Tischkamin statt Journalistenpreis – Vom Elend der Lohnschreiber

Kürzlich hat mein Türnachbar mir eine Fernsehzeitung in den Briefkasten gesteckt, weil er sie doppelt hatte. Ich hatte schon gut zwanzig Jahre in keiner Fernsehzeitschrift geblättert. Seit es gefühlt tausend TV-Sender gibt, ist mir der Aufwand des Blätterns und Lesens zu groß. Doch ich konnte mich überreden, weil es schon aus alltagsethnologischen Gründen gut ist, mal zu schauen, was die Fernsehzeitschrift den Leuten bietet. Aber es war so mühsam; schon auf den ersten Seiten im vorderen Teil mit den großen Bildberichten zu Stars, Filmen und Serien befiel mich heftige Langeweile.

Ein zweiseitiger Bildbericht getitelt „Das Glück der kleinen Freunde“, über „Haselmaus“, Eichhörnchen, Kaninchen und Küken, deren Anblick laut Text einer Anja Schuberth nicht nur „glücklich“ machen soll, sondern „auch Konzentration und Produktivität“ fördert, stürzte mich ob seiner schamlosen Verlogenheit in bodenlosen Grimm. Puh, schnell überblättern den klebrigen Hirnschiss.

Letzte Innenseiten: Das Kreuzworträtsel lachte mich an. Vielmehr lachte mich eine blondgelockte „Haselmaus“ an. „Star-Rätsel mit Jennifer Lawrence“ Wer zum Teufel ist das? Und was heißt hier „Rätsel mit …?“ Dem Namen nach spricht sie vermutlich kein Deutsch, könnte also gar nicht helfen, weil sie die Fragen nicht versteht. Soll ihre Betrachtung mich nur „glücklich“ machen sowie meine „Konzentration und Produktivität“ steigern, damit ich das Rätsel löse und mir ein Designer-Tischkamin winkt oder lacht, wobei lachende oder winkende Designer-Tischkamine reichlich surreal sind. Puh, ich schaffe nicht mehr als die drei Buchstaben „TIE.“

Beide Abb. aus: TV direkt, Nr. 7 2018

Woran hat’s gelegen? Hatte ich den Kopf nicht frei, weil ich nicht wusste, wer diese Jennifer ist, bis ich es ergoogelt hatte? (Ich kannte sie übrigens nur brünett und mit Flitzebogen.) Oder lag es daran, dass ich immer noch an die putzigen Küken, „das Glück der kleinen Freunde“, und die barbarische Realität des millionenfachen Kükenschredderns denken musste?

Am Abend kommt Kreuzworträtselredakteur Carsten Schmock nach Hause und setzt gleich die Wodkaflasche an den Hals. „War es so schlimm heute?“, fragt Melanie Schmock mitfühlend. „Wieder nur Star-Rätsel gebastelt? Das wird in diesem Leben wohl nichts mehr mit dem Nannen Preis. Immerhin gibts kostenlose Designer-Sachen.“
„Weißt du, was das Schlimmste ist?“
„Nein.“
„Wenn einem die eigene Ehefrau, das Elend aufs Butterbrot schmiert.“
Und höhnisch blakt der Designer-Tischkamin.

30 Kommentare zu “Tischkamin statt Journalistenpreis – Vom Elend der Lohnschreiber

  1. Ich les ja immer nur die Prisma, lege dort aber besonderen Wert auf das Kreuzworträtsel und die Horoskope. Deren Ratschläge befolge ich regelmäßig, z. B. richte ich mich auf den angekündigten „unerwarteten Besuch“ ein. Moment, das ist irgendwie widersprüchlich…

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  2. da fallen mir gleich 2 dinge ein. jennifer lawrence spielt in einem meiner lieblingsfilme die hauprolle: silver linings (https://www.imdb.com/title/tt1045658/?ref_=nm_flmg_act_16) und helge schneider über kreuzworträtsel: leider kann ich keinen link finden. der track befindet sich auf der doppel cd: hefte raus – klassenarbeit, ein großes stück zum thema freiheit und gefrorenes mit drei buchstaben.
    DESIGNERTISCHKAMIN eine ziemlich steile nummer! danke fürs finden:)

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  3. Apropos Briefkasten – hast du irgendwann nach der Kartenaktion nochmal Post von mir bekommen??

    Ich mach seeehr gerne das Zeiträtsel “um die Ecke gedacht“, das gibts auch online. Da sind die Beschreibungen der Gehirnsport, die Lösungswörter sind normaler Wortschatz, und nicht nur russische Flüsse und griechische Götter… 🙂 und bis diese hinterhältigen fragen mal von künstlicher intelligenz “erdacht“ werden können, lässt ACHELOOS noch viel wasser die WOLGA hinunterlaufen 😉

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  4. Ich lös immer nur die Rätselfragen mit den Buchstaben, die das Gewinnwort ergeben, für den Rest habe ich leider keine Zeit. Blöderweise vergesse ich dann meist, das Wort auch einzuschicken, oder ich habe keine Briefmarken.
    Wie sieht wohl ein Designer-Tischkamin aus? Kann man darin auch auch was verbrennen, z.B. nur halb ausgefüllte Kreuzworträtsel?

