Das Beschreiben und Bekritzeln der Bücher – über eine aussterbende Subkultur des gedruckten Buches

Kategorie MedienAls im Jahr 1999 der informelle Maler Emil Schumacher gestorben war und ich einem Freund davon berichtete, holte er das dicke Harenberger Personenlexikon aus seinem Bücherregal, schlug es bei Schumacher auf, las vor, was dort geschrieben stand, schraubte seinen Füller auf und schrieb in den teuren Wälzer hinein.
„Was tun Sie da, Sir?“, fragte ich.
„Na, wenn ich schon dabei bin, kann ich doch gleich das Todesdatum eintragen“, sagte er.

Das mag man heute nicht mehr spektakulär finden, wo Onlinelexika wie Wikipedia beinah schneller als die Zeit aktualisiert werden, aber die Idee, ein gedrucktes Lexikon fortzuschreiben, war mir bis zu diesem Augenblick nicht gekommen. Der Journalist, Autor und Dichter Edgar Allan Poe hingegen schreibt:

„Beim Kauf meiner Bücher bin ich stets auf einen recht breiten Rand bedacht. Dies geschieht freilich nicht aus einer besonderen Vorliebe für das Detail, wie hübsch ein breiter Rand auch immer wirken mag, sondern vielmehr um der Bequemlichkeit willen, alle Gedanken, welche mir bei der Lectüre durch den Kopf gehen – mögen sie nun zustimmend, ablehnend oder allgemein kritisch sein -, sogleich mit dem Stift neben das Gedruckte zu setzen. Ist das, was ich zu notieren habe, zuviel für den schmalen Raum, den ein solcher Rand bietet, so schreib’ ich das Weitre auf einen Streifen Papiers und lege denselben zwischen die betreffenden Seiten, wobei ich nicht versäume, ihn mit ein wenig Tragantkleber zu fixieren.“

Kurz nachdem das Foucaultsche Pendel erschienen war, konnte man im TV den Autor Umberto Eco sehen, umgeben von den prächtigsten Werken der dubiosen Wissenschaften und Geheimgesellschaften des Barock, und auch Eco hatte keine Skrupel, einfach in die Bücher hineinzuschreiben, wobei er natürlich einen sündteuren Füllfederhalter mit vergoldeter Feder benutzte. Dem Bibliophilen sträuben sich die Haare, und so ist eine Entscheidung für eigene Marginalien in Büchern immer eine gegen die unbefleckte Erscheinung des Buches. Eingelegte Zettel oder das Durchschießen der Seiten mit leeren Blättern, sind ein Kompromiss. In der Frühzeit der Literatur wird der Leser sogar aufgefordert, er möge „Papier darzwischen schiessen lassen, da man denn gar leichte, entweder aus andern Büchern, oder aus Erfahrung, mehr Exempel unter iedwedem Titul herzu tragen kan.“ Papier „darzwischen schiessen zu lassen“, das war leicht möglich, als Bücher noch ungebunden gehandelt wurden, so dass der Käufer das Buch vom Buchbinder nach eigenen Vorstellungen einbinden lassen konnte, wenn er wollte, auch mit „darzwischen“ geschossenen Leerseiten.

Das aneignende Lesen, wie Poe und Eco demonstrieren, ist nie gefördert worden worden. So finden sich denn auch viel häufiger weniger erfreuliche Zusätze in Büchern, besonders in denen, die verliehen werden. Schon Richard de Bury, Bischof, Staatsmann und bedeutender Buchsammler, schimpft 1344 im Philobiblon, dem berühmten Buch von der Bücherliebe:

Interlinearversion in einem Exemplar von "Brave New World" aus dem Bestand eines Aachener Gymnasiums

Illegale Interlinearversion eines Exemplars von „Brave New World“ aus dem Bestand eines Aachener Gymnasiums

“Ganz besonders aber sind von jeder Berührung der Bücher jene unverschämten Burschen auszuschließen, die, wenn sie kaum die Gestalt der Buchstaben hinzumalen gelernt haben, gleich – bietet sich Gelegenheit – anfangen, ihre dummen Randbemerkungen in die prächtigsten Bände zu setzen und, wo ihnen nur ein größerer Rand ins Auge fällt,ihn mit ihren scheußlichen Alphabeten zu schmücken; auch jede andere Frechheit, die ihnen gerade einfällt, erlaubt sich die zügellose Feder alsbald hineinzukritzeln. Da probt ein Latinist, hier ein Sophist, hier irgendein anderer kenntnisarmer Schreiber die ersten Flugversuche seiner Feder, wodurch wir die herrlichsten Werke in ihrem Gebrauch und Wert so oft geschädigt sehen müssen.”

