Im Dorf meiner Kindheit war gut christianisiert. Folglich gab es wenig Volksglauben, den die Kirche „Aberglauben“ schimpft. Meine Mutter hängte an jede Zukunftsplanung ein ergebenes „So Gott will“ und tat sonstigen Volksglauben ab als „dolle Käu.“ Ich wusste deshalb vom Volksglauben wenig, als ich das Dorf verließ. Dass ich nach acht Jahren einer dreiklassigen Volksschule überhaupt wenig wusste von der Welt, darf man mir ruhig nachsagen. Jedenfalls musste ich gut 40 Jahre später zuerst eine Frau aus Hannover kennen lernen, um etwas vom Schirmaufspannverbot zu hören. Ich bin damals eigens zur Aachener Stadtbibliothek gefahren und habe das Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens befragt. Weil man dieses mehrbändige Standardwerk nicht ausleihen darf, habe ich den fraglichen Artikel fotokopiert und Spielkind, das ich bin, in eine Gif-Animation eingebaut. [Zum besseren Lesen: Strg + vergrößert die Bildschirmdarstellung]
Komisch, jahrzehntelang habe ich einen nassen Schirm aufgespannt, und jetzt lese ich, welch schreckliches Ungemach mir deshalb widerfahren könnte. Und alle scheinen von der Gefahr zu wissen. Selbst die Queen lässt den Regenschirm erst vor dem Buckingham Palace aufspannen, habe ich bei wdr.de gelesen. Aberglaube sucht sich übrigens immer neue Erscheinungsformen. In einem Skater-Forum las ich: “regenschirm in der wohnung aufspannen, bringt die bullen ins haus.“ Warum die Queen wohl Angst vor den Bullen hat?
Heute morgen musste ich im strömenden Regen aus dem Haus und hatte nicht mal einen Regenschirm. Meinen letzten Schirm lieh ich vor gut zwei Jahren meiner Putzhilfe, und in den beiden vergangenen Sommern habe ich ihn nicht vermisst. Jedenfalls kaufte ich mir heute Morgen einen Regenschirm. Als ich gut beschirmt nach Hause kam, spannte ich ihn in der Wohnung zum Trocknen auf und wurde wieder an das Aufspannverbot erinnert. Vor drei Jahren habe ich das Aufspannverbot schon einmal behandelt und darum gebeten, mir mitzuteilen, wer es aus welcher Region und Quelle kennt. Da sich der Kreis der Leserinnen und Leser inzwischen verändert und erweitert hat, bitte ich um weitere Meldungen, um die interaktive Karte vervollständigen zu können. (Klick auf das Regenschirm-Ikon ruft Infos auf.)
Ich kenne es, bin aus Berlin. Habe mich aber nie daran gehalten. Hingegen bin ich bis vor einigen Jahren durchaus unserem Familien Aberglauben gefolgt, nach dem es verboten war, zwischen Weihnachten und Neujahr Wäsche zum trocknen aufzuhängen. Ansonsten stürbe jemand in der Familie. Inzwischen halte ich mich da aber auch nicht mehr dran, und sterben müssen wir schließlich alle mal 😉
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Danke für die Mitteilung. Habe sie in die Karte eingetragen. Das Verbot, Wäsche zu trocknen, kannte ich bislang auch nicht. Es wäre eine eigene Karte wert, zumal man es auch im Ruhrgebiet kennt, wie Andrea Heming mitteilt.
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Bei uns zu Hause gab es das auch, allerdings weiß ich nicht, ob es niederrheintypisch, aus Norddeutschland oder gar aus Pommern kommt. Wo meine Mutter es aufgeschnappt hat, verriet sie nie.
Schuhe gehören nicht auf den Tisch, das bringt Ärger ins Haus. Und so sehr ich das Aufspannverbot auch missachte, bei Schuhen werde ich ärgerlich.
