Die 50 Häuser des Leonardo Fibonacci

Was der Mensch als schön empfindet, entzieht sich gemeinhin der Beschreibung. Da verschiedene Menschen unterschiedliche Dinge als schön empfinden, scheint Schönheitsempfinden völlig subjektiv zu sein. Darum hat mich als junger Mensch fasziniert, dass schon im antiken Griechenland ein mathematisches Verfahren zur Bestimmung von Schönheit, genauer der schönen Proportion gefunden wurde: Der Goldene Schnitt. Proportionen nach dem Goldenen Schnitt finden sich seither in der Architektur, in der Malerei, ja, sogar in der Natur ist der Goldene Schnitt auffindbar.

Die Formel minor zu major wie major zum Ganzen beschreibt den Goldenen Schnitt. Das bedeutet, wenn es eine Strecke aufzuteilen gilt, verhält sich das kleinere zum größeren Stück wie das größer zum Ganzen, also der Summe beider Abschnitte, in ganzen Zahlen ausgedrückt:
3:5 wie 5:8 wie 8:13 wie 13:21.
Den Goldenen Schnitt lernte ich während meiner Schriftsetzerlehre kennen. Im Kunststudium begegnete mir die Fibonacci-Folge, eine Zahlenreihe, der man auf Anhieb ansieht, dass sie dem Goldenen Schnitt entspricht. Die Fibonacci-Zahlen sind nach dem Mathematiker Leonardo Fibonacci (1170 – 1240) benannt.

Fibonacci hat die unendliche Zahlenreihe 3, 5, 8, 13, 21, 34 usw. an der Vermehrungsrate von Kaninchen festgestellt. Dass sich wildlebende Kaninchen nach dem Goldenen Schnitt fortpflanzen, ist nur ein Grund, warum die Fibonacci-Folge mich fasziniert. Sonst wirkt die rasch anwachsende Menge von Kaninchen eher bedrohlich, weshalb die Fibonnacifolge im unten stehenden Auszug aus den Papieren des PentAgrion dekonstruiert wird.

Ihr Gesicht verdunkelte den Himmel.
„Darüber weiß ich nicht das Geringste“, sagte ich und hoffte, sie würde bald weggehen.
„Wovon wissen Sie nicht das Geringste?“, fragte die Frau.
„Weshalb der Überschuss von Kaninchen in Brand gesteckt wurde.“
„Welche Kaninchen?“
„Das weiß ich nicht. Stijn van de Voorde hat zu schnell gesprochen. Hab nur die Hälfte verstanden.“
Sie legte ihre Hand beruhigend auf meine Stirn und beschattete ein wenig meine Augen. „Machen Sie sich keine Gedanken“, sagte sie nah bei meinem Ohr. „Sie haben den Mann gewiss falsch verstanden. Nicht ein Kaninchen ist abgebrannt worden.“
„Doch! Er hat gesagt, sie gälten in Deutschland als Plagdiere, und deshalb würden sie abgefackelt.“ Da habe ich gleich gedacht, warum das denn? Wie viele Kaninchen umfasst der Überschuss? Ab wann werden Kaninchen zu Plagdieren, so dass man von einem Überschuss reden kann? Reichen 34? Vielleicht sogar schon 21 oder 13? Wenn man Kaninchen im Stall hält, wären vermutlich acht schon eine Überbelegung und würden eine drangvolle Enge verursachen. In einer Dreizimmerwohnung würde der Vermieter bereits fünf Kaninchen einen Überschuss nennen und unverzüglich ihre Verbrennung fordern. Und ist die Wohnung klein, wären drei, sogar zwei Kaninchen eine Last und müssten abgebrannt werden. Tatsächlich könnte ein einziges Kaninchen stören, wenn es ständig im Weg rumhoppelt. Demgemäß ist jedes einzelne Kaninchen ein überschüssiges Plagdier und muss ohne Mitleid angezündet werden. Selbst das, auf dem ich gerade liege.
„So beruhigen Sie sich doch!“ raunte die Frau. „Nicht ein Kaninchen wird verbrannt. Und außerdem liegen Sie nicht auf einem Kaninchen. Das ist mein roter Mantel, aus Kaschmir.“ Sie richtete sich auf und schaute gegen den blauen Himmel. „Hören Sie doch das Tatütata! Da kommt schon der Krankenwagen den Lousberg hinauf. Sie werden gleich hier sein und Ihnen helfen.“
„Die sollen sich beeilen“, sagte sich. „Ich habe eine Wollallergie und spüre schon, dass mein Kopf zerspringen will.“
„Das liegt nicht an der Kaschmirwolle. Sie sind gegen den Obelisken gestoßen.“
„Nein!“, sagte ich und fuhr hoch. Über mir der gewaltige Obelisk. O Gott, wie ragte er hinauf. Irgendwo da oben, wo seine fluchtenden Kanten sich zu vereinen schienen, durchstieß er die Himmelbläue und verschwand in den Schwärzen des Weltalls. Dieser Obelisk war mir so fern entrückt, der konnte mir nichts anhaben. Ein Mann war um die Ecke des Sockels gekommen und hatte mir seine Faust ins Gesicht gestreckt.“

