Meuters Fluch – Gruselerzählung in Folgen (5)

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Als zwei windige Vögel im Sälchen des Dreckigen Löffels eine Diskothek eröffneten, hätte die Sache eigentlich gut gehen können. Auf den Dörfern war das Freizeitangebot dürftig. Auch Bissers Kino hatte inzwischen geschlossen. Entsprechend groß war der Zulauf in der neuen Diskothek. An Meuters provisorischen Kinosaal erinnerte nur ein schwarzer Kanonenofen seitlich der Tanzfläche. Die Betreiber hatten gewusst, was die jugendliche Kundschaft wollte – der Saal war in erster Linie dunkel, was auch durch einen bodenlangen Wandbehang aus dickem, dunkelblauem Stoff begünstigt wurde. Natürlich blitzte über der Tanzfläche eine Diskokugel, und auch von der Bar am Kopfende des Saals, auf Höhe von Meuters alter Bühne, strahlte verlockendes Licht. In den Tischnischen aber war es schummrig, was allerlei intime Kontakte ermöglichte. Die Sache war also in jeder Hinsicht zukunftsträchtig.

Es traf uns wie ein Schlag, dass die Diskothek trotzdem wieder schloss. Man hatte die Betreiber verhaftet. Ich weiß nicht, ob man schon von einer Razzia sprechen kann, wenn der Dorfpolizist sich Verstärkung vom Kollegen aus dem Nachbarbezirk holt und mit ihm den Saal beim Dreckigen Löffel durchsucht. Jedenfalls fanden sie hinter der Wanddrapierung einen Raum, in dem die beiden Diskothekenbetreiber an die 4000 Eier versteckt hielten, die sie in einer nahe gelegenen Hühnerfarm geklaut hatten. „Wozu klauen die 4000 Eier?!“, fragten wir uns. Und warum verstecken sie die Eier ausgerechnet in unserer schönen Diskothek? „Meuters Fluch!“, das sagte mein Freund Föppes, und er hatte es woanders gehört.

Einige Monate später eröffnete die Diskothek wieder. Der neue Pächter wollte „den Bauerntölpeln Kultur vermitteln“, sagte er. Das tat er an den Werktagen, wenn die Diskothek nur dünn besucht war. Dann sprang er auf die Tanzfläche, posierte in wechselnder Garderobe, zupfte an seiner Bügelfalte und rief etwa: „Diese schöne, bügelfreie Hose aus Trevira erhalten Sie im Modehaus X in Y für nur 59 Mark!“ Einige Male hielten meine Freunde und ich an solchen „Kulturabenden“ unsere Redaktionssitzung in der Diskothek ab, denn wir hatten inzwischen eine Zeitung gegründet, die Volkspost, die wir in den Kneipen und beim Friseur verkauften. Wir verabredeten mit dem Hosenmann einen Diskussionsabend. Thema: Generationskonflikte. Es kam aber nur die Jugend, so dass die junge Generation mit sich selbst diskutieren musste. Will heißen, wir fühlten uns für kurze Zeit wohl in Meuters Saal.

Dann wurde der Hosenmann zusammengeschlagen. Angeblich hatte er seine Schulden nicht bezahlt. Man munkelte, die Schläger seien aus dem angrenzenden Dreckigen Löffel gekommen, wo inzwischen eine Rockerbande verkehrte, die unsere Gegend terrorisierte. Ich habe eine Brandnarbe am rechten Unterarm. Die holte ich mir an der Theke des Dreckigen Löffels. Da wollte ich Geld für den Zigarettenautomaten wechseln und legte abwartend meinen Arm auf die Theke. Neben mir saß einer der Rocker auf dem Schemel. Während der Wirt das Wechselgeld hervorkramte, schob der blöde Rocker seinen Unterarm dicht an meinen und ließ seine brennende Kippe dazwischen fallen. Er hatte wohl damit gerechnet, dass ich gleich zurückzucken würde. Das tat ich aber nicht, sondern nutzte die Gelegenheit, mir Respekt zu verschaffen, und wartete, bis er seinen Arm wegzog. Ich habe noch immer einen hellen, kreisrunden Fleck auf dem Unterarm, meine bleibende Erinnerung an Meuters Fluch. Aber das ist nur eine kleine Sache. Mein guter Freund Föppes, dieser sonnige Mensch, musste sein Leben lassen.

Fortsetzung

6 Kommentare zu “Meuters Fluch – Gruselerzählung in Folgen (5)

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  2. Spontan dachte ich: „Das wüsste ich aber“ und „Will ich sehen“, dann „interessant, wie divergierend Erinnerungen sein können.“ Na, egal, ein bisschen literarische Freiheit muss gestattet sein, sonst wäre es nur ein Bericht – so ist’s eine Erzählung. Besser nicht reingrätschen.

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