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Danke für die Mitteilung. Habe sie in die Karte eingetragen. Das Schuhe-Tisch-Tabu kenne ich auch nicht. Wäre mal ein eigenes Forschungsprojekt. Ich kenne nur, dass man als Mann einer Frau keine Schuhe kaufen dürfe. Sonst läuft sie davon. Es stammt wohl aus einer Zeit, als Frauen wirtschaftlich vom Mann abhingen und evtl. nicht mal Schuhe hatte.
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Gerade habe ich mich mit meinem Mann noch darüber unterhalten. Ihm fiel noch die Sache mit dem Salz ein. Wenn man welches verstreut, muss man eine Prise davon über die linke Schulter werfen. Aber das kennst du sicher 🙂
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Ich bin ja für derlei empfänglich, kenne auch das Verbot des Wäschetrocknens. Von dem Schirm habe ich noch nie nicht gehört. Daher wage ich die Behauptung, dass im Münsterland diese Regel nicht existiert. Kann man mal untersuchen, ob in sehr regnerischen Gebieten die Sache anders gehandhabt wird 😊
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Vom mir unbekannten Verbot des Wäschetrocknens lese ich hier zum 2. Mal. Bevor wir das ganze Münsterland als vom Schirmaufspannverbot frei erklären können, wären sicher ein paar Stichproben nötig. Magst du mal rumfragen? Übrigens war Aachen ja einst als Regenloch verschrien. Trotzdem kannte ich das Tabu nicht von dort.
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Da werde ich mich mal ganz investigativ auf die Suche machen und meine Mutter anrufen 😊
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Ich bin gespannt. Gehört übrigens Haltern am See nicht zum Münsterland? Dann hätten wir schon einen Gegenbeweis.
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Stimmt. Aber wer weiß, woher die Familie ursprünglich kommt..
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Lieber Jules, mit meiner Mutter telefonierte ich gestern und heute Morgen sprach ich mir vier urmünsterländischen Frauen beim Schwimmen. Sie alle schworen Stein auf Bein (woher kommt das nun wieder?) noch niemals etwas von diesem Schirmaufspannverbot gehört zu haben. Da du aber in deinem Text auf die Sozialisation hinweist, könnte es sein, dass uns die Heiligen Petrus (fürs Wetter), Christopherus (fürs Reisen) und Antonius (fürs Wiederfinden) Kalamitäten mit Schirmen vom Hals gehalten haben.
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Dankeschön für deine Recherche, liebe Andrea. Ich vermute inzwischen einen heidnischen Ursprung, so dass die genannten Heiligen das fromme Münsterland gut abgeschirmt haben.
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Davon habe ich noch nie gehört.
Wohl aber davon, dass es übelgenommen wird, wenn man in der Wohnung „einen Schirm stehen lässt“.
Aber das ist ein ganz anderes Thema.
Liebe Grüße aus dem verregneten
Oberhausen!
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Warum wurde das übel genommen? Ich habe in meinem Leben sicher an die 25 Schirme irgendwo vergessen. Haben mich all die Leute verflucht?
Das hofft mal nicht und grüßt herzlich,
Jules
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Hier handelt es sich um eine Umschreibung, heimlich, still und leise einen Darmwind in den Raum „gestellt“ zu haben.🤭
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Aus meinem Podcast: „Von Kartoffeln und dicken Dupas“:
Und wer kannte nicht den alten Witz, in dem ein Fahrgast in der Straßenbahn einen aromatischen Darmwind streichen ließ. Der Schaffner riecht es und ruft: „Hier hat aber einer einen Schirm stehen lassen!“ Da meldet sich ein älterer Mann und sagt: „Wänn sich keeiner mäldet, jeben Se mirr den Schirrm, Härr Schaffnärr, ich bin Fliechtling!“
😉
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Hehe, das ist so lustig. Setz doch mal bitte den Link dazu!
