Komisch, beim Aussterben erwischt es zuerst die Starken. Ich weiß nicht, ob es in der Biologie ähnlich ist, aber in der Sprache trifft es zu. Wir kennen im Deutschen die Klasse der „starken Verben.“ Starke Verben haben die Besonderheit, dass sie bei der Konjugation (Beugung) ihren Stammvokal verändern, Beispiel: „singen, sang, gesungen”,rinnen, rann, geronnen ” oder „helfen, half, geholfen.” Im Konjunktiv II nehmen sie überdies befremdlich klingende Formen an, die in den Ohren der meisten Deutschsprecher falsch oder zumindest veraltet klingen. Wer solche Klänge vermeiden will, behilft sich mit der Ersatzform „würde + Infinitiv“, sagt also nicht: „Ich sänge ja mit, wenn ich den Text könnte.“ sondern „Ich würde mitsingen, …“ – eigentlich schade, denn auch eine lebendige Sprache braucht Vielfalt. Vor einigen Jahren habe ich einen kurzen Text geschrieben, in dem starke Verben im Konjunktiv II vorkommen. Zur Förderung der grammatischen Biodiversität erscheint er im Teestübchen in typografisch gestalteter und animierter Form. Gute Unterhaltung.
Monat: September 2016
Ich Tarzan – du böse! Über Verstand und Denkfaulheit
An der Fußgängerampel rennt ein junger Mann bei Rot los. Einer im Firmen-T-Shirt eines Anstreicherbetriebs rennt hinterher, besinnt sich aber, als plötzlich die Autos aus zwei Richtungen auf ihn zu brausen. „Upps, beinah ein Anstreicher weniger“, dachte ich, hatte aber etwas anderes zu denken. An der Supermarktkasse stehend, hatte ich den Aufmacher des hannöverschen Magazins „Stadtkind“ gelesen: Über das allmähliche Verkümmern des gesunden Menschenverstands. Was mochte das bedeuten? Was ist „gesunder Menschenverstand“ überhaupt? Wie und warum kann er verkümmern? Ist’s eventuell eine Zeiterscheinung? Vielleicht hilft es, den Begriff philosophisch zu fassen. Für Kant besteht „gesunder Menschenverstand“ aus den Elementen:
1. „Selbstdenken“, 2. „An der Stelle jedes andern denken“,3. „Jederzeit mit sich selbst einstimmig denken“ (in: Kritik der Urteilskraft), angewandt auf das Ampelbeispiel:
1. Selbstdenken – würde den Anstreichers daran hindern loszulaufen, weil jemand es vormacht.
2. An der Stelle jedes anderen denken – bei Rot die Straße zu überqueren, bringt andere in Gefahr, indem es einen Nachahmungsreflex auslöst. Wer an der Stelle jedes anderen denkt, wartet auf Grün.
3. Jederzeit mit sich einstimmig denken – Angenommen, er würde durch Loslaufen bei Rot einen Verkehrsunfall auslösen. Dann könnte er sein eigenes Verhalten rückblickend nicht mehr gut heißen, würde mit sich nicht übereinstimmen.
Warum der gesunde Menschenverstand im Begriff sei, allmählich zu verkümmern, wäre damit aber nicht zu klären. Letztlich habe ich mir die Zeitschrift gekauft, weil ich sehen wollte, wie der Autor der These argumentiert hat. Der Artikel ist eingeordnet als „Polemik“. Nach wenigen Sätzen war mir klar, dass der Autor sich keine Gedanken gemacht hatte über den Begriff „gesunder Menschenverstand“. Er hatte nassforsch die eigene gemäßigt linke Position mit dem gesunden Menschenverstand gleichgesetzt, ganz naiv im Sinne der Denkschablone: „Ich Tarzan, du böse“ und polemisierte gegen eine Einstellung, wie man sie bei AfD-Wählern vorfindet. Die Wahlerfolge der AfD sind ihm ein Indikator für das Schwinden des gesunden Menschenverstands. (In diesem Sinne wäre natürlich die Rolle unserer Medien zu problematisieren. Indem sie jeden Schwachsinn verbreiten, den AfD-Politiker von sich geben, werten sie ihn auf und machen ihn zum Gegenstand der öffentlichen Diskussion, was hier nicht geschehen soll.) Doch eine politische Werthaltung mit gesundem Menschenverstand gleichzusetzen, wie der Autor es tut, ist problematisch. Sie erlaubt, allen Andersdenkenden einen kranken Verstand zu attestieren. Im Extremfall werden Abweichler einer Doktrin für geisteskrank erklärt. Derlei ist in der Sowjetunion geschehen, wo Dissidenten in Irrenheilanstalten gesperrt und „behandelt“ wurden.