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  5. Tischkamin, Tischkamin… Das erinnert mich entfernt an Loriot und den Atom-Kraftwerk-Baukasten. Mit echter Explosion, aber vollkommen harmlos. Mit dem Tischkamin wäre ähnlicher Unfug denkbar! Nein, das google ich jetzt nicht. Das würde einem die ganze Freude beim Gedanken daran verderben, wie eine Horde langweiliger Erwachsener sich gegenseitig den Feuerlöscher aus der Hand reißt.
    »Nun tu doch endlich mal was, Erwin!«

    Der kleine Bombenentschärfer, mit Maske und explosionssicherem Kittel. Leicht abwaschbar, bügelfrei und in verschiedenen Größen. Mami räumt sicherheitshalber das Wohnzimmer, während das verträumt spielende Kind überlegt, ob es jetzt der rote oder doch der blaue Draht… Wenn alles gut geht, darf die Familie zum Abendbrot wieder in die Wohnung. Wenn nicht, liegt dem Karton noch ein Erste-Hilfe-Pack, ersatzweise die bundesweit gültige Nummer von »Rent-a-Pfarrer« bei.
    Wenn ich jetzt so ins grübeln komme, fällt mir bestimmt noch mehr ein.

    Leichter als Luft! Der Hindenburg-Zeppelin-Bausatz für’s abgebrühte Kind! Mit echtem Wasserstoffgas aus der Küche. Garantiert harmlose Elektrolyse. Ein Topf von Mami, etwas Kaliumhydroxid (liegt der Adventure-Box bei) und Omas gute Besteck als Elektroden. Ein Bombenspaß für die ganze Familie!

    Gesteht die kleine Schwester oder bleibt sie tapfer? Spielen Sie »Das Polizeirevier am rechten Ende der Zivilisation«! Alles für den phantasievollen Wahrheitssucher. Holzsplitter für unter die Fingernägel…

    Ne, jetzt ist gut.

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    • Gerade im Spamordner entdeckt. dass der Tischkamin deine Phantasie so befeuert hat. Ich gestehe, dass ich schon in etwa wusste, wie ein Tischkamin aussieht, weil auf der Seite unten einer abgebildet war. Aber die Assoziation zu Loriots Atomkraftwerk-Baukasten liegt nahe. Als ich erstmals das Wort Tischkamin las, dachte ich freilich an einen Kamin für Arme, vergleichbar Minigolf.

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  6. Nein. Ich weigere mich, diesen Star zu gugeln. Lawrence von Arabien kenne ich, das war ein Monumentalschinken. Fernsehzeitungen verwende ich nicht gerne zum Einwickeln meiner Gemüseschnitzelabfälle, darum kaufe ich sie erst gar nicht.Beschichtetes Hochglanzpapier womöglich auch noch. Nix gut. Außerdem abe ich garrrr keinen Fernseher. Meiner fiepte wie ein Wiesel beim Wasserlassen, da schmiss ich das Uraltschätzchen raus und hängte statt dessen ein Bild an den Platz. Das ist nur eine Kandinsky-Replik, weil für das Original meine Wand nämlich zu klein wäre. Auch für diese Okolyten von Fernsehern, die es heute gibt. Tischkamine finde ich langweilig. Promis irgendwie auch und von putzigen Kükenabbildungen wird mir immer (wie Dir) so komisch klamm im Bauch.
    Journalistenpreis für Fernsehzeitungen?
    Ups…😱
    Liebe Grüße

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    • TV-Verweigerer wie du sind recht zahlreich in der Blogosphäre. Mich umfängt mitunter ein schlechtes Gewissen, zu wenig Ahnung zu haben von dem, was den Alltag von Millionen Mitmenschen prägt. Darum auch mein Ausflug in die Welt der TV-Zeitschriften, deren Redakteure jeden Tag so einen Dreck produzieren müssen wie die genannte Frau Schuberth oder der Kreuzworträtselredakteur. Ich dachte mir beim Schreiben, dass auch diese Lohnschreiber einmal Träume von sinnvollem beruflichem Erfolg gehabt haben, aber landeten bei TVdirekt, sicher in einem gutbezahlten Job (und es gibt tolle Journalistenrabatte auf fast alles), wo sie niemals die Chance bekommen, was richtig Gutes zu leisten.
      Lieben Gruß

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  7. Kreuzworträtsel mag ich. Eigentlich aber nur, weil sie mich an die frühen Morgenstunden erinnern, als ich noch daheim wohnte. Mein Vater löste das der Tageszeitung jeden Morgen. Als ganz kleines Kind dachte ich, dass er der klügste Mensch sein muss, wenn er das alles weiß. Später füllte ich deine Lücken. Aber nur wenn es englische Worte waren. Mein Vater spricht keine Fremdsprachen.

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  8. Pingback: Pack die Badehose ein | Schrottpresse

  9. Schöner Dreh am Ende mit dem Elend des Redakteurs. Ich muss gestehen, so hab ich mein Brot auch mal verdient. Einen Monat lang hab ich bei TV-Hören und Sehen ausgeholfen. Es ist ein Elend, das kann ich dir versichern. Nach einem Monat kam der erlösendene Anruf, mit einem Angebot für einen neuen Job.

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