Sprachrichter mit Narrenkappen – Sprachkritische Aktion: Unwort des Jahres

Auch im akademischen Betrieb gibt es geistige Kleingärtner, ältliche Professorinnen und Professoren, die vergrämt auf wissenschaftlichen Abstellgleisen hocken und sich der Hobbybastelei verschrieben haben, womit ich nichts gegen das Gärtnern oder Basteln gesagt haben will, sondern gegen eine Form von autoritärer Dämlichkeit, die fast immer mit Eitelkeit und Geltungssucht daherkommt und eine Heimat in dubiosen Sprachgesellschaften findet, etwa in der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) oder in der Sprachkritischen Aktion: Unwort des Jahres.

Gestern meldeten die Medien, eine Jury solcher „Sprachwissenschaftler“ habe das Unwort des Jahres bekannt gegeben. Man hat „Alternative Fakten“ gekürt. Dazu also ist Sprachwissenschaft gut, denkt der staunende Bürger. Nein. Es ist nicht Aufgabe der Sprachwissenschaft, Wörter des öffentlichen Sprachgebrauchs zu loben oder zu tadeln. Die Sprachwissenschaft wäre dann so etwas wie ein Wortgericht, das befindet, wie eine Sache genannt werden darf und wie nicht. Mit diesem Anspruch stünde die Sprachwissenschaft über allen, über den anderen Wissenschaften, über den Medien und über der Politik, ja, auch über den Kirchen, denn eine so verstandene Sprachwissenschaft wäre eine übermächtige Religion, die allein nach Gutdünken handelt. Sie kennt keinen Gott als ihren Auftraggeber, die Sprache selbst, der sich auch Gott unterwerfen muss, denn mit Hilfe der Sprache kann der Mensch sogar mit Gott machen, was er will. Er kann GOTT in Versalien schreiben, GOtt mit zwei großen Anfangsbuchstaben, Gott getreu der amtlichen Rechtschreibung und zuletzt auch als einen kleinen gott.

Entschuldigung, vom Thema abgekommen. Unser Thema: Eine Sprachwissenschaft, die sich moralisierend zu sprachlichen Tendenzen äußert, ist keine Wissenschaft, sondern eine Religionsgemeinschaft. Eigentlich müssten die Damen und Herren der selbsternannten Jury wissen, welchen Blödsinn sie betreiben. Wenn ein Wort oder eine Wortwendung eine üble Sache bezeichnet, so liegt das Übel nicht im Wort, sondern in den realen Gegebenheiten, menschlichen Handlungen und Denkweisen. Die Sprache der Politik und der Medien kennt viele Wörter, die eine bedenkliche Gesinnung kennzeichnen. Diese Wörter moralisch zu geißeln, ist genauso sinnvoll wie Impfung gegen Schweinepest. Man weiß nach der Impfung nicht mehr, wo der Pestvirus steckt. Also, seien wir froh über jedes selbstentlarvende Wort.

Die Wendung „alternative Fakten“ ist von Kellyanne Conway, Beraterin des US-Präsidenten Trump, als Euphemismus für eine offensichtliche Falschbehauptung geprägt worden. Seither geistert sie durch die Medien. Nie ist diese Wendung in den allgemeinen Sprachgebrauch eingedrungen. „Alternative Fakten“ ist und bleibt Zitat, bei der jeder an Trump, seine Beraterin und deren dreiste Lüge denkt. Muss man also „alternative Fakten“ wie eine Sau an den Ohren aus dem heimischen Stall zerren und durchs Dorf treiben? Klar, die immer an Blödsinn aus dem Schweinestall interessierte Journaille sattelt die Sau und schwingt sich drauf.

Die Begründung der selbsternannten Jury hebt an: „Die Bezeichnung alternative Fakten ist der verschleiernde und irreführende Ausdruck für den Versuch, Falschbehauptungen als legitimes Mittel der öffentlichen Auseinandersetzung salonfähig zu machen.“ Jaha! Und weiter „Der Ausdruck ist seitdem aber auch in Deutschland zum Synonym und Sinnbild für eine der besorgniserregendsten Tendenzen im öffentlichen Sprachgebrauch, vor allem auch in den sozialen Medien, geworden (…)“

Hehe! Daher weht der Wind. Auf der politischen Bühne kommt das Wort in die Welt, die Medien verbreiten es, eine Jury kürt es, aber das „besorgniserregendste“ machen wir in den sozialen Medien, wird schlankweg behauptet. Wir werden jetzt damit aufhören müssen, leider, leider, weil es ja nicht legitim, also pfui ist, was auf der politischen Bühne vorgeturnt wird. Wir Deppen wussten es ja nicht besser.

