Ein buchtechnisches Kleinod sandte mir Christian Dümmler, der „overlord of bookdesign“ (Jason Koxvold), ein neues Produkt aus seinem Indie-Verlagsprojekt „Edition Blumen“, ein Heft von 32 Seiten mit einer Auswahl von zehn Texten aus meinem neuesten Buch „Goethes bunter Elefant.“ Der Anthologie gab er den Titel eines der ausgewählten Texte: „Neueste Nachrichten vom Nichtstun.“ Im Heft fand ich eine typografische Besonderheit, nämlich die Auszeichnung bestimmter Textstellen in Frakturschrift. Von dieser Idee war ich sogleich angetan.
Bis zum Verbot der Frakturschriften im Jahr 1941 durch die Nationalsozialisten war es üblich, in Frakturtexten alle Fremdwörter in Antiqua zu setzen.
Was spricht heute dagegen, umgekehrt die Fraktur zu neuen Auszeichnungszwecken zu verwenden? Eigentlich ist es ein Wunder, dass Typografen und Buchdesigner die Fraktur haben links liegen lassen, seitdem sie im Jahr 1941 von den Nationalsozialisten überraschend verboten worden war. Bis zu diesem Datum hatte man die Fraktur als typische deutsche Schrift gefeiert. Das plötzliche Verbot der Fraktur kam mit einem Rundschreiben Martin Bormanns vom 3.1.1941. Darin werden Gründe genannt, die von der gesamten Fachwelt bezweifelt wurden. Historiker haben nach anderen, rationalen Gründe gesucht, doch der Auslöser ist vermutlich völlig irrational.
Einen Hinweis liefert das Original-Rundschreiben. Die Rede ist von einer Besprechung. Anwesend waren Adolf Hitler, Martin Bormann, Stabsleiter beim „Stellvertreter des Führers“, Rudolf Hess und Max Amann, „Reichsleiter“ für die Presse der NSDAP und Direktor des Zentralverlages der NSDAP, sowie der Verleger und Buchdrucker Adolf Müller. Er druckte den Völkischen Beobachter, das Zentralorgan und „Kampfblatt“ der Nationalsozialistischen Partei. Eventuell war Müller dort, um einen Neudruck des Briefbogens der NSDAP zu durchsprechen. Bei dieser Gelegenheit hat er darauf hingewiesen, dass die im Briefbogen und in Schlagzeilen des Völkischen Beobachters verwendete fette Fraktur vom Juden Lucian Bernhard entworfen worden war.
Man kann sich Hitlers Entsetzen und folgenden Wutausbruch vorstellen. Jahrelang hatte er den Beteuerungen geglaubt, die Fraktur drücke deutsche Wesensart aus, entspreche dem deutschen Nationalcharakter. Am 30. Juli 1937 hatte das Propagandaministerium jüdischen Verlagen sogar verboten, die Fraktur zum Druck zu verwenden. Dass auf dem Briefbogen der NSDAP eine Judenschrift prangte, war überaus peinlich. Als wäre Hitler zur Freude der Juden jahrelang mit einem Zettel „Depp“ auf dem Rücken herumgelaufen. Und wenn deutsche Eigenart und ihr geistiges Eigentum von jüdischer Hand gestaltet war, dann könnten alle Frakturschriften diesen Makel in sich tragen. So wurde zur Sicherheit die Fraktur gänzlich verboten. In aller Eile schusterte man eine Begründung zusammen. Was zuvor als „Verrat am Volkstum“ gegolten hatte, wurde plötzlich legitim,
Antiqua ersetzte die Fraktur und wurde „Normalschrift.
Als im Jahr 2017 bekannt wurde, dass die sächsische Polizei auf den Kopfstützen ihres neuen Panzerfahrzeugs Frakturschrift hatte aufbringen lassen, sah man darin Ähnlichkeit zur Symbolik des Nationalsozialismus. Es ist wohl tatsächlich so, dass unbedarfte Neonazis und ein Gutteil der Aufgeregten die Fraktur fälschlich mit dem Nationalsozialismus in Verbindung bringen, ungeachtet der historischen Tatsache, dass just diese Nationalsozialisten die Fraktur 1941 per Erlass als „Schwabacher Judenletter“ verunglimpft und verboten haben.
Vielleicht liegt am Ruch des Nationalsozialismus der Grund für die spätere Ablehnung der Fraktur. Im Jahr 1949 veröffentlichte der Typograf Karl Klingspor von der berühmten Schriftgießerei Gebr. Klingspor mit „Über Schönheit von Schrift und Druck“ einen Schwanengesang auf die Fraktur. Es ist ein wunderschönes, bibliophiles Buch, auf Büttenpapier gedruckt, mit vielen eingeklebten Druckbeispielen, das die Vorzüge der Fraktur zur Geltung bringt, ohne die Antiqua zu verteufeln. Klingspor ist der völkische Zungenschlag fremd, jene Befürworter der Fraktur waren ja von den Nationalsozialisten 1941 selbst zum Schweigen gebracht worden. Klingspors Argumentation ist rein schriftästhetisch. So mag man dem Autor gerne darin folgen, dass es für die Deutschen gute Gründe gibt, bei der Fraktur zu bleiben, besonders der vielen Großbuchstaben wegen, die sich in der Fraktur organischer mit den Kleinbuchstaben verbinden sowie wegen der vielen langen Wörter im Deutschen, die in der Fraktur schlanker wirken, aber der Zug für die Fraktur war 1949 endgültig abgefahren. Das Verdammungsurteil der Nationalsozialisten wirkt bis heute nach.
Es ist das Verdienst von Christian Dümmler, die Fraktur zumindest als Auszeichnungsschrift wiederentdeckt zu haben. Ich freue mich, dass er das an meinen Texten ausprobiert.
Literatur: Buchkultur im Abendrot