Silvester auf Helgoland

helgoland(Im Bild: Helgoland von der schönsten Seite)

„Wer einmal auf Helgoland war, kommt immer wieder!“, schwärmte die Frau. Lisette und ich saßen mit einem älteren Ehepaar aus Berlin am Tisch einer im Wellengang mächtig schaukelnden Hochseefähre. Sie erzählten davon, seit Jahren schon Silvester auf Helgoland zu verbringen. „Ach!“, sagte Lisette ungläubig. Ich sehe noch heute ihren erstaunten Blick, als hätte sie jetzt erst realisiert, wo wir eine Woche gewesen waren. Etwa auf Helgoland? Jedenfalls hatte sie wohl eigentlich Rügen gemeint, wo sie mal hingewollt hatte, und ich wäre im Leben nicht nach Helgoland geschippert, wenn sie nicht den Wunsch geäußert hätte, Silvester auf Helgoland zu verbringen. Helgoland und Rügen kann mal schon mal verwechseln. Aaaber werden jetzt die Oberschlauen sagen: Rügen liegt in der Ostsee und Helgoland in der Nordsee. Na und, würde Lisette entgegnen, sind jedenfalls beides Inseln. Und außerdem glaubte sie, mir einen Wunsch zu erfüllen. Dabei kann ich fast beschwören, das Wort Helgoland nie in den Mund genommen zu haben. Höchstens als wir mal zusammen auf der ostfriesischen Insel Baltrum waren. Da gibt es einen Landeplatz für den Inselflieger. Kleine Inseln habe ja alle etwas Langweiliges. Da ist so ein Flieger, der von einer langweiligen Insel zur nächsten hoppst, ein wenig verlockend. Damals könnte ich gesagt haben, derweil ich den Flugplan studierte: „Ach, guck, der fliegt auch nach Helgoland!“

Helgoland hat im Winter jedenfalls den Charme einer belgischen Kaserne, wenn du weißt, wie trostlos belgische Kasernen aussehen, nur dass ringsum Hochsee ist, rund 50 Kilometer bis zum Festland. Es fehlen historische Gebäude, wie man sie auf den friesischen Inseln gelegentlich findet, denn nach dem 2. Weltkrieg hatte die Royal Air Force Helgoland mit seinen unterirdischen Bunkeranlagen zerbomben wollen. Der etwa ein Quadratkilometer große Sandsteinfelsen hatte Stand gehalten, aber sonst lag wohl alles darnieder und wurde in den 1950-er Jahren ziemlich stillos wieder aufgebaut, da hilft auch nicht die bunte Wandfarbe, mit der man nicht spart auf Helgoland. Eines dieser schmucklosen Reihenhäuser im Unterland hatten Lisette und ich gemietet. Es war, glaube ich, blau getüncht. Mir war egal, wie Haus und Insel aussah. Mit Lisette war es überall schön. Ich war glücklich, Silvester mit ihr verbringen zu können, denn das war viele Jahre nicht möglich gewesen. Wir waren zwar beide verheiratet, aber nicht miteinander.

Die Helgoländer sind Touristen gegenüber gleichgültig, so etwa in der Haltung Ist-mir-doch-egal,-ob-du-auf-die-Insel-kommst-und-dein-Geld-herbringst. Damit sind sie schon weit freundlicher als die Friesen von Nord- und Ostseeküste, die am liebsten hätten, die Touristen würden nur ihr Geld vorbeibringen und dann gleich wieder verschwinden. Man merkt, dass die finsteren Küstenfriesen allesamt von Strandräubern abstammen. Nicht so die Helgoländer. Sie sind nur gleichgültig. Die helgoländische Gleichgültigkeit erlebten wir am Abreisetag, als die Vermieterin telefonisch nicht erreichbar war, so dass wir, um unser Geld loszuwerden, nochmal rauf mussten in die Siedlung auf dem Oberland, wo wir zunächst ebenfalls vergeblich an ihrer Haustür klingelten, weil sie offenbar keine Lust hatte aufzumachen und unsere Miete entgegenzunehmen.

Das Aufregendste an Helgoland ist der Lift vom Unterland zum Oberland. Er ist das einzige öffentliche Verkehrsmittel der Insel, aber selbstfahrend. Da ist kein Fahrstuhlführer, dem du die Knarre an den Kopf halten und befehlen kannst: „Fahren Sie mich nach Kuba!“ No, Sir. Es geht nur etwa 50 Meter senkrecht hoch.

Kurz vor dem Jahreswechsel transportierten wir jedenfalls eine Pulle Sekt und zwei Gläser mit dem Lift vom Unter- zum Oberland, liefen raus aus dem Ort zum höchsten Punkt der Insel, saßen eng beieinander im eiskalten Seewind und warteten auf das Feuerwerk. Die meisten Raketen gingen aber nicht von Helgoland hoch, die meisten zischten von See aus in den Nachthimmel. Ich hätte nie gedacht, dass so viele Schiffe in der Deutschen Bucht unterwegs wären, ungesehen auch bei Tag, weil sie hinterm Horizont aus nichts als Wasser vorbeiziehen. Da oben auf der kahlen Hochebene von Helgoland, wo der Seewind ungehindert durch unsere Kleidung biss, stießen Lisette und ich aufs neue Jahr an. Damals hatte ich Hoffnung. Heute weiß ich, meine Neujahrswünsche erfüllen sich nie wie geglaubt.