31 Kommentare zu “Sprachrichter mit Narrenkappen – Sprachkritische Aktion: Unwort des Jahres

  1. Wie oft hast Du in letzter Zeit die Bezeichnung „alternative Fakten“ gehört oder gelesen? Ich gestehe, ich kenne das überhaupt nur aus einem kritischen Kontext. Es ist Schwachsinn, der sich selbst entlarvt.
    Ich denke, als Unwort eines Jahres sollte gebrandmarkt werden ein Begriff oder eine Formulierung, die z.B. die Menschenwürde verletzt oder einen verschleiernden Euphemismus für unhaltbare Zustände darstellt, gleichzeitig aber auch von vielen Medien und Privatpersonen aufgenommen und weiter verbreitet wird – unseren Sprachgebrauch also zu durchdringen droht. Ein versprengter Schwachsinn verdient keine zusätzliche Popularität, indem man ihm einen Orden – wenn auch einen negativen – anhängt.

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    • „Schwachsinn, der sich selbst entlarvt.“ trifft es gut. Ich bin allerdings nicht der Meinung, dass Wörter als „Unwort“ gebrandmarkt werden sollen. Letztlich läuftes alles auf Sprachkosmetik hinaus, die gar nichts an den realen Bedingungen ändert. Die Menschen, die im Mittelmeer ertrinken, haben nichts davon, dass wir statt „Mohrenkopf“ jetzt „Schokokuss“ sagen müssen.
      Sprache soll und darf Gesinnungen spiegeln und ggf. entlarven. Wir brauchen keine Sprachpolizei.

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      • Was den „Negerkuss“ angeht, rennst Du bei mir offene Türen ein. Und wenn man so will, ist die jährliche Kür eines „Unwortes“ auch nur eine weitere Sau, die durchs Dorf getrieben wird. In diesem Jahr allerdings finde ich die Wahl besonders unglüklich – eben weil es sich hier gar nicht um ein Wort handelt, sondern um die widersinnige Verkoppelung zweier Begriffe. Ein Fakt ist eine Tatsache, und welche Alternativen sollte es zu einer Tatsache geben? Aber schon wegen der nicht gegebenen Popularität ist „Unwort des Jahres“ eine maßlose Übertreibung. Als Unwort hätte aber auch ich sehr wohl „Döner-Morde“ (2011) bezeichnet. Das griff um sich, ohne dass die Schreiber und Leser noch reflektierten, dass es ja nicht die Döner waren, die ermordet wurden, sondern Menschen. Es handelte sich um einen jener von mir gemeinten Euphemismen, denen man zu Recht unterstellt, dass sie das Denken beeinflussen.
        Ein anderes Thema ist die Ausübung von Sprachhoheit. Wer entscheidet, welche Begriffe in jedem Jahr in den Duden aufgenommen werden, und welche entfallen?

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      • Lieber Jules, gerade fällt mir etwas ein, so dass ich mich bemüßigt fühle, noch mal nachzulegen:
        Unter den sog. Unworten der vergangenen Jahre, war ja auch „alternativlos“ ein Begriff, der monatelang überstrapaziert wurde, wenn jemand eine getroffene Entscheidung nicht mehr diskutieren wollte. Dabei kennt sogar die Rechtschreibkontrolle dieses Wort, und es gibt prinzipiell nichts daran auszusetzen. Dass Worte und Formulierungen in Mode kommen und dann bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit gebraucht werden, ist wohl eine Folge unserer Mediengesellschaft. Mein Vorschlag für das nächste Unwort des Jahres wäre „Hausaufgaben“. Also, dass jemand seine Hausaufgaben nicht gemacht hat oder sie erst mal machen soll, kann ich wirklich nicht mehr hören. Was sagst Du als Lehrer dazu?

