Burtscheider Kursplitter 9 – Kein Bestseller

Ein glatzköpfiger Mann schildert das ihn amüsierende Verhalten einer Frau und meint: „Wenn sich einer hinsetzt und das alles aufschreibt – das wäre ein Bestseller.“ Das ist dummes Zeug wie das meiste, was hier gesagt wird. Meistens werden in aller Ausführlichkeit Erlebnisse aus Untersuchungen geschildert. Der Oberarzt habe dies und das gesagt. Namentlich dicke Frauen reden fast nur derlei. Eine Dicke schnauft heran. „Ich hatte noch gar nicht mit dir gerechnet“, empfängt sie die andere.
„Ich hatte Hunger“, erklärt die Dicke verlegen lachend. „Gestern Abend hat eine Schwester mir ein Brötchen von sich gegeben.“17:30 Uhr Covid-Test im Testzentrum. Ich fahre im B-Haus hinunter auf die 2. Etage, gehe den langen Gang entlang zur Brücke, versuche unterwegs vergeblich mich zu wiegen, – error – ist hoffentlich kein schlechtes Zeichen, überbrücke den Adlerberg zum Haus A und fahre hinunter zum Testzentrum. Hier erwartet mich eine Überraschung. Ich darf gleich auf dem Delinquentenstuhl Platz nehmen, die Testerin hakt meinen Namen auf ihrer Liste ab, beugt sich zu mir herunter – und dann entfährt es ihr: „Herr van der Ley, Sie haben ja schöne Augen!“ Aus Verlegenheit antworte ich: „Sie auch“, kann aber nicht verhindern, dass sie nun besonders ausgiebig mit ihrem Stäbli in meinem Nasloch rührt, um mir in Ruhe in die Augen sehen zu können. Ich kann versichern, dass ihr Eindruck trügt, denn zuvor hat noch niemand meine Augen gerühmt. Außerdem jongliere ich mit Brillen, eine für den Computerbildschirm, eine für die Fernsicht und zum Lesen.Burtscheider Weinfest in der Fußgängerzone, Stelldichein der Burtscheider Hedonisten in kleingesteppten Jacken. Geweint wird nicht, sondern kräftig gesoffen. Ich trinke mein erstes Glas Grauburgunder seit zwei Wochen. Ringsum stehen und sitzen die Leute dichtgedrängt. Nichts mehr zu spüren von Abstandsregeln und Corona-Angst. Man feiert sich und seinen Wohlstand. Zwei Frauen mir gegenüber prosten sich zu. „Nächste Woche um diese Zeit bin ich schon im Urlaub“, sagt die eine. Urlaub wovon? Vom latte macchiato morgens in der Fußgängerzone oder vom prosecco hier auf dem Weinfest? Meine liebste Therapeutin kam mir heute auf der Treppe zur Turnhalle entgegen, hielt kurz inne und wirkte völlig ermattet. Ich sah ihre müden Augen und fragte: „Sind Sie erschöpft?“, und auf ihr stummes Nicken: „Zum Glück ist bald Wochenende.“ Da wäre Urlaub angebracht.Am Zeitungsständer in der Cafeteria nur Zeitschriften der Yellow Press. Das kennzeichnet das intellektuelle Niveau der Rehabilitanden. Oft ist zu lesen, dass Leute mit geringem Bildungsstand adipös sind, weil sie sich schlecht ernähren. Fettleibige belasten ihre Hüftpfannen besonders und sind vielleicht auch anfälliger für die Einflüsterungen der Orthopäden. Das würde erklären, warum die Patienten keinen Querschnitt der Bevölkerung abbilden, sondern eher dem Bildungsprekariat angehören. Im Halbschlaf beim Mittagsschlaf sah ich vor mir eine Zeitschrift namens „Wie steht’s?“ Auf dem Titelblatt die neueste Babybauch-Sichtung bei den Adels-Familien und innen die Grimmepreis verdächtige Serie: „Der Oberarzt hat gesagt.“

