Intuition. Man muss drauf hören

Ich weiß nicht genau, was dazu führte, dass ich vor etwa sechs Wochen beschloss, nur noch vegan zu leben. Mein Körper hat anfangs protestiert. Aber ich gewöhnte ihn um. Mir war schon aufgefallen, dass ich in letzter Zeit ziemlich kraftlos gewesen bin. Beim Lesen oder Fernsehen nickte ich ständig ein. Aber besonders zeigte sich das beim Gehen. Es fiel mir immer schwerer, schnell zu gehen, und das, obwohl ich deutlich abgenommen habe. Beim Frühstück dachte ich, dass ich gerne mal wieder Camenbert auf meinem Brötchen hätte, nicht nur zum Ansehen, sondern auch um herzhaft reinzubeißen.

Nun ergab eine Blutuntersuchung vor ein paar Tagen, dass ich einen Mangel an Vitamin B 12 habe, typisch für Veganer. Und da die Apotheke die mir verschriebenen B-12-Tabletten nicht vorrätig hatte, sah ich im Internet nach, welche Lebensmittel B12 enthalten, und siehe da, Camenbert ist auch dabei. Schon früher war mir aufgefallen, dass etwas in mir klüger ist als ich. Da ich aus dem Veganismus keine Religion machen will, hatte ich keine Skrupel, Brötchen mit Camenbert zu essen. Seither fällt mir das schnelle Gehen leicht, und ich habe mein Intervalltraining wieder aufgenommen.

„Moooment!“, werden Neunmalkluge Skeptiker rufen und meinen Gang bremsen. „Sooo schnell können sich ein paar Brötchen mit Camenbert nicht auswirken. Das ist richtig, aber leider falsch. Der menschliche Organismus ist unter physiologischen Gesichtspunkten allein nicht zu verstehen. Vieles wird von der Psyche gesteuert. Wenn ich weiß, dass ich etwas gegen einen B12-Mangel getan habe, der Nervenimpulse verlangsamt und müde macht, wenn ich also spüre, dass mein Körper die Ernährungsumstellung begrüßt, setzt das, was klüger ist in mir, die nötigen Energien frei, mich in meiner Entscheidung zu bestärken.

Was klüger ist in mir staunte, nein, zürnte sogar, als mir gestern unmotivierte Ablehnung entgegenschlug. Ich erlebe, wenn überhaupt, meistens das Gegenteil, also unmotivierte Zuneigung. Die unmotivierte Ablehnung wurde mir in einer Apotheke zuteil. Eine hübsche junge Frau nahm meinen Abholzettel entgegen und holte aus dem rückwärtigen Lager mein Medikament. Sie benahm sich nicht unfreundlich, aber in allem was sie tat, war ein widerwilliges Zögern. 49,95 Euro wollte sie von mir haben, und ich fragte, ob sie mir vom Rezept eine Kopie machen könne. Sie schaute mich gleichmütig an, bis ich begriff und einen 50-Euro-Schein zückte. Sie gab mir fünf Cent zurück und kopierte das Rezept. Dann holte sie die Kopie aus dem rückwärtigen Raum und legte Rezept und Kopie auf den Tresen. Ich sagte: „Müssen Sie die Kopie nicht unterschreiben?“
„Kann ich machen“, sagte sie und kritzelte einen Schnubbel hin. Nichts war gegen mich gerichtet, aber etwas in mir war froh, der Frau den Rücken kehren zu können. Und am liebsten wäre ich zurückgegangen und hätte die Scheibe eingetreten.

„Warum haben Sie das getan?“, fragt der Polizist. „Scheibe eintreten. In Ihrem Alter, dz, dz!“
„Intuition. Man muss drauf hören.“
„Wie jetzt?“
„Die Apothekerin hat mich innerlich abgelehnt. Dabei hatte ich ihr keinen Grund gegeben. Ich wollte nur meine Tabletten abholen.“