Teestübchen Briefaktion (5) – Eine Fee trifft Fairbank

Was war heute vor 25 Jahren? Die Aachener Zeitung meldete: „Beim offiziellen Schießen der Kgl. Sankt-Johannes-Enthauptung-Bogenschützen-Gesellschaft Eupen-Nisbert wurde Hermann Schumacher Osterkönig.“ Im Tagebuch fragte ich mich, ob man die nicht kürzen könnte, – um einen Kopf vielleicht? Was war noch? In der Schule sagte mein Direktor: „Die neuen Richtlinien sind Zucker! Der Lehrer darf nur noch von seinen Schülern verlangen, was sie durch seine Förderung erreichen können.“ Schöne Idee. Bis vor kurzem hatten wir Deutschlehrer noch Noten für Handschrift vergeben müssen, ohne dass wir laut Richtlinien auch nur eine Unterrichtsstunde auf das Thema hätten verwenden dürfen. Die Handschriftnote ist glücklicherweise abgeschafft worden. Aber dass sich die weiterführenden Schulen bis auf Benotung nie mit dem Thema Handschrift befasst haben, ist ein Manko, unter dem viele Schreiberinnen und Schreiber noch heute leiden.

Im Verlauf des Seminars Theorie und Praxis der Handschrift erfuhr ich von der lieben Kollegin Karfunkelfee, wie unglücklich sie mit ihrer Handschrift war. Sie hatte die Lateinische Ausgangsschrift (LA) gelernt und als Linkshänderin auf rechtshändiges Schreiben umstellen müssen, trug also eine doppelte Hypothek. Schon als Rechtshänder LA schreiben zu müssen, hatte mich derart unzufrieden mit meiner Handschrift gemacht, dass ich mich später ausgiebig mit Alternativen beschäftigen musste, um das Manko auszugleichen. Im Jahr 1993 war ich auf Alfred Fairbanks schöne Schulausgangsschrift gestoßen und hatte sie geübt, wie die folgenden Tagebuchaufzeichnungen zeigen.


Dass ich 25 Jahre später eine Frau im fernen Teutoburger Wald mit der Fairbank-Schriftvorlage glücklich machen würde, ist ein Nachhall, der mich ungemein freut. Dass es mir sogar aus der digitalen Distanz des Internets gelang, ist hauptsächlich der wunderbaren Anleitung Fairbanks zu danken. Aus dem Teutoburger Wald erreichte mich Karfunkelfees farbenfroher Brief, auf Vor- und Rückseite gestaltet. (Größer: Bitte klicken!)

Das zentrale Bildmotiv der Vorseite ist die Farbstiftzeichnung eines Apfels, an den Rändern noch Zartgrün, über Gelb und Orange zur Mitte hin errötend. Begrenzt ist er von einer grünen Linie, aus der einige Schnörkel erwachsen. Sie zeigt unmissverständlich an, dass es um die im Apfel platzierte Adresse geht, damit sich die Post nicht von anderen Bildelementen und Beschriftungen ablenken lässt und am Ende vergeblich nach dem „Elefantenvogel“, nach „Marilyn Monroe“, oder einem „Mann in Gedanken“, sucht, der eine „Plume“ im Sinn hat. Der linke Rand des Briefes trägt eine farbige Schmuckleiste, die sich ein wenig noch auf den oberen Rand erstreckt. Vor der assoziativen farbenfrohen Gestaltung hat aber der Postcomputer kapituliert und glatt das Stempeln der Briefmarke verweigert. Auf der Rückseite sehen wir ein „Selbstportrait betiteltes Gesicht, also zwei weit auseinanderdriftende grüne Augen, die Nase der Umschlagsklappe ist durch ein liegendes Blatt markiert am unteren Bildrand findet sich der rote geschlossene Mund. Links davon ein „Elvis“ getiteltes Strichmännchen, rechts das Gegenstück zum „Elefantenvogel“ der Vorderseite, nämlich der „Vogelelefant.“ Alles ist mit Tusche gezeichnet und mit Buntstift coloriert. Ein Schüler bat mich einmal im Kunstunterricht um die Erweiterung der Gestaltungsaufgabe. Er wolle nämlich seine „Phantasie ein wenig hüpfen lassen.“ So wirkt die gesamte Gestaltung auf mich, wie das Ergebnis einer hüpfenden Phantasie. Wer die Texte von Karfunkelfee oder ihre Kommentare im Teestübchen kennt, findet genug verbale Entsprechungen.