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        • Liebe Christa,
          generell darf man die Verwendung von Begriffen kritisieren, wie es ja bei „Dönermorde“ geschah. Da bin ich mit dir eins. Kritisch ist aber eigentlich die dahinterstehende Haltung der Polizei. „Dönermorde“ machte klar, dass die Polizei die Mordfälle unter rassistischen Gesichtspunkten untersucht hat. Man muss rückblicken sagen: Hinter diesem Wort tun sich Abgründe auf. Das Wort ist das Alarmzeichen.
          „Alternativlos“ ist soweit ja harmlos. Es reicht, darauf hinzuweisen, dass sein Gebrauch durch Merkel verschleierte, dass es zu ihren Entscheidungen Alternativen gab. Allein sie hat die Alternativen nicht wahrhaben wollen, sondern ihre Sicht der Dinge durchgesetzt. Es war undemokratische Machtpolitik.
          Es ist Aufgabe des Journalismus, politisches Fehlverhalten oder gesellschaftliche Fehlentwicklungen zu kritisieren, nicht Aufgabe der Sprachwissenschaft.

          Interessant für die Sprachwissenschaft ist das Phänomen der Bedeutungsverschiebung wie bei deinem Beispiel „Hausaufgaben.“ Wir sehen, sie entsteht durch Sprachmoden hier innerhalb der Politik. Ähnlich war es beim Begriff „vor Ort“, der eigentlich aus dem Bergmännischen stammt, aber von Politikern übernommen und auf andere Bereiche übertragen wurde.

          Zum im Duden verzeichneten Wortschatz: Die Monopolstellung „Maßgebend in allen Zweifelsfällen“ hat der Duden ja mit der Orthographiereform zum Glück verloren. Damit wurde der an sich unhaltbare Zustand beendet, dass die Lexikalisierung von Wörtern und Festlegung von Schreibweisen einem privatwirtschaftlichen Verlag ausgeliefert war.

          Nach eigenen Angaben hat die Duden-Redaktion sich immer an den Gewohnheiten der „kompetenten Sprecher und Schreiber“ orientiert. Wenn also ein neues Wort in den Medien auftauchte, verzeichnete man es, und bei häufigem Auftreten kam es in die Warteschleife für die nächste Auflage. Ich erinere mich noch gut, dass der damalige Chef der Duden-Redaktion Günther Drosdowski in den 1980-er Jahren durch die Talkshows tingelte und stolz verkündete, man habe jetzt auch Tussie ins Wörterbuch aufgenommen.

          Mehr zum Thema Willkür der Dudenredaktion:
          http://trithemius.de/2013/03/16/%e2%80%9ehl-joseph-bitt%e2%80%99-fur-uns%e2%80%9c-die-biographie-des-regals/

          Kaisertreu oder Platz für das Gesäß des Kaisers!

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          • War es denn die Polizei, die den Begriff „Döner-Morde“ erfunden hat? Kann ja sein und wäre wirklich schlimm. Ich weiß es nicht. Das Thema „Haltung der Polizei“ ist eine andere Baustelle (um nochmals so eine griffige, in Mode seiende Redewendung zu benutzen). Mir kam das kürzlich mit den Berichten über das Verhalten einiger Polizeischüler wieder hoch. Es gibt Berufsstände – und dazu gehören zweifellos Polizei und Bundeswehr, die für junge Leute mit einer bestimmten Weltanschauung (und wohl auch für ein paar ältere) besonders attraktiv sind. Da geht es zwangsläufig um Recht und Ordnung, und da wird mit Waffen hantiert, … Man darf diese Institutionen nicht unter Generalverdacht stellen, „irgendwie rechts“ zu sein, sie müssen sich aber ihrer Attraktivität für Menschen rechtsgerichteter Denkungsart bewusst sein und dürfen sich nicht schützend vor sie stellen, wenn sie solche in ihren Reihen entdecken. Da darf bei der Eignungsprüfung kein Auge zugedrückt werden, nur weil man sonst nicht genug Nachwuchs findet. – Ich gebe allerdings zu, das könnte zum Problem werden, wenn die Dinge sich weiter entwickeln, wie sie es tun und in unserem Land schon Rettungssanitäter und Feuerwehrleute als unliebsame Ordnungskräfte angegriffen werden.

