Hallo?! Wie peinlich ist das denn?! Unter dem Gejohle der Punker, die immer vor dem Edeka-Supermarkt lagern, werde ich in Handschellen über die Limmerstraße abgeführt. Und just, als die beiden Polizisten mit mir warten, um eine Straßenbahn vorbeizulassen, just in diesem peinlichen Augenblick kommt Frau Schewardnadse mit dem Fahrrad angefahren. Rundet im erstaunten Wiedererkennen ihre schönen Augen, und gerade kann ich noch stammeln: „Es ist nicht das, wonach es aussieht!“, da zerren mich die Bullen auch schon zum Polizeiwagen hin.
Jetzt sitze ich auf dem Polizeirevier in der Ausnüchterungszelle für Akademiker und andere Strolche und warte auf den Polizeipsychologen.
Es hat alles ganz harmlos begonnen. Monatelang war ich nur zu Edeka gegangen in der Hoffnung, Frau Schewardnadse säße an der Kasse. Eigentlich sieht sie aus wie eine ganz gewöhnliche Frau Anfang 40, mit blonden Strähnchen in den braunen halblangen Haaren. Aber wenn sie mich anschaut und lächelt, falle ich aus den Schuhen. Sie hat mindestens die schönsten Augen nördlich der Alpen. Und wenn sie mir das Wechselgeld zurückgibt, streicht sie jedes Mal wie unabsichtlich meine Hand. Da dachte ich schon: Man muss sich vorsehen bei den slawischen Weibern. Sie haben allerlei kokette Tricks in petto.
Leider war Frau Schewardnadse schon wieder nicht da. Vielleicht hat sie ja eine andere Stelle gefunden, denn eigentlich ist Frau Schewardnadse nicht einfach eine Frau an der Supermarktkasse, sondern war in Georgien eine Astrophysikerin gewesen. Sagt jedenfalls mein Freund Konrad Fischer. Alle Frauen, die aus dem tiefen Osten kämen und bei uns im Westen an den Supermarktkassen sitzen, wären in ihrer Heimat arbeitslose Astrophysikerinnen mit einem Doktortitel in Quantenphysik oder mindestens Lehrerin gewesen.
Statt Frau Schewardnadse sitzt ein junges Kassenfräulein da, zieht meine Waren über den Scanner, lächelt und sagt:
„Neun Euro 50 hätte ich gerne!“
Ich bin bitter enttäuscht und sage fest: „Wir haben nicht vereinbart, dass ich Ihnen für diese Dienstleistung ein Honorar bezahle.“
„Wie jetzt…?“
„Fast zehn Euro für ein Lächeln, nö! Ja, und dann haben Sie natürlich ein paar Waren über den Scanner gezogen. Das ist doch keine Leistung!“
„Hallo…? Geht’s noch? Sitzen Sie hier mal acht Stunden und fertigen jeden Idioten ab.“
„Sind Sie grad ein bisschen ausfallend geworden? Erst lächeln, dann schimpfen, und alles für neun Euro 50.“
„Sie bezahlen doch mich nicht für irgendwelche Höflichkeitsgesten.“
„Das nennen Sie also ‘Höflichkeitsgeste’. Ganz umsonst werden Sie die Idioten aber auch nicht abfertigen.“
„Mein Lohn ist in den Waren enthalten.“
„In meinem Kartoffelsalat? Ja, ist denn das erlaubt?“
„In den Preisen Ihres Einkaufs.“
„Meines Einkaufs?“
„Ja, Sie stehen hier nämlich an der Supermarktkasse. Ich habe Ihre Waren über den Scanner gezogen, die Computerkasse hat die Preise registriert, zusammengezählt und die Kaufsumme von neun Euro 50 ausgegeben, und jetzt ist es üblich, dass der Kunde bezahlt. Sagt ja schon das Wort: ’Einkaufen’ mit Betonung auf Kaufen.“
„Üblich? Ich komme aus dem Rheinland. Da kaufen wir nicht ein, sondern holen uns alles.“
„Aber in Hannover ist es üblich, dass der Kunde kauft, also zahlt.“
„Ja, wo ist er denn?“
„Wer jetzt?“
„Der Kunde, der meine Waren bezahlt?“
„Jetzt rück schon die Kohle raus, Alta“, brummt mein zotteliger Hintermann, der nur eine Flasche Wodka aufs Band gelegt hatte, „ich hab nicht ewig Zeit.“
„Ach, eilt es bei dir so mit dem Saufen? Zahl du doch!”
“Herr Huschke, Kasse bitte!”, sagt das Kassenfräulein ins Mikrophon. Und wie aus dem Nichts steht Herr Huschke neben mir, erkennbar an dem Namensschild an seinem Kittel.