Am Rand eines Leihbuches steht “ Falsch! ”und die fragliche Stelle ist dick unterstrichen. “Und was folgt aus dem allem?” fragt ein anderer ungnädig und versetzt mich als nachfolgenden Leser ins unerwünschte Grübeln, ob man das nicht wenigstens eleganter hätte fragen können. Ah, wie dumm sind die Marginalien und Unterstreichungen, die ein Vorbenutzer hinterlassen hat! Man sieht förmlich, durch welche Karrenspuren sein Denken rumpelt und hat das unangenehme Gefühl, man wäre wie ein Kalb hinten angebunden.

Einmal lieh ich aus der Aachener TH-Bibliothek Walter Porstmann; “Sprache und Schrift”, Berlin 1920. Porstmann war nicht nur der Mitbegründer der DIN-Normen, sondern auch ein radikaler Schriftreformer und futuristischer Sprachingenieur, Vertreter der totalen Kleinschreibung, der die Buchstaben etymologisch vom Buchenholz befreien und sie der Eisen- und Stahlzeit gemäß nur noch “Staben” nennen wollte. Zwei Leser hatte das Buch vor mir gefunden, einmal war es 1928 und einmal 1935 ausgeliehen worden, wie die Stempel auf der letzten Seite bezeugten. Beide Vorbenutzer hatten hineingeschrieben. Der erste hatte sich darauf beschränkt, Druckfehler und falsche Etymologien zu korrigieren. Der zweite Leser jedoch hatte zahlreiche giftig-böse Bemerkungen über das Buch verstreut und mit steilen Buchstaben Porstmanns vermeintlich falsche Gesinnung angeprangert. Ihm war auch nicht die Luft ausgegangen wie so vielen, finden sich doch die meisten Randbemerkungen am Anfang eines Textes. Diese blindwütige Abrechnung eines nationalsozialistischen Eiferers wollte ich aber nicht lesen. Ich nahm einen Radiergummi und rubbelte alles weg. Doch bevor ich fertig war, bereute ich schon, dass ich mich hatte hinreißen lassen. Die Marginalien waren zeitgenössische Dokumente gewesen. Sie waren im Laufe der Jahre Bestandteile des Buches geworden und hatten Auskunft über seine Rezeption gegeben. Das war nun unrettbar verloren. Zuletzt wäre noch die fehlende Nachsicht gegenüber dem Schreiber zu tadeln, der vielleicht schon tot, wenn er aber noch lebte, sicher kluger geworden war. Allerdings, dass da jemand in einem Exemplar der Aachener Stadtbibliothek von Bernd Eilerts “Hausbuch der literarischen Hochkomik” alle seiner Meinung nach komischen Stellen mit Bleistift und Lineal unterstrichen hatte, ist ja nun auch schon wieder ziemlich komisch.

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Fotos: JvdL - zum Vergrößern bitte klicken

Fotos: JvdL – zum Vergrößern bitte klicken

Der kundige Physiotherapeut, der mich von meinen Rückenschmerzen befreit hat, lieh mir einen faszinierenden Roman, in dem fiktive Randbemerkungen Teil des Buches sind. „S. Das Schiff des Theseus“ vom fiktiven Autor V.M. Straka (eigentlich von J. J. Abrams und Doug Dorst) ist aufgemacht wie das Leseexemplar einer Bibliothek. Auf seinen Rändern treten ein Literaturstudent und eine Literaturstudentin in einen handschriftlichen Dialog ein, die beide auf der Suche nach der Identität des geheimnisvollen Autors V.M. Straka sind. Das aufwändig gestaltete Werk mit seinen gedruckten Randbemerkungen und diversen eingelegten Materialien lebt von drei Voraussetzungen: Es muss weiterhin Leser geben, die regelmäßig eine Bibliothek aufsuchen, sie müssen Handschrift noch als Kommunikationsmittel nutzen und es muss noch gedruckte Bücher geben. All diese Voraussetzungen sind durch die digitalen Erscheinungsformen der Schrift bedroht. So ist S. Das Schiff des Theseus der wehmütig schöne Abgesang auf die versinkende Buchkultur mit ihren legalen und illegalen Marginalien. Dass ich das einmal schreiben würde, hätte ich im Jahr 1999 nie gedacht, derweil mein Freund und Kollege sein Harenberger Personenlexikon fortschrieb.