            Deine Duden-Einträge lese ich noch. Vielen Dank für die Links.

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  2. Seit einem Jahr vergeht kein Tag, an dem nicht auf Trump eingedroschen wird. Meiner Meinung wird dies von unseren „amerikanischen Freunden“ befohlen. Anders ist dieses Bashing nicht denkbar. So sehe ich auch das Unwort des Jahres. Zu glauben, die Journaille hätte noch eigene Gedanken, wäre den Herrschaften eine Hochachtung zu zollen, die sie nicht verdienen …

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    • Es gibt in den USA sicher Kräfte, die Trump gerne loswerden möchten. Inwieweit sie den medialen Hype um seine schwachsinnigen Äußerungen befördern, wissen wir nicht. In seiner medialen Präsenz zeigt sich aber, wie wichtig US-amerikanische Politik in Deutschland genommen wird und wie stark wir unter Einfluss stehen, bedingt durch die Vernetzung deutscher Politiker und Alphajournalisten mit US-amerikanischen Think-Tanks.

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  3. Sie schreiben hier vieles, was ich auch denke. Diese Wortkombination (ich mag sie garnicht wiederholen, damit sie nicht berühmt wird) habe ich in den Nachrichten der letzten Tage zum ersten Mal gehört. Fehlte mir also bis dahin die nötige Allgemeinbildung oder was? Muss ich mir jetzt dieses Wort, das irgendeine Person aus einem anderen Kulturkreis 1 mal gesagt hat, merken?

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    • Es ist ein Zustand der Gnade, das jüngst gekürte Unwort nicht zu kennen. Schade, dass er jetzt gewaltsam beendet wurde. Obwohl die positive oder negative Prämierung von Wörtern von geringer Bedeutung ist, berichten unsere tollen Medien darüber. Selbst eine Kritik daran wie meine, trägt ja ungewollt zur Popularisierung bei.

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  4. Mir ebenfalls unbegreiflich, wie solche läppischen Marginalien wie diese »Sprachkritische Aktion« eines akademischen Wichtigtuervereins (»sechsköpfige Experten-Jury«) in den sog. Leitmedien zu einer riesen Luftnummer aufgeblasen werden. Nach deren Beurteilungskriterien ließe sich ja jegliche x-beliebige dumpfsinnige Hervorbringung jeglichen x-beliebigen politischen Einfaltsgimpels (z.B. »stabiles Genie*« ad lib.) zum Unwort des Jahres küren. Welchen Informationsgehalt oder gar Sinn soll dieser kolportierte Schmarrn also überhaupt haben?
    (Wie Kollege KrassNick reimt*:
    »Es ist wahrhaft kein Schmarrn zu blöd,
    dass er nicht in der Zeitung steht.«)

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  5. Wie recht Du hast! Aber machen wir uns nichts vor: Wir leben nicht in einer Informations- sondern in einer Mediengesellschaft. Will sagen: Medien brauchen immer Futter, und können nie genug bekommen, denn das ist ihr Geschäft (und ein Geschäft ist es heute mehr als früher). Dass die „Wissenschaft“ sich vor diesen Karren spannen lässt, ist auch nicht wirklich überraschend. Entgegen der landläufigen Vorstellung von Wissenschaft als einer hehren Disziplin sehe ich sie als das an, was Wissenschaftler tun: sie gehen ihrer Beschäftigung nach und sind dabei genau so eitel oder nicht, genauso fleißig oder nicht, genau so rechtschaffen oder nicht wie die Ausübenden anderer Berufsgruppen. Eine Anmerkung vielleicht noch zur „Sprachpolizei“. Keiner will die. Aber wir wissen alle, dass Sprache und Sprachgebrauch manipuliert. Das war zu Fürstenzeiten nicht anders als in einer Demokratie. Wer also heute noch „Negerkuss“ sagt, oder dieses Wort auf eine Packung drucken lässt, macht damit eine Aussage. Keine schöne, wie ich finde.

