Ich muss bis zum Waterlooo-u-bahnof mit der linie 9 fahren, um dort umzusteigen in die 13. Seit wochen sind die fahrscheinautomaten in der Nieschlagstraße außer betrieb. Bis zum umstieg muss ich notgedrungen schwarz fahren. „Beförderungserschleichung“ heißt das juristisch. „Beförderungserschleichungsnötigung“ ist das. Glücklicherweise betrifft meine Beförderungserschleichung nur drei stationen. Hinter der Haltestelle „Schwarzer Bär“ rollen wir über die Benno-Ohnesorg-Brücke. Oberirdisch fährt die linie 9 gerade mal 20 stundenkilometer, aber wenn die bahn die Benno-Ohnesorg-Brücke passiert hat, rast sie die rampe hinunter zum u-bahnhof Waterloo.
Viele Leute sprechen die station englisch aus, denken vermutlich, sie ist nach Abbas eurovisons-hit benannt. Aber Waterloo ist flämisch, ein dorf in der belgischen provinz Brabant, man spricht es wie man liest. Die ortsbezeichnung bedeutet wassersenke. Der hannoversche bahnhof heißt Waterloo wegen der gleichnamigen schlacht. Oberhalb der u-bahnstation Waterloo befindet sich ein ehemaliger Exerzierplatz, heute eine große Rasenfläche, in deren Mitte sich eine 46,31 Meter hohe Siegessäule erhebt. Unweit steht das standbild des grafen Carl von Alten. Von Alten habe sich in der schlacht bei Waterloo in der King’s German Legion (Königlich Deutsche Legion) hervorgetan, heißt es. Wikipedia weiß: „Durch die Verteidigung des Gutshofes „La Haye Sainte“ hatte von Alten wesentlichen Anteil am Sieg der Alliierten bei Waterloo – und damit auch an der Umsetzung der auf dem Wiener Kongress beschlossenen Erhebung des Kurfürstentums Braunschweig-Lüneburg zum Königreich Hannover.“ Das rechtfertigt allemal, dass die Hannoveraner ihm ein denkmal setzten. Heute wäre zu fragen, ob der graf von Alten den gutshof etwa alleine verteidigt hat? Oder saß er sicher abgeschottet und hat befehle gegeben?
Zur schlacht wird der adelige kriegsherr jedenfalls vierspännig gefahren sein. Die zum kriegsdienst gepressten bauernburschen seines verbands durften hinterher stolpern. Die meisten sind auf dem schlachtfeld gefallen. Graf Carl von Alten stand noch glücklich in seinen stiefeln und hat sich dort malen lassen, (im ausschnitt auf dem flyer seines mauseleums). Von den 20.000 gefallenen Soldaten und Pferden ist auf dem auf dem gemäldeoriginal nichts zu sehen. Der maler war vermutlich gehalten, die störenden fremdkörper einfach wegzulassen. Später hat man die leichen in Massengräbern in den typischen hohlwegen der umgebung verscharrt.
Wikipedia weiß: „Spätere Versuche, ihre Gebeine zu bergen, blieben ergebnislos. Nur zwei Skelette wurden gefunden. Wo die sterblichen Überreste (…) geblieben waren, war lange Zeit unklar. Im Jahr 2022 fanden der belgische Historiker Bernard Wilkin, sein deutscher Kollege Robin Schäfer und der britische Schlachtfeldarchäologe Tony Pollard heraus, dass etwa 20 Jahre nach der Schlacht begonnen worden war, die Gebeine wieder auszugraben, um sie an die boomende Zuckerindustrie Belgiens zu verkaufen (…) , in der die begehrte Knochenkohle als Filtermaterial zum Entfärben des Zuckers benötigt wurde.“
Wer hätte gedacht, dass sich in den berühmten belgischen pralinen noch soldatische DNA aus der zeit Napoleons findet?
Der U-bahnhof Waterloo war einst der hässlichste aller hannöverschen u-bahnhöfe. In den 2000-er jahren wurde er umgestaltet, zeigt nun auf großen bildtafeln collagen mit den wichtigen entwicklungsschritten der stadt. Freund spraakvansmaak erzählte, er habe als student mit einem seminar der historischen fakultät am konzept mitgearbeitet.
Ich muss aussteigen, nutze den aufzug und fahre auf straßenniveau. Gar prächtig scheint die sonne. Hinter mir auf dem waterlooplatz ein containerdorf, in dem die stadt Hannover geflüchtete untergebracht hat. Ich gehe fünf meter hinüber zur 2. aufzuganlage, um auf den bahnsteig stadtauswärts zu fahren. Es gibt hier als zwischentage eine verteilerebene, die wohl nur über treppen erreichbar ist. Auch gibt es einen tunnel, den man mit dem fahrrad durchfahren kann zur anderen Seite der vierspurigen Lavesallee. Dabei wird man gewiss gefilmt, denn die zufahrt ist direkt neben dem niedersächsischen innenministerium.