Ein Mann geht einkaufen

Unterwegs war es so kalt, dass er die Daumen in den Fäusten verbergen wollte. Während er kräftig ausschritt, musste er an ein Fingerspiel für Kinder denken. Der linke Daumen heißt Himpelchen, der rechte Pimpelchen. „Himpelchen und Pimpelchen, die saßen auf einem Berg. Himpelchen war ein Heinzelmann, und Pimpelchen war ein Zwerg.“ Er reckte kurz die Daumen und ließ sie tänzeln. „Auf einmal werden Himpelchen und Pimpelchen sooo müde. Sie kriechen in den Berg und schlafen sieben Jahre lang.“ Er steckte seine Daumen wieder in die Fäuste. „Hörst du sie schnarchen? Nein? Hör mal genau hin!.“ Schnarchschnarch! Schnarchschnarch! Schnaaarchschnaaarch Schnarchschnarchschnarch!
Jetzt mach mal nen Hahn! Du: „Kikeriki!“
„Heissassa, Heissassa, Himpelchen und Pimpelchen sind wieder da!“
Beinah hätte er die Grünphase bei der Fußgängerampel verpasst. Was bin ich doch für ein Kindskopf, dachte er.

Bei Rewe fragte er einen jungen Verkäufer, der gerade in der Hocke Regale einräumte: „Können Sie mal nachlesen, ob in diesem Aufstrich Hefe ist? Ich habe meine Lesebrille vergessen.“ „Hihi, Lesebrille vergessen“ ist auch die Ausrede von Analphabeten, dachte er, derweil der junge Mann die Zutatenliste studierte. Freudig teilte der mit: „Da ist Hefe drin, Naturhefe auch!“, dachte wohl, sein Kunde wäre einer, der auf Hefe aus ist, egal was, aber Hefe muss drin sein! Er musste den Verkäufer leider enttäuschen: „Dankeschön, Hefe vertrage ich nämlich nicht.“

Bei den Zeitschriften sah er den unsäglichen Hirschhausen auf einem Titelblatt. Der hielt sich eine Tomate vor, als wäre sie eine rote Clownsnase. Mein Gott, der ist sich aber auch für nix zu schade, um beliebt zu sein. Was für ein Saftsack!

An der Kasse saß seine liebste Kassiererin. „Hi!“, begrüßte sie ihn freudig.
„Alles gut bei Ihnen?“
„Ja, was soll man machen, es muss.“ Sie strahlte ihn an, als hätte sie etwas Weltbewegendes gesagt.
Ihm fiel nichts ein, darauf zu antworten, während sie ihn abkassierte. Beim Austausch von sozialen Topoi blockierte schon immer sein Sprachzentrum. Sie wünschten einander noch einen schönen Tag, er packte seinen Einkauf in den Rucksack, schulterte ihn und trollte sich. Als er vor die Tür trat, blendete ihn die Sonne derart, dass er die Straße fast im Blindflug überqueren musste. Weil sein Rucksack so schwer war, entschied er sich, die Fössestraße entlang zu gehen, nicht durch die angrenzende Grünanlage. Der Weg schien ihm heute kürzer zu sein.

Auf einen Mülleimer, der halbhoch an einem Mast hing, hatte jemand gepinselt: „Halt die Umwelt sauber!“ In der Umgangssprache scheint der Imperativ sein auslautendes „e“ zu verlieren, dachte er. Es war ihm aufgefallen, dass er selbst oft darauf verzichtete, auch in Texten. Manchmal klang es einfach besser. Naja, manchmal nicht. Es ist wie mit den Nachhausewegen. Einmal kommen sie dir lang vor, beim nächsten Mal kurz, dann wieder lang. Beim Spielplatz turnten einige Jugendliche gutgelaunt auf dem Klettergerüst herum. Erneut dachte er über das Phänomen nach, dass Jugendliche sich nach der Schule auf Spielplätzen versammeln. Es war plausibel. Jugendliche auf dem Spielplatz suchen die Erinnerung an unbeschwerte Kinderzeiten, als sie noch nicht viel mussten, keinen Lernstress kannten, keine Leistungsbewertung, keine Prüfungssituationen, keine Selektion, all der Betrug eben am hoffnungsfrohen Kind.

Endlich zu Hause. Unterwegs schon im Geiste alles aufgeschrieben. So ist das, wenn einer einkaufen geht, der nichts muss.

Herr Overath

Ich träumte, mein Name wäre Overath, und ich wäre Verkäufer im Kaufhof, dem an der Marktkirche in Hannover, ging durch den Ausgang hinaus, der auf die Große Packhofstraße mündet, um zu rauchen. Auf dem dortigen Platz waren einige Menschen unterwegs. Plötzlich klingelte mein Mobiltelefon. Der Abteilungsleiter war dran und fragte: „Herr Overath, was machen Sie? Sie können doch nicht einfach während der Arbeitszeit hinausgehen und rauchen.“
Ich schaute mich um und entdeckte zwischen den Passanten den Abteilungsleiter mit dem Mobiltelefon am Ohr.