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https://www.kohlenspott.de/von-kartoffeln-und-dicken-dupas/
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Vielen Dank! Ich habs sogar kommentiert vor drei Jahren – aber wieder vergessen. So hörte ich es eben wie neu. Kompliment, wie gut du den ostpreußischen Dialekt sprechen kannst!
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Im Österreichischen sagt man dafür “einen Koffer abstellen“.
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Kann wohl bestätigen, dass meine nordfranzösische Schwiegermutter mit Panik reagiert, wenn ich einen Regenschirm im Haus aufspanne.
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Danke für die Mitteilung. Kannst du „Nordfrankreich“ ein wenig eingrenzen, damit ich das Schirm-Ikon korrekt in die Karte eintragen kann?
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Lille.
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Habs eingetragen.
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Lieber Jules,
auch ich kenne dieses Verbot. Natürlich halte ich mich nicht daran, weil es ein deutscher Aberglaube ist und ich in diesem Fall nicht Deutsch. Bei den türkischen Varianten (z. B. nach Sonnenuntergang nicht mehr Finger- und Zehennägel zu schneiden/kürzen etc.) gehe ich nach dem Motto, dass ich doch nun wirklich lang genug in Deutschland lebe. Ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt. Funktioniert bisher sehr gut.
Herzliche Grüße
Serap
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Liebe Serap,
weißt du noch, wo und von wem du davon gehört hast? Deine Weise, dich dem Aberglauben aus zwei Kulturkreisen zu entziehen, ist ziemlich elegant.
Herzlichst,
Jules
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Lieber Jules,
es müssten meine Schulfreunde gewesen sein, die sich einig waren, dass der nasse Schirm nicht zum Trocknen in der Klasse aufgespannt werden darf. Solle wohl Streitereien mit sich ziehen. Aber die Quelle dieses Aberglaubens kenne ich leider nicht. Meine aber auch, dass meine „deutsche Tante“ (Freundin meiner Mutter) dies auch sagte. Wobei sie eine regelmäßige Kirchengängerin war (Neuapostolisch).
Herzliche Grüße
Serap
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Dankeschön! Darf ich ein Schirmchen auf Hamburg setzen?
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Danke der Nachfrage, aber im Moment bitte nicht. Wir wollen doch nicht das wunderschöne Aprilwetter mit einem Schirmchen verdecken.
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Lieber Jules,
Auch ich kenne das Schirmaufspannverbot- meine Großeltern waren allesamt abergläubisch und ich kenne ein paar der ‚ungeschriebenen‘ Gesetze. Zum Beispiel das der Schuhe, die nicht auf den Tisch gestellt werden dürfen. Droht Ärger ins Haus. Besonders von Muttern, die den Tisch anschließend vom Straßendreck wieder sauberputzen darf. Zwischen Weihnachten und Neujahr ist für mich irgendwie eine magische Zeit – sie wird sogar noch magischer, wenn ich in dieser Zeit weder Wäsche wasche noch trockne noch sonstwie großartig Alltag inszeniere…Mag sein, ich bin ein Bisschen abergläubisch in dieser Angelegenheit…
Umso lieber ignoriere ich menschliche Verbote wie Zäune oder Schilder oder gar ein elftes Gebot wie das gesetzlich geregelte und staatlich anerkannte sowie schon in der Bibel auf einem flachen beiliegenden Randnotizstein erwähnte elfte Konsumgebot: du sollst kaufen…
Liebe Grüße,
Amélie
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Liebe Amélie, vom letzten Mal gibt es bereits ein Schirmchen von dir auf der Karte, etwa 100 km westl. von Hannover. Kann ich ein weiteres hinzufügen? Das Wäschetrocknen-Tabu interessiert mich zunehmend. Du bist hier die Dritte, die es kennt.
Vom biblischen Kaufgebot weiß ich nichts. Ich bin Atheist 😉
Lieben Gruß,
Jules
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Lieber Jules,
Das biblische Kaufgebot Numero Elf kennt keiner. Ist nur etwa so groß wie ein kleingedruckter Kiesel.
