Deä janze Krämpel es nüüß weät.
Ich will met deä Krämpel nüüß ze
duue han. (Will Hermanns)
Krempel – Kram, Plunder, wertloses Zeug, was bei Hempels unterm Sofa liegt – lohnt es sich, ein Wort darüber zu verlieren? Der russische Schriftsteller Sergej Tretjakov (1892-1939) veröffentlichte im Jahr 1926 einen wundersamen Aufruf: „Kinder, Leser der Pionerskaja Pravda! Wollen wir zusammen ein Buch schreiben. In diesem Buch wird erzählt werden, was sich in euren Taschen befindet. Das ist nichts zum Lachen.“ Kinder von „Metallarbeitern, Kolchosearbeitern, Zimmerleuten, Hirten, Nomaden, Jägern usw. usw.“ sollten ihre Hosentaschen umstülpen und den Inhalt ohne Scham beschreiben. Die Geschichten, die auf diese Weise erzählt wurden, handelten nur scheinbar von den Dingen aus den Hosentaschen. In Wahrheit gaben sie Auskunft über die Eigentümer, und so wurden aus den Biographien der Dinge unmerklich autobiographische Notizen.
Tretjakovs geniales Projekt lädt noch heute zur Nachahmung ein. Kein Krümchen, kein Papierfetzen ist dabei zu unscheinbar, selbst das winzigste Fädchen kann eine Erinnerung wachrufen und somit zum Erzählanlass werden.
Einige Jahre sammelte ich im Deutschunterricht der 5. Klassen des Gymnasiums Schülertexte in Anlehnung an Tretjakovs Hosentaschenprojekt und gestaltete ein Buch daraus. Das Projekt gab den Kindern einer neu zusammengestellten Klassengemeinschaft die Gelegenheit, etwas über sich zu erzählen und etwas von den anderen zu erfahren.
(Zum Vergrößern bitte klicken!) Vergleicht man das Material mit den Beispielen Tretjakovs, fällt auf, dass es sich hinsichtlich Menge und Art sehr unterscheidet. Tretjakov selbst erinnert an den Tascheninhalt Tom Sawyers („Nagel, Zwirn, Zettelchen und sogar eine krepierte Ratte“). Solch absonderliche und skurrile Gegenstande, wie sie Tom Sawyer und Huck Finn mit sich tragen, darf man in den stets frischgewaschenen Hosen heutiger Kinder nicht erwarten. Doch der findige Kopf wusste auch über die leere Hosentasche etwas zu erzählen. Franz schrieb: “Meine linke Tasche ist leer. Nur ein braunroter Fleck ist noch zu sehen. Er stammt von einer Schraube, die ich einmal gefunden, in die Tasche gesteckt habe und vergessen habe. Erst wieder meine Mutter hat sie vor dem Waschen gefunden.”
Was wurde wohl aus der Schraube? In jedem Haushalt gibt es irgendwo eine Kramlade, worin sich all die seltsamen und nutzlosen Dinge ansammeln. Die meisten haben den Weg dorthin über die Zwischenstation Hosentasche gefunden.
Bei einem Beutezug durch solche Kramladen lassen sich interessante Stücklein bergen. Und siehe da: “Dea janze Krämpel” ist doch etwas wert. Vermutlich birgt jede einzelne Kramlade so etwas wie eine Familiengeschichte. Kramladenhistoriker an die Arbeit!
Aufruf zum Mitmachprojekt: #Kramladengeschichten
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