48 Kommentare zu “Das Beschreiben und Bekritzeln der Bücher – über eine aussterbende Subkultur des gedruckten Buches

  1. Für mich sind Bücher kleine Kunstwerke, aus Respekt habe ich nie etwas hineingeschrieben, auch keine Eselsohren hinein gemacht. Außer während der Schulzeit, da habe ich in die Reclam Heftchen geschrieben, was mir jedoch bei den Klausuren nie half;-)

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  2. Das Schlimmst (und auch das Dämlichste), was ich mal gesehen habe: In einem Buch aus der Lehrbuchsammlung war nahezu jeder Satz mit einem grünen, gelben oder orangenen Marker hervorgehoben. Auch das ist ein bißchen komisch, allerdings ist das Buch hinüber, das kann man keinem weiteren Leser mehr zumuten.

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  3. Fachbücher, die ich selbst gekauft habe, kann ich be- und verarbeiten, die nehme ich auch auseinander. Aber das sind Arbeitsbücher, Material, wie ein Block oder ein Stift. Bei Belletristik kann ich das nicht, da kann ich es schon nicht mit ansehen, wenn ein Buch aufgeschlagen quasi auf dem Bauch liegt.

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  4. Hm, unsere Jüngste macht sowohl als auch. Randbemerkungen und Textmarker.
    Allerdings nur in Fachbüchern welche wir selbst gekauft haben. Ihr hilft es im Studium.
    Nimmt sie sich mal ein Buch aus meinem Bestand, liegt da ein Lesezeichen mit der Aufschrift:
    „denk dran, das ist MEIN Buch, Kuss Mama“ drin.

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  5. Oh ja, „S“ ist ein wunderbarer Buch mit vielen verschachtelten Meta-Ebenen, geschrieben vom Magier der Postmoderne, JJ Abrams, der normalerweise Filme produziert, die aber auch immer zusätzliche Ebenen beinhalten – auch transmedieller Natur.

    Das Buch „S“ ist aber faszinierend durch diese textuelle Dialoge und erinnert mich etwas an House of Leaves (Das Haus) von Mark Z. Danielewski.

    Schön! Als ich Deinen Eintrag angefangen zu lesen, wollte ich „S“ bereits in Kommentaren erwähnen – und da sah ich, dass Du genau darüber schreibst!

    Übrigens, Frohes Neues!

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    • Als mir mein Physiotherapeut von S. erzählte, war mir gleich klar, dass ich darüber schreiben würde, aber unbedingt den buchkulturellen Bezug aufzeigen wollte, weil ich darüber einiges an Material zusammengetragen hatte. Es wundert mich nicht, dass du das Buch schon kanntest, mein Lieber, weil du in derlei Dingen immer die Hand am Puls der Zeit hast.
      .
      Danke, wünsche ich dir auch!

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  6. Lieber Jules,
    als ich las, was Du eingangs schilderst, wie der Freund mit einem Füller das Todesdatum des verstorbenen Malers ins Personenlexikon schrieb, erinnerte mich das spontan an einen zufällig durchs Zappen gesehenen TV-Auftritt des „Komikers“ Johann König (dessen Komik sich mir nicht erschließt).
    Der Sketch ging ungefähr so: er erzählte, dass es sein Hobby sei, täglich die Todesannoncen der Tageszeitung zu lesen und sofort danach die Namen der Verblichenen im örtlichen Telefonbuch mit einem schwarzen Stift durchzustreichen.