Ganzer Text hier

Man sieht, die Fibonaccizahlen beschäftigen mich schon länger. Damit bin ich nicht der einzige, wie die Auflistung „Rezeption in Kunst und Unterhaltung“ bei Wikipedia zeigt, wo freilich das Projekt 50 Häuser noch fehlt.

Das künstlerische Fotoprojekt „50 Häuser“ beginnt mit der Hausnummer 3 und ist eine Visualisierung der Fibonacci-Folge. Zu sehen sind drei Häuser der Hausnummer 3, fünf Häuser der Hausnummer 5, acht Häuser mit der Hausnummer 8, 13 Häuser der Nummer 13 und 21 Hausnummern 21. Die meisten Häuser mit den jeweiligen Hausnummern habe ich in Hannover fotografiert. Weitere Fotos stammen aus München, fotografiert von Mitzi Irsaj, Careca und Dinogenes, aus Hamburg, fotografiert von lunarterminiert, und aus Köln, fotografiert von Videbitis.
Obwohl alle Häuser des Projektes „50 Häuser“ an verschiedenen Orten zu unterschiedlichen Zeiten von verschiedenen Personen fotografiert wurden, sind sie auf einer Metaebene durch das Konzept der Fibonaccifolge verbunden, abzulesen an einem Zähler, der in der Gif-Animation unten rechts mitläuft. Die erste Zahl zählt die Hausnummern einer Fibonaccizahl, die zweite Zahl zeigt die jeweilige Fibonaccizahl, die dritte Zahl zählt die gesamten Häuser. Sieh selbst:

50-häuserkorrekturKonzept & Gif-Animation: Jules van der Ley (Trithemius)

35 Kommentare zu “Die 50 Häuser des Leonardo Fibonacci

  1. Dass ich da nicht gleich drauf gekommen bin…Menno…hab Dich natürlich in die Deutsch-Schublade gepackt 😉 …Fibonacci, was sonst…ich frag mich nur grad, ob Du durch Tristan dazu inspiriert wurdest. Der hatte vor einigen Tagen/Wochen dasselbe Thema…
    Das Gif fand ich super – und die Verbindung auf der Metaebene erst recht. Hast eben geile Ideen (durfte ich das jetzt so sagen?) !!! 🙂 🙂 🙂

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    • Da bin ich aber froh, dass ich nicht mehr nur in einer Schublade liege 😉 Tristan kenne ich leider nicht. Ist’s ein Blogger? Freut mich, dass dir das Gif gefällt, an dessen Komplettierung du ja einigen Anteil hast. Nochmals lieben Dank für deinen Einsatz! Du hattest es ja in Hamburg auch nicht leicht, die passenden Hausnummern zu finden.

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    • Dankeschön für diese Interpretaion. Vielleicht ist die Fibonaccifolge wirklich die universelle Bauformel. Inwieweit die Fibonacci-Häuser Auskunft über das Leben geben, verstehe ich leider nicht. Vielleichst magst du es mir erklären?

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      • Vielleicht so: das, was wir als eine Gesetzmässigkeit erkennen, ist eine Bewegung durch unsere Selbst, wie ein Zeitstrahl durch den Raum, wie ein Luftdurchzug in einem türlosen Zimmer mit einem Fenster und einem Bild auf der Wand. Will sagen: die Fiktionalität, die wir der Wirklichkeit beimessen, ist nichts anderes als die Fiktionalität unseres Daseins. Wir sind die Fibonacci-Formeln. Und die Häuser sind nur die Beweise dazu. Schwitters sagte ja einst: „Es gibt keine Zufälle“.

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  2. Ich trau mich kaum, es zuzugeben, aber ich versteh es nicht. Die Hausnummern sind Fibonacci-Zahlen, in welcher besonderen Beziehung stehen die zu den beiden anderen, die ja lediglich hochzählen?