Burtscheider Kursplitter 8 – Verrinnende Zeit

Die menschlichen Erinnerungen türmen sich mit den Jahren zu wahren Hochgebirgen, werden überlagert, verzerrt, überformt oder gehen verschütt. In jeder Nacht ist ein Wanderer unterwegs, nimmt mal abenteuerliche Routen, steigt auf und hinunter, dringt ein in Höhlen, findet Spiegelsäle aus Kristallstufen und schlägt funkelnde Stalaktiten ab, balanciert über schmale Pfade entlang grässlicher Abgründe und manchmal löst sich ein Gesteinsbrocken unter seinem Fuß und trudelt ins Erwachen. Heute Morgen war es der Song: „Fly Like An Eagle“ von der Steve-Miller-Band, genauer hatte ich den Anfangsvers im Kopf: „Time keeps on slippin‘, slippin‘, slippin‘ Into the future …“

Unter der Dusche versuchte ich es mit Singen und war mir sicher, dass ich diesen Song aus dem Jahr 1976 gut 40 Jahre weder gehört noch an ihn gedacht hatte.

Burtscheider Kursplitter 7 – Höhere Wesen befahlen

Eine Frau steht unschlüssig vor der Nachtisch-Vitrine, streift die Maske ab und schneuzt kräftig über der offenen Vitrine in ein Taschentuch. Ich bin froh, meinen Nachtisch schon vorher genommen zu haben, finde ihr Verhalten empörend und bin versucht, etwas zu sagen. Aber was hülfe es? Die Sache ist geschehen. Sie hat ihre Bazillen über der Vitrine verteilt. Warum wohl? Haben höhere Wesen ihr befohlen, zur Nachtischvitrine zu gehen und in ihr Taschentuch zu schnauben? Folgte sie einem atavistischen Impuls, einem uralten Verhalten, das sich noch im übertragenen Sinne in der Redensart findet: „Einem in die Suppe spucken“? War es Fremdsteuerung, Bosheit oder einfach nur Blödheit?Inzwischen habe ich herausgefunden, wo beim Thermalbad einst die Sauna gewesen ist, in der ich um das Jahr 2000 herum des öfteren war, nämlich eine Etage höher. Ich kann mich leider gar nicht mehr daran erinnern, dass die Sauna über eine Wendeltreppe zu erreichen war. Hier bin ich einst ziemlich oft gewesen, denn meine damalige Freundin liebte es, in die Sauna zu gehen, und weil ich sie liebte, ertrug ich die vielen unansehnlichen nackten Körper, die sich in einer Sauna zur Schau stellen. Dass grüne Äpfel einen roten Apfel in ihrer Mitte so recht zum Leuchten bringen, verdankt er dem Komplementärkontrast. Ähnlich strahlte die schlanke ranke Gestalt meiner Freundin inmitten der fettleibigen und krummen Gestalten der anderen Saunagänger.Auch die Erinnerungen an das angrenzende alte Rheumabad der Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz sind nur bruchstückhaft. Dabei bin ich im Jahr 2016 noch darin gewesen. Es wäre aber einen eigenen Eintrag wert. Ein kleine alte Frau, ein bisschen hutzelig, sitzt mit hoch gezogenen Schultern am Tisch und genießt wohlgemut die Mahlzeiten, obwohl sie offenbar gehbehindert ist. Ich habe ja nur den äußeren Anschein, aber sie wirkt auf mich als hätte sie von Kindesbeinen an schon schwer arbeiten müssen, das immerzu, ihr ganzes bisheriges Leben lang. Und jetzt im hohen Alter erlebt sie zum ersten Mal, dass man sich um ihr Wohlergehen kümmert, dass man sie bekocht, sogar bedient, dass Menschen nach ihrem Befinden fragen und sich mühen, damit sie wieder gesund werden kann. Da schlägt sie auch mal über die Stränge, drängt sich am Salatbuffet vor, so dass ich warten muss, macht Platz, als sie sich versorgt hat, und ruft übermütig: „Bitteschön junger Mann!“
Ich sage: „Vielen Dank, auch für den jungen Mann.