    Bücher mit Anmerkungen zu versehen, etwas darin zu unterstreichen: davor habe ich eine unerklärliche Scheu. Mag ich irgendwie nicht. Vielleicht, weil ich nicht möchte, dass jemand, der das Buch in Händen hat, etwas über meine Gedanken erfährt, was mich interessiert, was beim Lesen meine Aufmerksamkeit fand.
    Obwohl: ich würde es schon gern hin und wieder tun. Wie schnell ist ein guter Gedankenansatz, eine Idee verflogen?
    Leihbücher, in denen herumgeschrieben worden, haben für mich ihre Unschuld verloren. Ich lese sie dann auch nicht mehr weiter, weil ich mit dem Buch und MEINEN Gedanken allein bleiben will.
    Liebe Grüße
    und danke für diesen Text.
    Lo

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    • Lieber Lo,
      deine Scheu, in Bücher zu schreiben, teile ich. In geliehene Bücher mag ich nichts schreiben, weil sie mir nicht gehören, in eigene Bücher nicht, weil ich keine Gebrauchspuren im Buch mehr haben will. Das war anders, als ich intensiv Schriftforschung betrieben habe. Da ich aus vielen Fachbüchern nur wenige Gedanken anregend fand oder Zitate, die es lohnte zu bergen, habe ich eine Reihe von Kürzeln verwendet, die ich einem Buch über Arbeitstechniken entnommen hatte. Notiert habe ich weiterführende Gedanken auf Karteikarten, so dass nichts verloren ging. In Leihbüchern stören Marginalien der Vorbenutzer meine Konzentration, denn irgendwelche Jedermannsgedanken haben mich noch nie weiter gebracht, selbst Unterstreichungen stören mich gewaltig, weil sie mich ablenken. Extensive Beschriftungen, wie sie in das „Schiff des Theseus“ vorkommen, sind eigentlich eine Unverschämtheit in einem Leseexemplar der Bibliothek und für mich nur akzeptabel, weil sie fiktiv sind.
      Danke für deinen Kommentar und beste Grüße,
      Jules

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  7. Bei meinen Schulbüchern sah man immer, dass Sie – entweder aus Interesse oder Desinteresse – „benutzt“ wurden. Markiert, Reingekritzeltes, Anmerkungen, Sprüche, Männchen, Sinn- und Unsinniges. Da wurden manchmal richtige „Kunstwerke“ draus. Das gibt’s bei den heutigen Leihbüchern nicht mehr. Man kann noch nicht mal eine Klassenstufe weiter im alten Buch was nachschauen…..

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    • Deinen letzten Satz verstehe ich gut. Das ist der Nachteil der Lehrmittelfreiheit, wenn die meisten Bücher der Schule gehören. Ich weiß nicht, wie die Regelung in deinem Bundesland ist. In NRW mussten die Eltern einige Bücher bezahlen, dann gehörte sie ihnen natürlichh. Einen anderen Nachteil der Lehrmittelfreiheit habe ich erlebt, wenn Schüler am Anfang des Schuljahres ein total bekritzeltes Buch der Vorbenutzer bekamen und damit arbeiten mussten, weil kein unbeflecktes Buch mehr im Bestand war. Ich besitze ein bekritzeltes Latein-WB, das meinem älteren Bruder gehörte. Zu diesen Kritzeleien habe ich einen Bezug, aber von Fremden mag ich sie nicht.

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      • Im Saarland kann man jedes Jahr entscheiden, an der Schulbuchausleihe teilnehmen, oder aber alle Bücher kaufen. Da das Kaufen aber immense Kosten verursacht (wobei dann noch viele Bücher teilweise im Unterricht kaum oder nicht genutzt werden und noch viele Kopien aus anderem Buchmaterial bezahlt werden) entscheidet man sich wohl für Ausleihe. Man könnte ja noch nicht mal die gekauften Bücher aufheben für jüngeres Kind an der gleichen Schule, da das Lehrmaterial auch ständig wechselt….Die ausgehliehenen Bücher sind aber durchweg im sehr guten Zustand. Da wird schon drauf geachtet. Das mit den Kritzeleien geht mir auch so, meine eigenen mag ich, die von Anderen sind undurchschaubar fremd. 🙂

