Tut muhen – Konsumentenverachtung in Plastikflaschen

Kategorie zirkusWird Radio nur von Doofen gehört? Die Radiowerber scheinen das zu denken und reimen: „Ganz Deutschland nur das eine tut, es sucht die Müllermilch, die muht.“ Ein Kinderreim, vorgetragen von der sich überschlagenden Stimme eines Irrsinnigen, untermalt vom Muhen einer Kuh. Man reimt das kindliche Verb „tun“ auf das onomatopoetische „muhen“ und glaubt sich durch den Reimzwang entschuldigt. Es macht nichts, wenn man dem Volk der Dichter und Denker unterstellt, es wolle deutschlandweit nur „das eine“, völlig infantilisiert durch Supermärkte tappen, um muhende Plastikbecher zu suchen. Man könnte denken, die Zyniker, die sich diese Radiokampagne ausgedacht haben, sitzen in der Werbeagentur. Klar, da sitzen sie auch. Aber es müssen da Entscheidungsträger in der Führungsetage von Müllermilch dieses Bild von Konsumidioten vor Augen haben. Obs nun Wunschdenken ist oder ein klarer Blick auf die Verfasstheit der Kunden, neu ist diese Haltung nicht. Sie lässt mich denken an eine Aussage, die dem Schlagersänger Christian Anders in den 1970er Jahren zugeschrieben wurde: „Ich denke Tag und nach darüber nach, wie ich den Idioten noch mehr Schallplatten verkaufen kann.“ Zitat und Werbespot drücken eine tiefgreifende Konsumentenverachtung aus, ein Wort, das mir mittags auf dem Sofa eingefallen ist, und ich verband es im Geiste mit dem Blick durch das Laub einer Baumkrone in die blitzende Himmelsbläue, damit ich nicht aufstehen musste, um es aufzuschreiben. Konsumentenverachtung und blauer Himmel. Diese Verbindung ist nicht so seltsam wie sie scheint. Konsumentenverachtung schwebt über unserem Sozialwesen. Da sollte uns die makellos strahlende Äußerlichkeit des Konsumblitzeling allüberall nicht täuschen.

Muht nicht - Dekorationskuh  - Foto: JvdL

Muht nicht – Dekorationskuh – Foto: JvdL

Irgendwo in den Tiefen meiner Erinnerung hatte ich abgespeichert, dass Müllermilch ein kritikwürdiges Unternehmen ist. Hab mich aber erschreckt, als ich die umfangreiche Auflistung der sozialschädlichen Umtriebe fand, die Nina Baur auf dem Soziologie-Blog veröffentlicht hat. Die Autorin ist Professorin für Methoden der empirischen Sozialforschung am Institut für Soziologie der Technischen Universität Berlin und als Quelle wohl verlässlich. Da steht fast mehr, als man wissen will, und es fühlt sich an, als hätte man den Arm grad tief ins Bushofklo getaucht. Aber es wird klar, da passt eines zum anderen. Der Radiospot zeigt sich als peinliches Dokument der Selbstentlarvung – im Zirkus des schlechten Geschmacks.

24 Kommentare zu “Tut muhen – Konsumentenverachtung in Plastikflaschen

  1. Die Nachfrage bestimmt das Angebot.
    Im Fall Müller-Milch geht mir dieser Satz nicht aus dem Kopf heraus. Ich kenne diese Werbung. Ein beleidigter Konsument würde keine Müllermilch mehr kaufen wollen, sondern den Werbefuzzis eine lange Nase drehen und woanders kaufen. Doch wie viele Konsumenten erkennen überhaupt, für wie blöd und durchgeknallt ein Konzern sie verhohnepipelt und sie in ein Bild zwängt, das ihnen jede Mündigkeit, überhaupt einkaufen gehen zu können, abspricht? Für mich ist in einem solchen Fall Konsumverweigerung die logische Folge. Aber erkläre das mal Deinen Kindern, lies ihnen die finsteren Fakten über das Unternehmen vor und erkläre ihnen dann, warum das Lieblingsprodukt in Sorte Erdbeer woanders richtig großen Schaden für die Umwelt und Menschen anrichtet…wie sollen Kinder das gut verstehen und Kinder sind für Müllermilch eine Riesenzielgruppe…

