Das rasende Hannover im Konfettirausch

Weil Orkanböen zu erwarten waren, wurde heuer in mancherlei Karnevalshochburgen der Rosenmontagszug abgesagt, so im flämischen Aalst, in Mainz, in Düsseldorf, nicht so in Hannover. Denn wenn der Sturm in anderen Städten ganze Turnhallen abdeckt und stattliche Bäume entwurzelt, weht in Hannover nur mal so ein kleiner Wind, der es allenfalls mit den Prospekten im Anzeigenblättchen aufnehmen kann. Wenn es in der Republik regnet wie Sau, wenn es junge Katzen und Meteorologinnen schifft, kriegt Hannover nur ein paar Tröpfchen ab. Meteorologinnen sind nie dabei. Ich glaube, die Vorstellung, Hannover wäre langweilig, rührt daher, dass es hier keine extremen Wetterereignisse gibt. Nein, das Wetter ereignet sich hier nicht. Vermutlich schläft es über Hannover einfach ein. In Hannover musste auch nicht der Rosenmontagzug abgesagt werden, er hat sowieso schon am Samstag stattgefunden. Samstags, na klar, denn montags arbeitet der protestantisch freudlose Hannoveraner.

Weil ich einen Topfdeckel kaufen wollte, war ich am Samstag in der Innenstadt unterwegs und bekam zufällig den Schluss des Umzugs mit. Wer da vorbeizog, machte mir Depressionen. Man weiß nicht mal, ob man „Alaaf“ oder „Helau“ rufen soll. Die einen rufen dies, die anderen das. Andere rufen „Helaaf!“ und wieder andere rufen „Alauuu!“ Es gibt wohl traditionelle Karnevalsvereine. Deren ältere Mitglieder sehen mit Verlaub alle ein wenig rachitisch aus. Der Nachwuchs rekrutiert sich aus fettleibigen Kindern. Natürlich sind nicht alle Hannoveraner Karnevalisten rachitisch oder adipös. Es gibt auch was dazwischen. Wer von der Natur nicht mit Schönheit gesegnet ist, tritt ein in einen Karnevalsverein. Jedenfalls wurde ich bei genauer Betrachtung der Gestalten zuerst traurig und anschließend todmüde. Da half es auch nicht, dass mir eine attraktive Frau übern Weg lief, die mich herausfordernd anlächelte. Ich war einfach zu müde. Wenn die Vorsehung mich verkuppeln will, soll sie das nicht versuchen, nachdem ich den Schluss des hannöverschen Karnevalsumzugs gesehen habe.

(Mit Dank an den Kollegen Wortmischer für den Hinweis)

Der Umzug hat etwas Groteskes. Am Straßenrand sind durchaus zahlreiche Zuschauer. Man steht stocksteif und schaut als könnte mans nicht fassen. Ich glaube, als nach dem Tod von Torwartlegende Robert Enke 35.000 Menschen im Trauermarsch von der Marktkirche zum Stadion zogen, war mehr Stimmung. Rosenmontag hat übrigens nichts mit Rosen zu tun. Es leitet sich her vom ripuarischen Verb „rosen“ für rasen, toben. Das müsste den Hannoveranern mal einer sagen.

Hier ist der Gipfel des Tobsinns bei den hannöverschen Bäckern zu finden. Sie streuen vor Karneval Konfetti in den Zuckerguss und übergießen Berliner damit. Ob man so was essen kann, sollte oder überhaupt darf, weiß ich nicht.

63 Kommentare zu “Das rasende Hannover im Konfettirausch

  1. Hier in der Alemannischen Fasnet geht es schon wild und fröhlich zu. Aber die Tradition hat ja auch einen anderen und archaischen Hintergrund als/wie der Karneval im Norden (für die Schwaben fängt der Norden allerdings schon hinter Stuttgart an) 🙂

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  2. Berliner überwiesen auch auch ganz gerne so mit Konfetti. Auf Schaumpartys und so.

    In der Regel umgehe ich Karneval mit dem neuen Heimatstandort Big B, sehr gut als Feind der Knopfdruckverdummung und als gebürtiger Rheinländer. . .

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  3. Was eine grandiose Tristesse! – Mein Lieblingssatz: „Wenn die Vorsehung mich verkuppeln will, soll sie das nicht versuchen, nachdem ich den Schluss des hannöverschen Karnevalsumzug gesehen habe.“

    Nicht dass ich mehr für karnevaleskes Treiben übrig hätte. Hier im hessischen Taunus ist der Rasende Montag übrigens im Regensturm versickert. Darauf ein dreifaches „Helaaf & Alauuu!“

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    • Danke für Ihren zustimmenden Kommentar. Ich sah übrigens im TV beim Hessischen Rundfunk einige Karnevalssitzungen aus Nordhessen und war total fasziniert von den durchaus skurillen Menschen,die da präsentiert wurden bzw. sich präsentierten. Mehrfach machte man sich lustig über die Aussprache in Dillenburg (das ist wohl schon Westerwald), wo man offenbar das R irgendwie amerikanisch röhrt.

