Amanda Hobbes und Jakobus Heinzmann

Entwurf für ein Zwei-Personen-Stück
Cheerleaderin Amanda Hobbes
Physikprofessor Jakob Heinzmann

Zentral auf der Bühne stünde ein Kahn in Seitenansicht, wie man ihn von Kahnweihern kennt, allerdings ohne Ruder. Die Kulisse wäre eine Leinwand, auf der eine von rechts nach links vorbeiziehende Landschaft zu sehen ist, so dass die Illusion entstünde, der Kahn wäre in Vorwärtsbewegung. Im Kahn säße steif ein Mann, weshalb der Kahn etwas im Bühnenboden versenkt ist. Der Mann müsste nichts für die Fortbewegung tun, denn der Kahn würde von einer geheimen Strömung fortbewegt. Demgemäß säße der Mann in Fließrichtung, sähe also, wohin die Kahnfahrt ginge. Am Ufer hinter dem Mann wäre die Cheerleaderin zu sehen. Sie würde von einem als Uferbestigung getarnten Laufband immer wieder zur linken Seite abgetrieben, so dass sie versuchen müsste, mit dem Kahn gleichauf zu bleiben. Manchmal würde ein Schritt genügen, manchmal, wenn sie abgelenkt wäre, müsste sie dem Kahn hinterher eilen. Sie hätte spitze Herrenschuh aus Leder in der Hand und würde versuchen, sie immer wieder auf Höhe des Mannes abzustellen. So weit das Bühnenbild. Und jetzt nehmen Sie Platz in Ihrem Theatersessel und genießen Sie die Vorstellung! (KLICK)

Den Fehler in der vorletzten Zeile „Strönung“ statt „Strömung“ kann ich leider nicht korrigieren, da der Theatertext ein Bild ist.

Intergalaktisches Bettenbauen

Bei der Bundeswehr lernte ich, ein Hemd auf DIN-A4 zu falten, ebenso das Bettenmachen, was dort im Jargon „Bettenbauen“ heißt. Zum Glück habe ich beides wieder vergessen. DIN-A4-Hemden sind albern und Bettenbauen, war schon mehrfach zu lesen, ist eher ungesund. Nicht weil man sich dabei verrenken oder gar tödlich verunglücken kann, nein, die Gefahr lauert im Bett selbst – mikroskopisch kleine Spinnenwesen, die Milben. In der Nacht verliert der Mensch bis zu zwei Liter Flüssigkeit. Diese Feuchtigkeit muss tagsüber wegtrocknen. Im gemachten Bett kann sie nicht entweichen. Dunkelheit und Feuchtigkeit sind die idealen Lebensbedingungen für Milben. Sauber gebaute Betten beherbergen drum ganze Milben-Universen.

Wie ich am Morgen mein Bett aufschlage, somit das Mikrobenuniversum ans Licht zerre und ihm die Feuchte entziehe, fällt mir ein, dass diese Mikrobengalaxie zwar Nachbargalaxien hat, wohin die Milben theoretisch fliehen könnten, nämlich in die anderen Betten in den Wohnungen des Hauses, dass diese Galaxien im Mikrokosmos aber so weit voneinander entfernt sind wie die Andromedagalaxis von unserer Milchstraße. Einziger Unterschied, wenn wir Menschen bei Nacht zum Himmel aufschauen, können wir benachbarte Galaxien als ferne Spiralnebel sehen, vorausgesetzt es gibt keine Lichtverschmutzung und wir haben ein Teleskop. Von Milbengalaxie zu Milbengalaxie besteht keine Sichtverbindung, außer in Bundeswehrstuben, Jugendherbergen und anderen Schlafsälen, wo große Milbenpopulationen beheimatet sind.

Angenommen in irgendeiner Milbengalaxie des Mietshauses, in dem ich lebe, geschieht plötzlich etwas Ungeheuerliches. Ein schwer alkoholisierter Nachbar hat sich hoch oben ins Bett gelegt, und seine Ausdünstungen bewirken bei den Milben die Entwicklung von Intelligenz. Da im Mikrokosmos alles schneller geht als bei uns, läuft auch die Evolution schneller ab, und im Nu haben seine Milben, das Rad, das Geld und das Rubbellos erfunden, die Raumfahrt entdeckt sowie eine Theorie von Wurmlöchern erdacht. Zuvor aber entwickeln die hochintelligenten Milben jedoch eine psychogene Technik der mentalen Beeinflussung anderer Lebewesen, von ihnen „die Macht“ genannt. Plötzlich ist mein armer Nachbar erstaunlich geschickt im Bettenbauen, hat nicht eher Ruhe, bis er sein Bett auf DIN A4 gefaltet hat … [sorry,… falsche Spur], bis er sein Bett perfekt gemacht hat, so dass sein Milbenimperium wachsen und gedeihen kann.

