schon heute ist manche Information im Netz mir näher als mein Bücherregal.

Egal wie das Mensch-Maschine-Interface funktionieren wird, es wird den Abstand zwischen mir und den Informationen noch stärker verringern, vorausgesetzt, das derzeit noch in Bibliotheken gespeicherte Wissen der Menschheit ist völlig digitalisiert.
Aber dann, wird Google der verlässliche Bibliothekar sein oder mir nur die Informationen zuspielen, die gerade opportun sind? Dann will ich wissen, wer Leon Battista Alberti war und was kommt heraus? Er war Musikkabarettist. Ist nur Spaß. Wenn Google weiß, nach welchen Informationen Menschen suchen, wird es einen Mainstream des Denkens feststellen. Das funktioniert als Rückkopplung. Dem Sog des Mainstreams wird man sich kaum enziehen können. Wer nicht aufpasst, wird hineingesaugt und bekommt: Fotos von schönen Blumen und Katzenvideos.

Wenn der Hahn kräht und die Eule ruft, ist alles echt

Dem Lübecker Buchdrucker Johann Ballhorn (1550-1604) wird nachgesagt, er habe die ihm anvertrauten Drucksachen verfälscht. Nach ihm wird das Verschlimmbessern „verballhornen“ genannt. So soll er in einer Schulfibel dem Hahn ein Ei untergelegt haben. An Ballhorn muss ich wöchentlich denken, wenn in meiner Straße ein Hahn kräht. Als ich anfangs in Hannover wohnte, bin ich mehrmals ans Fenster getreten und habe nach dem Hahn ausgeschaut. Inzwischen weiß ich, dass auf dem Eck ein gammeliger Lieferwagen mit einem Lautsprecher auf dem Dach hält.

Am Steuer sitzt kein stolzer Hahn, sondern ein Mann. Der bietet Eier zum Verkauf. Warum er keine Hühner gackern lässt, kann ich mir erklären. So ein Hahn hat ja meistens nichts zu tun, wogegen die Hühner den ganzen Tag picken und Eier legen müssen. Da bleibt keine Zeit für kleine Ausflüge mit dem Lieferwagen. Der Werbewirksamkeit des Krähens tut das vermutlich keinen Abbruch. Es reicht für die Illusion vom idyllischen Landleben, von scharrenden Hühnern und einem herumstolzierenden Hahn. In meiner Kindheit lebten Hühner noch tatsächlich auf Bauernhöfen, scharrten in der Hoferde und bauten sich irgendwo in einer dunklen Scheunenecke im Heu ein Nest. Wollte man Eier, musste man die Nester suchen und die Hühner hochscheuchen. Es ist erstaunlich, dass derlei Hühnerhofromantik sich reduzieren lässt auf die Tonkonserve eines Hahnenrufs aus einem Lautsprecher. Aber vermutlich wissen heutige Stadtbewohner nicht einmal, dass der Hahn keine Eier legt. Ein akustisches Abbild der Wirklichkeit, ein Gackern des Huhns in der Legebatterie, ist überflüssig.

Mit einem verballhornten Weltbild schmeckt das Frühstücksei um einiges besser. Da lässt sich verächtlich auf die armen Irren gucken, die Eier und Geflügelteile beim Discounter kaufen müssen und nicht beim Erzeuger höchstselbst an einem weiß-grünen Lieferwagen, von dessen Dach seit Jahren immer derselbe Hahn kräht. Der ist aber leider auch schon tot und verzehrt. Seine Füße und sein Hals haben immerhin noch eine weite Reise gemacht, denn alles, was man hier nicht essen will, wird nach Afrika verkauft. Da werden die multiresistenten Keime auf Geflügelfleisch gleich mit exportiert. Gut so, die in Afrika haben ja nichts.

Damit es hier nicht so bitter endet, etwas über schöne Illusionen. Ein alter Zeitungsbericht ist mir in die Finger gefallen. Zwei britische Vogelliebhaber hätten einander ein Jahr lang für Eulen gehalten. Die beiden Nachbarn in einem Dorf in der Grafschaft Devon ahmten allabendlích den Schrei einer Eule nach und freuten sich über die prompte Antwort des vermeintlichen Kauzes jenseits des Zauns. Britische Zeitungen berichteten, der 41-jährige Neil Simmons habe den kauzigen „Dialog“ mit Nachbar Fred Comes (58) über zwölf Monate hinweg geführt.