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  8. Eigene Bücher habe ich immer ohne Scheu mit Randbemerkungen oder Hervorhebungen versehen. Für mich sind Bücher wie Flaschen: ein Transportmittel. Au den Inhalt kommt es an.
    In der Schule habe ich damit angefangen und nicht nur bei Reclam-Heftchen (die ja kaum Rand zum Notizen hinzufügen bieten). Ich erinnere mich, dass im Deutschunterricht sogar einmal die Entscheidung gegen das billigere Reclam-Heftchen fiel, eben weil die Mehrheit gerne Randnotizen hinzufügen wollte. Nach der Schule ging es mir beim Markieren darum, erleuchtende Gedankenblitze oder schöne Sätze nicht im Meer der Kapitel zu verlieren. In Bibliotheken habe ich Markierungen auch zu schätzen gelernt, aber auch hin und wieder an Sinn und Verstand von Markierenden gezweifelt.
    Mein erster Vermieter hatte die gleiche Eigenart. Er hatte damals das Buch „Was bleibt mir übrig“ von Dieter Hildebrandt mit vielen Erinnerungen an seine Vergangenheit als Schlaglichter versehen. Das Buch befindet sich in meinem Besitz, sieht aber richtig zerfleddert aus. Wie gesagt: es kommt auf den Inhalt an, nicht auf das Transportmittel.

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    • Für mich sind Bücher immer schon mehr gewesen als Transportmittel, weil ich ein geradezu erotisches Verhältrnis zu typografisch schön aufgemachten Büchern habe, in diesem Sinne also bibliophil bin. Das rührt gewiss noch von meiner Ausbildung zum Schriftsetzer
      Wenn du das erste BIldbeispiel zum Vergrößern anklickst, siehst du ein Beispiel für den Platzmangel in Reclambändchen, von dem du schreibst.. Da ich immer schon viel aus Büchern herausgeschrieben habe, musste ich nichts hineinschreiben. Es ist eine Frage der Mentalität, ob man das tut oder nicht. Mit dem E-Book verschwinden Marginalien.

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      • Ich hatte nicht über aufwendigeren Buchdruck gesprochen, sondern über den regulären.Es ist wie mit Wein: der Inhalt ist das wichtige und berauschende (oder auch nicht), die Flasche hat dabei nur sekundären Einfluss. Und es gibt auch Wein, bei dem die Hülle (Flasche) dermaßen ungewöhnlich ist, dass das Äußere mit dem Inneren kombiniert oder leider sogar das einzig Gute vom Ganzen ist. Kunstdrucke wurden in der Schule kaum behandelt, denn dafür mangelte es vielen Eltern das Geld und auch die Einsicht. Oder Bücher gedruckt auf besonderem Papier oder auf besonderer Weise. Der reguläre Buchdruck ist für mich das Transportmittel vom Inhalt. Will ich mehr, kaufe ich auch kein regulär gedrucktes Buch sondern die spezielle Ausgabe und dann werde ich auch nichts reinschreiben, dann ist es das Gesamtwerk, was mir am Herzen liegt. Und, in der Schule hatte ich erlernt, dass das rausschreiben zwar hilft sich etwas besser zu merken. Jedoch habe ich auch schmerzhaft erlernen müssen, dass separate Notizen verloren gehen können oder dass es mit der Zuordnung richtig schwierig werden kann. Randnotizen hatten mir dieses Problem gelöst. Und separate Notizen fallen dabei immer noch an.

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        • Ich meinte eigentlich fast alle Bücher in meinem Besitz, sogar Taschenbücher. Echte bibliophile Ausgaben besitze ich gar nicht. Dazu fehlen mir Geld und Neigung. Damit ich die Zuordnung nicht verliere, habe ich alles auf Karteikarten nach Schlagwörtern geordnet. Selbst da finde ich nicht alles, aber da ich vieles aus Leihbüchern notiert habe, würden mir Randnotizen nicht helfen. Im 10-Bändigen Gesamtwerk von Edgar Allan Poe hatte ich die Stelle mit dem obigen Zitat durch einen eingelegten Papierstreifen markiert – mit dem Effekt, dass im Buchblock des Bands sich langfristig ein kleiner Spalt aufgetan hat, was ich sehr schade finde.
          »Jedem Jeck sing Pappnas«, sagt man in Köln.

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      • Du schreibst: „Mit dem E-Book verschwinden Marginalien.“. Das entspricht nicht den Tatsachen, je nach verwendetem E-Book-Reader kann man ganz wunderbar und vollkommen zerstörungsfrei Anmerkungen und Notizen machen, die man zudem noch durchsuchen kann. Das ist doch ein deutlicher Fortschritt ggü. dem gedruckten Buch.