Burtscheider Kur-Splitter 6 – Dicke Leute und Gelenke

Ein Mann und eine Frau, beide etwa Ende vierzig, unterhalten sie über Rheuma-Medikamente. Von einem habe er kräftig zugenommen, sagt der Mann. Er weist auf seinen Bauchansatz. Vorher hätten Ärzte ihn gefragt, ob er Leistungssport betreibe. Ich frage mich nicht zum ersten Mal, ob derlei zusätzliche Körpermasse redundant ist, ob einer/eine noch der schlanke Mensch ist, der er/sie einmal war, jetzt nur von zusätzlichen, funktionslosen Kilogramm Fett umhüllt, die parasitär mit herumgeschleppt werden müssen. Wann wird das Fett Bestandteil der Person? Es kann ja einfach weg, wie es bei einer radikalen Abmagerungskur oder operativen Entfernung geschieht.

Derselbe Mann macht auf ein Phänomen aufmerksam: Die Kurgäste wären ja allesamt 50 plus. „Wo sind die jungen Leute? Die brechen sich schließlich auch schon mal ein Bein?“
„Dann machen die keine Reha“, meint die Frau. Beinbruch scheint sowieso selten zu sein. Die meisten, die hier herum humpeln sind adipös und haben ein neues Hüftgelenk oder Knie. Deutschland liegt mit 304 künstlichen Hüftgelenken pro 100,000 Einwohnern weltweit an der Spitze, dicht gefolgt von der Schweiz und Österreich. Das sind in Deutschland erschreckende 257.000 Fälle (man korrigiere mich). Der Spaß kostet etwa 3000 Euro pro Tag ab OP. Was das bei 20 Tagen Reha ausmacht, mögen andere ausrechnen. Ich habe schon immer Angst vor großen Zahlen gehabt. Jedenfalls scheint sich eine gigantische Hüftgelenk-Industrie etabliert haben und in den meisten Fällen ist zu viel Essen der Grund.

Beim Frühstück eilt eine schlanke junge Frau durch den Speisesaal, trägt in der einen abgeräumtes Geschirr, wischt mit der anderen in Windeseile einen Tisch ab, fragt nach Wünschen und trägt Essen heran für jene, die nicht selbst laufen mögen. Trotz ihres erkennbaren Fleißes wirkt sie deplatziert. Man könnte sie für die Vertreterin einer anderen Spezies halten. Mit der weißen Rüschenbluse und dem schwarzen Bolerojäckchen darüber, der engen schwarzen Kunstlederhose und den weißen Sneakers, den großen Ohrringen, den knallroten künstlichen Fingernägeln, den eng zum Dutt gestrafften dunklen Haaren würde sie eher in eine Disco passen.

Wird sie sich in 50 Jahren auch mit einer ordentlichen Fettschicht ummantelt haben? Als Radsportler war ich mal ein schlanker Mann und habe ab dem 50. Lebensjahr pro Jahrzehnt zehn Kilo zugelegt. Ich könnte das auf den täglich geschluckten Blutdrucksenker schieben, aber es fehlte wohl auch Bewegung. Zuviel am Schreibtisch gehockt und geschrieben. Ein Aachener Radsportler hat nach Karriereende vermutlich die gleiche Kalorienmenge zu sich genommen und war bald rund wie eine Kanonenkugel. Von der Fülle bin ich noch weit entfernt, aber trage mit mir, was der eingangs erwähnte Mann in Ansätzen hat. Ich bemühe mich, das loszuwerden. Wäre ich danach noch derselbe Mann, würde stimmen, die These von der redundanten Körpermasse.