Sein Umfeld lobt ihn ahnungslos. Patenonkel Heinrich, ein schneidiger Offizier der Reserve, sieht sich in allem bestätigt, was ihm heilig ist, und verkündet: „Welch ein Segen, wenn einer bei der Armee gewesen ist. Da lernt er noch den korrekten Bettenbau!“, und setzt den jungen Mann zum Alleinerben ein. Alle staunen nur über sein behändes und allmorgendlich promptes Bettenbauen gleich nach dem Aufstehen, wobei er das Mantra: „Möge die Macht mit euch sein!“ murmelt. Auch hört man Wunderliches von ihm: „Größe ist nicht alles. Die kleinere Truppe wir sind, dafür größer im Geist.“ Wie sähe jetzt die großgeistige Milbenraumfahrt aus? Würden die Milben-Raketentechniker und Astrophysiker das Bett des Nachbarn umfunktionieren? Käme das plötzlich holterdipolter die Treppen herunter und würde mit Krawumm an fremde Türen klopfen? Ich würde nicht aufmachen und rate allen, Türen und Fenster geschlossen zu halten.

Dann bliebe den Milben noch die Allgemeine Relativitätstheorie und die Theorie der Wurmlöcher. Der Name Wurmloch stammt von der Analogie mit einem Wurm, der sich durch einen Apfel hindurchfrisst. Er verbindet damit zwei Seiten derselben Dimension (der Apfeloberfläche) durch einen Tunnel. Das beschreibt anschaulich die besondere Eigenschaft des Wurmlochs, da es zwei Orte im Universum, in diesem Fall zwei Betten miteinander verbindet. In meinem Bett stieße die Milben-Expedition auf brutale Lebensbedingungen, und man wird in Wissenschaftskreisen erwägen, mein Bett wegen Unwirtlichkeit auf den mikrogalaktischen Index zu setzen. Zwischen anderen Betten fände aber ein reger Milbenaustausch statt, wobei die Milben feststellen würden, dass sich die Raumfahrt nicht lohnt, denn Bett ist Bett. Man habe, wird verkündet, nichts Besonderes, nicht mal außermilbisch intelligentes Leben in den neuentdeckten Betten gefunden, außer in meinem natürlich, aber das müsse sicherheitshalber gesprengt werden.

Zeh und Hund

Eine junge Frau ist mit vier kleinen Hunden und einem Schäferhund auf einem zum Fußweg offenen Spielplatz. Plötzlich beginnt der Schäferhund einen der kleinen Hunde zu jagen. Es geht rund und rund. Die Kreise der zwei streifen über den Fußweg und nähern sich dem parallel verlaufenden Fahrradweg, auf dem gerade ein Radfahrer heran rolllt. Die Frau schreit den Schäferhund an: „Sean! Sean!“ Als der Schäferhund geduckt an ihre Seite kommt, tadelt sie ihn: „Hast du nicht alle Latten am Zaun?“

Der Radfahrer hat der unberechenbaren Hunde wegen angehalten, sagt:
Ihr Hund kann das nicht verstehen. Kein Wunder, dass er nicht gehorcht. Es erfordert ein hohes Maß an Intelligenz, von ‘Hast du nicht alle Latten am Zaun’ auf den gemeinten Inhalt zu schließen. Das können Sie ja nicht mal.

Hundemama: Wie, jetzt?

Radfahrer: ’Hast du nicht alle Latten am Zaun?’, ist eine Verballhornung von ‘Hast du nicht alle Tassen im Schrank?’ Und gemeint ist die Frage, ob einer irre geworden ist.

Hundemama: Verball – was?

Radfahrer: Verballhornung, nach dem Lübecker Buchdrucker Johannes Ballhorn, der in einer Fibel einem Hahn ein paar Eier untergelegt hat.

Hundemama: Welche Eier? Ich denke, es geht um Tassen. Und was hat mein Hund damit zu tun? Er legt keine Eier und hat keine Tassen.

Radfahrer: Und keinen Lattenzaun.

Hundemama: Natürlich nicht. Er schläft in meinem Bett.

Radfahrer: Aber Sie haben gewiss einen Schrank.

Hundemama: Ja, wieso?

Radfahrer: Und? Sind noch alle Tassen drin?

