Ich mag nicht, wenn vor dem Supermarkt der Geldtransporter wartet. Gestern war ich zweimal zum Einkaufen, und jedes Mal wartete vor dem REWE-Supermarkt an der Limmerstraße der Geldtransporter, mit laufendem Motor. Das beunruhigt mich. Denn die Gefahr besteht, dass just, wenn ich mich auf den Eingang des Supermarkts zubewege, die automatische Schiebetür aufgeht, und heraus kommt einer in Geldbotenuniform mit einem metallenen Geldkoffer, der mit einer Kette an seinem Handgelenk befestigt ist. Und zwei Heinis vom ladeneigenen Sicherheitsdienst drängen eine Oma mit Rollator zur Seite, halten mit ausgebreiteten Armen mich und ein kauflustiges Pärchen zurück und bilden ein Spalier, damit der Geldbote frei hindurch schreiten kann wie ein Prinz. Plötzlich reißt sich die Oma die Gummimaske vom Gesicht und ist eigentlich ein junger, schwer tätowierter Mann aus Bulgarien oder Albanien, jedenfalls aus einem Land, in dem an den Straßen mehr Esel herumstehen als Autos. Der hat da eine ganz schwere Kindheit gehabt, lebte schon als kleiner Junge auf der Straße und musste sich mit den unzähligen Straßenkötern um die Schlachtabfälle balgen, die der Metzger vor die Tür geworfen hat. Und was er von dem Gekröse hat ergattern können, hat er roh verschlungen. Diese soeben noch harmlose Oma mit Rollator und Hackenporsche ist also eigentlich ein vom harten Leben gezeichneter junger Mann. Obwohl mir seine schwere Kindheit bitter auf der Seele liegt, nimmt er mich einfach in den Schwitzkasten, zieht eine Kanone, hält sie mir an den Kopf und schreit:
„Hrnrt Dor frm Höflpggrt jrt, dpmdz lmsöör ovj frm jort sn!“,
was unzweifelhaft heißen soll: „Geben Sie den Geldkoffer her, sonst knalle ich den hier ab!“ Aber ich bin der einzige, der überhaupt versteht, was der verrückte Bulgare will. Alle stehen da und rätseln. „Was hat der Mann gesagt?“ „Warum regt der sich so auf? Das ist doch nur der Herr Trittenheim!“ Der Geldbote derweil kümmert sich überhaupt um gar nichts, schwingt seinen Geldbotenhintern in den Geldtransporter und sein Kollege, der den Motor hat laufen lassen, lässt die Kupplung kommen, gibt Gas und rauscht mit quietschenden Reifen davon. Der Bulgare ist völlig entgeistert. Inzwischen haben die Leute das Smartphone herausgenommen und filmen uns. Da wird ihm klar, dass er jetzt nicht mehr in die Haut der alten Oma zurück kriechen kann, und in seiner Verwirrung und panischen Angst will er mich loswerden und schießt mir eine Kugel durch den Kopf.
Im Fernsehen erzählte ein junger Komiker vom Schlimmsten, was es in seinem Leben gibt: „Pärchenabend.“ Da würde er sich lieber erschießen. Hallo?! Als Straßenkind in Bulgarien sich von Schlachtabfällen zu ernähren oder Geldbote zu sein und das Leben zu riskieren für Geld, das einem gar nicht gehört, immer in Gefahr, dass ein anderer armer Sock‘ kommt und mit einem Seitenschneider den Geldkoffer vom Handgelenk schneidet und die Hand gleich mit, oder ganz harmlos einkaufen zu wollen und dann von einem als Oma verkleideten bulgarischen Schwerverbrecher abgeknallt zu werden, ist doch alles viel schlimmer als Pärchenabend! Ich wusste bis eben nicht mal, dass es sowas gibt.
Lieber Jules,
da sehe ich nur eine Lösung, dass Sie den Geldtransporter meiden können:
Sie bitten die Geldtransporterfirma, Ihnen den genauen Zeitplan und die Route der Geldtransporte zu schicken.
Dann können Sie schon vort dem Gang zu Rewe prüfen, ob sie sich einer Gefahr aussetzen.
Gruß Heinrich
P.S. „Pärchenabende“ kann ja nur ein Codewort für etwas noch Schlimmeres sein?!?
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Dann denken die doch gleich, ich will den Geldtransporter selbst überfallen, lieber Heinrich.
Und bei Rewe krieg ich Hausverbot. 😦
Was alles bei einem Pärchenabend passiert, könnte uns Mitzi vielleicht verraten.
Beste Grüße!
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Im Ort Mangalia am Rumänischen Schwarzen Meer habe ich vor etwa 20 Jahren einen Esel auf der Straße mitten im Feierabendverkehr gesehen. Der Feierabendverkehr war ruhig, der Esel hingegen war flott unterwegs. Es hätte sich also genauso gut um einen rumänischen Verbrecher handeln können, schlussfolgere ich daraus. So nett er sicher auch wäre, wünsche ich Dir einen langweiligen Einkauf lieber.
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Aus Rücksicht auf dich hatte ich extra nicht Rumänien geschrieben, meine Liebe. Jetzt stellst du den Bezug selber her. Aber danke für die Impression und die guten Wünsche. Und beruhigend zu lesen, dass rumänische Verbrecher nett sind. Da kann man sie jedermann empfehlen 😉
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Ich WUSSTE es! Deshalb habe ich den Bezug selbst hergestellt. Sonst wäre es positive Diskriminierung gewesen, und wer will denn so was?! Die Verbrecher kenne ich nicht persönlich, muss ich einräumen, sondern eher vom Hörensagen. (Entschuldige, den Kommentar habe ich gerade eben gesehen, ich lerne immer noch die Reader-Funktion kennen.)