Das zwölf Monate währende Glück zweier Eulenliebhaber wurde zerstört von zwei schwatzhaften Ehefrauen. Neil Simmons berichtete: „Meine Frau erzählte Freds Frau, wie ich die Eulen zum Antworten brachte, worauf Freds Frau sagte, Fred habe das genauso gemacht. Ich fühlte mich wie ein Trottel.“ Anders reagierte Fred Comes: „Ich bin sehr geschmeíchelt“, sagte er, „ich habe nicht gewußt, dass ich so echt klinge.“

Unter uns Ornithologen

Kürzlich, ich wollte mich nicht beim Schreiben stören lassen, als aber zum dritten Mal etwas gegen mein Fenster knallte, stand ich auf und guckte nach. Die Straße war leer, und gerade wollte ich mich wieder hinsetzen, da hüpfte aus dem Geäst vor dem Fenster eine Meise, flog stracks auf das Fenster zu, knallte gegen die Scheibe und drehte wieder ab. Nanu? Sind die Meisen etwa an der Welt irregeworden? Ausgerechnet vor meinem Fenster? Da erinnerte ich mich an Berichte über Tapetenfressende Vögel, die der Göttinger Sagenforscher Rolf Wilhelm Brednich in seine Sammlung moderner Sagen aufgenommen hatte (Die Maus im Jumbo-Jet; München 1991).

Als Quelle gab er zwei Zeitungsberichte an, aus dem Erlanger Tageblatt vom 24./26.12.1979 und den Erlanger Nachrichten vom 9.1.1981. Variante a: In einer Siedlung in Marktheidenfeld im Landkreis Main-Spessart hätten sich Kohlmeisen und Spatzen auf Tapeten spezialisiert und würden bei geöffneten Fenstern jede Gelegenheit nutzen, die Wandverkleidung abzureißen. Variante b: Wer hungrige Vögel im Winter nicht füttere, könne eine böse Überraschung erleben, wie Wohnungsinhaber in Coburg berichtet hätten. Auf der Suche nach dem für sie lebensnotwendigen Kalk seien die Tiere durch offene Fenster in die Wohnung geflogen und hätten erhebliche Schäden an den Tapeten angerichtet. Brednich bezweifelte die Wahrheit der Berichte mit dem Argument, dass sie ausgerechnet im Winter erschienen waren, wenn die Fenster meistens geschlossen sind.

Im Folgeband (Das Huhn mit dem Gipsbein; München 1993) musste Brednich sich korrigieren. Inzwischen hätten ihm Leser an Eides Statt versichert, sie hätten Meisen beobachtet, die Tapeten und Kalk von den Wänden picken. Eine ähnliche Beobachtung habe ich in den 1990-er Jahren auf dem Parkplatz eines Supermarktes gemacht, während ich im Auto saß. Eine ganze Schar von Meisen hatte es auf eine Wand abgesehen, flogen sie beständig an und pickten mit großem Geschick den Kalk auf.

Lassen Sie mich an Ihre Tapete – Foto/Gif-Animation: JvdL

Es ist Frühling. Die Vögel sind liebestoll. Bald beginnt die Eiablage, und das Brüten geht los. Ich hoffe sehr, die Meise wollte an meine Tapete und hat den Kalk nicht woanders bei mir vermutet.

Alphabetmärchen

Einmal erwacht‘ ich inmitten der Nacht
Und wurde gewahr, wie mit eisig perlendem Wasser
Das Alphabet gereinigt wurde.
Sie waren gerade beim C.
Ich hörte es prasseln, da man es wusch.

Und dachte: Wenn man um drei Uhr vier
Erst beim C angekommen ist,
Wie will man beizeiten fertig sein?
Da fiel mir ein, dass in alter Folge
Das C an der 11. Stelle steht.

So lag ich und horchte.
Dann setzt‘ ich mich auf und machte Licht.
Augenblicklich hielt das Waschen inne.
Das Brausen wurde zum Rieseln
Und dann war’s still.

