Wo Männer stricken

Wenn schon von meinen Rundfunkgebühren Reporter in die Welt schwärmen, um Reisereportagen zu drehen, schaue ich mir manche an, zumal ich nicht reise. Da waren letztens die strickenden Männer von Island zu sehen, Männer, die ihr Lebensglück im gemeinsamen Stricken gefunden haben. Einige hatten eine erstaunliche Profession entwickelt, strickten mit verschiedenfarbigen Fäden, wobei die zweite Farbe nur gelegentlich verstrickt wurde, so dass ein bestimmtes Muster entstand. Genaues kann ich nicht sagen, weil ich zu wenig vom Stricken verstehe. Als Kind konnte ich es. Ich hatte ein Bärchen, für das ich einen Schal strickte, der sich aber, weil ich nur rechtsrum stricken konnte, wie ein Korkenzieher drehte.

Von den Isländern ist bekannt, dass sie eine lebendige Erzählkultur haben. Einst saß man an froststarren Wintertagen gemeinsam ums Feuer und erzählte sich Sagas von isländischen Helden wie beispielsweise einem namens Gisli. Als er geächtet war und auf der Flucht von seinen Häschern gestellt wurde, verteidigte er sich drei Tage gegen die Übermacht, bevor er einen Speer in die Brust bekam und mit den anerkennenden Worten „Der saß!“ verschied. Auch wurde geschwärmt vom runenkundigen Skalden Egil, einem gewaltigen Kämpen, der nicht nur aus nichtigem Anlass Männer erschlug, sondern auch gleich ein Gedicht dazu gemacht hat. Wenn sich dessen Nachfahren nicht mehr gegenseitig die Köpfe einschlagen, auch nicht mehr von derlei Heldentaten schwärmen, sondern schweigend beisammen sitzen und stricken, kann man das kulturelle Verfeinerung nennen. Der zweite Faden ist der Depp, der ab und zu die Tür aufreißt, den Schneesturm reinlässt und „Kuckuck!“ in die Runde ruft, weshalb man ihn am Ende doch erschlagen muss. Zum Glück stricken die Kerle.

[Gif-Animation des Feuers: JvdL]