Als Tourist auf der Linie 13 (6) – Alte Knochen

Man wird mir das mausoleum nicht entgegentragen. Ich muss es selber aufsuchen, wiewohl das banksitzen mich wie gelähmt hat. Vor drei jahren habe ich mir ein bein gebrochen und brauche nach dem aufstehen immer noch ein weilchen, bis ich meinem genagelten unterschenkel vertraue und losgehen kann. Nach 200 Metern taucht ein gebäude auf, vielleicht ein forsthaus? Ein hinweisschild zeigt, dass ich auf dem richtigen weg bin. Dann schimmern zwischen flirrendend grünen blättern die roten ziegel des gemäuers. Ich nähere mich und bedauere die plünderung des bauwerks. Das portal, war zu lesen, wurde in der nähe in einem wohnhaus verbaut gefunden.

Dass die leute sich nach dem krieg bedient haben, ist verständlich. Als alles darniederlag, konnte man nicht einfach in den baumarkt gehen und ein paar kubikmeter feldbrandziegel und eine neue haustür holen. Man musste nehmen, was da war. Was lag näher, als ein nichtsnutziges mausoleum abzubauen und das material zu plündern?

Mit der gleichen mentalität waren einst adelige kriegsherren wie Carl graf von Alten mit ihren soldaten durchs land gezogen. Auf den wegen zu den schlachtfeldern ließen sie sich von der bevölkerung versorgen, besetzten und plünderten häuser und bauernhöfe. Selbstverständlich beanspruchte der graf das beste bett, und das war in der regel das der hausbesitzer. So hat es die soldateska zu allen zeiten gehalten. Noch aus dem 2. weltkrieg berichtete mir auf dem dorf nahe Aachen eine alte frau:

    „Als die front von westen heranrückte, da waren in allen häusern soldaten einquartiert. Die lagen zum schlafen überall auf dem boden herum. Sogar unterm küchentisch lagen welche. Aber der feldwebel, der musste ein bett haben. Und abends bekam er einen heißen stein ins bett, der in zeitungspapier eingewickelt war.“

Wohl denen, wo der heiße stein gereicht hat. Nicht selten ließ sich ein besatzer vom hübschen töchterlein des hauses das bett wärmen. Der durchzug eines heeres zur zeit Napoleons war für die dörfer buchstäblich verheerend. Waren die ungebetenen gäste weg, hatten sie den leuten das vieh geschlachtet und alle vorräte geraubt. Als nachhut zog der hungertod durch. Den machtspielen des europäischen adels fiel manches friedliche menschenskind zum opfer, und es wurde seinen knochen kein aufwändiges mausoleum errichtet. Unsereiner wollte sowieso keinen geröllhaufen überm kopf. Mir würde ein blechkranz genügen, damit ich hören kann, ob es regnet. Die wichtigen knochen unter protzbauten zu verbuddeln, ist noch der heidnischen idee verpflichtet, dass man seine reichtümer mit ins jenseits nehmen kann. Diese idee zeigt auch eine parabel, die ich schon lange einmal nacherzählen wollte:

    Der reiche herr und der schwarze john sind gestorben, der schwarze john zuerst. Er macht sich auf den langen weg zur himmelspforte und klopft an. Petrus schaut aus einem fenster der pforte und fragt: „Was willst du?“
    „Ich möchte gerne in den himmel.“
    „Kommst du zu fuß oder kommst du geritten?“
    „Ich bin zu fuß.“
    „Dann kann ich dich leider nicht hereinlassen.“
    „Enttäuscht trabt der schwarze John den langen weg zurück. Da begegnet ihm der weiße herr. Der schwarze john fragt: „Weißer herr, wohin des wegs?“
    „Wohin wohl, wenn ich hier unterwegs bin, in den himmel natürlich!“, knurrt der weiße herr unwillig.
    „Da gibt es ein problem. Petrus lässt nur die ein, die geritten kommen.“
    „So?“
    „Ich hätte eine idee“, sagt der schwarze John. „Ich gehe auf alle viere, und du reitest auf mir zum himmel. So kommen wir beide hinein.“
    Gesagt getan. Der schwarze john geht auf die knie, der weiße herr sitzt auf, gibt John die sporen und reitet den langen weg hinauf zur himmelspforte. Petrus öffnet das fenster und fragt: „Was ist dein begehr?
    „Ich will in den himmel.“
    „Bist du zu fuß oder kommst du geritten?“
    „Ich komme geritten, wie du siehst.“
    „Dann binde deinen alten gaul draußen an und komme herein!“
    (Nach Fredrik Hetmann)

Was geschah nun mit den gebeinen des grafen nach plünderung seines mausoleums? Zuerst haben diebe die zinksärge gestohlen und adelige knochen im wald verstreut. Später wurden eingesammelt, was da an knochen herumlag, und standesgemäß in der Neustädter Hof- und Stadtkirche St. Johannis zu Hannover beigesetzt.

Ich gehe in den ruinen der grabkapelle umher wie einer, der wegen irdischer sünden keine ruhe findet. Mein plan, hier zu sitzen und eindrücke zu notieren, geht nicht auf. Durch das gemäuer zieht ein eisiger hauch. Den will ich nicht in meinen texten haben.

(wird fortgesetzt …)

Ein Kommentar zu “Als Tourist auf der Linie 13 (6) – Alte Knochen

  1. Pingback: Als tourist auf der linie 13 (5) – Feldrain am auwald

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..