Ein dicklicher Hipster mit Bart und Brille steht im engen Kiosk im Weg, steht einfach da rum und dampft seine E-Zigarette. Er scheint etwas gekauft zu haben, aber geht nicht und macht nicht Platz im engen Gang vor der Verkaufstheke. Warum? Völlig unmotiviert sagt er: „Das hier ist der kultigste Kiosk von Linden!“ und schickt ein einvernehmendes „Hehehe!“ hinterher. Der Kioskbetreiber findet es nicht lustig und ich auch nicht, bin im Gegenteil unangenehm berührt. Denn den Kiosk besuche ich regelmäßig am Samstagmorgen. Er gehört zu meinem Alltag und zum Alltag der Familie, die hier arbeitet. Wir mögen nicht Teil eines kultigen Menschenzoos sein, in dem konsumverwöhntes Hedonistenpack dampfend im Weg rumsteht, um sich auf unsere Kosten zu vergnügen. Was ist nur los mit den Menschen? Warum sind sie so unbehaust und müssen unbedingt als Plage in angesagte Orte einfallen? Warum wollen sie hin, wo es „kultig“ ist oder nur postkartenwunderschön? Immanuel Kant hat den Großraum Königsberg nie verlassen und hatte alles, was er brauchte. „Der Weise sei sich selbst genug“, sagt Baltasar Gracián in seiner „Kunst der Weltklugheit“. Jedem ist doch ein reiches Gefühlsleben, Verstand und schöpferisches Potential mitgegeben, entsprechend dem wunderbaren Bonmot eines Kunstprofessors:
„Jeder, der an mir vorbeigeht, ist ein Künstler“,
wobei vielleicht die Idee mitschwingt, dass es der Initialzündung bedarf, und sei es die einer Begegnung im Vorbeigehen. Wer das Pech hat, keine Initialzündung zu erleben, verödet und spürt, dass ihm etwas fehlt, gesellt sich zu den Konsumidioten, die bedenkenlos den Globus abfrühstücken, sich die touristischen Highlights und Geheimtipps reinziehen in die Nase wie Koks oder eben einen verwinkelten Kiosk in Linden-Süd inhalieren, bis die normalen Kunden genervt wegbleiben. Ich hab derlei schon mal erlebt. „Der Tourist zerstört, was er sucht, indem er es findet“, sagt Hans Magnus Enzensberger. In einer schier grenzenlos verfügbaren Welt führt kein Weg daran vorbei, sich selbst zu begrenzen. Auch wenn jeder bei sich denkt: Die Touristen sind immer nur die anderen.
Unser armer, „abgefrühstückter“ Globus, besonders um den Himalaya und um Venedig herum, Hurtigruten inbegriffen, Königsberg weit im Hinterland, wo es jetzt nochmal WIE heißt?
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Kaliningrad. Diese verantwortungslose Werbung hatte ich gestern im Briefkasten:
Das Welterbe zertrampeln für 199 Euro.
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Neulich habe ich mit Entsetzen von „Instagram-Tourismus“ gehört: Jemand macht irgendwo auf der Welt, z.B. in einem ganz abgelegenen Dorf auf einer indonesischen Insel oder in einem Kiosk in Hannover-Linden, ein Selfie und lädt das auf Instagram hoch, schon finden sich unzählige andere Instagram-Idioten, die das auch wollen und dann da hinreisen. Kaum zu fassen.
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Danke für den Nachweis. Davon hatte ich noch nichts gehört. Aber ist plausibel. Letztlich hülfe nur noch: Internet abschalten.
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Diesen Instagram-Tourismus würde ich in – sprachlicher, nicht sachlicher – Anlehnung an „#Metoo“ als „#Ichauch“-Syndrom bezeichnen. Der Hang, anderen etwas nachzumachen, muss irgendwie befriedigend auf Menschen wirken, die mangels eigener Initiative und/oder Kreativität sich und ihrem öden Tun irgendeine Bedeutung verleihen oder verliehen bekommen möchten.
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Früher hinterließen die Leute „Ich-war-hier-Marken“, heute muss es das Selfie sein. Mir scheint, das von dir genannte #“Ichauch“-Syndrom befriedigt nur kurzzeitig, sonst müsste es nicht ständig getoppt werden. Es ist wie mit Konsum überhaupt. Eine innere Leere lässt sich so nicht vertreiben.
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Treffend beschrieben, lieber Jules. Es berührt mich immer unangenehm, wenn ganz besondere Dinge (auch Reisen) so billig angeboten werden. Leider fehlt dann fast immer die Wertschätzung.
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So ist es, liebe MItzi. Die massiv umweltschädigende Vielfliegerei gibt es, weil Flüge so spottbillig angeboten werden. Überhaupt ist die ganze Welt gemessen an unserem Einkommensstatus viel zu billig zu bereisen.
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Leider sehe ich das auch so.
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