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    • Oft wird die Nachfrage aber erst durch Werbung erzeugt, einmal, indem sie darüber informiert, dass es ein bestimmtes Angebot gibt, dann, um die Begehrlichkeit zu wecken. Gegen solche Verlockungen sind Kinder zunächst einmal wehrlos. Man kann sie aber schon früh sensibilisieren und über Widersprüche zwischen Werbeversprechen und realem Erleben sprechen. Ergänzt um „finstere Fakten“ stärkt man ihren Realitätssinn. Gerade Kinder haben doch ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden und mögen nicht belogen werden. Auf der Ebene sind sie zu erreichen. Wenn es nicht geschieht, wachsen da beispielsweise geistlose YouTube-Blogger heran, die ein Müllermilch-Muh-Tutorial anbieten, wobei das „Tutorial“ natürlich ein Fake ist und nur dem Clickbaiting dient.

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    • Richtig, Konsumverweigerung ist die einzige Reaktion, die zieht. Ich kaufe schon seit vielen Jahren keine Müller-Produkte mehr, auch nicht von Tochterunternehmen, sofern ich sie kenne (etwa Weihenstefaner Milchprodukte). Wenn es keine Alternative im Regal gibt, dann kaufe ich eher gar nichts, als den Müller auch nur in die Hand zu nehmen.

      Und ich finde es auch extrem wichtig, so einen Standpunkt an die Kinder weiter zu geben. Für mich ist das ein elementarer Bestandteil der Erziehung. Wie sollen sie denn sonst begreifen, was gut und was schlecht ist, wenn die Eltern keinen klaren Standpunkt vertreten?
      Ohne Vorbild werden sich die lieben Kleinen den Rest ihres Lebens als Konsumenten verarschen verachten lassen. (Danke für das treffende Wort, Jules.)

      Konsumverweigerung gegen Müller, gegen McDonald’s & Co., gegen KiK & Konsorten! Das bin ich meiner Selbstachtung schuldig.

      (Sorry dafür, dass ich hier in Tiraden ausbreche. Aber bei diesem Thema ist meine Blut-Temperatur ganz schnell am Siedepunkt.)

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  2. Unvergessen bleibt mir ein Spruch aus meiner I-Dötzchen-Fibel:
    den tu ich Dir jetzt mal hier hinschreiben:

    Tät ich eine Tute haben
    täte ich mit der Tute so lange tuten,
    bis die Tute nicht mehr tuten täte.

    😉

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  3. Konsumentenverachtung ist ein gutes Wort. Ein wichtiges, denn es impliziert, dass man sich dagegen mit Händen und Füßen wehren sollte. Leider siegt die Bequemlichkeit zu oft, was mich besonders ärgert. Ist es doch ein erbärmliches Argument.

    Am Rande frage ich mich, warum gerade Radio Werbung oft so ausgesprochen blöd daher kommt. Die eine oder andere macht mich alleine schon wegen der Stimme, Lautstärke oder Tonlage aggressiv. Grausam.

    Ein gelungener wachrüttler um immer wieder dran zu denken, dass man sich nicht für blöd verkaufen lassen sollte.
    Liebe Grüße

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    • Wir alle sind als Konsumenten keine Heiligen. Oft siegen Bequemlichkeit oder Freude über ein Schnäppchen. Einmal saß ich auf der Georgstraße, der belebtesten Einkaufsstraße in Hannovers Zentrum, und dachte, wenn urplötzlich alle Kleidungsstücke verschwinden würden, die in Billigländern unter erbärmlichen Bedingungen gefertigt worden sind, stünden wir alle nackt da und hätten nicht mal was an den Füßen. Dem können wir als Konsumenten nicht entkommen, weil auch die teuren Marken nicht besser produziert sind. Aber wo es geht, hilft es, sich mal Produkte und die Unternehmen dahinter kritisch anzuschauen. Freut mich, dass du meine Intention unterstützt, liebe Mitzi.

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  4. Sind wir nicht alle ein bisschen … masochistisch veranlagt? Also ich traue mir da nicht hundertprozentig über den Weg. Hinzu kommt: Schwachsinnige Werbung erfüllt durchaus ihren Zweck – den Beweis erbringst Du gerade selbst. Werbung muss schon wahnsinnig witzig und intelligent und originell und … sein, damit soviel darüber gesprochen und geschrieben wird, wie über den größten Schwachsinn. Und überhaupt: Tatest Du nicht gerade kund und zu wissen, dass Du keine Milch trinkst? Und ginge eine intelligente Milch-Werbung Dir da nicht total am … vorbei?