Der Umschlag enthielt einen kalligrafischen Brief, in dem sie ihre Freude über die Fairbank-Schriftvorlage betont. Weil sie jetzt wieder mit Links schreibt, haben die Buchstaben keine Rechtsneigung, sondern stehen aufrecht, was ihnen eine gewisse Feierlichkeit verleiht. Das wird noch verstärkt durch die Betonung der Ober- und Unterlängen. Obwohl der gesamte Text viel Regelmaß aufweist, bekommt Fairbanks schöne Ausgangsschrift in Karfunkelfees neu gelernter Handschrift ihre individuelle Ausprägung. Kompliment!

Liebe Stefanie, herzlichen Dank für deinen Brief und deine positive Bewertung des Handschriftenseminars!

13 Kommentare zu “Teestübchen Briefaktion (5) – Eine Fee trifft Fairbank

    • Da kann ich mit einer landschaftlichen Bosheit antworten: Für uns Rheinländer fing das elendige Ausland direkt auf der anderen Rheinseite an. Das war alles scheel Sick und ging unterschiedslos in die Innere Mongolei über. Inzwischen weiß ich es besser 😉

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    • Ein Liniensystem ist immer hilfreich. Hier beispielsweise eine Anleitung von Edward Johnston, dem Lehrer von Alfred Fairbank, wie man die Buchstabengröße anhand der Federbreite festlegt (Die Kästchen am linken Bildrand zeigen die Federbreite):

      PS: Ich hoffe, du kannst dich noch bis Sonntag gedulden. Vermutlich schaffe ich die Präsentation deiner Einsendung heute nicht.

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        • …jetzt hab ich grad heiße Ohren vor Freude was ich hier lese…Danke für das Lob…das beflügelt mich..und bestätigt, dass die Entscheidung richtig war…vor allem, weil sich mit dem Wesen und Charakter der Buchstaben zu befassen, ihnen diese Bedeutung und Wichtigkeit gibt, die sie später in Sprache und Schrift verkörpern sollen. Fairbank spricht von ‚Buchstabenkörpern‘ und zeigt wie sie ihre Entwicklung vollzogen. Darum empfinde ich Fairbanks mir reif und erwachsen erscheinende Ausgangsschrift als sich ihrer selbst so bewusst wie sie auch schlüssig und klar bleibt.
          Dieses Prinzip wirkt sich erfreulicherweise bis ins Denken aus und sogar der tägliche Tenor der Tagebucheinträge hat sich verändert, ist ‚sportlicher‘ ‚schwungvoller‘ geworden. Wenn ich mich mit meiner rechten LA besonders langweile, beginnt sie auszuleiern wie ein alter falsch gewaschener Strickpullover. Nach rechts umgekippt war die Schrift ja vorher schon. Es wäre so wichtig, an Schulen Schülern ein gutes Handschreibgefühl zu geben, ihnen die richtige Sitzhaltung beizubringen. Die Schule ist irgendwann Vergangenheit. Doch ihr Unterlassen wirkt in alle Zukunft und wir schreiben im Normalfall bis es nicht mehr geht. Handschrift ist somit also eine im Leben sogar sehr häufig benötigte Kunst, die beim Einkaufszettel beginnt und die fortwährend kleine und große Notate erstellt, so selbstverständlich wie den Namen des Sachbearbeiters eben mal aufzuschreiben – weil man es gelernt hat. Das ‚wie‘ entscheidet maßgeblich ob dieser Name vierzig Jahre später lesbar sein kann oder nicht.
          Meinen Feen-Dank zu Euch und herzliche liebe Grüße

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          • Ich finde es auch beachtlich, liebe Fee, wie Du – vermutlich als Einzige – so richtig „drangeblieben“ bist, diese Schrift für Dich in Fleisch und Blut übergehen zu lassen. Ich gebe zu, dass es mir irgendwann, und das schon recht rasch, mühsam wurde, so dass ich aufgab und mich damit selbst entschuldigte, dass ich doch eigentlich meine eigene Schreibe habe, die sich beim Fairbanks-Üben leise, aber erfolgreich gegen „die Neue“ zur Wehr setzte. 😉
            Mein aufrichtiges Kompliment für Deine Beharrlichkeit!
            Lo

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            • Die Konkurrenz deiner Handschrift mit der neu zu lernenden Schrift ist ein interessanter Aspekt, lieber Lo. Ich glaube, man muss es sehen wie das Erlernen einer Fremdsprache. Sie verdrängt die Muttersprache ja auch nicht, wenn man nicht gerade ins Ausland umzieht.

