Father & Son und Mutter & Sohn in Hänschenklein

Vor vielen Jahren, als ich erstmals von Wikipedia las und von der Idee begeistert war, ahnte ich nicht, dass ich einmal „Hänschen klein“ nachschlagen und tatsächlich fündig werden würde. Man hätte mich freilich einen Nachmittag in einer Bibliothek verbringen sehen, wo ich vielleicht gefunden, wonach ich suchte, vermutlich aber etwas ganz anderes und mich fest gelesen hätte. Vor besagten vielen Jahren hätte ich auch nicht gedacht, dass ich noch mal ernsthaft Hänschenklein singen würde. Dazu hatte mich vor einiger Zeit meine reizende Logopädin angestiftet.

Heute macht Ann auf Father & Son, einen Song von Cat Stevens aufmerksam. Das Motiv des Vaters, der den Sohn am Aufbruch in die Welt hindern will, entspricht einer bekannten Variante von Hänschenklein, nur dass hier die Mutter den Aufbruch sogar erfolgreich verhindert:

Hänschen klein
Ging allein
In die weite Welt hinein.
Stock und Hut
Steht ihm gut,
Ist gar wohlgemut.
Doch die Mutter weinet sehr,
Hat ja nun kein Hänschen mehr!
„Still Mama!
Ich bin da!“,
Ruft das Hänschen hoppsassa.

Der Bruch im Erzählstrang hat mich schon als Kind irritiert. Hänschen ist doch in der weiten Welt, wie kann es plötzlich da sein, um die Mutter zu trösten? Ein Fall von Bilokation? Hier stimmt was nicht. Der Schluss schien mir gewaltsam auf Happy End gebürstet. Die ganze Aktion für nichts? Was wird denn jetzt mit Hänschens Welterkundung? Laut Wikipedia ist diese Variante eine biedermeierliche Umdichtung, die eigentlich so lautet:

(…) Doch die Mutter weinet sehr,
hat ja nun kein Hänschen mehr!
Da besinnt
sich das Kind,
kehrt nach Haus’ geschwind.

Wikipedia spricht:

“Ganz im Sinne des Biedermeier wird der heimischen Geborgenheit der Vorzug gegeben. (…) Der ursprüngliche Text beschreibt die Ablösung des Jungen von der Mutter und der Wiederkehr als erwachsener Mann. Die Mutter lässt ihn trotz der eigenen Trauer gehen und erkennt ihn dann bei seiner Rückkehr als Mann wieder und begegnet ihm mit Liebe. Die neuere Version hat den Inhalt praktisch ins Gegenteil verkehrt, denn der versuchte Ablösungsprozess von der Mutter gelingt nicht. Die Mutter ist über den Weggang traurig, Hänschen (der Junge) bleibt da und wird nie zum Hans (zum Mann) werden.“

Das hat sie jetzt von ihrer Flennerei, sie muss Hotel Mama betreiben. Aus Kindertagen kenne ich eine Parodie, die mir freilich etwas verkürzt vorkommt. Leider habe ich sie nicht in Peter Rühmkorfs legendären Sammlung: „Über das Volksvermögen“ (1967) gefunden. Hier wäre diesen Exkursen in den subversiven literarischen Untergrund unbedingt etwas nachzutragen.

Hänschen klein
Kack am Bein
Fuhr mit’m Pisspott übern Rhein
Kam es an das Deutsche Eck,
Plumps, da war der Pisspott weg!“

 

Hänschen Klein ging allein
in‘ Berliner Sportverein
fiel in‘ Dreck, fiel in‘ Dreck
bums, da war die Nase weg
Kommt der Doktor Knickebein
klebt die Nas‘ mit Spucke rein
„Ih du Schwein,
lass das sein
das kann ich allein“
(Nachweis: Feldlilie)

Hänschen klein
Ging allein
In die weite Welt hinein.
Stock und Hut
Steht ihm gut,
Ist gar wohlgemut.
Doch die Mutter weinet sehr,
Hat ja nun kein Hänschen mehr!
Er ist weg
Von dem Fleck
Und schert sich ’nen Dreck.

(Version: Herr Ösi, anno 25.04.2016)

Wer kennt Varianten oder andere Parodien?

19 Kommentare zu “Father & Son und Mutter & Sohn in Hänschenklein

  1. Ich kannte nur die Biedermeier-Variante 🙂 . Umgedichtet haben wir das damals zwar auch, aber an den Wortlaut kann ich mich nicht mehr erinnern. Egal. Dazu fällt mir ein, dass ich vor einiger Zeit von einer Studie hörte, die mich sehr überraschte: junge Frauen sind schneller zuhause ausgezogen, als ihre männlichen Altersgenossen. Bei den 30jährigen Herren waren es – glaube ich – noch 25% (!!!) die zuhause wohnten, bei den 40jährigen immer noch noch 9 %. Furchtbar, oder ? Ich hatte auch mal ein Date mit so jemandem: „Klar können wir uns bei mir treffen, wenn es Dich nicht stört, dass meine Eltern da mit wohnen. Das Bad nutzen wir zusammen, aber ich hab mein eigenes Zimmer.“ Ich hab dankend abgelehnt ;-DDDD

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  2. Ich habe als Kind von meiner Mutter die Variante, die auch Shhhhh anspricht, gelernt (die Kurzversion macht nicht allzuviel Sinn, finde ich).
    Wir haben als Kinder (wenn die Eltern nicht hinhörten) aber auch folgende Version gesungen:

    Hänschen Klein ging allein
    in‘ Berliner Sportverein
    fiel in‘ Dreck, fiel in‘ Dreck
    bums, da war die Nase weg
    Kommt der Doktor Knickebein
    klebt die Nas‘ mit Spucke rein
    „Ih du Schwein,
    lass das sein
    das kann ich allein“

    Wunderschön, nicht wahr?

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    • Dankeschön für die Parodie! Für den subversiven Kindermund kann ich mich begeistern, seit ich Rühmkorfs „Über das Volksvermögen“ las. Ich weiß gar nicht, ob es eine neuere Sammlung von Texten aus dem literarischen Untergrund gibt. Hänschenklein-Parodien fehlen jedenfalls.

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  3. Da ich nur die Variante des sich besinnenden Hänschens kannte, war ich sehr überrascht, die andere zu lesen. Sie kam mir allzu fremd vor und ich habe im Kopf leise gesungen um meine Erinnerung zu überprüfen.

    Umgedichtet Varianten kenne ich gar nicht. Wir haben uns an vielem vergriffen, aber nicht am Hänschen. War wohl Zufall.

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  4. Hänschen klein
    Ging allein
    In die weite Welt hinein.
    Stock und Hut
    Steht ihm gut,
    Ist gar wohlgemut.
    Doch die Mutter weinet sehr,
    Hat ja nun kein Hänschen mehr!
    Er ist weg
    Von dem Fleck
    Und schert sich ’nen Dreck.

    (Version: Herr Ösi, anno 25.04.2016)

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  5. Ah, da fällt mir noch eine Abwandlung zu Oh Tannenbaum ein:
    „Oh Tannenbaum, oh Tannenbaum.
    Der Opa liegt im Kofferraum.
    Die Oma knallt den Deckel zu,
    der Opa schreit: Du blöde Kuh!
    Oh Tannenbaum, oh Tannenbaum,
    der Opa liegt im Kofferraum.“

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