Herr Leisetöne weiß mal wieder Bescheid. Als die Kellnerin unsere Bestellung aufnimmt, sagt er mir:
„Du kannst auch Kölsch bestellen.“
„Hier gibt es neuerdings Kölsch? Dann ändere ich meine Bestellung von vorhin.“
Ob wir dann gleich einen „Elferkranz“ nehmen wollen, fragt sie.
„Lieber nicht. Ich trinke nur zwei Kölsch, und was die anderen gleich trinken wollen, weiß ich nicht.“ Mäßig Alkohol, war mein Vorsatz für den Abend gewesen, denn seit Januar bin ich quasi alkoholfrei, und man will seine Leber ja nicht gleich schocken.
„Dann nehme ich auch zwei“, sagt Herr Leisetöne, weil die kleinen Gläser so rasch leer seien. Also bringt sie uns je zwei Kölschstangen, alle ohne Schaum gezapft. Beim nächsten Mal bestelle ich ausdrücklich: „Aber mit Schaum.“
„Ich dachte, Kölsch wird ohne Schaum getrunken“, sagt sie.
„Ganz und gar nicht. Ich komme aus Köln, daher weiß ich das.“
Oje, Hannover ist wirklich die Kölsch-Diaspora. Als ich vor Jahren herzog, war Kölsch nur an exotischen Orten zu bekommen. Dann überredete Herr Leisetöne den türkischen Kioskbetreiber seines Viertels, Kölsch zu führen. Bei diesem echten Freundschaftsdienst musste er einiges an Überzeugungsarbeit leisten, musste dem freundlichen Mann zuerst erklären, dass Kölsch eine Biersorte ist. Der sagte: „Ich bin jahrelang Fernfahrer gewesen und überall in Deutschland rumgekommen, aber von ‚Kölsch‘ habe ich nirgendwo gehört.“
Ich bin dann eine Weile abends zu diesem Kiosk in Linden Nord gebummelt, um etwas flüssige Heimat zu kaufen, einmal abends spät. Es tröpfelte leicht. Ich hatte einen Schirm bei mir. Im Kioskladen war noch ein Kunde, ein schöner, unglaublich smarter Typ. Der kaufte sein Abendessen ein, lauter exotische Sachen, die ich nicht mal kennen möchte. Als ich mein Bier hatte, stand er wartend unter der Markise vor der Tür, denn es ging ein Wolkenbruch runter, kein schwerer Landregen, sondern so einer, bei dem der Regen auf dem Asphalt dicke Blasen schlägt und die Gullydeckel hochkommen. Der Regen spritzte sogar unter die Markise. Der Mann fröstelte in seinem Kaschmirpullover und sprach wie zu sich hinaus in den Regen: „Ich habe meinen Schirm im Auto, und das steht weiter weg geparkt als bis zu meiner Wohnungstür.“
„Der Schirm würde Ihnen jetzt auch nicht helfen.“
Er guckte mich an und erwiderte: „SIE haben wenigstens einen Schirm!“, und sagte das in einem derart vorwurfsvollen Ton, dass ich versuchte war, mich zu entschuldigen, dass mein Schirm diesen unbändigen Neid in ihm entfacht hatte, dieses bittere Gefühl, wie ungerecht es zugehe in der Welt. Schon stürzte auch ich in tiefen Kummer, trotz oder wegen des Schirms. Wahrscheinlich habe ich auf dem Nachhauseweg das mitleidige Weinen nicht unterdrücken können, aber genau weiß ich das nicht mehr, weil es ja sowieso Rotz und Wasser geregnet hat.
Später, als Herr Putzig und zwei weitere Freunde im Leinau 3 eingetroffen waren, bestellen wir doch noch einen Elferkranz, und schon wieder wird einer nass. Herr Putzig ist aus der Reihe getanzt und hat ein großes Pils bestellt. Das aber rutscht dem jungen Kellner, einem unerfahrenen Praktikanten, vom Tablett. Das meiste ergießt sich über Herrn Putzigs Jacke, die hinter ihm über der Stuhllehne hängt. Die junge Wirtin tritt hinzu und bietet an, Herrn Putzig die Reinigung zu bezahlen. Er aber lehnt dankend ab. Er werde die Jacke in die Waschmaschine stecken, und was die Wäsche koste, lasse sich ja kaum beziffern. Das gefällt der Wirtin so gut, dass sie erneut eine Runde Kölsch bringen lässt, sogar mit Schaum. Später verabschiedet sie jeden von uns mit Handschlag, und zu mir sagt sie: “Tschüs, mein Freund“ – wegen der gastro-ethnologischen Nachhilfe in Sachen Schaum vermutlich.