Eine Frau im roten Mantel schiebt ihr Fahrrad mit Kindersitz auf den Spielplatz, hinter ihr her trottet ein kleiner Junge. Obwohl noch alles feucht ist vom nächtlichen Regen setzt sie sich auf die hölzerne Einfassung des Sandkasten und spielt mit dem Kleinen, bleibt dort länger als eine Stunde. Wie sie vorgebeugt sitzt und versonnen im Sand spielt, ist sie von großer Traurigkeit umweht. Ein Kinderspielplatz weckt die Erinnerung an unbeschwerte Zeiten. Das Unbeschwerte scheint sie zu suchen und will sie ihrem Kind vermitteln, vielleicht um eine unschöne Erfahrung zu heilen? Ich ahne eine Geschichte von häuslichem Streit und Hader.
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Auf der Einmündung der Bardowicker Straße direkt bei der Unterführung des Schnellwegs. Hinter mir ein lautes, hässliches Schleifen. Ein Mann auf einem Fahrrad überholt mich und hält an, betrachtet machtlos die immense Stapel von Umsonstzeitungen, die hier unter der Brücke abgeladen sind. Er packt sich einen Stapel aufs Fahrrad. Das Schleifen wird von völlig abgeriebenen Bremsklötzen stammen, die Riefen in die Felge geritzt haben. Da zeigt sich versteckte Armut.
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Im Real-Supermarkt rangieren zwei Angestellte im roten Kittel mit Hubwägen durch die Selbstzahler-Kassenschleuse. Nur hier ist Platz genug für die Ladung, zwei riesige Flachbildschirme im Karton. Hinterher druckst der Käufer.
„Hoho! Stereo!“, ruft jemand. Ich stelle mir die Wohnung vor mit zwei Flachbildschirmen, groß wie Betttücher an den Wänden, und darauf läuft das Programm von RTL II.
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Vergebliche Mail:
- Lieber Nachdenkseiten-Redaktion,
seit längerem lese ich die Nachdenkseiten und mache mir eigene Gedanken. Einer davon ist der Gedanke, dass mich euer Motto neuerdings stört. Es hat wohl nicht immer im Kopf der Seite gestanden: „Für alle, die sich noch eigene Gedanken machen.“ Dieses resignative „noch“ enthält vielleicht aus eurer Sicht den gesellschaftlichen Befund, die eigenen Gedanken wären eine bedrohte Art, deren Hirten sich wie ein Häuflein Aufrechter just um die Nachdenkseiten versammelt und gemeinsam singend dem Heranstürmen eines gedanklichen Mainstreams zu trotzen versuchen. Aber ach, sie können sich kaum noch halten! In diese ulkige Gesellschaft mag ich mich nicht begeben. Meine eigenen Gedanken waren noch nie und sind auch in Zukunft nicht in Gefahr. Könntet ihr euch vielleicht zu einer optimistischen Geste durchringen und dieses „noch“ einfach streichen? „Für alle, die sich eigene Gedanken machen“ ist sparsamer und hübscher.
Viele Grüße
Jules van der Ley