Tausend und eine Schreibarbeit – Der Jubiläumstext

„Wenn ich meine besten Leute versammele, damit sie mir einen würdigen Jubiläumstext verfassen, dann wünsche ich, nicht enttäuscht zu werden“, sagte Chefredakteur Trittenheim und nahm neben mir Platz. Ui, das sollte brenzlig werden. Mir wurde siedend heiß bewusst, dass er auf der Stelle Leistung erwartete. Ich fragte nach: „Sollen wir etwa jetzt schreiben, während wir uns gerade nach Hause begeben wollten zu Frau und Kind?“
„Ja“, sagte er unerbittlich.
„Soll der Text humorig sein oder ein ernstes Thema behandeln?“

„Das weiß ich doch jetzt noch nicht“, sagte der Chef ungehalten.
Das würde mehr als schwierig werden. Ich wusste nicht, ob es mir möglich wäre, unter seinen gestrengen Augen etwas zu schreiben. Immerhin könnte ich erst mal meinen Bleistift spitzen und abwarten, was die anderen … Schon wieder war ich vorlaut und sagte: „Aber wir dürfen die Leser nicht verarschen. Nicht, dass sie am Schluss des Textes denken, wir hätten ihnen die Zeit gestohlen. Die Zielrichtung unseres Textes muss klar sein, vor allem uns hier am Tisch. Sonst schreiben wir kopflos drauflos und merken nach einer Weile, falsche Richtung. Sie, Chef, verlangen: „Nach links, nächste links und nochmal links!“ und ich muss Ihnen sagen: „Geht nicht, das ist nur eine Hofeinfahrt, denn unten im Tal ist ein Kanal entlang einer Bahnlinie, beides erst in tausend Sätzen zu überbrücken. Also wenden und die ganzen mühsam abgefahrenen Buchstaben, Wörter und Sätze zurück.“
Schon hatte ich mich reingeritten. Triumphiere vor den anderen niemals über deinen Chef. Im alten Rom war das dein Tod.
„Ich finde den Gedanken hübsch, alle Blätter der Bäume wären mit fast unsichtbaren Marienfäden festgezurrt, so dass sie sich im Wind kein bisschen bewegen können. Höchstens der ganze Baum könnte leicht schwanken, wenn sich die gebändigte Bewegungsenergie aufgestaut hätte und auf den Stamm übergehen würde“, sagte Frau Dr. Cornelia Wittlich, geborene Klüsserath verträumt. Aber niemand reagierte. Man warf beiläufig einen Blick nach draußen, und fand das gewohnte Flirren der Blätter im Abendwind.
„Eine Frage beschäftigt mich: Wenn zwei Zahnspangenteenager sich innig küssen, können sich deren Zahnspangen verhaken, dass sie nie mehr auseinander kommen und heiraten müssen?“
Kollege Jürgen Rennpferd hatte diesen seinen Haufen unterschiedlich langer Wörter gebündelt, legte eine Schraubzwinge darum und stieß die Wörter auf dem Tisch auf, so dass sie unten bündig waren, aber oben unterschiedlich hoch emporragten; besonders „Zahnspangenteenager“ überragte alle anderen. Rennpferd zurrte die Schraubzwinge fest. „Kann mal jemand die Wörter egalisieren, also oben gleichlang abknabbern? Das machen am besten Sie mit Ihren Mausezähnchen, Fräulein Erlenberg.“
„Mausezähnchen?! Das ist sexistisch!“, schnaubte Fräulein Erlenberg.