Ein Wiedersehen mit dem Rathaus von Gütersloh im WDR-Fernsehen brachte mich dazu, einen Text aufzusuchen, den ich im September 2010 im Teppichhaus Trithemius auf twoday.net veröffentlicht hatte. Ich entschloss mich zu einer Neuveröffentlichung im Teestübchen Trithemius bei WordPress, denn er gefiel mir auch noch nach 13 Jahren. Der Dichter und Kritiker Horaz riet seinen jungen Kollegen: „nonumque prematur in annum …“ [und bis ins neunte Jahr werde es (das Manuskript) zurückgehalten, um zu prüfen, ob es etwas tauge.] Da ich kürzlich nach einer Augen-OP nicht viel lesen durfte, nutzte ich die Gelegenheit und veröffentlichte unverändert fast alle Folgen der Reise ab Gütersloh.
Von den damaligen Kommentatoren bei towday.net ist noch Kollege noemix geblieben. Es war mir eine Freude, auch diesmal seine Kommentare zu lesen. Der neue Kollege „sinnlos Reisen“ hatte zuerst gedacht, „all das wäre diesen Sommer passiert und wir folgen dir auf aktuellen, noch feuchten Spuren“, fand dann aber: „Könnte alles heute genau so passieren.“
Leider nicht ganz. Liebe Aachener Freunde sind inzwischen verstorben. Ich erlitt 2012 einen Herzinfarkt und 2013 einen Schlaganfall, wurde also nachdrücklich mit meiner Endlichkeit konfrontiert und muss mich seither mit körperlichen Einschränkungen arrangieren. Demgemäß musste ich auf Rauchen und Kiffen verzichten. Eine Lesereise wie 2010 würde ich heute nicht mehr schaffen. Was damals hoffnungsfroh begann, ist der Einzelfall geblieben. Auch das frei assoziierende Schreiben unter Graseinfluss gibt es nicht mehr. Meine Texte sind seither nüchterner und überlegter, was nicht unbedingt ein Nachteil ist, wie an inzwischen sechs Buchveröffentlichungen von mir zu sehen.
Heute würde man seine Reiseroute per Routenplaner festlegen, wodurch sich der Charakter einer solchen Fahrt verändern würde. Es gäbe weniger Unwägbarkeiten und vor allem weniger Kontakt mit Einheimischen. Wegfallen würde der soziale Akt, nach dem Weg zu fragen.
Durch den Umzug zu WordPress hat sich der Kreis der Freundinnen/Freunde meines Blogs verändert. Im Teppichhaus Trithemius bei twoday.net wurde insgesamt reger kommentiert. Das zeigt einen weiteren Unterschied zu 2010. Durch das Aufkommen von Facebook, Twitter, Instagram und durch diverse Smartphone-Dienste verloren Blogs an Traffic und Bedeutung. Gute Blogfreundinnen und -freunde teilten Zeit und Aufmerksamkeit oder wanderten gänzlich ab.
Nach zehn Jahren im digitalen Medium hat sich auch mein schriftliches Verhalten geändert. Ich notiere nur noch wenig, schreibe immer seltener mit der Hand. Meine eher naiven Hoffnungen auf die positiven sozialen Effekte der digitalen Vernetzung sind einer nüchternen Einstellung gewichen. Das verstärkte meine schon in den 1990-er Jahren aufkommenden Vorbehalte gegen Fernkommunikation. Im Jahr 2010 habe ich die Demokratisierung der Information noch begrüßt. Doch inzwischen lässt sich feststellen, dass die Glaubwürdigkeit von Informationen stark gelitten hat. Das strahlt auch auf die klassischen Einkanalmedien, Funk und Presse zurück.
Mein guter Freund Thomas Haendly alias Jeremias Coster lebt nicht mehr. Nach anfänglicher Scheu lasse ich ihn aber wieder in Texten auftreten. In der Literatur sind Zeitreisen möglich und Personen bleiben noch lange lebendig. Ich bedanke mich bei allen, die mich auf der Zeitreise begleitet haben durch aufmerksames Lesen, Likes, Kommentare und hoffe, bei der Zeitreise einer so großen Gruppe ins Jahr 2010 sind keine Schmetterlinge zu Schaden gekommen.
Ihr Zeitreise-Agent