So glaube ich, dass in dieser Nacht
Das Alphabet zur Hälfte schmutzig blieb.
Allein, ich bin schuldlos.
Das Licht löschte ich aus
Und schrieb im Dunkeln:

In alter Zeit wusch man allnächtlich die Stunden.
Da konnte nichts Übles die Nacht überstehen.
Doch seit der Mensch die Stunden nahm
Und sie in Buchstaben presste,
Wird nur noch die Schrift gewaschen.

Daher verkommt die Welt, und mit ihr
Verludern die kosmischen Wäscher.
Denn das Alphabet ist ihnen egal.
Das waschen sie nur,
Wenn sie launig sind.

(Trithemius)

Bitte geben Sie der Welt einen Sinn

Aller innerster Sinn ist Sinn für Sinn. (Novalis)

Dass der Sinn aus dem Sinn für Sinn besteht, ist ein verlockender Gedanke. Er verlegt die Verantwortung für den Sinn ganz in den Menschen selbst. Er allein bestimmt in seiner Welt den Sinn, gibt den Dingen erst eine sinnvolle Bedeutung. Ein Romantiker wie Friedrich von Hardenberg (Novalis) sieht hierin vor allem die Grenzerweiterung des menschlichen Lebens und Erlebens. Denn nichts hindert ja den Menschen daran, den Dingen des Alltags eine eigenwillige Bedeutung zu geben, eine heiter-komische etwa, eine romantisch verklärte oder eine seltsame. Nüchtern betrachtet ist das Zitat ein Abgesang. Novalis macht eindeutig Schluss mit dem Sinn. Der innerste Sinn besteht aus Sinn für Sinn, – der Satz ist hermetisch. In ihm ist kein Platz für einen so genannten höheren Sinn von außen.

Mir gefällt das. Einerseits werde ich dadurch in die Verantwortung genommen, meiner Welt einen Sinn zu geben, anderseits habe ich die absolute Gestaltungsfreiheit, kann das zum Sinn erklären, was andere für Unsinn halten. Ein Freund, den ich aus den Augen verloren habe, hatte zu seiner belgischen Villa wohl die längste Auffahrt Europas, vielleicht sogar der Welt. Sie reichte von Aachen bis kurz vor Verviers in Belgien. Es handelte sich um seinen täglichen Weg zur Arbeit und zurück. Mein Freund erklärte: „Wenn ich mir sage, all die Leute in ihren Häusern entlang der langen Straße von Aachen bis zu meiner Haustür, die wohnen an meiner Auffahrt, ja, dann ist die lange Straße von Aachen bis zu mir meine Auffahrt.“ Soweit zur freien Sinngebung. Sie ist ein probates Verfahren, ein eigenes Universum zu zimmern und darin glücklich zu werden.

Dem religiösen Menschen bietet Novalis nichts, nicht einmal Trost. Da gibt es kein höheres Wesen, keinen Sinn gebenden Gott. Es ist alles Menschenwerk, ersonnener Sinn. Warum sollten Menschen so etwas tun, sich einen eigenen Gott ersinnen, wo sie doch die Freiheit der Sinngebung haben? Warum sich künstlich schwächen und sich von einem imaginären Gott die Sinn-Regeln auferlegen zu lassen? Vermutlich hat es etwas mit Selbsterkenntnis zu tun. Wenn jeder nur seiner egoistischen Natur folgt, kann kein vernünftiges Gemeinwesen entstehen. Aber unter Egoisten diese Einsicht zu verbreiten, braucht es schon eine höhere Macht, also einen Gott als eine Sorte Übervater. Den sich zu denken, das kann manchmal sinnvoll sein. Friedliche Völker brauchen ihn kaum. Wo aber die Gewaltbereitschaft hoch ist, braucht man einen starken Gott. Und wie stärkt man ihn? Indem man andere zwingt, an ihn zu glauben. Mit diesem Eigensinn entfernt man sich zwangsläufig vom gewünschten Sinn.