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  9. Ich gestehe, dass es kaum ein Buch in meinem Regal gib, das nicht von mir verunstaltet (oder bereichert….je nach dem wie man es sehen möchte) wurde. Ich unterstreiche Sätze die mir gefallen, markiere Passagen, die ich für Blödsinn halte und klebe kleine Post its an Stellen, die ich schnell finden möchte, wenn ich das Buch nach Jahren wieder in die Hand nehme. Ein breiter Rand ist fast immer irgendwo mit einem Halbsatz beschriftet und manchmal weiß ich nach Jahren nicht mehr, was ich damals, beim ersten oder fünften Lesen eigentlich wichtiges als Erinnerungsstütze notieren wollte.
    Mein liebstes Buch im Regal ist Platons der Staat. Es gibt zwei Ausgaben. Eine saubere in der nur der Verfasser zu Wort kommt und ein in der mein damaliger Freund und ich unzählige Stellen angestrichen und mit Kommentaren versehen haben. Ich nehme es gerne zur Hand und versuche mich zu erinnern, was mein Freund damals zu den einzelnen Kapiteln in unserer Küche zu sagen hatte. Dank seiner Anmerkungen fällt es mir leicht. Respektlos empfinde ich es nicht. Nie würde ich ein Buch auf aufgeschlagen auf den Bauch auf den Tisch legen oder mit fettigen Fingern anfassen. Das gehört sich nicht. Es zu beschriften empfinde ich als legitim. Nur Ausleihen kann ich daher wenige. Da widerstrebt es mir meine Gedanken so frei in andere Hände zu geben.
    Die „Schöne neue Welt“ las ich mit Anfang zwanzig und notierte mir, das Buch meinem gerade geborenen Neffen zur Volljährigkeit zu schenken. Er bekam letztes Jahr eine neue Version mit dem Hinweis, es ruhig vollzuschreiben, der Rand sei breit genug.
    Ein schöner Artikel, lieber Jules. Du ahnst, dass er mich dazu bringt den heutigen Feiertag vor meinem Bücherregal zu verbringen und nach alten Gedanken zu suchen.

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    • Schön, ihr habt einen Feiertag, liebe Mitzi. Hab gerade mal nachgesehen. Heilige Drei Könige ist nur Feiertag in Baden-Württemberg, Bayern und Sachsen-Anhalt. Das letzte Bundesland wundert mich. Ich dachte, da wohnen nur Heiden. Immerhin musst du heute nicht durch den Schnee stapfen, sondern kannst lesen und in Büchern deines Bücherregals stöbern. Im Gegensatz zu dir habe ich nur ein einziges Buch „verunstaltet“ oder „bereichert“. Vor Jahren schenkten mir Freunde meiner Exfreundin ein Buch von Dieter Nuhr – in Unkenntnis meiner Abneigung gegen den mäßigen Komiker. Sein Bild auf dem Cover habe ich zugekritzelt, eine Art magische Handlung.
      Dass die Marginalien in Platons Der Staat die Kommunikation zwischen dir und deinem Freund enthält und dir noch heute eine Erinnerungsstütze für eure gemeinsame Gedankenwelt sind, gefällt mir besser als der eitel wirkende fiktive Austausch in „S. Das Schiff des Theseus.“ Ich danke dir herzlich für deinen Kurzbericht und für die Würdigung meiner Arbeit und wünsche dir ein schönes verlängertes Wochenende.

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  10. Sehr anregende Lektüre! Zum Buch als bekritzeltes Objekt habe ich ein gespaltenes Verhältnis. Ist die Kritzelei nur alt genug, oder der Autor derselben berühmt bzw. bedeutend genug, lasse ich mir’s gerne gefallen (Köstlich diverse Drolerien, die ich mal in einem Wiegendruck sah) Und das gilt dann wohl auch für meinen eigenen Buchbestand. Als autobiografisches Dokument ersten Ranges dient mir noch immer eine umfänglich mit Anmerkungen versehene Philosophie der Neuen Musik Adornos. Das ist dann der Punkt Alter. In jüngere Zeit hinein aber nahm die Angewohnheit, im Buch anzumerken, ab, was dann wohl zunehmend mangelnde Wertschätzung meines Selbst widerspiegelt. Ich gestehe freilich, neuerdings besonders gerne Bücher gleich ganz zu übermalen, wofür dann makulierte Bände einer Bibliothek herhalten müssen. Gerade ältere Drucke haben oft hervorragendes, strapazierfähiges Papier, das geradezu nach einer Zweitverwertung schreit. In Arbeit momentan ein Exemplar des vierzehnten Bandes des Deutschen Gesamtkataloges, das ich ergattern konnte. Papier und Einband sollten offenbar Jahrtausende überdauern, so robust ist das gemacht – und waren, angesichts heutiger Online-Kataloge, doch bereits nach wenigen Jahrzehnten reif für die Tonne…