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Angenehme Besucherinnen und Besucher des Teestübchens werden von mir immer positiv diskriminiert, das es eine Lust ist. Tatsächlich hatte ich das mit der Plage der Straßenhunde von einer rumänischen Deutschlehrerin gehört. Aber die Esel stehen in Albanien herum. Ein bisschen dichterische Freiheit sei mir auch erlaubt. 😉
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Ui, danke schön (glaube ich). Die Straßenhunde in Rumänien wurden mittlerweile eingeschläfert. Offenbar ein notwendiger Schritt. Dafür hoffe ich um so mehr, die Esel in Albanien werden ein langes, glückliches Leben genießen.
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Meine Information stammt von 2011 etwa, und die Kollegin Deutschlehrerin kam, glaube ich, aus Hermannstadt.
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Sobald das Bargeld abgeschafft worden ist, gehören solche Geschehnisse der Vergangenheit an.
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Das ist wahr. Hoffen wir trotzdem, dass es nicht so bald geschieht.
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Wahrscheinlich findet dann wieder Tauschhandel statt oder eine eigene Währung entwickelt sich nebenbei.
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Alternativwährungen wie das Regionalgeld gibt es ja schon welweit und auch in vielen deutschen Städten. https://de.wikipedia.org/wiki/Regionalw%C3%A4hrung
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Bestimmt hat der bulgarische Spitzbube Rollator und Hackenporsche für seine Camouflage weder auf Ebay noch im Laden gekauft, sondern zuvor einer wirklichen Oma entwendet oder gar geraubt – was auch der Oma vermutlich kaum weniger Unbill bereitete als ein Pärchenabend.
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Genau! So zieht das Elend seine Kreise, und am Ende haben nur die ein schönes Leben, die Pärchenabende veranstalten, vorausgesetzt der blöde Komiker ist nicht eingeladen.
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Lieber Jules, von Heinrich angeregten Nachfrage bei den Sicherheitsunternehmen rate ich dringend ab. Du hast selbst erkannt warum und es täte mir leid, wenn du nicht mehr schreibst, weil man sich künftig überwacht und du die Worte abwägen musst. 😉
Pärchenabend klingt tatsächlich nach etwas erzwungenen. Bedeutet aber wohl eigentlich nur, einen Abend mit einem anderen Paar zu verbringen. Wenn dies das schlimmste ist, dann hätte der Zitierte bisher wohl ein erbärmlich fades Leben.
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Nein, das war so geplant:
Die Geldtransporterfirma vermutet nach Jules Anfrage, dass er zu dieser Angelegenheit von anonymen Gangstern angestiftet wurde und schickt dem Rewe nur noch nachts um 04:22 Uhr heimlich einen als Brotlieferant getarnten Geldtransporter. Um die Zeit schläft Jules vermutlich und wird nicht in die Geschehnisse verwickelt, falls diese geniale Tarnung doch auffliegen sollte.
Aber vielleicht haben die Geldtransporter nicht genug Phantasie, diesen Plan zu durchschauen und dem entgegenzuwirken. 😉
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Herrlich.
Man sollte unbedingt auf Sie zurück greifen, wenn es um künftige Neuausrichtungen in der Sicherheit des Geldtransportwesens nachgedacht wird.
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@ Mitzi
Danke für Rat und Aufklärung, liebe Mitzi. Ich war sicher, dass du weißt, was ein Pärchenabend ist. Ich habe da nicht unbedingt was verpasst: Heinrich dachte vielleicht an Partnertausch, etwas das in den 1970-ern in Mode kam. Pärchenabende sind weit harmloser, wie ich aus dem Gerede des Komikers geschlossen habe.
@Heinrich
Ihr Plan klingt soweit überzeugend, doch ich möchte nicht, dass meinetwegen Nachtarbeit angeordnet wird. Es beträfe ja nicht nur die Mitarbeiter des Geldtransportunternehmens, sondern auch die des Supermarkts. Dankeschön trotzdem, dass Sie sich um mein Wohl Gedanken gemacht haben.
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Hätte der Bulgare dem Geldboten gleich die Hand abgehackt und das Geldköfferchen an sich gerissen, hätte er sich eine Geiselnahme erspart. Oder besser wäre gewesen, er hätte den Geldtransporter mit einer knackigen Panzerfaust geknackt.
Das ist ja meist das Problem der Kleinkriminellen. Sie verzetteln sie liebend gern im Klein-Klein. Oft bis die Handschellen klicken …
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„Das Problem der Kleinkriminellen“ ist schön auf den Punkt gebracht, lieber Herr Ösi. Es empfiehlt sich auch im Gangsterwesen eine gute Ausbildung.
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Es empfiehlt sich immer ein Deutschkurs, bei dem man dann auch gezielt nach Sätzen wie „Hände hoch“, „Rücken Sie die Kohle raus, sonst…“ und ähnlich zweckmäßigen Inhalten fragen kann. Das Personal des Geldtransporters hingegen ist entschuldigt, die hatten es eilig, mussten noch zum Pärchenabend.
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Das könnten doch auf dem Balkan die Goethe-Institute übernehmen. Mal ein bisschen Initiative zu entwickeln, kann nie schaden. Aber vermutlich haben die auch nur Pärchenabende im Kopf.
Die wörtliche Rede oben ist aber Deutsch, nur verschlüsselt, ein moderner Caesar, nämlich immer ein Buchstabe auf der Tastatur nach rechts verschoben.
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Ich hatte ja schon vermutet, dass das keine willkürliche Anhäufung von Buchstaben war.
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Achtung! Eine dringende Durchsage an alle Autofahrer: Auf der A1 hat in Höhe Osnabrück-Nord ein Geldtransporter Ladung verloren. Wir bitten die Gefahrenstelle großräumig zu umfahren.
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