Als ich heute Morgen sah, was für ein trübes, nasses Grau mir als Tageslicht geboten wurde, erfasste mich bodenloser Grimm. Ich schimpfte und tobte. Sogar das rote Kontrolllämpchen am Kaffeeautomaten zitterte, obwohl es als einziges einen tröstenden Schein spendete. Alles ringsum bedrohte ich, fuchtelte mit dem gestreckten Zeigefinger herum, als wärs mein schwerer Trommelrevolver. Die Bilder, der Fernseher, die Lampen, sie müssten dran glauben, stieß ich hervor. Sogar in den Vorhang drohte ich zu schießen, worauf er freilich nur höhnisch wehte.
Als erstes verlor Weckerchen Holger die Nerven und hub gleich an zu jammern. Es wär ja noch so jung, hätte längst nicht so viele Stunden gezählt wie seine Großmutter, die gute 50er-Jahre Wanduhr, von der es bedauerlicher Weise fast nichts wüsste, nur dass sie Jahrzehnte im linksrheinischen Dorfe Ramrath in einer Bauernküche im Kochdunst gehangen, bevor sie, o Schmach, von einem levantinischen Händler, vermutlich einem windigen Türken, auf dem Flohmarkt verkauft wurde. Das ging zu weit! Wenn Weckerchen anfangen, von ihrer schmantigen Oma zu erzählen und ausländische Mitbürger mit hässlichen Adjektivattributen belegen … Ich hob Weckerchen Holger mit zwei Fingern der Linken hoch und schoss ihm genau ins Ziffernblatt. Mittenrein! Ein Blattschuss!
Jetzt war klar, dass ich es ernst meinte. Nur die gelbe Engeltasse Cornelié, aus der ich morgens meinen Kaffee trinke, die blieb ganz ruhig. Sie hatte erfahren, dass Hitze sich irgendwann naturgemäß abkühlt, hatte schon oft zuerst heißen, dann lauen und zuletzt kalten Kaffee erlebt. Außerdem wusste sie um ihre seit Jahren unangefochtene Sonderstellung, weil ich sie zu behandeln pflege wie ein rohes Ei, was schon so manche versteckte Eifersucht hatte aufkeimen lassen. Tatsächlich wurde ich bald darauf schon wieder friedlich, derweil ich die Ereignisse aufschrieb. Der Zauber des Schreibens! Anfangs hatten die Tasten im Tastenboard sich noch ängstlich unter dem heftigen Anschlag meiner Finger geduckt. Doch hatte ich sie einmal erniedrigt, hoben sie wieder ihre Köpfe. Ganz schön kess, die jungen Dinger! So nahm der Morgen seinen gewohnten Gang. Nur Weckerchen Holger wird leider nie mehr ticken.
Upcycelt: Erstveröffentlichung am 28. August 2015 im Teestübchen
Du hast eine wunderbare Art zu schreiben….und das hier was sozusagen über nix, aber so reichhaltig 😉
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Herzlichen Dank, meine Liebe, für das schöne Kompliment. Was könnte erst dabei herauskommen, wenn es um Inhalte ginge? Ich werde mich bald mal drum bemühen. 😉
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theoretisch hast Du die Vorbereitung ja bereits beschrieben ;-))
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Ich habe keine Ahnung, was du meinst? 😉
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Die schöne Tasse ist eine Konstante in deinen Texten. Der Leser kennt sie und freut sich, dass du gut auf sie acht gibst.
Schön, ein Lebenszeichen von dir zu lesen, lieber Jules. Es stopft das Sommerloch.
Liebe Grüße
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Dass die Tasse oft in meinen Texten auftaucht, war mir gar nicht bewusst Tatsächlich bedeutet sie mir viel,,denn sie ist verknüpft mit einer Liebe, die mir vor Jahren einfach abhanden gekommen ist.
Schön, von dir so begrüßt zu werden, liebe Mitzi. Einstweilen bin ich noch nicht wirklich präsent und stopfe das Sommerloch mit Konserven.
Lieben Gruß aus Hannover!
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Nur zu, Jules. Manche Beiträge hat man nicht mehr parat, andere hat man nicht gelesen.
Ich überlege auch gerade, zum zweijährigen des Blogs die ersten Geschichten hervorzu kramen.
Liebe Grüße
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Herrlich erzählt! – lohnt das Wiederlesen. Im „Best of Trithemius“ vermutlich einer der vorderen Plätze. 🙂
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Vielen Dank! „best of Trithemius“ gefällt mir; es wäre auch ein guter Buchtitel für ein Manuskript, an dem ich gerade arbeite.
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Sehr amüsant geschrieben. Toll, wie du die Gefühlszustände so ansprechend in die Handlungen des Morgens verpacken kannst. 🙂
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Vielen Dank, dein zustimmendes Lob freut mich.
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