Hundemama:
Arschloch! Strampelidiot! Das muss ich mir nicht gefallen lassen! Twinkie, Blinkie, Stinksocke, Leo, Sean! FASS!

Radfahrer: Nicht! Am Ende beißen die mich noch!

Hundemama: Selber schuld!

Radfahrer: Nein, Blinkie, Pfui! AUA, Stinksocke, AUA äh AUS!, Sean, du Drecksköter! HILFE! Er frisst meinen Fuß! AUAAA! AUS! AUS!

Hundemama: Na, wen verstehen meine Hunde jetzt nicht?

Radfahrer: Haben Sie noch alle Kinder im Keller?

Hundemama: Und Sie? …Zehen am Fuß?

Radfahrer [zieht seine blutverschmierte Socke aus]: Nein! Den dicken Onkel hat Sean!

Hundemama: Ach, so’n Mist! Sean, sei ein braver Hund und gib den Zeh wieder her! Wo hast du ihn hingetan, Sean? Twinkie, Blinkie, Stinksocke, Leo! Sucht den dicken Zeh!

Radfahrer [leise]: Da können die Scheißtölen lange suchen. Mein dicker Zeh ist schon seit 20 Jahre ab, hehehe! [laut]: Boah! Wenn der weg ist …!

Einladung zu Tisch

Von den zwei Paaren, die wir zum Essen eingeladen hatten, musste eines kopfstehen, sobald der runde Esstisch über eine Schiene an die Wand gefahren und in die Senkrechte gekippt war. Zuvor jedoch klappten die Sicherungsbügel hoch, ähnlich denen einer Achterbahn, und fixierten alle an ihre Plätze. Wir hatten uns dagegen entschieden, selbst unten zu sitzen; wir hätten als die Gastgeber nach oben schauen müssen, was uns nicht angemessen erschien.

Also wiesen wir die Plätze dem General und seiner Gattin zu, worüber die beiden erkennbar unfroh waren, nachdem der Tisch senkrecht an der Wand klemmte. „Hätte ich das gewusst, wäre ich im Hosenanzug gekommen“, sagte Frau General spitz, als ihr das weite aprikotfarbene Abendkleid unter die Nase rutschte. In gruppendynamischer Hinsicht sind Dreierkonstellationen naturgemäß problematisch. Immerzu neigen zwei dazu, sich gegen die dritte Partei zu verbünden. Dies wurde durch die notwendige Sitzordnung begünstigt, denn bei einem senkrecht stehenden runden Tisch muss eine Partei doch immerzu unten sitzen, während zwei Parteien das Privileg haben, dass wenigstens die beiden inneren Partner auf dem Scheitelpunkt sitzen. Ihre Partner sitzen dann schon mehr seitlich, so etwa auf zehn nach zehn Uhr. Da nun in beiden Fällen die Männer ihre Frau rechts sitzen ließen, kam ich auf diese Weise neben die schöne Gattin des Doktors zu sitzen, hatte sie quasi links neben mir, was mir von der hohen Warte aus die Gelegenheit gab, den ganzen Abend über mit ihr zu flirten. Wenn meine Frau und ihr Mann sich einmischten, ignorierten wir sie einvernehmlich.
„Ach, quatsch uns doch nicht von der Seite an, Darling!“, fertigte Frau Doktor ihren Gatten ab und schob mir lasziv lächelnd ein köstliches Kanapee in den Mund.

Frau General war inzwischen verstummt. Sie mühte sich tapfer, den General davon abzuhalten, ihr Kleid mit der Serviette zu verwechseln. Eine groteske Situation, die aber durchaus ihr Apartes hatte. Wir hatten den Koch natürlich angewiesen, weitgehend feste Speisen zu bereiten, die nicht tropfen. Trotzdem hatte der General sich über und über besudelt. Mir war das ein innerer Vorbeimarsch, ihn und den Doktor gedemütigt zu sehen.

