Eine blonde junge Frau sitzt mit ihrem Freund am Tisch vor Linden backt. Sie hat verstreut auf den nackten Armen und Beinen vereinzelte Tattoos, gänzlich ohne Konzept, als hätte jeder, der grad zufällig vorbeikam, an beliebiger Stelle seine Ich-war-hier-Marke hinterlassen dürfen. Vor ihr steht einer in kurzen schwarzen Adidas-Shorts, hält die Knie durchgedrückt und unterhält sich. Er ist zufällig vorbeigekommen, wurde freudig vom Paar am Tisch begrüßt und ist geblieben. Er hat sich auf jede Wade einen dicken grünen Punkt tätowieren lassen. Wozu? Er selbst kann die Kreise nur sehen, wenn er sich verrenkt, nicht so stramm dasteht. Ob wohl ein Zusammenhang besteht zwischen der nachdrücklichen Wadenpräsentation? Drückt er die Knie durch, damit seine grünen Punkte gut zu sehen sind oder hat eine geheime synoptische Verbindung in seinem Hirn, eine Wadenfixierung hervorgebracht und die Lust, genau dort zwei dicke grüne Punkte zu haben?
Ich bin seit langem wieder mit dem Fahrrad unterwegs gewesen. Im Jahr 2009, als ich neu in Hannover war und viel herumgefahren bin, um Stadt und Umgebung zu erkunden, bin ich in einer Stadtgärtnerei gewesen, wo mich ein freundlicher Gärtner ermunterte, prächtige Tomaten zu pflücken und zu kosten. Weil mir war, als wäre es gestern erst gewesen, beschloss ich hinzufahren, mich in Sachen Beet beraten zu lassen und eventuell eine Pflanze abzustauben. Ich fuhr zu den Herrenhäuser Gärten und weiter durch die Burgstraße, wo ich dachte, einst die Gärtnerei entdeckt zu haben, fand auch einen Eingang, an dem aber „nur für Personal“ stand. Obwohl meine Erinnerung anders war, trat ich durch die Toreinfahrt.
Ein Hof verlängert sich parallel der Straße zum Fahrweg entlang einer Reihe flacher Klinkerbauten. Links eine gut drei Meter hohe Hecke. Einer auf einem kleinen grünen Traktor kommt mir entgegen und schaut mich gleichmütig wackelnd an. Dieses Wackeln hat nichts mit mir zu tun, ist auch seinerseits keine bewusste Lebensäußerung, sondern wird auf seinen Körper vom Traktor übertragen, der wiederum kleinste Unebenheiten des gepflasterten Fahrwegs seismographisch aufzuspüren scheint. Ich dachte: „Kaum verlasse ich bekannte Wege, tut sich ein völlig fremdes Universum auf, worin Männer auf kleinen grünen Traktoren sitzen und wackelnd herumfahren.“
Ein weiterer Hof tut sich auf, dahinter Gewächshäuser. Ins erste trete ich ein. Eine Frau hantiert an einem Metalltisch mit Töpfen und Blumenerde. Sie fragt. „Was kann ich für Sie tun?“
„Ich wollte mich gerne beraten lassen.“
„Worüber denn?“
„In unserer Straße in Linden steht ein Spitzahorn inmitten eines Beets. Das würde ich gern mit Blumen bepflanzen und wüsste gern, welche Sorten sich für diesen Standort im Halbschatten eignen.“
„Dann fragen sie am besten im Freiland. Hier haben wir ja nur … Rapsreifessangai [?]“
Ach, Mist, jetzt muss ich in der Hitze noch weiter suchen. Ein weiterer Hof. In der Hecke ein großes offenes Holztor „nur für Personal.“ Ich bin ja quasi eine vom Traktorfahrer und einer Blumenpflanzerin akzeptierte Person, nur das Suffix „al“ fehlt mir noch. Brütende Hitze und allseits spritzendes Wasser aus mechanischen Wassersprühern. In einem Freilandbeet entdecke ich einen Gärtner, frage höflich, ob ich kurz stören dürfe und sage mein Sprüchlein auf. Er ist augenscheinlich froh um die Abwechslung und gibt bereitwillig Auskunft. Ein schöner Mann, denke ich, obwohl ich nicht auf Männer stehe. Wir sind uns sympathisch.
„Da lief gerade eine Spitzmaus übern Weg!“, unterbreche ich ihn.
„Und nicht nur eine.“
Derweil ich auf einer Bank nahebei Leute sitzen sehe, realisiere ich, dass ich nicht in der Stadtgärtnerei, sondern im Berggarten bin, der, durch die offizielle Pforte betreten, Eintritt kostet. Beim Infostand könnte ich Blumen erstehen, rät mir der Gärtner noch. Ich bedanke mich und gehe. So tiefenentspannt, wie der Gärtner ist, verstehe ich jetzt das Wackeln seines Kollegen. Ein entspannter Körper setzt auch den leisesten Erschütterungen nichts entgegen.
„Willst du ein Leben lang glücklich sein, dann gehe in den Garten.“ (chinesisches Sprichwort)