Burtscheider Kur-Splitter 5 – Magische Ringe – Die Feuerwehr hält auf – Man kommentiert

In meinem neu gestalteten stylischen Bad gibt es keine Duschwanne mehr. Über ein silbrig blitzendes Gestänge lassen sich zwei feste Duschvorhänge zu einer Kabine zuziehen. Eine Weile rätsele ich, wie die Vorhangringe unter den beiden von der Decke strebenden senkrechten Halterungen durch gleiten können. Es kommt mir vor wie der Zaubertrick, wenn zwei geschlossene Ringe ineinander verhakt werden. Ich weiß nicht, ob der Trick auch so funktioniert, aber durch Abtasten stelle ich fest, dass die Ringe nicht wirklich geschlossen sind, sondern oben eine Aussparung haben. Ich bedauere, dieses Mysterium aufgelöst zu haben. Vorher war schöner.„Die Feuerwehr hat mich aufgehalten“, sagt der Mann, der zu spät zum Abendessen kommt und sich gegenüber einer Frau am Nebentisch niederlässt. Ich kann mir vorstellen, wie das zuging: Derweil die Feuerwehr einen Wohnungsbrand über einem Lokal in der Fußgängerzone löscht, ruft ein Feuerwehrmann hoch: „Sie da mit dem Handy am Fenster, bleiben Sie, bis wir das Feuer gelöscht haben! Filmen Sie alles und stellen Sie es ins Internet, aber achten Sie darauf, dass ich gut zu sehen bin! Ach! Kommen Sie lieber runter und filmen Sie aus der Nähe! Sie können ruhig ein bisschen im Weg rumstehen.“
„Aber ich muss zum Abendessen!“
„Papperlapapp! Erfüllen Sie Ihre Bürgerpflicht! Einverstanden, wenn wir den C-Schlauch nehmen, um die Wohnung zu fluten?“
„Machen Sie nur. Ist ja nicht meine Wohnung.“
Und so kommt der Mann zu spät zum Abendessen. Weiß zu berichten, dass die Feuerwehr die Wohnung gut mit Wasser aufgefüllt hat, so dass er habe warten müssen, ob die Decke unter dem Gewicht einbrechen und das Lokal darunter fluten würde. Das wäre ja leider nicht geschehen, und endlich habe die Feuerwehr ihn gehen lassen.Gleich nach dem Frühstück muss ich zur Wassergymnastik, und weil ich nur mit dem Aufzug nach unten zum Thermalbad fahren muss, ziehe ich die Badehose gleich an, schlüpfe nur in Flip-Flops, klemme mir das Badetuch und trockene Sachen untern Arm und will zum Aufzug. Vor dem Schwesternzimmer hat sich ein ganzes Rudel zur Blutabnahme versammelt.
Eine Frau kommentiert: „Der hat aber nicht viel Halt in den Flip-Flops.“
Eine andere: „Die Maske hat er auch vergessen.“
Oh, Mist! Also zurück aufs Zimmer, Maske holen und in die Sneakers schlüpfen, bin ja nicht beratungsresistent.
Aus der Gruppe tönt es: „Das sieht schon besser aus.“
Ich bin im Rheinland. Im stieseligen Hannover hätte man mich nur stumm angeglotzt.

Burtscheider Kur-Splitter 4

Ich schrecke aus dem Schlaf und stammle:
„Wer, was? Was ist los?“
Die Nachtschwester steht im Zimmer und sagt: „Ich wollte nur sehen, ob alles in Ordnung ist. Gute Nacht!“
„HALT! Was heißt hier ‚gute Nacht‘? Die hatte ich, bevor Sie eingedrungen sind. Ich wurde gerade von vier schönen Frauen in einer Sänfte getragen, als Sie mich aus dem Schlaf, quasi aus der Sänfte gerissen haben. Können Sie das wiedergutmachen?“
„Wo soll ich denn auf die Schnelle vier schöne Frauen finden, die bereit wären, Sie in einer Sänfte zu tragen?“
„Aha, und die Sänfte würden Sie beim Sänften-Bringdienst ausleihen oder was?“

„Sowas gibt’s nicht, gute Nacht!“, sagt sie schlau und macht sich davon.
„Meinen schönsten Traum killen und auch noch schnippisch werden!“ rufe ich hinterher. Da ist die Tür schon ins Schloss gefallen.