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  4. Vermutlich sind die Hannoveraner nur konsequent?! Sie lassen sich die Ruhe und Gelassenheit auch nicht durch verordnete Fröhlichkeit nehmen. Dagegen ich lange Zeit in Mainz beruflich zu tun hatte, und ich die Mainzer Arbeitskollegen ebenso sympatisch, sachlich und kollegial wie die Kollegen in Hannover erlebt habe. Nur ein Mal im Jahr sind die dort in Mainz wie angeknipst völlig ausgerastet. Da habe ich Kollegen erlebt, die ich am Arbeitsplatz für noch „sturer“ als den stursten Hannoverraner gehalten habe, aber zur Karnevalszeit kamen die mir vor, als ob man Klein- und Großhirn für ein paar Tage austauschen kann – nicht wiederzuerkennen. 😉
    Gut, nun bleiben einige Fragen offen:
    Wo haben die Hannoveraner ihr Ventil? Lebt man mit oder ohne Karneval länger? Warum feiern einige Norddeutsche überhaupt Karneval, auch wenn sie nachweislich gebürtige Norddeutsche sind – und überhaupt.

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  5. Wenn das Wetter sich schon nicht entscheiden kann, anders als am Vortag oder am Vorvortag zu sein, wie soll dann der Hannoveraner wissen, was er an Fasching rufen soll?
    Vielleicht wäre „Hannaaf“ oder „Hannauuu“ die richtige Antwort auf nie gestellte niedersexische Faschingsfragen?

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    • Du bringst es auf den Punkt. Die zuverlässigste Wettervorhersage in Hannover ist, das Wetter vom Vortag vorauszusagen. Eigentlich hat man ja hier Kurt Schwitters und der hat schon vor fast 100 Jahren Hannover umgedreht, fand Re von Nah“ und machte daraus „Vorwärts nach weit!“ Das wäre mal ein Karnevalsruf nach meinem Geschmack.

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  6. ich könnte nicht mal sagen, ob München einen Faschings-Umzug hat. Vermutlich schon, es gibt Kinderfotos von mir, da sieht es ganz danach aus. Nachdem ich mir andernorts gerade Luft über meine Faschingsunlust gemacht habe, konnte ich deinen Text mit einem Schmunzeln lesen. Es muss schon arg sein, wenn nicht einmal mehr ein herausforderndes Lächeln, wohlwollend zur Kenntnis genommen wird. Nichts Ganzes und nichts Halbes, trifft auch auf München zu. Wir nennen es lieber gleich Fasching. Das macht es aber auch nicht besser.
    Liebe Grüße

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  7. Einen Topfdeckel? Einzeln? – Ihr Künstler habt so ein interessantes Leben…

    (… heute ist hier Frohsinn befohlen… ich erwäge, mich irgendwo in den Isar-Auen im Gebüsch zu verbergen, bis am Aschermittwoch alles vorbei ist…)

    Die Dame mit der Torte (Header) beeindruckt mich! Die hat so was Energetisches, Expressives…

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    • Über deinen ersten Satz musste ich herzlich lachen. Eigentlich brauchte ich nur einen neuen Knopf, woran der Topfdeckel hochzuheben, bin aber nicht fündig geworden und dachte, als ich vergeblich herumlief gar nicht, dass es besonders interessant wäre. Dass der Dienstag in München der wichtigste Faschingstag ist, habe ich schon mal mitbekommen. Ich glaube, du kannst dich leicht entziehen, wenn du nicht grad zum Marienplatz willst. Ja, über die Tortendame bin ich froh, sie gefunden zu haben. Denn auf dem Stapeltortenbild war ihr Gesicht ja halb verdeckt.

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      • … schon klar – man läuft Gefahr, ein ganzes Topf-Service (oder wie das heißt) kaufen zu müssen, wenn nur ein Knopf fehlt – dergleichen macht den Kapitalismus so effizient; ich bin im Bilde, *hüstel*…

        … ich bin leider tatsächlich „ausgestiegen“, infolge „befohlenem“ Frohsinn (oder „wegen befohlenen Frohsinns“? – Ich werde nie Diplom-Autor!)… an solchen Tagen merkt man, wie dünn die „Decke der Zivilisation“ ist – und was da „unten“ alles kocht… „Pegida“ ist ja – Achtung, fürchterliche Formulierung! – ein Stück weit auch „Karneval“… bla…

        Zahnschmerzliche Grüße in die Nördliche Königsresidenz aus dem Hauptversammlungsplatz der Bajuwaren!

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        • Tatsächlich ist vom Kapitalismus offenbar nicht vorgesehen, dass ich einen Ersatzknopf für meinen Topfdeckel bekomme, ja, nicht mal einzelne Deckel sind zu kaufen.
          Nach allem, was ich lese, zeigt sich die dünne Decke der Zivilisation in den Hasskommentaren des braunen Mobs auf Facebook. Ich hörte von Karnevalisten derlei üble Dinge nicht.