Manchmal ist es also besser, gar keinen Sinn zu suchen. Ein Tisch ist ein Tisch, daran ich sitzen kann und meine Suppe löffeln. Und wenn ich sitze, sitze ich, und wenn ich löffle, löffle ich. Und das hier ist ein Blogeintrag. Er hat keinen höheren Sinn als den, dass ich über Sinn nachgedacht habe, weil von der fensterlosen Wand hinter mir ein seltsamer Luftzug kam. Was ist mit der Wand hinter mir? Wenn ich nicht nachschaue, ist sie nicht da, sondern ein offenes Fenster zum Universum, und der kalte Luftzug ist kein Zug, sondern ein Sog, weil da nämlich die Atmosphäre ins All gesaugt wird. Solange es mich nicht vom Stuhl haut, werde ich nichts dagegen tun. Schließlich habe ich die Wand nicht geöffnet.

Eintritt ungewollt – Austritt in Zimmer 446

Am achten Tag war der liebe Gott ziemlich klamm. Da erfand er die Kirchensteuer und verfügte, dass sie vom Staat eingezogen werden soll. Das vereinbarte sein päpstlicher Vertreter auf Erden 1933 mit den Nationalsozialisten im Reichskonkordat. Bei der Gründung der Bundesrepublik wurde es ins Grundgesetz geschrieben. Seither streichen die Finanzämter jährlich etwa fünf bis sieben Milliarden Euro ein und überweisen sie an die göttliche Finanzverwaltung. Vom Geld ließ der liebe Gott zuletzt die galaktische Kegelbahn sanieren, damit es auf Erden nicht so rumpelt, wenn die Engelchen kegeln.

Wem die gelegentlichen Gewitter schnurz sind, der könnte eigentlich aus der Kirche austreten. Das habe ich getan, und zwar im Jahr 1993. Aus dieser Zeit stammt mein Erfahrungsbericht. Damals wusste ich nicht, wie das geht, und heute geht es vermutlich anders. Zumindest die elektrische Schreibmaschine, die später zum Einsatz kommt, ist vermutlich schon außer Betrieb. Also hier mein historischer Bericht:
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An den Untertassen sollt ihr sie erkennen

Vorab ein Bekenntnis. Ich bin abgefallener Katholik und die Mutter meiner Kinder ist es auch. Doch seltsam genug geriet ich in der Folge nur an Frauen, die von Haus evangelisch waren. Ob jemand katholisch, evangelisch oder vom Glauben abgefallener Heide ist, lässt sich am Verhalten kaum ablesen. Ein kleiner Unterschied ist mir jedoch aufgefallen und ich wüsste gern, ob sich meine Beobachtung verifizieren lässt. Evangelische Frauen benutzen keine Unterteller, stellen die Tassen einfach so auf den Tisch. Ich glaube nicht, dass es landschaftlich begründet ist, denn die erste Frau, die ich die Untertasse weglassen sah, kam aus dem schönen Städtchen Jülich, im Herzen des Rheinlands gelegen. Aus meiner Kindheit habe ich noch vor Augen, dass alte Frauen etwas Unmanierliches taten. Weil sie sich am heiß aufgebrühten Kaffee nicht den Mund verbrennen wollten, gossen sie den ersten Schluck auf den Unterteller und schlürften ihn von dort. Heißt der Unterteller im Rheinland deshalb Untertasse?

Was zu beweisen wäre – Foto: JvdL

Eben fiel mir auf, dass ich inzwischen auch keinen Unterteller mehr benutze, ja nicht einmal vermisse, was bedeutet, dass ich per Untertellerverschmähung klammheimlich zu den Evangelischen übergetreten bin. Hallo? Ich meins nicht so. Mein Einstellungswandel vollzog sich für mich unmerklich. Ihm liegt keine bewusste Entscheidung zugrunde. Es ist pure Gewöhnung. Deshalb hoffe ich, nicht wieder aus der Kirche austreten zu müssen. Demgemäß schreibe ich aus purem ethnologischem Interesse. Gibt es einen Zusammenhang zwischen Untertassenverschmähung und evangelischer Religion?