Burtscheider Kur-Splitter 3

Es hat ja jede(r) nur das eigene kleine Leben und ist mutterseelenallein in seinem Kosmos. Indem ich zufällig einige Gespräche höre, wird mir klar, dass manche Menschen völlig im Konkreten verhaftet sind. Derlei gilt in der Wissenschaft als typisch für orale Gesellschaften. Abstand vom konkreten Alltagserleben erlaubt nur die Verschriftlichung. Sie ermöglicht die rückwärtige Betrachtung von Ereignissen, deren Reflexion und Abstraktion. Darin liegt ein Wert des Schreibens. Indem Medien wie Film und Fernsehen, Smartphone und Internet Kommunikation ohne Schrift erlauben, ist es möglich, außerhalb von Schule und Beruf, fast schriftlos zu leben und eine naive Weltsicht zu kultivieren.
Am Morgen geträumt, dass ich Walter heiße, und ich war sehr überrascht, wie anders die Welt aus der Perspektive eines Walters aussieht. Walters Welt ist kräftig, eine Welt großer Bauten und großer Ideen. Leider endete der Traum rasch, so dass ich nichts Konkretes aus dem Walter-Kosmos berichten kann. Gäbe aber Stoff für eine Erzählung „Als ich Walter war“ oder „Walters Welt.“ Vorerst etwas über den Vornamen: Der aus dem Althochdeutschen stammende Name bedeutet soviel wie Heerführer, war im Mittelalter bis in die Neuzeit verbreitet, doch wird heute nur selten vergeben, scheint also zu versinken. Spontan fallen mir der mittelalterliche Lyriker Walther von der Vogelweide (1170-1230) ein, der Gründer des Bauhauses Walter Gropius, der Staatsratsvorsitzende der DDR Walter Ulbricht, der deutsche FDP-Politiker und Bundespräsident a. D. Walter Scheel sowie der US-amerikanische Trickfilmzeichner und Filmproduzent Walt Disney, aktuell noch der belgische Radsportler Wout van Aert. Wout ist die friesische Variante.
Der Empfangsbereich des Kurklinik ist neu gestaltet worden und die Cafeteria gleich mit. Die Verkaufstheke war zuvor einer rückwärtigen kleinen Küche vorgelagert. Jetzt ist die Theke zentral in den Raum verlegt. Die Frau hinter der Theke ist mir seit dem ersten Aufenthalt im Jahr 2016 vertraut.
„Sie haben ja einen ganz neuen, stylischen Kommandostand“, sage ich, „ist das besser so?“
„Nein, die Spülmaschine steht noch hinten, und ich muss immer hin- und herlaufen. Wer das geplant hat, arbeitet hier nicht.“
„Mit anderen Worten: Sie sind nicht gefragt worden.“
„Nein!“, lacht sie, und ich verstehe, dass sie die Vorstellung, man hätte sie gefragt, lachhaft findet.
Warum eigentlich? Kann man von Planern und Innenarchitekten nicht erwarten, dass sie Arbeitsabläufe berücksichtigen? Wer 100 Jahre nach Bauhaus noch bei der Gestaltung grundlegende funktionale Aspekte ignoriert, sollte besser Zuckerbäcker werden. Walter Gropius hätte mit dem Knüppel reingeschlagen.

Burtscheider Kur-Splitter 2

Eine Frau mittleren Alters spricht Hochdeutsch mit ungebremstem rheinischen Singsang, was immer ein wenig debil klingt. Sie erzählt von ihrem Namenstag. Der sei schon vor einiger Zeit verschoben worden. Ich lese hier, dass die katholische Kirche die Liste der Seligen und Heiligen im Jahr 2004 aktualisiert hat. Da musste mancher Heiliger, manche Heilige dran glauben, weil er oder sie „geschichtlich nicht mehr fassbar“ war. Wer nach ihr oder ihm benannt war, dem wurde nun ein neuer Namenstag zugeteilt. Die Frau wirkt in ihrer Namenstag-Naivität, als wäre sie aus der Zeit gefallen. So lebt es sich wohl auf den alten Dörfern rund ums tiefschwarze Aachen.