          Gute Besserung! Im Zweifel hilft der zahnärztliche Notdienst einem Zugereisten auch in München.

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          • … es geht ja nicht nur um braunen Mob… die „Vorstufe“ gewissermaßen ist Geistfeindlichkeit (meist verbunden mit heftigen Anfällen von dröhnendem Vulgärmaterialismus, sei doch mal lustich, Du denkst zuviel ), und die scheint noch vor dem Schnupfen die am weiten verbreitete Infektion im Schädelbereich (nur nicht so harmlos wie niesend Raserei)…

            I donk o scheen (dies aber soll Bayrisch sein – wir berichteten)! Auch heute noch ist Heilkunst ein wenig Voodoo, denn wenn man etwa in so eine Röhre mit sechsstelligem Preis geschoben wird, erhöht Einen das doch aufs Bauchpinselndste, und mich jedenfalls hat ein Professor aufgefräst, ha – das sind mal akadämlich-burschikose Weihen, denn ich habe nun Schmisse im Zahnfleisch, ha…

            (… und übrigens haben wohl welche in Hannover, oder zumindest unter anderem dortselbst, die Gravitationswellen just itzt nachgewiesen, welche Einstein voraus sagte und/oder berechnete, und lebt sichs denn wohl recht geistreich an der Leine fürwahr…)

            Mit ibuprofanen Grüßen

            Ronaldus Koskius, Postfekt ohne Aufgabenbereich

            PS: Hast Du die Handynummer von Frau Kebekus? – Ich wünsche ihr immer wieder einmal ganz unverbindlich einen Heiratsantrag zu machen…

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    • Es lag wohl auch an mir. Ich frage mich, was das soll im protestantischen Hannover. Sie kennen keine Fastenzeit, also brauchen sie auch keinen Karneval. Danke für den LInk. Den Text hatte ich schon total vergessen. Schön, dass Sie sich erinnert haben.

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  8. Pingback: Hellauf & Platz da! | Wortmischer

  9. Ich kenne die Umzüge in München, Wesel, Aachen, Münster, Ottmarsbocholt (südlich von Münster), Olching (bei München), Düsseldorf und Köln. Und das ist auch meine Skala von statisch (strunzenlangweilig) bis dynamisch (da steppt der Bär). Ich muss allerdings auch erwähnen, dass ich den Düsseldorfer Rosenmontagsumzug im Mai 1990 bei bestem Wetter (25° C) miterlebte. Aber den besten After-Karneval hatte es immer im Aachener Labyrinth. Den vermisse ich. Den Münchener Umzug siehste schon fünfzehn Minuten nach dessen Ende nicht mehr an, wo er hergezogen ist. Strassenkehrer und deren Maschinen und jene Bierbudenabbauer sind so schnell, dass Touristen nicht mehr mit nicht-münchner Brauchtum belästigt werden …

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    • Danke für deine Einschätzung. Ich war zuletzt vor etwa zehn Jahren in der Kölner Südstadt unweit der Hahnenporz. Das war toll, obwohl ich nichts erwartet hatte. In Aachen war ich ja als Familienvater nicht so frei beweglich. Im Labyrinth war ich außerhalb der Karnevalszeit immer gerne.
      Die Münchner Blogfreundin Mitzi wusste übrigens nicht über einen Umzug in München. Vielleicht weil immer sofort aufgeräumt wird? Ich kenne übrigens keine Großstadt, die sauberer ist als München. Übrigens haben wir beide uns Rosenmontag 2012 in München getroffen, erinnerst dich sicher an mein Alaaf-Geschrei 😉

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  10. Herrlich, die „Beer Bitches“! „…ich kumm us Kölle vun je Ihrefeld und dort sedd ma Alaaf!…“ Super Video und Text. Ja, was soll’s. Lieber ausjelasse Faaaasenacht wie sich uffjerecht iwwer die Weltpollidig. Aber mittlerweile lässt mich das Thema auch weitgehend kalt, früher war man tagelang unterwegs in der Zeit 🙂

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  11. Im Norden hat man eine Entwicklungsstufe des Karnevals einfach übersprungen. Die Raserei, das Anarchische, das passt nicht mehr, das braucht doch keiner. Die Vereinsmeierei, die schönen Pöstchen und Orden, die Organisation von Großveranstaltungen und natürlich der anlassbezogene Alkoholmissbrauch, das alles muss doch auch möglich sein, wenn man keinen Humor hat.

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  12. Mir machen solche Veranstaltungen eine bestimmte Art guter Laune, vergleichbar der, die mich in naturkundlichen Museen mit schlecht ausgestopften Tieren befällt. Insofern hat alles seinen Zweck … Danke für die schonungslose Berichterstattung. Kann man sich den ganzen Karneval sparen.

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    • Schonungslos habe ich gar nicht schreiben wollen. Mir taten da auch einige Leid in ihrem Wahn.
      Das Problem ist das genaue Hinschauen, das ja erst eine schlecht ausgeführte Tierpräparation enttarnt oder eben den Menschen hinter seiner Maske.

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