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    • Danke fürs Lob. Freut mich. In der Tat sind alte Papiere besser als neuere. Das liegt am Holzschliff, der ab MItte des 19. Jahrhunderts in der Papierherstellung aufkam und Papier aus Lumpen verdängte. Wegen der sauren Substanzen in der Schliffmasse ist Holzschliffpapier nicht alterungsbeständig, weshalb viele Bibliotheken nach 1850 gedruckte Bücher nur vor dem Verfall retten konnten, indem sie die Bücher in FCKW badeten, um die Säuren zu neutralisieren. Aber über 150 Jahre alte Bücher würde ich mich nicht trauen zu übermalen, obwohl es aus dieser Zeit auch viel Schund gibt. Die Scheu, in Bücher aus eigenem Bestand zu schreiben, verweist für mich nicht auf mangelnde Wertschätzung meiner selbst. Weil mir Bücher viel bedeuten, ist deren pflegliche Behandlung mir wichtig.
      Für Drolerien in Wiegendrucken gilt erst recht, was ich zu den Spuren in Postmanns Buch geschrieben habe. Ist der 14. Band des Deutschen Gesamtkatalogs ein Katalog der Wiegendrucke? Ich kam noch nicht zum ausführlichen Stöbern in deinem Blog. Gibt es Bilder von übermalten Büchern/Buchseiten?

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  11. Mit 16 habe ich auch des Schahs Todesdatum ins Lexikon meiner Eltern eingetragen. Bei einem Lexikon schien mir das selbstverständlich korrekt. Schöne Erinnerung! Habe ich seitdem nicht wiederholt; seit ich von Zuhause auszog, habe ich nur kurz ein Lexikon bessesen (lange Geschichte). Ich glaube aber nicht, dass das jemals jemand gemerkt hat. Die Beschriftung meine ich, nicht mein Auszug vom Elternheim
    Paperbacks zu beschriften, besonders fremdsprachige, wenn man die Übersetzung neben dem unbekannten Wort schreibt, scheint mir weiterhin selbstverständlich zu sein. So lerne ich Sprachen. Wenn man sich schon die Mühe macht, ein Wort nachzuschlagen, darf es jeder wissen. Selbst ich selber, wenn das Buch dann später erneut lesen sollte. Kommt ohnehin so gut wie nie vor.
    Ein Schulfreund von mir, später wurde er Philologe, unterstrich ALLES mit einem Bic-Kugelschreiber, simultan zu seiner Lektüre. Das trieb mich zur Verzweiflung. Das macht er noch heute, seine Bücher leihe ich mir nie mehr aus.

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    • Alles zu unterstreichen, ist vielleicht eine sehr spezielle Form des Abarbeitens, eine sinnvolle Arbeitstechnik, die man allgemein empfehlen kann, ist es nicht. Auch das zeitweise beliebte markern mit verschieden farbigen Textmarkern war oft mehr Plage als Gewinn. Ich selbst mag kein Buch lesen oder mit ihm arbeiten, wenn da jemand was unterstrichen hat.

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      • Stimmt, wir haben gelernt, es als störend zu empfinden, wenn jemand ein Buch unterschreibt und Bemerkungen am Rande macht, vielleicht, weil wir den Eindruck haben, unsere Wahrnehmung werde von jemanden gelenkt, unser Empfinden gesteuert. Wir sind heute ja sehr individuell, lassen uns nicht beeinflussen und wenn jemand etwas am Rande notiert und eine Textpassage durch unterschreiben hervorhebt, ist das, überspitzt formuliert, böse Manipulation. Aber früher hat man das nicht so streg gesehen, wie ich gerade in einem Blog lese: https://medievalbooks.nl/2016/02/26/dirty-old-books/ Ich neige eher zu der modernen Sichtweise, wenn auch bei weitem nicht so streng ausgelegt wie von Ihnen: wenig kommentieren und unterschreiben ist besser. Aber die Sichweise des Mediavalisten hat auch was