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    • Du sprichst ein Dilemma an, liebe Christa. Indem ich die Werbung aufgreife, werte ich sie ungewollt auf. Aber anders gehts ja nicht. Ist gibt gewiss tausend Erscheinungen in unserer Kultur, die ich nicht mal ignoriere, so blöd finde ich die. Aber davon dringt keine Kunde nach außen. Andererseits: Das Format „Zirkus des schlechten Geschmacks“ gibt es schon seit 2007. Gerade stelle ich ein Manuskript für ein E-Book zusammen, über alles, was mich in den letzten zehn Jahren genervt hat oder mir sonstwie aufgefallen ist. Vieles davon hatte ich längst vergessen und ist aus der öffentlichen Diskussion verschwunden. Aber in der Gesamtschau ist es, obwohl ausschnitthaft, eine kritische Kulturgeschichte unseres Alltags und bildet ein Jahrzehnt Medienkultur treffend ab.Die Müllermilchwerbung ist mir unangenehm aufgefallen, weil ich viel Radio höre und sie derzeit penetrant oft geschaltet ist.Dabei interessiert mich weniger das Produkt, weil ich ja keine Milch trinke, aber die Werbung und die Art wie potentielle Konsumenten angesprochen werden, denn das sagt einiges über unsere Warenkultur. Das hoffe ich herausgestellt zu haben.

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      • Ja, das hast Du ja auch herausgestellt. Ich bin dennoch davon überzeugt, dass die Werbefachleute weder Idioten sind, noch alle anderen für Idioten halten, sondern auf gewisse Mechanismen setzen. Müller kann mir mit seiner Milch nicht gefährlich werden, denn mein Bauch verträgt das Zeug von Müller nicht. Er wird schon wissen, warum.

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        • Die Werber wissen sehr gut, was sie tun. Viele sind ja studierte Sprachwissenschaftler oder haben Psychologie studiert. Ich habe nicht geschrieben, sie wären Idioten, sondern sie sind Zyniker. Gerade deshalb lohnt es sich anzuschauen, was die tun und auf welche unserer Dispositionen sie abheben.Weiter oben hat karfunkelfee darauf hingewiesen, dass Müllermilchwerbung auf Kinder abzielt, weshalb die Werbung sprachlich absolut angemessen ist.

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          • Kinder sind oft die Adressaten. Das war schon früher so. In der Berliner Straßenbahn warb in meiner Kindheit Paech-Brot mit Sprüchen wie „Opa schimpft mit Omama, die Oma hat kein Paech-Brot da“ oder „Liebe Mutti, bitte, bitte, gib mir noch ’ne Pach-Brotschnitte“. Die Erwachsenen haben da kaum hingeschaut, aber ich kann das Zeug bis heute auswendig. Nur die Werbung für Kleinkinder-Spielzeug richtet sich an die Erwachsenen, die blinkende rote Herzen auf dem Bauch von Stoffhunden total süß finden, während das Kleinkind wesentlich lieber einen Küchenschrank ausräumt, als auf so ein blödes Herz zu drücken.

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  5. Es gibt einige Werbetexter, die mich schon sehr begeistert haben. Aber der größere Teil aller Werbungen ist Mist! Zum Beispiel „Das Beste im Mann“. Ich habe es in mir gesucht und nichts gefunden, was man bewerben könnte.

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  6. Je größer die zu erreichende Zielgruppe ist, desto simpler muss die Botschaft sein. Das gilt nicht nur für Werbung, das gilt auch für Nachrichten. Und wer sich nicht daran hält, der erreicht sein Publikum nicht. Wer sein Publikum nicht erreicht, der verliert seinen Job, ob er nun in der Werbeagentur oder im Unternehmen sitzt. Die Formen der Werbung sind vielleicht, nein, sicher oft schwer erträglich, es ist aber unser Wirtschaftssystem, dass auf Wachstum und immer mehr Konsum baut und deshalb immer neue, immer abgedrehtere Zugänge zum Kunden finden muss.

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