Ich sage: „Hallo, Herr Huschke, sind Sie nicht so ein kleiner Dicker mit Brille?
„Nein, das ist die Frau Haubentreter. Was gibt’s?“
„Der Herr hinter mir hat nicht ewig Zeit, sagt er.“
„Wer hat das schon. Sehen Sie, ich bin schon 58, und noch ist völlig unklar, ob ich es bis zur Rente schaffe…“
Das wird traurig, weiß ich sofort und sage: „Einen Moment, bitte, Herr Huschke“, greife mir die Wodkaflasche, schraube sie auf und setze sie an den Hals. Ah, das Zeug läuft runter wie Wasser. Ich hab Riesendurst. Derweil wird mein Hintermann renitent und will mir die Flasche entwinden. Im allgemeinen Gerangel fängt das Kassenfräulein an zu schreien, und Herr Huschke geht zu Boden. Muss man da gleich die Polizei rufen?
Jetzt bin ich schon fünf Stunden in der Ausnüchterungszelle. Seit meiner Einlieferung habe ich keine Menschenseele mehr gesehen. In der Ferne höre ich den Straßenverkehr rauschen. Wo mag nur Frau Schewardnadse jetzt sein?
Upcycelt: Erstveröffentlichung am 27. August 2015 im Teestübchen
genial ! endlich mal die Problematik anders angegangen !
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Dankeschön! Aber hohen Preis bezahlt 😉
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;-))
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Wenn es nicht das ist, wonach es aussieht, was ist es dann?
Ich mag den beiläufigen Tonfall sehr, die Selbstverständlichkeit, mit der hier ein Supermarkt samt Personal und Kunden abgewrackt wird. Na, wenigstens hat Frau S.das Chaos noch mit eigenen – schönen – Augen sehen können.
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Ich halte das auch für eine pure Schutzbehauptung. Es ist genau das, wonach es aussieht.
Freut mich, dass dir das beiläufig erzählte Destruktive gefällt. Ich habe mich schon immer für die frühen Slapstickfilme begeistert, in denen Probleme gelöst werden, indem sich die Akteure ganz selbstverständlich gegenseitig in den Hintern treten.
Das wäre noch zu erzählen, was Frau S. zu dem Unheil sagt, das ihre schönen Augen angerichtet haben.
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Herrlich – köstlich – wunderbar !! Ich stelle mir das gerade als Film vor, schwarz-weiß komischerweise, aber vielleicht kommen dabei die schönen Augen von Frau Schewardnadse besonders gut zur Geltung. Andererseits könnte ich mir sehr gut Loriot in der Hauptrolle vorstellen.
Der Gebrauch des Verbs „holen“ statt „einkaufen“ ist mir auch hier in der Gegend (im Hessischen) schon oft aufgefallen, gerade in letzter Zeit. Und ich frage mich jedes Mal, ob mein Gesprächspartner auch bezahlt oder die Ware wirklich einfach nur geholt hat.
Gibt es irgendwo im Blog noch eine Fortsetzung mit Frau Schwardnadse (bin noch nicht so lange dabei und konnte noch nicht alles lesen …) ?
Es war ein exquisites Lesevergnügen, vielen Dank !
Elisabeth
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Dankeschön! Freut mich, dass dir meine kleine Groteske gefallen hat. Eine Fortsetzung gibt es leider nicht. Eine weitere Supermarktgroteske ist die hier https://trittenheim.wordpress.com/2017/08/01/alptraum-geldtransporter/
Vielleicht gefält dir auch das https://trittenheim.wordpress.com/2017/07/12/schande-kein-intergalaktischer-weltfriede-fuer-friseure/
Beste Grüße,
Jules
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Vielen Dank ! Beide Beiträge sind auch sehr amüsant, aber ich hätte doch gehofft, dass du noch in den Genuss eines tiefen und seelenvollen Blickes aus den schönen Augen von Frau Schewardnadse kommen würdest – eines Blickes, aus dem das tiefe Verständnis spricht. dass Vieles nicht so ist, wie es aussieht. Ach ja, das wäre doch schön gewesen. So musst du damit leben, dass sie dich vermutlich nie wirklich erkannt hat. Hm, ach ja – schade.
Durch deine Links habe ich auch „auchwasmitmedien“ kennen gelernt, was mich sehr erfreut hat.
Ja, das Surreale springt uns hin und wieder ganz unvermittelt an – das ist ja auch eine Bereicherung, dass man manche Dinge ganz anders sehen kann als nur so, wie sie aussehen. Vielleicht macht dir auch mein Beitrag zur Brezel Spaß: https://elisabethlindaublog.wordpress.com/2017/06/16/brezel-20-februar-2017/
Freue mich auf deine nächsten Beiträge und wünsche noch einen schönen Tag, beste Grüße
Elisabeth
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