Lohnt es trotzdem, über die These von der Verkümmerung des gesunden Menschenverstands nachzudenken? Wenn ich Kant richtig verstehe, sind seine Kriterien unabhängig von einem komplexen Wertesystem gemeint. Gemeint ist vernünftiges Verhalten, vernünftig für den einzelnen, aber auch vernünftig für das Sozialwesen. Möglicherweise steht dem eine wachsende, um sich greifende Denkfaulheit entgegen. Denken wird ersetzt durch Gefühl, womit wir beim Nazi-Begriff vom „gesunden Volksempfinden“ sind. Empfinden ist Fühlen, Denken ist nicht erforderlich. Wer das bloße Empfinden als Basis seines Urteils nimmt, nutzt seinen Verstand gar nicht. Mit ihm lohnt es auch nicht zu diskutieren, weil er über die Dinge urteilt, wie sie sich für ihn anfühlen. Wenn Politiker und unsere Leitmedien sich zunehmend auf Stimmungsmache verlegen und Politik personalisieren und emotionalisieren, bedienen sie genau diese Denkfaulheit (Vergleiche „Die Rolle der Fernsehduelle in den USA – Stärke zeigen – und keinesfalls schwitzen!“ auf Tagesschau.de vom Tage.) Denkfaule sind leicht irrezuleiten. Indem Denkfaule Wahlen beeinflussen, ist Denkfaulheit durchaus gefährlich für ein Sozialwesen, gefährlich auch für den Betroffenen. Wer nicht selbstständig denkt, wird geistig träge und verblödet am Ende, womit ich jetzt nichts gegen Anstreicher gesagt haben will, die bei Rot über die Straße laufen.
Plausch mit Frau Nettesheim – Instrumentelles Husten
Trithemius – Sie sollten nicht denken, ich wäre untätig, wenn ich nichts Neues veröffentliche, Frau Nettesheim. Manchmal sitze ich stundenlang an einer Gif-Animation oder an einem Text, lade sie sogar hoch ins Blog, um sie am Ende als nicht gut genug zu verwerfen.
Frau Nettesheim – „Nicht gut genug“ für wen?
Trithemius – Für mich. Wenn ich mich nicht selbst an einer Veröffentlichung erfreuen kann, wie kann ich erwarten, dass es andere tun.
Frau Nettesheim – Was missfällt Ihnen?
Trithemius – Ach, hohe Frau, Schreiben und Gestalten geht viel zu leicht. Einst hat man die Tinte selbst anreiben und sich Gänsefedern zurechtschneiden müssen. Und? Konnte man dann loslegen? Nein, da fehlte noch der Beschreibstoff. Zur Not schnitt man sich eben die Ränder aus Büchern aus, um drauf schreiben zu können. Wenn ich keinen Beschreibstoff hätte und ich müsste in öffentlichen Bibliotheken heimlich leere Seiten aus Büchern reißen, dann wüsste ich das Schreiben wieder zu würdigen.
Frau Nettesheim – Wieso reißen Sie die Seiten nicht aus eigenen Büchern? Das wäre weniger kriminell. Stehen doch genug im Regal?
Trithemius – Aber das wäre ja keine Schwierigkeit. Es muss schwierig sein, damit es etwas wert ist. Man wählt ein Buch, schlägt den Schmutztitel auf, schaut sich um, ob keiner in der Nähe ist, hustet und reißt gleichzeitig. Instrumentelles Husten, Sie verstehen, hihi!
Frau Nettesheim – Ich glaube nicht, dass Sie das fertigbringen. Dazu sind Sie doch viel zu brav, Trithemius.
Trithemius – Jetzt bremsen Sie mich nicht aus, Frau Nettesheim. Sonst gibt es bald keine Texte mehr. Übrigens war ich kürzlich nach Jahren wieder mal in einer Bibliothek. Ein Freund, mit dem ich am Lindener Markt essen war, wollte in der Stadtteilbibliothek im Lindener Rathaus ein bestelltes Buch abholen. Also begleitete ich ihn. Im Eingangsbereich saßen drei Damen. Ich dachte, sie wären für die Verbuchung der Ausleihe zuständig. Aber das wars gar nicht. Verbuchung und Rückgabe sind automatisiert. Wie der Freund mir demonstrierte, erledigt der Kunde alles selbst. Im Prinzip bräuchte man keine Bibliotheksangestellten mehr. Vermutlich werden die nur weiter beschäftigt, damit einer wie ich sich nicht traut, Schmutztitel aus Büchern zu reißen.
Frau Nettesheim – Sehen Sie sich vor! Für Typen wie Sie hat man gewiss Überwachungskameras.