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  1. Lieber Jules,

    Zugegeben – ich brauchte Mut, um meinen verrückten Brief aus dem wilden Teuto loszuschicken. Und ich stehe auch zu Hilfslinien, damit nicht alles krumm und schief wird. Jules, es war ein klasse Seminar und so eine Fee hat überhaupt kein Problem mit Entfernungen, weil ich theoretisch fliegen kann – dank Postbote und moderner Technik. Dennoch finde ich die Idee, Handschrift und Brief zu pflegen stets umsetzenswert. Endlich macht Schreiben mir mal Spaß – das ist doch was…und ich freue mich, wenn ich schon beim Schreiben den Eigensinn wieder in die Hand rutschen fühle, einige Buchstaben haben ihre zufriedenste Form noch nicht gefunden, doch je mehr ich schreibe umso eher erwerbe ich die Eigenheit, das Regelmaß, den Charakter, den die Schrift entwickeln soll. Puh, Jules, wenn Du Fairbanks schreibst, erblassen meine Buntstifte vor Staunen- doch Kalligraphie ist ja auch etwas ganz Besonderes und auch der Umgang mit dem Wechselzugfüller ist genussvoll, da so die Schrift noch anders wirkt.
    Lieben Dank für das Veröffentlichen und Deinen lesenswerten Beitrag – ich habe mich sehr darüber gefreut und dann auch noch veröffentlicht an einem Freitag, dem Dreizehnten, also sowieso einem Glückstag. Ich verfolge mit Spannung die noch folgenden schriftakrobatischen Kunstwerke der anderen Teilnehmer, die mich wiederum faszinierten in Idee und Umsetzung. Was für ein wunderbares Seminar und Projekt!
    Liebe Grüße von der Fee, die geografisch zwar manchmal auch ganz schlimme blinde Flecken hat, doch sich jederzeit gerne überregional begeistern lässt. Kulturgrenze Rhein, ach ja, ich lebte mal zwei Jahre am Niederrhein im Grenzland. Ich mochte Mentalität und Leute sehr – und den singenden Dialekt.

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    • Aber nein, liebe Stefanie, lass dich doch von einer solchen Bemerkung nicht beeindrucken. Ich wusste übrigens zuvor nicht, dass man vom Münsterland abfällig nach Ostwestfalen schaut. Daher meine Replik, dass Rheinländer auch über das Münsterland nicht anders denken. Tatsächlich ist ja das Wort Ausland etymologisch verwandt mit Elend. So dachten unsere Vorfahren über die Welt: Was außerhalb ihres begrenzten Gesichtskreises lag, war Elend. Hier passt gut die Bemerkung Gracians: „Die eine Hälfte der Welt lacht über die andre, und Narren sind sie alle.“ http://gutenberg.spiegel.de/buch/gracians-orakel-der-weltklugheit-3064/6

      Ich habe große Achtung vor deiner Beharrlichkeit beim Üben und bin beeindruckt von deiner Leistung. Etwa in der Mitte deines Briefes dachte ich, jetzt hat Stefanie sich freigeschrieben, witzigerweise, wo du darüber schreibst, dass die Buchstaben manchmal noch „unperfekt“ seien und „nicht richtig sitzen.“ An meinen Bemühungen in den Tagebuchtexten sehe ich noch vieles, was besser sein sollte. Auf Eigenes schaut man selbst am kritischsten. Mit ein bisschen Abstand findet man dann, es ist doch schon prima gewesen. Also ein dickes Kompliment von mir. Ich bin sehr froh, eine derart gelehrige Adeptin im Handschrift-Seminar zu haben.
      Lieben Gruß und schönes Wochenende,
      Jules

      Dass gestern Freitag der 13. war, habe ich übrigens nicht beachtet.

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  2. Lieber Jules,
    ich hoffe, auch Dein Postzusteller hat Freude an den Kunstwerken, die Deine Schüler Dir zuschicken.
    Liebe Grüße und großes Kompliment an alle!
    Christa

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  3. Pingback: Zum Abschluss der Teestübchen Briefaktion

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