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    • Klar, Negerkuss lässt sich nicht mehr guten Gewissens schreiben oder sagen, weil der Begriff als diskriminierend diskutiert wurde. Letztlich enthüllt sich unsere Scham, dass unsere Vorfahren Afrika in Kolonien ausgebeutet und mit seinen Menschen Sklavenhandel betrieben haben, dass der alte Reichtum Europas von Schwarzafrikaner mir ihrem Blut bezahlt wurde. Wir wollen mit der alten Geschichte nichts mehr zu tun haben und beruhigen uns mit der Vermeidung ihrer Wörter. Heuchlerisch ist es zu tun, als wären die Probleme Afrikas nicht Folge der Kolonialpolitik und wir könnten uns freikaufen mit Euphemismen. Noch immer richtet die Handels- und Subventionspolitik der EU in Afrika große wirtschaftliche Schäden an und ist weitehin verantwortlich für Hunger, Kriege, Entwurzelung und Migrationsbewegungen. Weil unsere Gesellschaft weder ihr Handeln noch ihre Haltung verändert hat, wäre es ehrlicher, weiterhin Neger zu benutzen.

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      • In der Sachanalyse gebe ich Dir völlig Recht. Nicht in der Konsequenz. Ich kann einfach nicht guten Gewissens „Neger“ sagen. Das wäre auch das völlig falsche Signal (an meine Umgebung). Und ich muss nicht erst alle Privilegien, die mir in Folge der Ausbeutung vieler Länder dieser Erde – ob ich will oder nicht – zufallen, ablegen, um dann „reinen Gewissens“ nicht mehr „Neger“ sagen zu dürfen. Alles greift ineinander, und durch meine Wortwahl drücke ich eine Haltung aus. Und in bin wirklich der Überzeugung, dass die angemessene Wortwahl auf Dauer das Denken verändert. Sprache bildet nämlich ab, und sie wirkt, schafft Bewusstsein. Das wissen nicht zuletzt die Menschen, die über Sprache manipulieren, also z. B. Politiker und Werbemenschen, sehr genau.

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        • Deine Haltung teile ich, obwohl du hinsichtlich Wort und Denken rückwärts argumentierst. Erst wenn ein Begriff mit der speziellen Konnotation aufgeladen wurde, kann er das Bewusstsein, mithin Denken negativ beeinflussen. Wer noch „Neger“ sagt, zeigt dann die Geisteshaltung, dass ihm alle diesbezüglichen moralischen Bedenken egal sind. Die sensible Wortvermeidung verhindert aber nicht das Problem der Euphemismus-Tretmühle.
          https://de.wikipedia.org/wiki/Euphemismus-Tretm%C3%BChle
          Wenn „Flüchtling“ ersetzt wird durch „Geflüchtete“, nimmt auch dieser Ersatz bald den negativen Beiklang an. Sprachkosmetik ist eben nur Beschönigung, wirkt sogar disfunktional, soweit sie von einer kleinen einflussreichen Gruppe gegen das Empfinden der Mehrheit durchgesetzt wird.

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          • Dein Beispiel „Geflüchtete“ ist für mich ein Beispiel für übertriebene „Sprachpflege“. Die gibt es nämlich tatsächlich, wie es auch nicht wenige Menschen gibt. die meinen, allein durch einen veränderten Sprachgebrauch seien die Probleme (also z. B. diskriminierendes Verhalten) behoben. Nicht mehr „Neger“ zu sagen ist nur ein erster, aber notwendiger! – Schritt. Das gleiche gilt für die so oft beschimpfte „gendersensible“ Sprache. einfach zu behaupten, wir nehmen weiter allein die maskuline Form und meinen „selbstverständlich“ Frauen immer mit, ändert gar nichts. So wie nur mit Druck, nämlich durch Einführung von Frauenquoten, sich an den realen Geschlechtsspezifischen Machtverhältnissen etwas ändern wird, so muss auch der Sprachgebrauch „vorangehen“. Freilich teile ich Deine Skepsis: die Wirkung ist hier begrenzt. Aber letztlich geht es um die Sprache des Teiles der Bevölkerung, der noch lernt, und „beeinflussbar“ ist, die Kinder. Das braucht dann freilich eine Generation.

