Ein Lastkahn glitt über die Donau Richtung Wien. Über die Ladeluken des Kahns waren wie Zeltdächer schwarze Plastikfolien gespannt. Der Regen der Nacht hatte in der Bespannung längliche Pfützen hinterlassen, wo das Wasser nicht abgelaufen war und sein Gewicht die Planen niederdrückte. Entlang dieser Pfützen saßen auf Hockern 12 attraktive Frauen, die Faktencheckerinnen eines Rundfunksenders. Sie mussten sich in den Pfützen spiegeln, um zu beweisen, dass sie keine Vampire waren. Was sie checkten, war streng geheim. Es war klar, dass bei der täglich aufkommenden Nachrichtenflut nur ein Bruchteil der Informationen gecheckt werden konnten, zumal der Sender nur die 12 Faktencheckerinnen beschäftigte. Aber der streng geheime Algorithmus des Zufallsprinzips stellte sicher, dass die Produzenten von Fakenews niemals wissen konnten, ob ihre Lügen aufgespürt und im Netz hängen bleiben würden. Jede Falschnachricht wurde an Ort und Stelle in Plastik verschweißt und hinterrücks in den Fluss geworfen, so dass der Lastkahn eine lange Spur dümpelnder Plastikpakete hinter sich herzog.
Damit die 12 Damen ob ihrer verantwortungsvollen und gewaltigen Aufgabe nicht verzagten, strich hinter ihnen der Intendant persönlich vorbei und fasste jede einzelne liebkosend an. Ja, die Welt hatte sich verändert. Alte kulturelle Errungenschaften wie die Ächtung sexueller Belästigung durch Vorgesetzte und die Vermeidung von Plastikmüll waren über Bord gegangen.
„Das war mein Traum heute Morgen, kurz vor dem Aufstehen“, sagte ich.
„Wieso Wien?“, fragte Frau Dr. Barmen, meine Therapeutin.
„Keine Ahnung. Ich denke selten an Wien und war noch nie dort. Mein Lexikon der Traumsymbole weiß nichts über Wien. Vermutlich ist es nur ein Verdreher und meint eigentlich Wein. Das bedeutet laut Lexikon: Eine Wandlung oder Belebung des Geistes lässt sich an.“
Frau Dr. Barmen seufzte: „Ihren Kopf möchte ich ja lieber nicht haben.“
Ja, wieso grad Wien?
Die Faktencheckerinnen sind klasse. Und wie der Meister hinten an ihnen vorbeistrich. Aber hallo! – Frau Dr. Barmen hat beinahe zuviel des Erbarmens 😉 (zwinkerlach…)
LikeGefällt 2 Personen
Gell? Der Name Barmen changiert hübsch. Barmen ist eigentlich ein Wuppertaler Stadtteil, aber steckt auch in „Erbarmen.“ Und Namen, die auf -en enden, verleihen ihren Trägerinnen etwas Vornehmes.
LikeGefällt 2 Personen
Na ja … Wien. War da nicht was mit Siegmund Freud? 😉
LikeGefällt 1 Person
Ja. Viele Psychologen ind Psychotherapeuten wirkten in Wien, auch Sigmund Freud, bevor er vor den Nazis nach London emigrieren musste.
LikeGefällt 1 Person
Im Grunde betrachtet ging es dir ja wohl nur um die schönen Frauen – und die eine Schlaue, die dir erklären soll, wer du bist. Wien? Falsche Frage 😉.
LikeGefällt 2 Personen
Du schaust mir auf den Seelengrund 😉
LikeGefällt 2 Personen
Aber ganz liebevoll!
LikeGefällt 2 Personen
Barmen sind doch wohl Barmänner
LikeGefällt 3 Personen
Sprachlich und tiefenpsychologisch einwandfrei interpretiert, Herr Doktor..
LikeGefällt 2 Personen
Ich hoffe, dass deine Träume dir treu bleiben. Bitte mehr davon!
LikeGefällt 1 Person
Das ist ein schöner Wunsch, danke. Viel zu selten behalte ich sowas.
LikeGefällt 1 Person
Dass Träume so genaue Inhalte transportieren, finde ich immer wieder faszinierend. Hier besonders die Überspannung der Ladeluken durch schwarze Plastikplanen wie Zelte, und das Regenwasser, das sich in den Vertiefungen gesammelt hat. Das ist sehr eindringlich-konkret, und ich frage mich, was sich wohl im Inneren des Kahns befindet, der auf mich irgendwie sargmäßig wirkt. Auch diese in Plastik eingeschweißten Paketchen, die der Kahn hinter sich herzieht….
LikeGefällt 2 Personen
Das lässt mich nachdenken, was genau geschehen ist. Ich erwachte und hatte ein Traumbild im Kopf. Dann sank ich zurück in den Schlaf und glitt unter der Oberfläche zum Wachsein dahin. In solchen Phasen lässt sich ein Traum konkretisieren, also in bewusste gedankliche Bilder fassen. Eine glückliche Fügung ließ mich erwachen, bevor das Traumbild versunken war. Sofort begann ich, die Einzelheiten zu versprachlichen, um sie memorieren zu können für das spätere Aufzuschreiben. Dabei wurde vieles konkretisiert und plausibel gemacht. Die Frage nach Plausibilität verlangte einen weiteren Transformationsprozess vom Bild ins Wort, hier: Wie kann es sein, dass da eine längliche Pfütze ist? Im Traum war die längliche Pfütze einfach da. Bei der Niederschrift musste ich die Zeltdächer aus Planen hinzufügen. Was geschieht, wenn ständig Plastikpakete in den Fluß geworfen werden? Sie dümpeln dahin und bilden eine Spur, – Diesen Passus habe ich erst nach der Veröffentlichung eingefügt.
LikeLike
Angekommen ist der Kahn aber nicht. Das wäre mir aufgefallen 🙂
LikeGefällt 2 Personen
Alles andere hätte mich sehr gewundert 😉
LikeGefällt 2 Personen
😉 🙂
LikeGefällt 1 Person
Deine Therapeutin wäre ich gerne, mich dünkt, da würde ich eine herrliche Fülle an wundersamen, skurrilen und auch gruseligen Traumgeschichten zu hören bekommen. 😉
ich träume auch häufig ausgesprochen lebhaft und seltsam. Seit langem schon möchte ich diese Begebenheiten und Abenteuer, die ich im Schlaf durchlebe und erleide, schriftlich festhalten, vergesse aber immer wieder darauf…
LikeGefällt 1 Person
Ich versuche seit langem, meine Träume aufzuzeichnen. Meistens entschwinden sie mir, wenn ich wach bin. Dieser hier war ein Glücksfall, wurde aber bei der Versprachlichung bearbeitet. Die Therapeutin gehört zu einer völlig erfundenen Rahmenhandlung. Eine reale Therapeutin würde nicht viel mehr von mir hören wie von anderen auch 😉 Trotzdem danke, sehr liebeswürdig.
LikeLike