Hamse mal fünf Euro? – Einiges über Münzgeld

Man kann sich was abgucken. Ich habe das mein ganzes Leben lang getan und mir danach meinen Umgang ausgesucht, getreu dem Rat Gracians: „Mit dem umgehen, von dem man lernen kann.“
Das meiste, manches banal, habe ich mir freilich in Beziehungen abgeguckt, so bei Ronja, der vorerst letzten Frau in meinem Leben, den Umgang mit Münzgeld. Sie hatte auf der Küchenfensterbank ein großes Glas voller Kleingeld, das wir, bevor sie umzog, zur Sparkasse gebracht haben, wo man es in eine Zählmaschine kippen konnte und den Betrag in Scheinen ausbezahlt bekam. Ich dachte, auch so ein Glas haben zu wollen, denn so bleibt das Portemonnaie immer schön schlank und die lästige Sucherei nach passenden Münzen kann man sich sparen, weil man immer sicher ist, kein Kleingeld mit sich herumzuschleppen. Einmal im Quartal muss man es aber trotzdem schleppen.

In Hannover bringe ich mein Kleingeld zur Filiale der Bundesbank, weil die Sparkasse Hannover das nur für ihre Kontoinhaber annimmt, und ich habe mein Konto noch in Aachen. Die Münzwechselkasse der Bundesbank befindet sich auf der zweiten Etage eines klotzigen Gebäudes aus der Gründerzeit. Es gibt in der Kassenhalle zwei Türen mit den Zahlen 1 und 2, riesengroß und in Rot und Grün beleuchtet, je nach dem, welcher Kassenraum gerade frei ist. An einer langen Theke an der Stirnseite des Raumes bekommt man von einer Dame eine Wartemarke für ein elektronisches Aufrufesystem.

Diesmal ist es ungewöhnlich voll. Ich bekomme die Nummer 066, und auf der Anzeigetafel an der Decke leuchtet seit meinem Eintreffen schon 052, 053 für Raum 2. Leider sind alle Sessel an der Fensterseite besetzt, so dass ich mich auf einen Platz in der Sesselreihe mit dem Rücken zum Raum setzen muss. Hier warten Leute aus allen sozialen Schichten. „Alle sozialen Schichten“ ist aber ein Euphemismus, denn Menschen aus der Oberschicht siehst du nicht. Der Präsident dieser Bundesbankfiliale, Stephan Freiherr von Stenglin, gehört vermutlich dazu. Aber er wird sich nicht mit Kleingeld hier im Kassenraum herumdrücken. Mitglieder der Oberschicht, des Adels, des Geldadels oder der herrschenden Eliten, nehmen nicht am normalen Leben teil. Mir gegenüber dreht ein schwarzgekleideter Punker seine gedeckelte Sammeldose in der Hand. Er hat eine schwarze, mit Nieten besetzte Schirmmütze auf dem Kopf, auf dem Schirm sitzt stylisch eine Sonnenbrille. Gelegentlich stöhnt er ungeduldig auf und dreht den Kopf zum Fenster, weil er unten auf dem Georgsplatz seine Sachen zurückgelassen hat, bewacht von zwei braunen Hunden. Ich fand sie dort angebunden, als ich eintraf. Ab und zu bellen sie, und der Punker schaut besorgt zu ihnen hinab.

Es geht nicht weiter, denn gewechselt wird heute nur in Raum 2. Die Tür von Raum 1 steht sperrangelweit offen. Davor eine lange Warteschlange, die sich ständig erneuert. Die Leute wollen die neue 5-Euro-Münze „Blauer Planet Erde“ kaufen. Sie hat einen blauen, lichtdurchlässigen Polymer-Ring, und angeblich „spricht darüber ganz Deutschland.“

fünf euroAuch in der Schlange der Begehrlichen sieht man Vertreter fast aller Schichten. Angestellte beiderlei Geschlechts aus dem umliegenden Bankenviertel nutzen ihre Mittagspause, Schüler, alte Ehepaare, ein Mann im Elektro-Rollstuhl, erstaunlich wer alles diese Münze will. Und immer wieder fragen Neuankömmlinge bang, ob es wohl noch Münzen gäbe. Es gebe, wie ich aus dem Kassenraum sagen höre, noch einen begrenzten Vorrat. Pro Person werden nur vier Fünf-Euro-Stücke abgegeben.

Endlich öffnet sich die Tür von Raum 2 und spuckt ein Ehepaar aus. Einer der Wartenden fragt halblaut, was die wohl so lange darin gemacht haben. Der Punker schöpft Hoffnung, und bald ist er auch an der Reihe. Neben mir ist ein Platz freigeworden. Ein junger Mann setzt sich da. Er hält eine offene Plastikdose, mehr einen kleinen Eimer, in dem ich nur die geriffelten Ränder von 50-Cent-Stücken sehe, seine Spardose offenbar. Die 066 leuchtet auf. Nachdem sich die Stahltür hinter mir geschlossen hat, sage ich aus purer Höflichkeit zum hageren Kassierer: „Sie haben heute ja mächtig Betrieb.“ Sagt er patzig: „Sie müssen sich ja  hier nicht den Hintern breit sitzen.“
„Warum so unhöflich, Mann? Das sichert doch Ihren Arbeitsplatz.“ Er bleibt unbeeindruckt, hält sich vermutlich für unkündbar, weil die Bundesbank eine Anstalt des öffentlichen Rechts ist. Vielleicht spekuliert er auf die Alternative, dem Freiherrn die italienischen Maßschuhe polieren zu dürfen, sollte das Bargeld endlich abgeschafft sein.

