Von Menschen und Fröschen

Kürzlich, also gestern von heute aus, staunte ich mal wieder über mich, genauer ich hätte gestaunt, wenn mir nicht zu kalt gewesen wäre. Ich saß nämlich schon ein weilchen in meinem lieblingssessel und fror. Eigentlich hätte ich nur aufstehen, drei meter gehen und nach einer decke greifen müssen. Aber ich konnte mich nicht dazu überreden. Etwas in mir dachte wohl, die heizung wird gleich anspringen und dich in wohlige wärme hüllen. Oder ein UFO in form eines riesenföns würde nahebei landen und mich warmpusten. Ich harrte also aus in der kälte, tat nichts, dachte mir höchstens quatsch zusammen oder wie man landläufig sagt, ich machte mir warme gedanken.

Dabei verheizte ich das restliche bisschen energie in mir, denn das gehirn ist bekanntlich der größte energieverbraucher. Während also die feuerluke meines gehirns weit offen stand und den holzstapel von hinterm haus verschlang, ohne dass mir eine alternative zum deckenholen eingefallen wäre, musste ich an den sonst glücklich vergessenen FDP-außenminister Philipp Rösler denken.

Der hatte in seiner antrittsrede als neuer FDP-parteivorsitzender genüsslich berichtet: „Wirft man einen Frosch in heißes Wasser, so hüpft er sofort wieder heraus. Setzt man ihn dagegen in kaltes Wasser und erhöht langsam die Temperatur, dann wird er nichts merken und nichts machen. Und wenn er es merkt, dann ist es zu spät für den Frosch.“ Dass in der sozialisation eines menschen etwas gewaltig schief laufen muss, damit er der FDP beitritt, kann man sich lebhaft vorstellen. Aber gehörte dazu auch ein brutales experiment mit fröschen? Oder war es die besondere perversion beim kleinen Philipp gewesen, die ihn letztlich an die parteispitze spülte?

Es ist an der zeit zu fragen, was in meiner sozialisation schief gelaufen ist, dass ich mir keine decke holen kann. Frösche bei lebendigem leib zu kochen, wäre mir nie in den sinn gekommen. Darum war die FDP für mich keine option. Aber einen unangenehmen zustand zu erdulden, auszuhalten wie ein langsam erhitzter frosch, gehörte zum denken meiner kindheit. Meine mutter lebte mir vor, was in der kriegsgeneration überlebensstrategie gewesen war. Die härten eines krieges, hunger, bombenterror, gewalt, brutalität, tod und zerstörung zu ertragen, fordert den klaglos leidenden untertanengeist. Und als die naziherrschaft überwunden war, lief das erdulden einfach weiter, wie ein abgesprungener, leer laufender antriebsriemen. Man beschwerte sich nicht, veränderte nichts, sondern arrangierte sich mit einschränkungen.

Ein Beispiel: In meiner lehrzeit war ich täglich 12 stunden unterwegs, fuhr morgens um 6:35 uhr mit dem bus nach Neuß, traf dort um 7:30 uhr ein, saß im warteraum des busbahnhofs eine halbe stunde ab, bevor ich um 8 Uhr die arbeit begann. Wenn ich nur 15 Minuten dieser fruchtlosen halben stunde hätte eher anfangen können zu arbeiten, wäre ich abends eine ganze stunde eher zu hause gewesen. Doch niemand wäre auf die idee gekommen, die arbeitszeiten an meine busverbindungen anzupassen, ich konnte derlei nicht mal denken. Als kürzlich viral ging, wie die junge frau im internet ihre optionen auf 30 tage urlaub und frisches obst am arbeitsplatz so bitterlich beklagte, musste ich weinen.


Allemal besser als erdulden?

19 Kommentare zu “Von Menschen und Fröschen

  1. Ach ja, das Röslein Philipp… Ist schon gut, dass er mittlerweile so der Vergessenheit anheim gefallen ist…
    Mein Leben wäre bestimmt etwas leichter verlaufen, wenn mir nicht auch die martialischen Durchhalteparolen längst vergangener Zeiten eingebleut worden wären. Vor einer Weile habe ich gelesen, dass man mindestens bis in die dritte Generation an den Folgen eines Krieges leiden müsse. Das trifft zu, finde ich.

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  2. über DAS mädel habe ich schon vor etlichen wochen geweint. aber besser noch war die von heute, die niiieeemals in einem büro arbeiten möchte und stattdessen mit ihrem laptop in portugal am strand sitzt und texte schreibt. auf instagramm für ihre 40 000 follower, denen sie zwischen den zeilen irgendwelches zeugs aufschwatz(t)en will.
    all das, weil ihr das praktikum bei einem autohersteller zu stressig und die leute dort nicht nett genug waren. bin ich froh, dass meine rente von meiner tochtergeneration verdient wird. wäre ich auf genZ angewiesen, wärs irgendwann zappenduster.

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  3. Ich leide mit dir. Aber noch mehr tu ich mir selber leid, der ich solche Diskussionen mit meiner Tochter, GenZ, führen musste. FOMS (Fear of missing out somthing) nennt man das: Die Angst etwas zu verpassen, weil man ja nach 5 Jahren Studium und Praktikum 38 Stunden in der Woche arbeiten muss.

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    • Ich finde richtig, dass ideen wie Work-Life-Balance in die diskussion geraten und das kranke konzept „Leben, um zu arbeiten“ überwunden wird. Als ich mit 13 urplötzlich in die arbeitsfron geraten war, konnte ich gar nicht fassen, dass es leute gab, die mittags bei sonnenschein durch die stadt flanierten, derweil ich in meiner pause für die gesellen einkaufen musste. FOMS war mir bekannt, aber kein Begriff.

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  4. Wie schlimm muss das Kältegefühl sein, wenn einem Philipp Rösfeld mitsamt der Froschsuppe einfällt. Bitte leg dir doch die Decke auf ein Schemelchen in Armreichweite des Sessels. Sollten dann immer noch Frösche erscheinen, einfach gedanklich an die Wand klatschen. Mit Glück wirds eine Prinzessin 😇

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  5. diese Geschichte mit dem Frosch las ich kürzlich in einem politischen Kommentar, den Iran und Israel betreffend. Wer der Koch und wer der Frosch war? Daran erinnere ich mich grad nicht (😎). Im übrigen bin ich der Meinung, dass wir alle grad im Kochtopf sitzen und die Hitze langsam steigt. Einige Köpfe neigen sich über den Topf und schauen interessiert zu, wie die Fröschlein reagieren. Will eins herausspringen, wird es kurzerhand gegrillt, als zu statuierendes Exempel.

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