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            • Eine Sache fehlt mir in diesem Zusammenhang noch:

              Es gibt ganz unterschiedliche Motivationen, den allgemeinen Sprachgebrauch beeinflussen zu wollen. Was die Sprachnörgler auf der einen Seite und die Diskriminierungsgegner auf der anderen Seite machen, hat wenig bis nichts miteinander zu tun.

              Die Sprachnörgler versuchen, ihre Vorstellungen von sprachlicher Reinheit zu verbreiten und bestimmte Formen modernen Sprachgebrauchs zu unterbinden. Die Gesellschaft für deutsche Sprache, der Verein Deutsche Sprache, Bastian Sick u.v.a.m. hauen alle ungefähr in dieselbe Kerbe: „Sinn machen“ sei eine der Sprache Lutherns und Goethens aufgepfropfte, schlechte Lehnübersetzung aus dem Angelsächsischen, darum Sprachverhunzung und bitteschön zu vermeiden. Die plädieren im Zweifelsfall für althergebrachtes (und meist veraltendes) Wortgut und praktisch immer gegen egal welche neuen Wörter und Wendungen in der Alltagssprache.

              Dass man Wörter wie „Neger“ oder „Zigeuner“ nicht mehr guten Gewissens benutzen kann und dass gegenderte Sprache um sich greift, liegt aber nicht an sprachpuristischen Umtrieben, sondern an den Bemühungen mancher, Diskriminierung aufgrund von Hautfarbe, Herkunft, Religion, Geschlecht, sexueller Orientierung usw. zu verhindern. Da Sprache auch das Bewusstsein prägt, ist der Ansatz, einen möglichst gerechten Sprachgebrauch zu fördern, nur folgerichtig – man geht das Problem der Diskriminierung von mehreren Seiten an.

              Dass die Bemühungen um eine gerechte Sprache gelegentlich sprachpolizeiliche Züge annimmt, dass sie bisweilen etwas skurril anmuten, über das Ziel hinausschießen oder das eine oder andere Kind mit dem Brunnen ausschütten, ist eben so – es geht ja um mehr als Vokabelfragen, und die zugrundeliegende Absicht – eine in möglichst vielen Belangen gerechte und diskriminierungsfreie Gesellschaft – ist ja kaum zu beanstanden. Allenfalls über den Weg dahin und über Details, wie es am Ende aussehen soll, kann und sollte man diskutieren.

              Dagegen hat die Sprachreinhaltungsmasche als Begründung eigentlich nur die speziellen Vorlieben vereinsmeierischer Dünkelhuber mit Hang zur Gestrigkeit.

              Die gerechte Sprache mag manchen unschön vorkommen, und sie ist ja sicher gewöhnungsbedürftig, aber man hat am Ende idealerweise einen kleinen realen Beitrag zu einer weniger ungerechten Gesellschaft. Wenn man dagegen die Sprachreinhalter gewähren lässt, kommt meistens nicht einmal gutes Deutsch dabei heraus, sondern ein hölzernes Gespreize, bei dem einem das Hirn staubt.

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  6. Ihr Beitrag hat mich in seiner sprachlichen und argumentativen Gewandtheit beeindruckt. Aber es erschließt sich mir nicht, warum man Hobbybastler und Märklinschaffner der GfdS dafür runtermachen muss, dass sie versuchen, auf die Salonfähigkeit von Euphemismen hinzuweisen, die doch nichts anderes aussagen als: Lüge?
    Vielleicht weiß Kellyanne Conway als vormalige Leiterin eines Meinungsforschungsinstituts auch, dass man einen in sich widersprüchlichen Begriff nur dreist behaupten und lange genug wiederholen muss, bis er sich festsetzt und nahtlos in den Sprachgebrauch aufgeht? Oder ahnt sie mit Pascalscher Schärfe, dass sich unsere Fakten! Fakten! Faktenbezogenheit dennoch nach Alternativen sehnt wie ein desperate housewife?
    Ob Ingeborg Bachmann, Marcel Proust, die GfdS oder das Bordmagazin der Bahn auf diese Salonfähigkeit der Ausdrücke hinweisen, ist letzlich irrelevant: solange sich irgendein Schwein erbarmt und es tut.

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