Als ich noch ADAC-Mitglied war, irgendwann in den 1990-er Jahren, sah ich mir gerne den gruseligen Anzeigenteil in der ADAC-Hauszeitschrift „Motorwelt“ an. Dabei dachte ich, dass die werbenden Unternehmen durch Marktforschung doch eine Vorstellung von ihrer Zielgruppe haben müssten. Man verplemperte schließlich kein Geld an Leute, die die beworbenen Produkte nicht brauchen. Folglich ließ sich von den Anzeigen rückschließen auf das durchschnittliche ADAC-Mitglied. Es wäre ziemlich kurios, wie meine Aufstellung aus dem Tagebuch von Januar 1995 zeigt. (Größer: Bitte Klicken!)
Die Werbespots im Vorabendprogramm der ARD zeichnen ebenso ein Zerrbild des typischen Zuschauers. Er/sie ist vergesslich, hat Ohrgeräusche (Tebonin), nächtlichen Hardrang (Granufink), Verstopfung (Dulcolax), kann abends nicht einschlafen (Neurexan), kommt morgens nicht in die Gänge (Vitasprint). Suggeriert wird ein naiver Medikamentenglaube. Man redet den Leuten ein, sie wären Maschinen mit Fehlfunktionen, die sich quasi auf Knopfdruck medikamentös ausschalten lassen würden. Um ihnen den restlichen Verstand zu rauben, bietet die ARD im sogenannten anzeigenfreundlichen Umfeld dümmliche Quizshows vom Format „Wer weiß denn sowas?“ oder „Quizduell.“
Dass das kontextlose Abfragen und Wissen in Kreuzworträtsel und Quiz nicht die Intelligenz fördert, habe ich hier schon mal begründet. Der dumme Konsument ist ein guter Konsument. Folglich verkleistert man seinen Verstand mit Quatschwissen.
Du lieber Himmel, jetzt habe ich alle Medikamente gegoogelt, um sie zu verifizieren, denn es darf ja nichts Falsches im Teestübchen veröffentlicht werden. Hoffentlich überschütten mich die fürsorglichen Pharma-Unternehmen jetzt nicht mit einschlägigen Angeboten. Und alles nur, weil ich über die horrible Werbung im ARD-Vorabendprogramm geschrieben habe.
- Holla? Meine Rechtschreibprüfung kennt „horribel“ nicht? Der Duden schimpft das Adjektiv aus dem Französischen „veraltet.“ Also beuge dich, horribel, damit du wieder gelenkig wirst!
Positiv horribel,
Komparativ horribler,
Superlativ am horribelsten.
Klingt komisch.
Adjektive klingen meistens komisch. Eine Anekdote, mit der Journalisten-Stilpapst Wolf Schneider in seinem Ratgeber Deutsch fürs Leben aufwartet, handelt von Clemenceau und geht so: „Der französische Zeitungsverleger und spätere Ministerpräsident hängte in seine Redaktionen ein Schild, auf dem es hieß: ‚Bevor Sie ein Adjektiv hinschreiben, kommen Sie zu mir in den 3. Stock und fragen, ob es nötig ist‘.“ Ein Rat für alle, die von der Ausschmückeritis befallen sind. Wer unbedingt auf der „Glatze Locken drehen“ [Karl Kraus] muss, dem hilft auch nichts von Ratiopharm.
- „The last thing to learn is simplicity.“
(Theodore Low De Vinne)
Neben den ganzen Medikamenten, die da so beworben werden, finde ich die neue „diskrete“ Art auf männliche „Steh“Probleme auch visuell hinzuweisen denkwürdig.
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Welcher Spot ist das? Kannst du ihn beschreiben?
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Der Spot, in dem eine Horde Männer ein Rammbock in erkennbarer Penisform vor die Burg rollen. Der Rammbock allerdings ist nicht gut beieinander, sondern hängt etwas traurig im Gestell.
Der Anführer schmettert dann etwas, wie „Männer, heute wird die Burg fallen!“ und der Rest so, nee, mit Druck geht das nicht ….
Also ich finde den Spot immer wieder verwirrend und vor allem fraglich … 🤔
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Köstlich!
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Erfreulich!
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Die Quizshowgucker machen auch IQ Tests und teilen diesen dann über ihr Autokennzeichen der Allgemeinheit mit 🤣
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Von diesem albernem Verhalten hatte ich noch nie was gehört. Danke für die Mitteilung.
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Vielleicht schreibst du mal einen Beitrag über Autokennzeichen. Dann hast du jetzt schon einen Hinweis bekommen. Es gibt ja noch ganz andere Buchstaben- und Zahlenkombinationen. Mein Wunschkennzeichen wäre zum Beispiel …-NN 007 🤣
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Die Adjektivitis ist ja immerhin ein fast unfehlbarar Hinweis auf Kitsch…
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Du sagst es. Aber auch die ausufernde Schilderung unwichtiger Sachverhalte.
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Und alte Menschen sehen in der Werbung stets wie superschöne und superfitte Top-Models aus, denen man die Haare silbern gefärbt hat… Niemand meines Alters und älter in meinem Umfeld sieht so aus, das ist schon ein höchst verfälschtes Bildnis alter Leute, das da den TV-Konsument:Innen vorgegaukelt wird. Und manchmal, wenn das Selbstbewusstsein grade mal wieder angeschlagen in den Seilen hängt, ist so etwas genauso deprimierend wie Heidi Glumps perverse Supermodel-Show. für Teenager.
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Ja, so ein Bild sah ich im Schaufenster eines Modengeschäfts. Dies jungen Alten sind ja eigentlich eine Altenverhöhnung. Könnte es sein, dass besonders Frauen darunter leiden?
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Da bin ich mir sehr sicher, dass diese nicht der Realität entsprechende Darstellung der Alten vor allem Frauen zusetzt. Ich sehe das durchaus an mir. Manchmal, wenn ich einen seelischen Durchhänger habe, dann stört es mich schon, dass ich keine durchtrainierte Model-Figur habe und zwanzig Jahre jünger aussehe als ich eigentlich bin – Mitte Sechzig.
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“Annus horribilis“: für das verwichene Jahr wäre das Adjektiv in so mancher Hinsicht durchaus nicht veraltet.
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Da können wir das erste Halbjahr 2021 gleich anhängen.
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Respekt für dein Engagement die Werbung anzusehen, lieber Jules. Ich fürchte allerdings, dass du nun reichlich „personalisierte“ Anzeigen aufgrund der Recherche erhalten wirst. Als kleiner Ausgleich, mein herzlicher Dank für diesen feinen Text.
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Schönen Dank für deinen aufbauenden Kommentar, liebe Mitzi. Glücklicherweise habe ich den CCleaner. Der löscht die ganzen Cookies.
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Schau mal unter „GoSpring“ der „Hängebock“, da ist der Spot zu sehen.
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Herrlich. Danke für den Hinweis!
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Bitte, gerne 😊
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