Ex oriente lux*

Gerade habe ich die letzte Münze in den Münzschlitz gefingert, im Fahrscheinautomat setzt der Registrier- und Druckvorgang ein, da fährt der Bus vor. Als endlich mein Fahrschein in die Ausgabe fällt, schließen am Bus wieder die Türen. Halbherzig eilte ich hin, denn ich will das blöde Gefühl vermeiden, erfolglos einem öffentlichen Verkehrsmittel hinterherzulaufen. Der Bus fährt ab ohne mich. Der nächste wird in tröstlichen 12 Minuten kommen. Während er mich schier endlos durch Hannovers Straßen schaukelt, sehe ich, dass ich in 15 Minuten am Ziel sein muss. Das ist unmöglich zu schaffen. Ich hatte mir die lokalen Bedingungen im Internet angeschaut und weiß, dass ich von der Haltestelle an der Musikhochschule noch etwas zu laufen hätte. Als ich dort aussteige, zeigt die Uhr 18:10. Und ich bin gerade orientierungslos, weil die Haltestelle ist, wo ich sie nicht erwartet hätte. Um mich zu vergewissern, frage ich einen herumstehenden Jugendlichen.
„Wo ist denn die Hindenburgstraße?“
„Tut mir leid, das weiß ich nicht.“
Kinder und Jugendliche sollte man nicht nach dem Weg fragen, schreibt schon der Kolumnist Max Goldt. Ich habe das so oft bestätigt gefunden und auch jetzt wieder. Ein gutsituiert wirkenden Mann kommt heran. In der Hand trägt er einen geschlossenen Regenschirm. Ein methodische Mensch, denke ich und frage ihn. Er zeigt mir den Weg, ich will los, da ruft er: „Moment, bevor ich Sie in die falsche Richtung schicke, wozu hat man ein Smartphone? Zückt es und gibt „h i n d e n b u r g s t r a ß e“ in die Maske ein. Ich sehe ihm zu, auf heißen Kohlen stehend, denn mir ist klar, dass sein erster Hinweis zutrifft. Gleich ist auch das akademische Viertel abgelaufen. Endlich erteilt mir sein Smartphone die Erlaubnis zu gehen. Derweil ich die Straße überquere, ruft er mir hinterher: „Haben Sie ein Handy?!“
„Ja.“
„Dann laden Sie sich mal Google maps herunter!“
„Okay!“
Die Wahrheit ist, ich habe das Smartphone bei mir, da auch den Zugriff auf Google maps. Ich wäre nur nicht auf die Idee gekommen, das zu nutzen. Ich ziehe es vor, mich selbst zu orientieren. Und statt einer frigiden App einen Menschen zu fragen, ist wesentlich kommunikativer. Dass aber der freundliche Mann seiner Ortskenntnis nicht traut, sondern die Bestätigung durch die Navigationssoftware braucht, lässt mich noch mehr zu spät kommen.

Das Wort „sich orientieren“ stammt aus dem Französischen „(s‘)orienter, zu: orient = Orient, ursprünglich = die Himmelsrichtung nach der aufgehenden Sonne bestimmen.“ (Duden) Im christlichen Sinne war die Ausrichtung nach Jerusalem gemeint. Google ist ortlos. Sich danach auszurichten ist kopflos.

*) Aus dem Osten Licht.