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        • Gelernt habe ich das nicht. Es stört einfach meine Konzentration, wenn ich die Denkspuren eines anderen finde. Individualität ist hier nicht Masche, sondern ergibt sich zwangsläufig.Ich kann ja nicht mit seinem Kopf denken, also ist es disfunktional, wenn es um die Inhalte eines Buches geht. Die muss jeder für sich erschließen – mit seinen jeweiligen Absichten. Das dürfen wir nicht verwechseln mit künstlerisch verfremdeten Büchern oder dem Interesse an Gebrauchsspuren in alten Büchern. Was de Bury im Philobiblon beklagt, ist seine gegenwärtige Sicht. Für den Mediävisten sind illegale Marginalien aufschlussreich, wobei ja noch ein Unterschied besteht zwischen einem handgeschriebenen und einem gedruckten Buch. Aus historischer Sicht sind auch die Klograffiti in Pompeii faszinierend.

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  12. Ich kann auch nicht in Bücher schreiben. Absolut nicht. In gar keine, nicht einmal in Schulbücher. Ich weiß, dass das übertrieben war, aber da war ich wirklich konsequent.

    Meine Freundin und Sitznachbarin hatte diesbezüglich allerdings keinerlei Hemmungen und schrieb nicht nur in ihre, sondern je nach Lust und Laune auch in meine Bücher. Daran wär unsere Freundschaft fast zerbrochen …

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    • Danke für deinen Erfahrungsbericht, liebe Beate. Ich empfand und empfinde ähnlich, hatte als Kind regelrecht Ehrfurcht vor einem neuen Schulbuch, und das erste, was ich tat, war mit einem Schutzumschlag Einbinden, damit nu ja nichts drankam.

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  13. Lieber Jules,

    wie heute auf dem Markt erwähnt, gibt es in der Mathematik eine sehr berühmte Randnotiz: die von Pierre de Fermat. Das kann man im Wikipedia Artikel „Großer Fermatscher Satz“ nachlesen. Hier ein Auszug:

    „Vermutlich zwischen 1637 und 1643, ein genaues Jahr lässt sich aufgrund nachfolgend erläuterter Gegebenheiten nicht angeben, schrieb Fermat bei der Lektüre der Arithmetika des Diophantos von Alexandria neben die 8. Aufgabe des zweiten (griechischen) „Buches“ folgende Zeilen als Randbemerkung in sein Handexemplar dieses Werkes:

    Es ist jedoch nicht möglich, einen Kubus in 2 Kuben, oder ein Biquadrat in 2 Biquadrate und allgemein eine Potenz, höher als die zweite, in 2 Potenzen mit ebendemselben Exponenten zu zerlegen: Ich habe hierfür einen wahrhaft wunderbaren Beweis entdeckt, doch ist dieser Rand hier zu schmal, um ihn zu fassen.“

    Die Randnotiz ist erhalten, weil ein Sohn Fermats eine Neuauflage der Arithmetika mit den Randnotizen Fermats veröffentlichte. Seitdem wurde gerätselt, ob Fermat wirklich einen Beweis kannte. Das Problem ist nämlich ein sehr Schwieriges: der Beweis für die Behauptung wurde erst im Jahre 1995 gefunden.

    Viele Grüße,

    Filipe

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    • Dankeschön für den Nachweis, lieber Filipe, das ist eine hübsche Erweiterung des Themas. Seltsam, dass Fermat seine Lösung nirgendwo anders notiert hat? Man sollte annnehmen, dass es ihm nicht gereicht hätte, eine gedankliche Vorstellung vom mathematischen Beweis zu haben, ohne den aufgeschrieben zu haben. So bleibt die Notiz eine Marginalie der Mathematik-Geschichte. Ich habe gelesen, dass der von Andrew Wiles gefundene Beweis 150 Seiten umfasst. Kein Wunder, dass Fermat der Buchrand zu klein war. Oder sollte er eine elegantere, kürzere Lösung vor Augen gehabt haben. Ein Scherz wird es wohl nicht gewesen sein, weil Fermat nicht davon ausgehen konnte, dass sein Sohn die Notiz finden und veröffentlichen würde. Wir können ihn nicht mehr fragen. Vielen Dank für den Hinweis, mein Lieber. Leider habe ich die Originalnotiz nirgendwo gefunden. Die überall abgebildete Seite aus der Arithmetica des Diophantos hat keine Marginalie.
      Viele Grüße,
      Jules

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