Als unsere Fähre am Neujahrstag im Hafen von Cuxhaven anlegte, war es schon dunkel und es schneite. Wir fanden Lisettes alten VW-Golf total vereist vor. Er sprang aber an und brachte uns ohne Mucken zurück nach Aachen. Das kommende Jahr sah unsere Trennung. Ich begann zu bloggen, schrieb mir den Kummer vom Herzen und strandete in Hannover.

Fünf Jahre später war ich nochmals im Hafen von Cuxhaven, aber nicht mit Lisette, sondern mit Mimi. Wir wollten auch nicht nach Helgoland, sondern feierten Mimis Geburtstag in Cuxhaven. Damals war mein Leben nicht minder seltsam. Ich weiß noch, dass der Hotelier mich fragte, ob Mimi meine Sekretärin wäre. Sah ich vielleicht aus wie einer, der sich Sekretärinnen hält? Und Mimi wirkte nun wirklich nicht wie eine Sekretärin. Den Bericht von dieser ethnologischen Forschungsreise gibt es hier zu lesen.

Teestübchen Trithemius wünscht allen treuen Leserinnen und Lesern einen Guten Rutsch und ein gutes neues Jahr.

Ein Jahr verrinnt, ein neues kimmt – Grafik und Gifanimation: JvdL

19 Kommentare zu “Silvester auf Helgoland

  1. Mit einer Liebe ist es doch eigentlich überall schön. War die Trennung die Folge des Fehltritts auf der Gruselinsel? Ich lag einmal an Sylvester um Mitternacht alleine mit Champus in der Badewanne. Wäre das vielleicht auch eine Option für dich? Das war so wunderbar.

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  2. letztes Jahr auch endlich nach 4 Jahren erstmalig gemeinsam Silvester, wenn auch in Paris und im Laufe des Jahres trennten wir uns dann. ich begann zu bloggen von Hannover aus… jajaja… Von Helgoland, wo ich mal auf Klassenfahrt war, erinnere ich nur noch die Zauberstreichhölzer, die sich fast überall entzündeten, wenn man sie an einem festen Untergrund rieb 😀
    Komm gut in das neue Jahr.

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  3. Danke für drei Texte, deren bissige Passagen mir sehr gefallen haben. Neujahrswünsche sind für die Katz. Ich kannte mal eine, die hätte Straßenlaternen abgeleckt, damit sie sich erfüllen.
    Wünschen wir uns lieber am 03.02. etwas. Oder wünschen wir uns gar nichts und springen wir einfach mit Anlauf in den 01.01. und sehen was passiert.
    Lieber Jules, komm gut rüber. Mit Anlauf oder gemütlich schlendernd. Mit Sekretärin oder ohne. Ich wünsche dir und mir ein gutes und gesundes 2016. Ganz ohne Wunsch geht es dann doch nicht.

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    • Ich bin froh, dass du auch die beiden anderen Texte gelesen hast, liebe Mitzi. Hab gemerkt, dass mir das Bissige ein bisschen abhanden gekommen ist, seit ich unter einem Blognamen mit Diminutivsuffix schreibe. Die Frau, die die Straßenlaternen ablecken wollte, glaube ich ein bisschen zu kennen, was man so“ kennen“ nennt über 650 Kilometer hinweg. Ihr, also dir zum Gefallen will ich in 2016 wieder bissiger sein. Ist ja sowieso Notwehr, denn der Hinriss der Vorjahre hört ja nicht auf, nur weil eine Jahreszahl wechselt. Ich danke dir herzlich für deine guten Wünsche. Es klappt nur nicht, was ich mir selbst wünsche, also schippere ich frohgemut ins neue Jahr und wünsche dir von allem nur das Beste im neuen Jahr.

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  4. Lieber Herr TT, und wieder einmal hast du mich auf eine gute Idee gebracht. Ich bin gern auf Helgoland und habe nur gute Erinnerungen an meine wenigen Aufenthalte auf dieser Insel.
    Wir, „der alte Clan“, suchen seit einigen Jahren immer wieder gefällige Orte für eine gemeinsame Silvesterfeier außer Haus und … ja, das wäre es doch, zum Jahreswechsel rund um sich rum nur Wasser, wo man nur hin guckt.

    Ich wünsche dir ein frohes und gesegnetes Neues Jahr.

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    • Dankeschön für die Neujahrswünsche, liebe Frau Marana! Ich dachte, eine Sorte Antiwerbung für Helgoland geschrieben zu haben. Rundum nur Wasser zu sehen ist freilich mal ganz hübsch. Ich wünsche dir und dem Clan viel Vergnügen auf Helgoland und dir ebenfalls ein frohes neues Jahr.

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    • Die verfließende Jahreszahl ist kein Werturteil, sondern bezieht sich symbolhaft auf das Verrinnen der Zeit. Meine Statistik zeigt, dass Silvester auf Helgoland einer der meistgesuchten Texte ist. Freilich erwarten die Leute vermutlich etwas Touristisches und keine Trithemius-Lisette-Geschichte 😉 Ich habe sie hervorgeholt, weil sich der Kreis der LeserInnen seit 2015 verändert hat. Freut mich, dass du derlei gerne liest.

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