Herbst kommt nach Fahrplan
Ein Film aus der Reihe: Volontär Schmocks Videomagazin
SF-Kurzgeschichte – Auf ewig ohne Halt
Er könne darin keine Diskriminierung irdischer Lebewesen aus der westlichen Hemisphäre erkennen, sagte der für die Beschwerde zuständige Beamte der Unteren Galaktischen Verkehrsbehörde. Sein Name wurde von den gängigen Übersetzungsprogrammen als Hono Kono transkribiert, was sie fälschlich übersetzten mit „Sardonisches Grinsen.“ Wenn keine Notwendigkeit bestünde, das absolute Halteverbot auszuweisen, wäre es nicht am Rande des solaren Planetensystems platziert worden.
Botschafter Brockhaus hob zweifelnd die rechte Braue und senkte die linke, und hoffte, man würde daraus auf seinen Unmut schließen. Aus der Tatsache, dass das Schild platziert wurde, erschließe sich nicht der Sinn der Maßnahme, wandte er ein. Seine Regierung betrachte ein absolutes Halteverbot just dort als reine Willkür. Schließlich gäbe es keinerlei Belege dafür, dass in der Randzone des solaren Planetensystems überhaupt jemand von der Erde halten wollen würde.
Das Schild sei nun mal da, entgegnete Hono Kono. Seine Sinnhaftigkeit infrage zu stellen, wäre gleichbedeutend mit einem Zweifel am Galaktischen Betriebssystem überhaupt und würde ihn zutiefst kränken.
Auf der Erde habe man schon von Schweren Ausnahmefehlern im Galaktischen Betriebssystem gehört. Vertrauenswürdige Gewährsleute hätten davon berichtet. Sogleich bereute Botschafter Brockhaus, dass er sich zu dieser Bemerkung hatte hinreißen lassen. Wie vertrauenswürdig der Blogger Trithemius wirklich war, wusste er nicht. Aber das absolute Halteverbot war ein Ärgernis. Ein Stachel im Fleisch der Menschheit. Es verhöhnte alle Anstrengungen zur Entwicklung der Raumfahrt.
Hono Kono räusperte sich. Niemand habe behauptet, dass irdische Raumfahrer am Rand des solaren Systems anhalten wollten. Aber irgendwo weiter draußen würden sie doch halten wollen, beispielsweise um ferne Welten zu erkunden. Darum gehe es. Die Galaktische Gemeinschaft intelligenter Wesen lege von hier bis unendlich keinen Wert darauf, von irdischen Bewohnern erkundet zu werden. „Durchreisen ja, aber niemals anhalten. Beachten Sie den Pfeil!
Dicke Leute, kurze Beine und bildhafte Konnotationen
Lang ist’s her, da ging über den Aachener Markt eine Fünfergruppe. Ein sehr dicker Mann führt sie an. Er deutet auf den Karlsbrunnen, seine schwergewichtige Frau, seine beiden adipösen Töchter und der beleibte Schwiegersohn gucken folgsam hin, und der dicke Mann sagt:
„Die Schüssel da – sechs Tonnen!”
Donnerwetter, das hatte ich nicht gedacht. Ich hätte beim Betrachten des Karlsbrunnens überhaupt niemals an Tonnen gedacht. Wenn man aber selbst wie eine Tonne durchs Leben geht, muss man an Gewicht denken. Immerhin war seine Frau fast so dick wie er. Da musste ich wieder an die Behauptung eines Freundes denken, Frauen seien geborene Fraternisierer, was aber gar nicht zum Thema gehört.
In der Vorzeit, als es noch Schallplatten gab, habe ich für die Band eines Freundes mal ein Plattencover gezeichnet. Im Hintergrund ist eine Frau auf einem Balkon zu sehen (größer: klicken). Ein Kollege schaute sich das Cover an und fragte: „Steht die Frau auf einem Stuhl?“
„Nö“, sagte ich, „da ist gar nix, die Frau ist ja nur gezeichnet.“
Trotzdem habe ich mich zuerst ein bisschen geärgert, dass er die Frau kritisierte. Dann dachte ich, dass er Recht hatte. Der Kollege hatte nämlich ziemlich kurze Beine und hatte sich zum Maßstab genommen. Bei Plastiken oder Bildern geht es nämlich wie bei Wörtern: Sie haben eine lexikalische Bedeutung und individuelle Gefühlswerte.