Alptraum Geldtransporter

Ich mag nicht, wenn vor dem Supermarkt der Geldtransporter wartet. Gestern war ich zweimal zum Einkaufen, und jedes Mal wartete vor dem REWE-Supermarkt an der Limmerstraße der Geldtransporter, mit laufendem Motor. Das beunruhigt mich. Denn die Gefahr besteht, dass just, wenn ich mich auf den Eingang des Supermarkts zubewege, die automatische Schiebetür aufgeht, und heraus kommt einer in Geldbotenuniform mit einem metallenen Geldkoffer, der mit einer Kette an seinem Handgelenk befestigt ist. Und zwei Heinis vom ladeneigenen Sicherheitsdienst drängen eine Oma mit Rollator zur Seite, halten mit ausgebreiteten Armen mich und ein kauflustiges Pärchen zurück und bilden ein Spalier, damit der Geldbote frei hindurch schreiten kann wie ein Prinz. Plötzlich reißt sich die Oma die Gummimaske vom Gesicht und ist eigentlich ein junger, schwer tätowierter Mann aus Bulgarien oder Albanien, jedenfalls aus einem Land, in dem an den Straßen mehr Esel herumstehen als Autos. Der hat da eine ganz schwere Kindheit gehabt, lebte schon als kleiner Junge auf der Straße und musste sich mit den unzähligen Straßenkötern um die Schlachtabfälle balgen, die der Metzger vor die Tür geworfen hat. Und was er von dem Gekröse hat ergattern können, hat er roh verschlungen. Diese soeben noch harmlose Oma mit Rollator und Hackenporsche ist also eigentlich ein vom harten Leben gezeichneter junger Mann. Obwohl mir seine schwere Kindheit bitter auf der Seele liegt, nimmt er mich einfach in den Schwitzkasten, zieht eine Kanone, hält sie mir an den Kopf und schreit:

„Hrnrt Dor frm Höflpggrt jrt, dpmdz lmsöör ovj frm jort sn!“,

was unzweifelhaft heißen soll: „Geben Sie den Geldkoffer her, sonst knalle ich den hier ab!“ Aber ich bin der einzige, der überhaupt versteht, was der verrückte Bulgare will. Alle stehen da und rätseln. „Was hat der Mann gesagt?“ „Warum regt der sich so auf? Das ist doch nur der Herr Trittenheim!“ Der Geldbote derweil kümmert sich überhaupt um gar nichts, schwingt seinen Geldbotenhintern in den Geldtransporter und sein Kollege, der den Motor hat laufen lassen, lässt die Kupplung kommen, gibt Gas und rauscht mit quietschenden Reifen davon. Der Bulgare ist völlig entgeistert. Inzwischen haben die Leute das  Smartphone herausgenommen und filmen uns. Da wird ihm klar, dass er jetzt nicht mehr in die Haut der alten Oma zurück kriechen kann, und in seiner Verwirrung und panischen Angst will er mich loswerden und schießt mir eine Kugel durch den Kopf.

Im Fernsehen erzählte ein junger Komiker vom Schlimmsten, was es in seinem Leben gibt: „Pärchenabend.“ Da würde er sich lieber erschießen. Hallo?! Als Straßenkind in Bulgarien sich von Schlachtabfällen zu ernähren oder Geldbote zu sein und das Leben zu riskieren für Geld, das einem gar nicht gehört, immer in Gefahr, dass ein anderer armer Sock‘ kommt und mit einem Seitenschneider den Geldkoffer vom Handgelenk schneidet und die Hand gleich mit, oder ganz harmlos einkaufen zu wollen und dann von einem als Oma verkleideten bulgarischen Schwerverbrecher abgeknallt zu werden, ist doch alles viel schlimmer als Pärchenabend! Ich wusste bis eben nicht mal, dass es sowas gibt.

Aus dem Off – Die schönsten Augen nördlich der Alpen

Hallo?! Wie peinlich ist das denn?! Unter dem Gejohle der Punker, die immer vor dem Edeka-Supermarkt lagern, werde ich in Handschellen über die Limmerstraße abgeführt. Und just, als die beiden Polizisten mit mir warten, um eine Straßenbahn vorbeizulassen, just in diesem peinlichen Augenblick kommt Frau Schewardnadse mit dem Fahrrad angefahren. Rundet im erstaunten Wiedererkennen ihre schönen Augen, und gerade kann ich noch stammeln: „Es ist nicht das, wonach es aussieht!“, da zerren mich die Bullen auch schon zum Polizeiwagen hin.

Jetzt sitze ich auf dem Polizeirevier in der Ausnüchterungszelle für Akademiker und andere Strolche und warte auf den Polizeipsychologen.

Es hat alles ganz harmlos begonnen. Monatelang war ich nur zu Edeka gegangen in der Hoffnung, Frau Schewardnadse säße an der Kasse. Eigentlich sieht sie aus wie eine ganz gewöhnliche Frau Anfang 40, mit blonden Strähnchen in den braunen halblangen Haaren. Aber wenn sie mich anschaut und lächelt, falle ich aus den Schuhen. Sie hat mindestens die schönsten Augen nördlich der Alpen. Und wenn sie mir das Wechselgeld zurückgibt, streicht sie jedes Mal wie unabsichtlich meine Hand. Da dachte ich schon: Man muss sich vorsehen bei den slawischen Weibern. Sie haben allerlei kokette Tricks in petto.