Und ein Tabu ist ja das Wäschewasch- und Arbeitsverweigern zwischen den Jahren nicht. Viele Leute müssen sogar arbeiten. Allerdings…auch als ich noch Angestellte war, organisierte ich mich zu Hause so, dass nach Feierabend wieder Feiern angesagt war und das bis Neujahr. Die Wäsche und anderes Gewullacke im Haus und Garten ließ ich bleiben und so bis heute. Ist so eine Art innere Einkehr mit möglichst viel Wandern und Natur…Nach Neujahr kann dann wieder fleißig ausgekehrt werden…:-)
Danke für das Schürmchen unweit Hannover und fein, dass Du nun wieder ein Regendach über dem Haupt hast. Setze darauf vielleicht lieber ein Schirmpfand aus, falls eine Verleihnixe Regenschutz benötigt…?
Liebe Grüße,
Amélie
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vom schirmaufspannverbot hörte ich noch nichts. hingegen ist mir das wasch-verbot zwischen den jahren gut bekannt. ich spürte ihm schon vor einiger zeit nach. man vermutet keltische ursprünge, die behaupten, dass in dieser zeit die seelen der geister frei wären und unfug trieben. (rauhnächte googeln). tatsächlich hat es wohl auch damit zu tun, dass gegen jahresende oft stürme auftreten, die die wäsche von der leine fegen.
für mich war lange zeit unklar, warum es unglück bringe, die mäntel der gäste bei großen festen auf dem bett abzulegen. meine mutter erklärte mir dann, dass die menschen früher (bis in die nachkriegszeit) oft läuse, wanzen und ähnlich unerfreuliches getier mit sich herumtrugen, das natürlich auch in der kleidung saß. wer einmal ungeziefer in haustextilien (bettzeug, matratzen, teppichen) hatte, weiß, worin das Unglück besteht. 😉
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Danke für den Nachweis. Die Rauhnächte sind mir ein Begriff, aber das spezielle Wasch-Tabu nicht. Deine Deutung bezüglich stürmischer Winde klingt plausibel. Oft haben solche Tabus ja praktische Gründe, wie auch dein Gästemäntelbeispiel zeigt. Über weitere Alltagsmythen:
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Der Volksglaube ist auch im Italienischen verbreitet ( * ):
“Aprire l’ombrello in casa porta sfortuna, chiama la pioggia.“
(“Einen Regenschirm im Haus zu öffnen bringt Unglück, und ruft Regen herbei.“)
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Danke für den Nachweis. Auf der verlinkten Seite las ich eben eine Erklärung für das Tabu: „Es wird gesagt, dass der offene Regenschirm Unglück bringt, weil in der Vergangenheit, als jemand starb, der Priester ins Haus kam, um die Leiche unter vier Altarjungen zu segnen, die einen Baldachin trugen.
Der Regenschirm erinnerte an diesen Baldachin und ist damit Todesbote für das Haus.“
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Belege für den Volksglauben finden sich auch im Spanischen ( * ):
“Abrir el paraguas dentro de la casa trae mala suerte.“
Belege für den Elsass sind hier ( * ) angeführt, unter “1,38. Regenschirm“
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Dankeschön für den Nachweis!
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Die Erklärung ähnelt der aus dem Ägyptischen, auf die Kollegin Ann schon vor einer Weile hingewiesen hat.
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Im Hausflur den Schirm aufspannen ist okay. Aber in der Wohnung: Gott bewahre …
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Du hast schon beim letzten Mal das für Wien vermeldet, lieber Herr Ösi (vergl. Karte).
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Von einem Verbot solcher Art habe ich noch nie gehört. Familienzwist gibt es bei uns nur wenn Regenschirme anfangen zu schimmeln, da sie der Träger nicht zum trocknen aufgespannt hat.
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Danke für die Rückmeldung! Schon seltsam, wie sporadisch dieser Volksglaube vorkommt.
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