Humorkritik – Schlafmanntaste schmerzlich vermisst
Das Privatfernsehen verschmähe ich aus Gründen der Psychohygiene und glaube mich deshalb geschützt. Die Gefahr, dass mir Jauche oder Gekröse in die Stube schwappt, ist gering. Doch letztens habe ich mir eine Kabarettsendung auf SWR III angesehen mit Florian Schröder, der mal ein guter Kabarettist hätte werden können, wenn er nicht auf die Masche gekommen wäre, sich über Leute zu erregen und komplizierte Wortkaskaden auf seine Zuhörer niedergehen zu lassen, an denen er gewiss feilen und für die vorzutragen er lange üben musste. Derlei artistische Passagen finde ich so spannend wie Jonglieren oder Autoverfolgungsjagden. Ich schlafe ein … Weiterlesen
Einmal drum herum und wieder nach Hause
Die schönsten Ausflüge beginnen nicht als Ausflug. Ich fahre los, um nahe beim Landtag ein absurdes Wahlplakat der FDP zu fotografieren, über das ich schreiben will. Es war aber schon abgebaut. Man soll sowieso nicht auf jemanden eintreten, der schon am Boden liegt, tröstete ich mich und lenke mein Rad hinunter zum Weg, der stromaufwärts an der Leine entlang führt. Das Wort „stromaufwärts“ täuscht, denn die Leine strömt hier nicht. Weiter südlich wird ein Großteil ihres Wassers über den Schnellen Graben in den Bach Ihme abgeleitet, wodurch die Ihme schlagartig zum Fluss wird. Was der Leine noch an Wasser bleibt, lässt sie zahm und träge erscheinen. Heute scheint sie sich kaum bewegen zu wollen, als hätte die Hitze des frühen Nachmittags sie gelähmt. Zwischen Büschen und Bäumen blinkt schwarz ihre kaum bewegte Wasseroberfläche. Einige Blätter schwimmen obenauf, liegen beinahe unbewegt. Da beginnen sie zu schaukeln. Ein Paddler pflügt mit seinem Kanu den Wasserspiegel. Ich beneide ihn nicht. Mich kühlt wenigstens der Fahrtwind. Ich fahre rasch, genieße das Knirschen und Britzeln, das Wegspringen der Steinchen des harten Wegs unter den prall aufgepumpten Reifen meines Fahrrads. Wo die Leine scharf nach rechts abknickt, teilt sich der Weg. Nach links geht es über eine Brücke, dann auf einen asphaltierten Fahrradweg Richtung Maschsee. Im Café an der Ecke brennt bereits eine Kette mit Glühbirnen. Es liegt komplett im Schatten der Bäume, die das Ufer der Leine säumen. Die tiefstehende Sonne ist greller zu dieser Jahreszeit, die Schatten sind schwärzer, fast zu schwarz für meine Sonnenbrille. Beim raschen Wechsel von Licht und Schatten, fahre ich öfters wie blind, einfach auf Verdacht und im Vertrauen auf glückliche Umstände. Schon blinkt silbrig vor mir der prächtige Maschsee.
„Das Museum thront, beherbergt“, man verzeihe mir die Phrasen. Das ist Schreiben ohne Denken. Aber ich bin so herrlich denkfaul, während ich durch die Allee am See entlang rolle. Alle Bänke stehen noch in der prallen Sonne. Weiter südlich finde ich eine freie Bank im Schatten. Ich blättere in einem Büchlein und muss leise lachen über eine fiktive Goethe-Anekdote von Eckhard Henscheid:
Hilfe! Mein roter Buntstift schreibt grün in blau
Neues vom digitalen Poeten – Variationen mancher Frau
„Hier kommt manche Frau zum Stehen“ ist eine absurde Phrase, die das You-Tube-Tool „Transkript“ aus einer Aussage in meinem Lehrvideo „Thomas Haendly bügelt mein Hemd“ erzeugt hat. Die weiter unten zu sehenden Beispiele illustrieren die Phrase. Wenn inhaltliche Aussage und bildhafte Darstellung sich ergänzen, liegt eine sogenannte Mehrfachkodierung vor. Ideal ist die Mehrfachkodierung, wenn ein geschriebener Text gleichzeitig vorgelesen wird oder umgekehrt wie bei untertitelten TV-Sendungen. Ideal wäre die Mehrfachkodierung auch, wenn das You-Tube-Tool „Transkript“ textgetreu arbeiten würde.
In den animierten Beispielen weiter unten wird die Textaussage durch eine typografisch-bildhafte Darstellung unterstützt. Eine solcherart ergänzende Mehrfachkodierung ist nicht ideal, weil Typografie kein eigenständiges Zeichensystem ist. Typografie tritt immer nur begleitend auf und konkurriert nicht mit dem Text. Gute Typografie muss nicht animiert sein wie im Beispiel. Mehr über typografische Mehrfachkodierung lies hier „Der böse Sudent- Über die Bebilderung der Schrift“ – theoretisch vertiefend „Konnotationen² – über die Bildwerte unserer Schrift“.