Meine Kleingeldsammlung ergibt 141 Euro und vier Cent. Filipe d’Accords Freundin Tina hat mir einen zerrissenen 10-Euro-Schein mitgeben mit der Bitte, ihn umzutauschen. Ich gebe ihn dem ungehobelten Schuhpolierer. Er hält ihn prüfend ins Licht und findet ihn für gut. Die Geldscheine, die er mir unter dem Schalter zuschiebt, sind frisch gedruckt. Ich tausche 20 Euro gegen vier blinkende Fünf-Euro-Münzen, vielleicht will Tina ja zwei.

21 Kommentare zu “Hamse mal fünf Euro? – Einiges über Münzgeld

  1. Ich hatte einmal in Aachen einen Fünf-DM-Schein in kleinste Fetzen zerrissen. Keine Bank wollte sich damit beschäftigen, obwohl ich das Puzzle mit durchsichtigem Klebeband sauber zusammengefügt hatte. Ich musste dann zum Gebäude am Hauptbahnhof. Ich betrat zwei Sicherheitsräume und überreichte einem Mann hinter dem handdicken Sicherheitsglas mein fertig gestelltes Geldpuzzle. Er fragte mich mürrisch, was den mit dem Geldschein passiert sei, und ich antwortete nur „zerrissen“. Er prüfte, ging aus meinem Sichtbereich nach hinten, prüfte wohl erneut, kam zurück und händigte mir einen neuen Geldschein als Ersatz aus.
    Warum er zerrissen war? Gut. In einer Kneipe wollte ich jemandem nur beweisen, dass ein Fünf-Mark-Schein auch nichts anderes als nur Papier sei und zerriss in in kleinste Stücke. Mein Gegenüber meinte nur, wenn es nur Papier sei, könnte ich ihm den Papiermüll geben. Ich hatte die Geldschnitzel frein säuberlich in meiner tiefen Jeanstasche verstaut. Denn soooo dicke hatte ich es damals auch nicht, als dass ich den zerrissenen Papierschein einfach abgegeben hätte …

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    • In der Aachener Bundesbankfiliale bin ich nie gewesen. Ich erinnere mich aber an eine Geiselnahme. Die Aachener Zeitungen haben alle Fotografen der Stadt angefragt, um sie abwechselnd im nahen Hotel Ibis an der Normaluhr einzumieten, damit jemand sofort vor Ort war, um eventuelle Sensationsfotos zu schießen. Aber das war, nachdem du deinen Fünf-Mark-Schein eingetauscht hast, schon zu Eurozeiten.

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    • Na, es geht ja um die Filiale der Bundesbank. Ich weiß nicht, wieviel Geld die da horten, aber es gibt wohl viele Sicherheitseinrichtungen. Den Kassenraum erreicht man nur über einen Aufzug, der auch nur auf der 2. Etage hält. Sonst gibt es überall verschlossene Sicherheitstüren, was ich aber nicht getestet habe 😉

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      • Eindrucksvoll, eindrucksvoll. Ich muss mir mal anschauen gehen, wie es in der österreichischen Nationalbank zugeht. Abgesehen davon ,dass es dort für die Angestellten eine Kantine geben soll, die die Qualität von einem Haubenlokal hat und dass die Pensionen selbiger Abgestellter im Bereich des Skandals liegen und dass sie in einem wunderschönen Jugendstilgebäude untergebracht ist, weiß ich gar nichts.

        Äußerst interessant deine Bemerkung, dass die Oberschichten nicht am öffentlichen Leben der Normalsterblichen teilnehmen. Stimmt natürlich, aber ich hatte einfach noch nie daran gedacht …

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        • Ja, schaust dir an. Bin gespannt auf deinen Bericht.

          Wir erfahren kaum etwas über das Leben in der Oberschicht, abgesehen aus der Regenbogenpresse, die das gemeine Volk mit Märchen von gekrönten Häuptern versorgt. Es gibt kaum soziologische Untersuchungen der Oberschicht, wie auch keine Zahlen über den tatsächlichen Reichtum einzelner Personen bekannt sind. Die Oberschicht weiß sich abzuschotten. Ich habe mal gelesen, dass die meisten Dax-Vorstände Väter haben, die ebenfalls Vorstandsvorsitzende waren. Ein Zitat, das ein Licht auf unsere Gesellschaften wirft: Arend Oetker (vom Lebensmittelkonzern Dr. Oetker) beschrieb die Lobbytätigkeit der Atlantikbrücke, deren Mitglied er ist, im Jahr 2002 folgendermaßen: „Die USA wird von 200 Familien regiert und zu denen wollen wir gute Kontakte haben.“ Das zeigt an, wie wenig es um den Einfluss von Politik oder Politikern geht.

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  2. Die Prozedur erinnert mich ein wenig an die gütige Ausgabe eines neuen iPhones, wo Apple-Jünger mindestens eine Woche vor dem Laden campieren … mit dem Unterschied, dass es hier für einen 20-Euro-Schein tatsächlich vier 5-Euro-Münzen gibt, also gleicher Gegenwert …
    Von welchem Geschäft kann man das sonst schon behaupten?

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  3. Ich war in den letzten Wochen in zwei Ländern, in denen die 1 Cent und 2 Cent Stücke abgeschafft wurden und auf- bzw abgerundet wird. Ich hoffe, das passiert auch bald in Deutschland, dann werden es wesentlich weniger Münzen……ein Anfang wäre jedenfalls gemacht!

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  4. Pingback: Kleine Lektion in Fremdschämen

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