Die ihre hacken in den fluss werfen

Einem bauern im alten Griechenland ist die einzige hacke in den fluss gefallen. Er beklagt lauthals seinen verlust und will nicht aufhören mit seinem jammer. Irgendwann geht er den göttern so auf die nerven, dass sie ihm, um endlich ruhe zu haben, eine goldene hacke zuwerfen. Darob werfen auch andere bauern ihre hacken in den fluss. Das jammern will kein ende nehmen, und die götter schwören einander, niemals mehr zu reagieren, wenn menschen ihre stimmen erheben und ihre hände flehend gen himmel strecken.
Es hat sich wohl noch nicht herumgesprochen, weshalb die katholiken zwischen ostern und himmelfahrt frühmorgens mit bittprozessionen um die felder ziehen.

Ich erinnere mich: Ältere vorbeter leierten litaneien und wir kinder mussten mitlaufen und ebenfalls leiern: „erbarme dich unser“ oder „bitte für uns.“ In meiner kindheit war es üblich, dass jungen nach ostern kurze hosen trugen. Ich erinnere mich, gegen 6 uhr in der morgenkühle gebibbert zu haben. Ein älterer junge trug eine eng sitzende lederhose und schlug sich immer klatschend auf die oberschenkel, um sie aufzuwärmen.

Meine mutter zwang mich, bei den bittprozessionen mitzulaufen, ohne zu erklären, wozu das gut war. Sie folgte einfach der tradition der eltern, großeltern, urgroßeltern, ururgroßeltern bis hinab in finstere vergangenheit, als die bittprozessionen noch heidnische flurbegehungen waren und der kontrolle der flurgrenzen dienten. Bei den ripuarischen franken war das der grund, warum die knaben mitlaufen mussten. Es war rechtsbrauch, zum festlegen einer grenze, einen knaben mitzunehmen. Und war ein grenzstein gut in der erde, verabreichte man dem jungen ein paar schallende backpfeifen oder zog kräftig an seinem ohr. So würde er sich zeitlebens an die stelle erinnern und den grenzverlauf bezeugen können. Das wort „Zeuge“ kommt vom verb „ziehen“, der zeuge wäre demnach, der am ohr gezogen wurde.

Die bäume hinter meinen fenstern boten heute morgen einen wunderbarer kontrast zwischen licht und schatten. Wohin die sonne kam, erstrahlten die bemoosten äste und das frische blattwerk in kräftigem grün. Ich sah aus dem fenster, erinnerte mich an die zeit der bittprozessionen und wärmte mir die oberschenkel am heizkörper. Wie gut, dass wir keine knaben mehr am ohr ziehen müssen, weil wir inzwischen schrift, besitzurkunden und grenzkataster haben. Und das gejammer mit „erbarme dich unser“ können wir uns nach 2000 unerhörten jahren auch sparen. Wir gelten da oben nämlich als die bauern, die ihre hacken absichtlich in den fluss geworfen haben.