Hillie hieß das erste Mädchen, in das ich verliebt war. Da war ich etwa zwölf. Hillie war bei Nachbarn in Ferien und radelte mit uns über die Felder nach Grevenbroich zum Freibad. Hillie sitzt im Badeanzug auf der Decke und will nicht in Wasser. Warum? „Muschi hat Nasenbluten?“, sagt der Neuhaus wissend und bleckt grinsend seine großen Zähne. Neuhaus wusste immer Bescheid. Er hatte zwei ältere Schwestern und hatte uns alle aufgeklärt. Ich war sehr verliebt in Hillie aus Gelenkirchen, traute mich aber nicht, es ihr zu zeigen. Als ich ein Jahr später in Neuß die Schriftsetzerlehre begann, gehörte zu meinen Tagträumen, sie werde eines Tages ebenfalls in Neuß auftauchen. Dieser Tagtraum bewahrheitete sich. Als hätte ich sie herbeigewünscht, traf ich Hillie auf der Oberstraße, wo sie die Handelsschule besuchte. Natürlich war ich immer noch viel zu schüchtern, ihr näher zu kommen.
Daran musste ich denken, als Geilenkirchen und sein Hitzerekord für kurze Zeit in den Medien auftauchte. Gut 15 Jahre nach Hillie musste ich als Lehramtsanwärter alle 14 Tage nach Geilenkirchen fahren. In einem hübschen freistehenden Haus an der Landstraße wurde das Fachseminar Kunst abgehalten. Unser Seminarleiter hieß Bertrams, ein schon betagter Lehrer aus Schleiden in der Eifel. Bertrams war stolz, zusammen mit Joseph Beuys studiert zu haben. „Sie müssen antizipieren!“, mahnte er uns immer wieder. Guter Unterricht müsse vorausschauend geplant sein, und Imponderabilien sollten weitgehend ausgeschaltet werden. Das letztere habe ich schon damals nicht geglaubt und gedacht, das ist vermutlich der Grund, warum der eine Student später Kunstlehrer geworden ist und der andere Künstler mit Weltruf. Planen muss man, aber da müssen auch Leerstellen sein, damit sich das Leben entfalten kann. In meinem Leben hat es immer Imponderabilien gegeben, denn ich war und bin blauäugig von Beruf.
Herr Bertrams wusste es eben nicht besser! War er wenigstens immer ordentlich angezogen?
Schöne Verliebtheitsgeschichte davor. Als ich zwölf war, liebte ich heimlich einen Bäckerlehrling und leckte die dort geholten Brötchen ab. Tja. Aus so Leuten werden dann blauäugige Kunstlehrer!
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Ja, er war absolut korrekt, aber auch ein integrer Mann. Einmal überraschte er mit der Nachricht, er habe mit Schrecken festgestellt, dass in all meinen Unterrichtsentwürfen der Richtlinienbezug fehlt. Sie seien immer so überzeugend gewesen, dass es ihm nicht auzfgefallen war, weshalb er sich jetzt große Vorwürfe mache.
Danke für die kuriose Episode mit den abgeleckten Brötchen!
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Nicht nur von Beruf 😉
Guten Morgen lieber Jules!
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Stimmt.
Guten Morgen, liebe Anna!
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Eine schöne Verbindung zu Geilenkirchen, lieber Jules. Mit manchen Orten verbinden einen über Jahre hinweg Erinnerungen. Ganz persönliche. Dann ist es seltsam den Namen in den Nachrichten zu einem völlig anderem Thema zu hören. Einen schönen Sonntag. Heute kann vielleicht auch Geilenkirchen wieder aufatmen.
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Du hast das feinsinnig benannt, liebe Mitzi. Man hat seine geläufigen Erinnerungen, doch dann bringt so ein plötzlich aufgetauchter Name etwas aus tieferen Erinnerungsschichten zum Vorschein.
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