Wörter, die mir heute begegnet sind:
A
B = Bounce Lettering (engl.), Kalligraphie mit springenden Buchstaben
C
D
E
F
G
H = Hubbel (landschaftl.), Substantiv, der; kleine Unebenheit
I
J
K = knötteren (mundrtl.), Verb; meckern, Es gibt nichts zu knötteren. Opa war wieder am Knötteren.
L
M
N
O
P
Q
R
S
T
U
V
W = Wegwarte, Substantiv, die; krautiges Gewächs von 30 bis 140 cm, wächst in Europa an Wegrändern.
X
Y
Z
Bei der Wassergymnastik ist mir die elektronische Türöffnerkarte aus der Badehose gerutscht, was ich erst bemerkte, als alle das Becken verlassen hatten. Wer mich danach beim Tauchen beobachtete, har sicher gedacht: „Das ist ein ganz Eifriger.“ Er ist aber ein Wahrheit ein ganz Schussliger, weil er die Karte mit ins Wasser genommen hat und schon wusste, dass sie ihm aus der Tasche rutschen würde.

Burtscheider Kur-Splitter 1

Ein Mann und eine Frau in der Wartezone der Physiotherapie unterhalten sich über die Wirkung von Kaffee und ihren Kaffeekonsum. Wasser zum Kaffee, um die Entwässerung auszugleichen, davon sei man inzwischen abgekommen, meint die Frau. Wenn man viel Kaffee trinke wie sie selbst und der Körper daran gewöhnt sei, entwässere Kaffee nicht. Aber wenn man ganz lange keinen Kaffee mehr getrunken habe, dann wirke schon eine Tasse entwässernd.
„Ja“, sagt der Mann. „Ich habe noch nie so wenig Kaffee getrunken wie hier. Normalerweise brauche ich schon eine Tasse Kaffee, um das linke Auge aufzumachen, und eine Tasse Kaffee für das rechte.“
Ein Physiotherapeut sieht mich in der Runde bei der Wirbelsäulengymnastik und ruft: „Sie waren doch im letzten Jahr schon hier!“
„Ja, nach einem Beinbruch.“
Er erinnert sich: „Inda-Gymnasium. Und Sie waren der Direktor.“
„Keinesfalls“, wehre ich ab, „einfacher Lehrer.“
Wieder ein schönes Beispiel, wie sich Erinnerung zum Mythos verformt. Bei unserem Erstkontakt im August 2021 hatte ich gesagt, ich sie am Aachener Inda-Gymnasium Lehrer gewesen. Da hatte er sich vage an einen Abiturientenscherz aus den 1990-er Jahren erinnert, dass nämlich die Abiturienten die Schule rosa angestrichen hätten, in Anspielung auf die nicht eingestandene, aber offenbare Homosexualität des Direktors.
„Nein, nur den Parkplatz“, hatte ich korrigiert.
Kurios, dass ich in seiner Erinnerung jetzt der Mann mit dem rosafarbenen Parkplatz war.
Der mich aufnehmende Arzt, ein mir sympathischer Niederländer, ist zeitweise in der orthopädischen Chirurgie des Marienhospitals gewesen. Als ich ihm schilderte, dass ich dort ein zweites Mal operiert worden war, weil sich ein Verriegelungsbolzen aus dem Nagel in meinem Schienbein herausgedreht hatte, erinnerte er sich an den Fall und sagte, er habe mich im August 2021 operiert, die drei Bolzen entfernt und unterm Knie einen anderen hineingedreht. Das war gut so, denn durch die neue Statik war der Heilungsprozess in Gang gekommen. Heute kann ich etwa 10 Kilometer flott gehen und brauche keine Gehhilfe mehr. Ich bin nur erneut in der Reha, um meine Gangsicherheit zu erhöhen und verlorene Kraft wieder aufzubauen.