Seit ich vor gut vier Jahren mit dem Rauchen aufgehört habe, liegt ein Zigarettenlöscher aus Messing in meiner Kramlade. Als ich noch rauchte, war mein Ehrgeiz, perfekte Zigaretten zu drehen. Es war eigentlich das Beste am Rauchen. Eines habe ich jedoch nie hinbekommen: Die Selbstgedrehte richtig auszudrücken. Einmal bin ich mit einem neuen jungen Kollegen von Aachen zum Kloster Marienthal gefahren, um ihn einzuarbeiten. Da fiel mir bald ein sympathischer Zug an ihm auf. Er wusste nicht nur immer, wohin ins Jackett ich meine Lesebrille gesteckt hatte, sondern drückte auch fürsorglich an den Raststätten meine noch qualmende Kippe aus.
Im Jahr 2010 bin ich mit dem Fahrrad von Hannover nach Aachen gefahren. In Aachen nächtigte ich bei meinem guten Freund Thomas. Bis tief in die Nacht saßen wir in seiner Küche, feierten meine glückliche Ankunft und tranken aus schönen alten Gläsern. Und immer wieder gerieten mir die Welten durcheinander, diese reale Welt und die Welt meiner Texte, in der er Jeremias Coster war, Professor für Pataphysik an der RWTH Aachen.
Irgendwann schob Coster mir diesen kleinen Schlot aus Messing über den Tisch und sagt: „Den schenke ich dir.“ Ab dann versuchte er mir beizubringen, meine Kippe hineinzustecken. Das konnte ich auch, obwohl das Loch im Zigarettenlöscher naturgemäß kleiner sein muss als der Zigarettenlöscher selbst. Trotz dieser probaten Lösung für mein Zigarettenausdrückproblem versuche ich immer wieder die Zigarette im Aschenbecher auszudrücken. Es passen ja manchmal nur kleine Dinge in meinen Kopf, aber immerhin. Dann sollte doch so ein furzkleiner Zigarettenlöscher auch hineingehen. Zum Glück hatte der Mann eine Engelsgeduld, wartete wie ein guter Lehrer, ob ich es selbst konnte, und erst wenn er sah, dass meine Hand erneut zum Aschenbecher irrte, wies er freundlich auf den Zigarettenlöscher hin und erklärt nochmals dessen Funktion. „Du brauchst die Zigarette nur hineinzustecken, einfach mit der Glut hineinfallen zu lassen. Sie verlöscht von selbst.“
Leider ist Thomas vor jetzt zwei Jahren freiwillig aus dem Leben geschieden. Ich vermisse diesen liebenswerten Mann sehr. Mir blieben zwei Dinge, der Zigarettenlöscher und ein Filmdöschen mit etwas von seiner Asche, wovon ich nächstens erzählen will.
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Deine Kramlade ist eine wunderbare Geschichten-Fundgrube, lieber Jules. Der Zigarettenlöscher, an sich schon ein nicht alltäglicher Gegenstand, gewinnt mit der Erzählung über seinen Weg zu dir, erst an Bedeutung. Es sind die kleinen Dingen, die uns an liebgewonnene Menschen erinnern.
Die Erinnerung an deinen Freund lebt nicht nur im kleinen Kamin, sondern auch in jedem deiner Texte, der von ihm handelt. Etwas, das ich sehr schön finde.
Liebe Grüße nach Hannover
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Dankeschön fürs aufmerksame Lesen, liebe Mitzi. Dass Thomas tatsächlich in den Texten ein bisschen wiederaufersteht, hätte ihm gefallen, wie er auch genossen hat, eine literarische Figur in Texten von mir zu sein. Ich bin immer froh, diesem außergewöhnlichen Mann und guten Freund ein kleines Denkmal setzen zu können.
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Man merkt es in deinen Texten. Ein schöner, warmer Unterton, der von einer schönen Freundschaft zeugt.
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Lieber Jules,
ich gebe ja überall meinen Senf dazu, wenn es mir über den Weg läuft. Weil es Spaß macht, weil es inspiriert, weil und überhaupt, oder regelrecht und praktisch.
ABER,
manchmal gibt es Themen, die Erinnerungen wecken, oder Themen, die Fragen aufwerfen. Diese Fragen würde ich aber nie öffentlich stellen.
So kann ich mich nur Mitzi anschließen, die sehr schön zum Ausdruck bringt, was Ihre Zeilen und Zwischenzeilen beim Leser bewirken.
So nimmt die Kramlade doch einen größeren Raum ein – von der Schublade über den Kopf bis in die Seele.
Gruß Heinrich
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Lieber Heinrich,
mit Fragen hat Thomas uns alle zurückgelassen. Wenn Epikur sagt: „Der Tod, das schrecklichste der Übel, für uns ein Nichts: Solange wir da sind, ist er nicht da, und wenn er da ist, sind wir nicht mehr.“ – so gilt das nur für den Verstorbenen. Wer zurückbleibt, hat mit Fragen, Trauer und Vermissen zu tun.
Schön, wie Sie die Erinnerungsdimension der Kramlade in ein Bild gefasst haben.
Danke und viele Grüße,
Jules
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