Burtscheider Kursplitter 7 – Höhere Wesen befahlen

Eine Frau steht unschlüssig vor der Nachtisch-Vitrine, streift die Maske ab und schneuzt kräftig über der offenen Vitrine in ein Taschentuch. Ich bin froh, meinen Nachtisch schon vorher genommen zu haben, finde ihr Verhalten empörend und bin versucht, etwas zu sagen. Aber was hülfe es? Die Sache ist geschehen. Sie hat ihre Bazillen über der Vitrine verteilt. Warum wohl? Haben höhere Wesen ihr befohlen, zur Nachtischvitrine zu gehen und in ihr Taschentuch zu schnauben? Folgte sie einem atavistischen Impuls, einem uralten Verhalten, das sich noch im übertragenen Sinne in der Redensart findet: „Einem in die Suppe spucken“? War es Fremdsteuerung, Bosheit oder einfach nur Blödheit?Inzwischen habe ich herausgefunden, wo beim Thermalbad einst die Sauna gewesen ist, in der ich um das Jahr 2000 herum des öfteren war, nämlich eine Etage höher. Ich kann mich leider gar nicht mehr daran erinnern, dass die Sauna über eine Wendeltreppe zu erreichen war. Hier bin ich einst ziemlich oft gewesen, denn meine damalige Freundin liebte es, in die Sauna zu gehen, und weil ich sie liebte, ertrug ich die vielen unansehnlichen nackten Körper, die sich in einer Sauna zur Schau stellen. Dass grüne Äpfel einen roten Apfel in ihrer Mitte so recht zum Leuchten bringen, verdankt er dem Komplementärkontrast. Ähnlich strahlte die schlanke ranke Gestalt meiner Freundin inmitten der fettleibigen und krummen Gestalten der anderen Saunagänger.Auch die Erinnerungen an das angrenzende alte Rheumabad der Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz sind nur bruchstückhaft. Dabei bin ich im Jahr 2016 noch darin gewesen. Es wäre aber einen eigenen Eintrag wert. Ein kleine alte Frau, ein bisschen hutzelig, sitzt mit hoch gezogenen Schultern am Tisch und genießt wohlgemut die Mahlzeiten, obwohl sie offenbar gehbehindert ist. Ich habe ja nur den äußeren Anschein, aber sie wirkt auf mich als hätte sie von Kindesbeinen an schon schwer arbeiten müssen, das immerzu, ihr ganzes bisheriges Leben lang. Und jetzt im hohen Alter erlebt sie zum ersten Mal, dass man sich um ihr Wohlergehen kümmert, dass man sie bekocht, sogar bedient, dass Menschen nach ihrem Befinden fragen und sich mühen, damit sie wieder gesund werden kann. Da schlägt sie auch mal über die Stränge, drängt sich am Salatbuffet vor, so dass ich warten muss, macht Platz, als sie sich versorgt hat, und ruft übermütig: „Bitteschön junger Mann!“
Ich sage: „Vielen Dank, auch für den jungen Mann.