Leider war Frau Schewardnadse schon wieder nicht da. Vielleicht hat sie ja eine andere Stelle gefunden, denn eigentlich ist Frau Schewardnadse nicht einfach eine Frau an der Supermarktkasse, sondern war in Georgien eine Astrophysikerin gewesen. Sagt jedenfalls mein Freund Konrad Fischer. Alle Frauen, die aus dem tiefen Osten kämen und bei uns im Westen an den Supermarktkassen sitzen, wären in ihrer Heimat arbeitslose Astrophysikerinnen mit einem Doktortitel in Quantenphysik oder mindestens Lehrerin gewesen.

Statt Frau Schewardnadse sitzt ein junges Kassenfräulein da, zieht meine Waren über den Scanner, lächelt und sagt:
„Neun Euro 50 hätte ich gerne!“
Ich bin bitter enttäuscht und sage fest: „Wir haben nicht vereinbart, dass ich Ihnen für diese Dienstleistung ein Honorar bezahle.“
„Wie jetzt…?“
„Fast zehn Euro für ein Lächeln, nö! Ja, und dann haben Sie natürlich ein paar Waren über den Scanner gezogen. Das ist doch keine Leistung!“
„Hallo…? Geht’s noch? Sitzen Sie hier mal acht Stunden und fertigen jeden Idioten ab.“
„Sind Sie grad ein bisschen ausfallend geworden? Erst lächeln, dann schimpfen, und alles für neun Euro 50.“
„Sie bezahlen doch mich nicht für irgendwelche Höflichkeitsgesten.“
„Das nennen Sie also ‘Höflichkeitsgeste’. Ganz umsonst werden Sie die Idioten aber auch nicht abfertigen.“
„Mein Lohn ist in den Waren enthalten.“
„In meinem Kartoffelsalat? Ja, ist denn das erlaubt?“
„In den Preisen Ihres Einkaufs.“
„Meines Einkaufs?“
„Ja, Sie stehen hier nämlich an der Supermarktkasse. Ich habe Ihre Waren über den Scanner gezogen, die Computerkasse hat die Preise registriert, zusammengezählt und die Kaufsumme von neun Euro 50 ausgegeben, und jetzt ist es üblich, dass der Kunde bezahlt. Sagt ja schon das Wort: ’Einkaufen’ mit Betonung auf Kaufen.“
„Üblich? Ich komme aus dem Rheinland. Da kaufen wir nicht ein, sondern holen uns alles.“
„Aber in Hannover ist es üblich, dass der Kunde kauft, also zahlt.“
„Ja, wo ist er denn?“
„Wer jetzt?“
„Der Kunde, der meine Waren bezahlt?“
„Jetzt rück schon die Kohle raus, Alta“, brummt mein zotteliger Hintermann, der nur eine Flasche Wodka aufs Band gelegt hatte, „ich hab nicht ewig Zeit.“
„Ach, eilt es bei dir so mit dem Saufen? Zahl du doch!”
“Herr Huschke, Kasse bitte!”, sagt das Kassenfräulein ins Mikrophon. Und wie aus dem Nichts steht Herr Huschke neben mir, erkennbar an dem Namensschild an seinem Kittel.
Ich sage: „Hallo, Herr Huschke, sind Sie nicht so ein kleiner Dicker mit Brille?
„Nein, das ist die Frau Haubentreter. Was gibt’s?“
„Der Herr hinter mir hat nicht ewig Zeit, sagt er.“
„Wer hat das schon. Sehen Sie, ich bin schon 58, und noch ist völlig unklar, ob ich es bis zur Rente schaffe…“

Das wird traurig, weiß ich sofort und sage: „Einen Moment, bitte, Herr Huschke“, greife mir die Wodkaflasche, schraube sie auf und setze sie an den Hals. Ah, das Zeug läuft runter wie Wasser. Ich hab Riesendurst. Derweil wird mein Hintermann renitent und will mir die Flasche entwinden. Im allgemeinen Gerangel fängt das Kassenfräulein an zu schreien, und Herr Huschke geht zu Boden. Muss man da gleich die Polizei rufen?

Jetzt bin ich schon fünf Stunden in der Ausnüchterungszelle. Seit meiner Einlieferung habe ich keine Menschenseele mehr gesehen. In der Ferne höre ich den Straßenverkehr rauschen. Wo mag nur Frau Schewardnadse jetzt sein?

Upcycelt: Erstveröffentlichung am 27. August 2015 im Teestübchen