    Als ich neulihc in der Flora war, sah ich diese südamerikanische Tanne und mußte an Dich denken, denn von den Fibonacci-Zahlen habe ich das erste Mal von Dir gehört:
    https://picasaweb.google.com/lh/photo/BhxqyYHlCn0K2VTIJogNfH2zd-bkdWopfcvlA7wau7A?feat=directlink

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    • Ich will versuchen, es besser zu erklären: Je eine Hausnummer der Fibonaccifolge zu zeigen, wäre die einfache Weise. Um aber das Anschwellen der Folge zu demonstrieren, zeige ich 3 Hausnummer der Fibonaccizahl 3, 5 Hausnummern der 5, 13 Hausnummern der 13, 21 Hausnummern der 21. Die Summe der Häuser 3+5+8+13+21=50. Auf der letzten Position im Zähler wird diese gesamte Anzahl kontrolliert. Die erste Position zeigt die Anzahl der Häuser innerhalb einer Fibonaccizahl. Der Zähler zeigt die Tiefendimension jeder Zahl. Er ist eigentlich nur eine Kontrolle für mich gewesen. Ob sich auf einer höheren Ebene etwas an ihm ablesen lässt, weiß ich nicht. Das Titelbild und das letzte Bild mit dem Dank an euch fallen aus der Reihe.

      Danke für den Link. Ich vermute, die Bätter der Tanne sind im Goldenen Winkel angeordnet, siehe Wikipedia-Eintrag Goldener Schnitt.

      (Wenn du ein Bild bei wordpress hochlädst und den Link kopierst, der anschließend angezeigt wird, kannst du ein Foto im Kommentar zeigen.)

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      • Ach so. Danke für die Erklärung. Ich dachte, daß die Zahlen vielleicht irgendeine Fibonacci-Verbindung haben und war irritiert, daß ich sie nicht endeckte.;-)

        Super Tipp, das probier ich mal aus.

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  3. Da hast du mal wieder gebastelt wie ein Weltmeister, begeisernd, jetzt werde ich hoffentlich nicht wieder vergessen, was Fibonacci-Zahlen sind. Und nun ist mir klar, warum du um die Hausnummer 21 zur Hilfe aufgerufen hast, 21 Hausnummern „21“ zu fotografieren ist wirklich ein gutes Stück Arbeit. 🙂

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    • Dankeschön, das freut mich. Und ich hatte mir schon gedacht, dass mein Projekt auch den didaktische Effekt hat, die Fibonaccifolge nachhaltig bekannt zu machen. Ich bin halt im Herzen immer noch Lehrer 😉 21 Hausnummern 21 zu finden, war besonders in Hannover schwer, wo die Ordnung der Hausnummern chaotisch gewachsen ist. Glücklicher Weise habe sich Mitstreiter gefunden und dem Projekt eine eigenartige Tiefendimension gegeben.

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  4. Die Samen einer Sonnenblume sind, glaube ich, auch nach diesem Prinzip angeordnet. Das uns der Goldene Schnitt als Bildformat immer mehr abhanden kommt (Breitwand, Handyfotos, Panorama …) finde ich sehr bedauerlich.

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      • Danke für den Hinweis! Ich werde darauf achten.Die Qualität einer Arbeit zeigt sich, ohne dass dem Betrachter das zugrundeliegende Prinzip klar sein muss. Es reicht, wenn sich vermittelt, dieser Fotograf macht einfach bessere Bilder als die meisten.

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  5. Da hat sich in die Bilder doch glatt ein Hauseingang geschlichen, der mir sehr vertraut ist und den ich nicht fotografiert habe. München ist ein eben doch ein Dorf.

    Das Mathematik und Natur der gleichen Ästhetik folgen, ist faszinierend. Ebenso wie die Tatsache, dass neben einer der fotografierten Hauseingänge jahrelang ein Mathematiker gewohnt hat, der wunderbar über die Schönheit von Zahlen sprechen konnte und mir erstmals von Fibonacci und den Kaninchen erzählte.

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    • Tatsächlich? Also haben entweder Careca oder Dinogenes da fotografiert, wo du auch mit der Kamera unterwegs warst. Kurios! „Dass Mathematik und Natur der gleichen Ästhetik folgen“, ist treffend ausgedrückt und bringt die Fibonaccifolge und den Goldenen Schnitt auf einen Nenner. Welch ein Glück, dass in deinem Umfeld ein Mathematiker war, der dich beeinflusst hat. Beneidenswert. Mir sind leider selten und erst spät derlei Menschen begegnet.

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      • Nicht ganz. Ich kenne den Hauseingang aus früheren Zeiten, als ich im Nebenhaus ein und aus ging. Weit ist es dennoch nicht.
        Es war tatsächlich ein Glück, der Mathematiker. Obwohl er an mir verzweifelte. Und ich an ihm. Wenn Logik und Emotionen aufeinander prallen.

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  6. Pingback: Einiges über Zahlen im Straßenbild

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