Erneuter Fehler im Galaktischen Betriebssystem

Wo kann ich einen Fehler im galaktischen Betriebssystem melden? Es  sollte reichen, wenn ich ihn hier veröffentliche. Das müsste genügen, also wenn die Beamten der Unteren galaktischen Reklamationsannahmebehörde überhaupt Beschwerden registrieren und nicht allein mit Machtkämpfen und Intrigen beschäftigt sind. Folgendes: Weil der Koch des Marktcafés Urlaub macht, musste ich in dieser Woche woanders essen. Vorgestern aß ich eine leckere Suppe in einem Café, das in meiner Nachbarschaft neueröffnet hat. Vorher hieß es Kaffeepause und jetzt „Fräulein Schlicht“.

„Fräulein Schlicht“ ist ein schöner Name für ein Café. Schlicht ist der Name der 29-jährigen Betreiberin. Sie habe sich mit dem eigenen Café einen Kindheitstraum erfüllt, hatte sie der Hannoversche Allgemeine Zeitung (HAZ) erzählt. Zuvor habe sie auf Papas Wunsch Medienrecht studiert. Dass mir eine studierte Juristin die Suppe serviert, passt in unser gentrifiziertes Viertel. Dass Fräulein Schlicht mit Vornamen Johanna heißt, auch. Jetzt der Fehler, kaum der Rede wert, angesichts der fast peinlichen Stimmigkeit in meinem Mikrokosmos: Als mir die Suppe serviert wurde, fehlte eine Serviette. Ich wollte kein Gewese drum machen, denn ich wusste, dass ich eine Serviette in meiner linken Jackentasche mit mir trug. Zur Sicherheit fühlte ich mal nach. Da war sie und ich benutzte sie.

Gestern habe ich in der Mensa gegesssen. Servietten gibt es in einem Spender vor der Kasse. Ich vergaß, mir eine zu nehmen, was mir sogleich auffiel. Aber ich wollte den Ablauf an der Kasse nicht durcheinander bringen, sondern nahm mir vor, die Serviette später zu besorgen. Nachdem ich gegessen hatte, griff ich versonnen absichtslos in meine linke Jackentasche und fand darin schon wieder eine unbenutzte Serviette und zwar von solch ungewöhnlichem Design, dass ich mir beim besten Willen ihre Herkunft nicht erklären kann, noch wie sie in meine linke Jackentasche gelangt ist. Wo ich verkehre, gibt es nur schlichtweiße Servietten. Die Tatsache, dass sich in meiner linken Jackentasche Servietten materialisieren, ist seltsam genug, aber eine mit bunten Punkten und einem gepunkteten Schaf, über dem die rätselhaften Worte stehen „Schwarzes Schaf war gestern“, mit Verlaub, das versetzt mich in Unruhe. Ich behaupte nicht, dass derlei Aufregung zuviel für mich ist, aber es drängt mich an diesem sonnigen Freitagmorgen zu fragen: „Was, meine Damen und Herren, soll denn das?“

Geheimschrift der Freimaurer – falsch bei Wikipedia

Blogkollege Merzmensch zeigt in seinem aktuellen Beitrag
Das wundersame Verschwinden von Bruno Borges unter anderem einen Papierstreifen, der mit Zeichen der Freimaurerischen Winkelschrift beschriftet ist und bildet zur Entschlüsselung eine Grafik des Konstruktionsprinzips aus Wikipedia ab. Die Darstellung ist erkennbar falsch, weshalb die Zeichen auf dem Papierstreifen keinen Sinn ergeben, was Freund Merzmensch natürlich aufgefallen war. Wenn man den richtigen Schlüssel anwendet, steht dort das Alphabet. Das Konstruktionsprinzip der Freimaurerischen Winkelschrift ist nämlich recht einfach, weshalb der Universalgelehrte Giambattista della Porta (1535-1615) sie hochmütig als Schreibweise verspottete „derer sich Landleute, Dämchen und sogar Kinder bedienen könnten.“ Vielleicht hatten bei der falschen Darstellung im Wikipediaeintrag Freimaurer die Finger im Spiel. Denn natürlich ist eine Geheimschrift, deren Schlüssel verraten ist, nicht mehr geheim. Das echte Konstruktionsprinzip, wie es aus der Renaissance übermittelt wurde, hier exklusiv im Teestübchen:

Konstruktionsmatrix Freimaurerische Winkelkschrift – Grafik: JvdL

18 Buchstaben des Alphabets stehen paarweise in einer Matrix. Es fehlen „j“, „k“, „u“ und „w“, denn sie sind historisch gesehen erst später dem lateinischen Alphabet zugefügt worden. Das kleine „i“ ist ein Halbvokal und kann „i“ oder „j“ bedeuten, „c“ hat zwei Lautwerte, „c“ oder „k“. Das „u“ ist ebenfalls ein Halbvokal und kann „u“, oder „v“ bedeuten. Mit dem doppelten „u“ kann man das „w“ schreiben. U-x-y-z haben eine eigene Matrix.

Zum Verschlüsseln zeichnet man jeweils das zugehörige Winkelelement. Der 2. Buchstabe im jeweiligen Feld der Matrix wird mit einem Punkt angezeigt. Zum Entschlüsseln liest man die Buchstaben aus den Matrixen aus. Das ist kinderleicht, kann jeder Landmann und erst recht jedes „Dämchen“.

Kleiner Scherz: Wer das unten verschlüsselte Zitat entschlüsselt, wird eine „Ehrenrettung“ der Dämchen durch den Hamburger Kaffeeröster Albert Darboven lesen können.

(Albert Darboven) – Verschlüsselung und Grafik: JvdL

 

 

Volontär Schmocks Rundumblick April

Zwischen Aachen und Jülich liegt der Ort Langweiler. Immer, wenn ich bei meinen Trainingsfahrten durch das stille Dorf rollte, ich war dann meistens auf dem Rückweg und redlich müde, habe ich mir zu meiner Erquickung eine Gemeinderatssitzung vorgestellt, die vom Bürgermeister eröffnet wird mit den Worten: „Guten Abend, liebe Langweiler!“

Wie begrüßt der Bürgermeister wohl die Einwohner von Haßloch? „Liebe Haßlöcher?“ Ein Haßlocher möchte ich ehrlich gesagt nicht sein. Ich würde mich überall schämen deshalb, außer natürlich in Haßloch. Da weiß man vermutlich, dass Haßloch nicht so schlimm ist wie es klingt, jedenfalls nicht schlimmer als Pforzheim, Tuntenhausen oder Fickmühlen. Haß in Haßloch stammt etymologisch vom Haselstrauch ab, einer Pflanze, die allerdings von Pollenallergikern zu Recht gehasst wird. Haßlocher sind wahrscheinlich echte Langweiler, aber sehr wichtig in einer Kultur, die das Durchschnittliche liebt, quasi verehrt wie die unsrige.

Haßlocher sind so durchschnittlich, dass die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) das Haßloch zum Testmarkt erhoben hat. Hier wird jedes Produkt vor seiner Markteinführung getestet. Was die 19.000 Haßlocher mögen, mögen alle anderen Deutschen auch. Als es beim Discounter sprechende Personenwaagen zu kaufen gab, hatten offenbar viele Haßlocher Singles danach verlangt – damit sie am Wochenende mal einen zum Reden haben. Neuerdings haben Haßlocher vermutlich nach Personenwaagen mit USB-Anschluss verlangt. Deshalb hatte ein Discounter sie im Angebot. Ich hatte schon mal eine solche Waage im Einkaufswagen, hab sie dann aber ins Regal zurückgelegt, denn ich dachte: „Am Ende will die blöde Waage dauernd ins Internet.“ Dann will ich mich einfach nur wiegen, aber meine Waage ist im Internet, macht ein Update und meldet ganz nebenher meine gesammelten Daten an die GfK weiter. Um das gut zu finden, muss man vermutlich ein echter Haßlocher sein.

Schon immer waren Waagen unverschämt. Ich erinnere an die kommerziellen Waagen in den Bahnhofshallen, die den arglosen Reisenden belästigt haben mit der apodiktischen Forderung: “Prüfe dein Gewicht!” Wer sich einfangen ließ, bekam eine Reihe weiterer Befehle. Fehlt noch “Arschbacken zusammen und Salutieren!” Zum Dank grunzte die Waage wie ein Schwein, wenn man sich draufgestellt hat. Das Geheimnis ihres Erfolgs.