Als tourist auf der linie 13 (3) – Alte wege

Die Anzeigetafel auf dem bahnsteig der linie 13 zeigt, dass ich zwei minuten habe, um einen fahrschein zu ziehen. Die Üstra hat die bargeldautomaten abgeschafft, will überall solche der neuen auomatengeneration aufstellen. Mir bleibt nicht genug zeit herauszufinden, ob die protzigen neuen kartenzahl-automaten auch Koffie to go können. Aber sicher ist schon mal, das fahrschein-ausgabefach sitzt zu tief. Ich weiß nicht, wen die planer vor augen hatten, jedenfalls keinen mit rücken. Ich bin ja nur durchschnittlich groß und muss mich schon bücken. Aus dem tunnel dröhnt der heranrauschende zug. Er hat gerade die Leine unterquert. O Gott, das tauchbad hat die Üstra-typische lindgrüne farbe abgewaschen.

Der ethnologe Bengt af Klintberg berichtet von zügen der stockholmer u-bahn. Sie sind ebenfalls grün. Manchmal taucht aus einem u-bahn-mundloch eine geisterhaft silbergraue bahn auf. Man lässt den „Silverpilen“ (Silberpfeil) besser passieren und wartet auf die reguläre bahn. Denn leute, die in den silberpfeil eingestiegen sind, verschwanden oder wurden viel später weitab von ihrem ziel aufgefunden. Die unglücklich in den horrorzug hineingeratenen fahrgäste dürfen nicht aufsehen, sitzen mit gesenktem kopf und starren stier nach unten. Ehe ich das realisiere, bin ich schon leichtfertig eingestiegen. Man hat die sitzbänke im Silberpfeil überwiegend den gang entlang platziert. Die fahrgäste sollen wohl nicht aus dem fenster schauen, sondern nach unten stieren. Die meisten haben kleine bildschirme in der hand, auf die sie unentwegt starren. Ich will ja nicht unken, aber das hat was von gedankenkontrolle. Kein wunder, dass viele an den falschen stationen aussteigen. Sie wissen gar nicht, wo sie sind. Dieser großstadtmythos wäre aufgeklärt, herr Bengt af Klintberg.

Eine frühe form der gedankenkontrolle ist ganz aus der zeit gefallen. Man sieht in der bahn keine zeitungsleser mehr. Folglich beherrscht auch keiner mehr die kunst, eine zeitung in der vollbesetzten bahn probat zu falten, für die die bettuchgroße FAZ extra eine faltanleitung erdacht hatte. Immerhin könnte man zeitung auch im grellen sonnenlicht lesen, denn der silberpfeil hat den u-bahntunnel verlassen und saust auf die erste oberirdische station, Allerweg, zu. Hier bin ich zwei jahre ein- und ausgestiegen, als ich wegen einer beziehung zwischen Aachen und Hannover pendelte. Rechts ging es zu meiner 1. hannoveraner freundin; links im Siloah-krankenhaus hat man mir im jahr 2012, inzwischen war ich schon hergezogen, einen stent ins herz gepflanzt.

Ich erinnere mich an eine interessante unterhaltung zwischen arzt und assistierender op-schwester. Er fragt nämlich nach den vorhandenen größen beschichteter und unbeschichteter stents. Die gewünschte größe ist nicht da, da nimmt er einfach eine andere, wie man manchmal einen 6er-dübel nicht hat und sich eben mit einem 8er-dübel behilft oder der fahrradmechaniker sagt: „Ich habe gerade keinen 24-er reifen, nehmen sie auch einen 26-er?“ Und man sagt notgedrungen ja, obwohl man weiß, dass ein 26 millimeter breiter reifen einen größeren rollwiderstand hat als ein 24-er. Man lese die handwerkliche barbarei nach im bericht: „Wie ich beinahe versehentlich gestorben wäre.“

Ein ganzer pulk junger menschen wartet an der fußgängerampel. Sie kommen von einer der fachhochschulen in der nähe. Die bahn rauscht vorbei auf den stadtteil ricklingen zu. Eine weile bin ich hergefahren, weil ich meinem friseur nachgereist bin. So geht es nämlich bei einem umzug in eine andere stadt. Man hat zunächst keine ärzte, keine stammkneipe, keinen friseur, und hat man einen gefunden, wechselt er die arbeitsstelle und man muss ihm hinterher reisen. Dieser hieß Tim und erinnerte mich an meinen Aachener friseur Dimi. Mein freund und kollege Mike hatte ihn mir empfohlen: „Du musst zu einem mann gehen. Frauen machen einen zu brav“, hatte Mike gesagt. Also ging ich noch zu Dimi, als ich schon in Hannover lebte. Manche gehen zum friseur, ich fuhr einige hundert kilometer. Dimi vereinte vorzüge. Er machte mich nicht brav, war ein künstler seines fachs und sprach wirklich wenig. Nur einmal hörte ich einen ganzen satz von ihm. Während er mir die haare schnitt, fielen eisgraue strähnen zu boden. Ich fragte: „Was sind denn das für graue löschen, die hier runterfallen?“
„Die sind von Ihnen“, sagte Dimi trocken. Da erst wurde mir bewusst, dass ich grau geworden war. Mein verlogener spiegel hatte mir nach wie vor braune haare gezeigt. In Hannover hat Tim mir eine weile die haare getönt, weil meine 2. hannoveraner freundin meine grauen haare nicht schön fand.

Fortsetzung (…)