Die halbe Decke – oder: Zeigen, wo der Hammer hängt

In einem Kommentar im Teestübchen zu Vom Anfang und vom Ende verwendet Manfred Voita die Wendung „Zeigen, wo der Hammer hängt“. Die Bedeutung dieser rätselhaften Wendung und ihre Herkunft sind nicht eindeutig zu klären. Das eigentlich zuverlässige Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten von Lutz Röhrich weiß nichts über die Wendung, im Internet steht wieder mal was Falsches, weil in der Etymologie das Naheliegende fast immer das Falsche ist.
lutz-röhrichLexikon der sprichwörtlichen Redensarten – Foto: Trithemius (größer: Klicken)

Um die Bedeutung zu klären, will ich eine bürgerlich volkstümliche Moralerzählung des ausgehenden Mittelalters vorausschicken, die auch unter dem Titel „Die halbe Decke“ bekannt ist. Sie heißt eigentlich „Das Kotzenmäre“, benannt nach einer Pferdedecke, auch Kotze. Die in Vergessenheit geratene Textsorte Märe (das Märe) ist eine Moralerzählung. Ein reicher Kölner Bürger ließ das Kotzenmäre um 1410 an die Wände eines Zimmers malen. Auf Spruchbändern äußern Personen ihre Meinung. Der Germanist Wolfgang Stammler schreibt über den Stoff des Kotzenmäre, er sei „im 14. Jahrhundert nicht weniger als sechsmal bedichtet worden, auch ein Beweis für die Beliebtheit des so recht für Bürgerkreise geeigneten Themas.“

Das Kotzenmäre

Ein alter Mann hat seinen gesamten Besitz dem Sohn übertragen und fristet nun, mangelhaft versorgt, ein übles Dasein in einem Bretterverschlag auf dem Hof. Nur der Enkel kümmert sich um ihn. An einem klirrendfrostigen Winterabend bittet der Alte ihn um eine Decke.
Der Vater sieht den Knaben, als er sich mit der Decke davonstehlen will.
„Wohin willst du mit der Decke?“
„Der Großvater braucht sie.“
„Dann warte!“, befiehlt sein Vater, holt eine Schere und zerschneidet die Decke in zwei Hälften.
„Das Teil muss für den Alten reichen!“
Da erbittet sich der Kleine die andere Hälfte. Wozu er sie haben wolle, fragt der Vater.
„Ich verwahre sie für dich, bis du einmal alt bist.“
Da erkennt der Vater sein Vergehen gegen das vierte Gebot. Er holt den Alten ins Haus und hält ihn fortan in Ehren.

Das Kotzenmäre ist eine Mahnung an Vater und Sohn. Sie steht in einem interessanten Bezug zu einer alten Rechtsvorstellung, auf die Jacob Grimm hingewiesen hat. An Kirchen, Stadttoren und Häusern fand sich in alter Zeit eine Keule oder ein Hammer angebracht. Die Bedeutung dieses Symbols wird in folgender Inschrift deutlich:

Wer den Kindern gibt das Brot
Und selber dabei leidet Not,
Den soll man schlagen mit dieser Keule tot.

Bei Hans Sachs finden wir eine ähnliche Formel:

Wer sein Kindern bei seinem Leben
Sein Hab und Gut thut übergeben.
Den soll man denn zu schand und spot
Mit dem Kolben schlagen zu todt.

Zuletzt ein drastischer Beleg aus einer alten Handschrift:

da was geschriben ‚swer der si,
der ere habe unde gout,
da bi so nerrisch muot
daz er alle sine habe gebe
sinen kinden unde selber lebe
mit noete und mit gebrestenn,
den sol man zem lesten
slahen an die Hirnbollen
mit diesem slegel envollen,
daz im daz hirn mit alle
uf die Zunge valle,

Alle Beispiele zeigen, dass dem Alten die Schuld gegeben wird, weshalb ihm der Tod  zukommen soll, „gleichsam als strafe für die thorheit, sich allzu früh seiner habe zum besten der kinder abgethan zu haben“, schreibt Jacob Grimm. Grimm schreibt auch, dass derartig brutale Strafen vermutlich nicht tatsächlich angewandt wurden, sondern als Drohung gemeint waren. Um in dieser Sache jemanden zu mahnen, war es sicher hilfreich, ihm zu zeigen, wo der Hammer hängt.