Liebe Teestübchenbesucherinnen und –besucher,
vor gut drei wochen kündigte ich in einem Nettesheim-Trithemius-dialog den wechsel zur gemäßigten kleinschreibung an. Mir war die theoretische diskussion vergangener tage bekannt, und die argumente der befürworter erscheinen mir schlagend. Da ich nicht mehr im schuldienst bin, muss ich mich schon länger nicht mehr an die amtlichen regeln halten. Und das argument: „Falls hier kinder mitlesen“ darf ich getrost ignorieren. Aber es ist ein unterschied, etwas theoretisch zu vertreten oder praktisch umzusetzen. Inzwischen hatte ich zeit, die gemäßigte kleinschreibung zu erproben.
Vorab: Es hat sich nur eine leserin über das ungewohnte schriftbild beschwert. Da hoffte ich auf den gewöhnungseffekt. Es ist ja, als ob jemand mit zuvor wallender haarpracht plötzlich mit einem praktischen kurzhaarschnitt daherkommt. Der vergleich hinkt nicht so stark wie es scheint: Die groß- und kleinschreibung ist im Barock entstanden, als schreiben noch in den händen von schreibmeistern lag. „Wertlose einfälle von schreiberknechten“, nannte der dänische sprachforscher Otto Jespersen die großschreibung während der diskussion um deren abschaffung in Dänemark. Sich vor vermeintlich wichtigen wörtern zu verneigen, hat etwas von barocken höflichkeitsgesten und gepuderten perücken. Entsprechend ist der verzicht auf die barocke großschreibung wie alberne zöpfe abzuschneiden.
Schon in den 1920-er jahren war die amtliche groß- und kleinschreibung heftig diskutiert worden, besonders von schulpraktikern und typografen. Lehrer und germanisten beklagten zu komplizierte und teilweise unlogische regeln (Siehe: Das Kosogsche Diktat) . Zudem begünstige die groß- und kleinschreibung den hässlichen nominalstil, wie er in amtsstuben verbrochen wurde. Typografen bemängelten, dass sich die historisch älteren großbuchstaben nicht organisch mit den kleinbuchstaben verbinden. Entsprechend wurde diskutiert, die großbuchstaben gar nicht mehr zu verwenden. Jeder text in latein (gänzlich ohne großbuchstaben) sähe besser aus als einer in deutsch, hieß es richtig. Mein freund und kollege, der Nürnberger verleger und buchgestalter Christian Dümmler, bekennt sich in einer mail zur totalen kleinschreibung. Diesen radikalen schritt gehe ich noch nicht, weil ich finde, dass die großbuchstaben unser kulturelles erbe sind.
Wie bewährt sich die gemäßigte kleinschreibung beim schreiben? Zunächst eilt der finger noch gelegentlich zur großschreibtaste und mogelt mir großbuchstaben in den text. In einem artikel im Spiegel 26/1982 wurde aufgezeigt, dass sich beim schreiben entscheidungsfragen stellen würden, da die grenzen zwischen name und klassenbezeichnung durchaus fließend seien. Der Wiener ministerialrat Walter Sacher hatte dazu grenzfälle zusammengetragen. Sähe man beispielsweise den biblischen gott als eigennamen an und schreibe man ihn groß, erhebe sich die frage, ob dem teufel die gleiche ehre zukäme. Mir erscheint das problem konstruiert wie die erzeugnisse der linguistenpoesie, mit denen verständnisprobleme demonstriert werden (wer ist bräutigam und braut zugleich? ɹɹǝnɐɹqɹǝıq ɹǝp) Beim schreiben sind mir derlei dilemmata noch nicht begegnet. Dafür erlebe ich den positiven stilistischen effekt, dass ich substantivierungen vermehrt durch verbale phrasen ersetze.
Ich hoffe, liebe leserin, lieber leser, Sie unterstützen meinen versuch mit gemäßigter kleinschreibung. Sollten Sie, solltest du einen fälschlich gesetzten großbuchstaben in meinen texten entdecken, bitte ich, ihn mir aufzuzeigen. Vier augen sehen mehr als zwei.
Mir fällt ehrlich gesagt das Lesen von durchweg klein geschriebenen Texten schwerer. Anscheinend hat meine Denkbirne wohl Probleme damit, das Geschriebene zu „verdauen“ und einzuordnen. 😉
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Nimm es als gehirnjogging 😉 „Bewegung ist leben.“
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😀
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Dachte ich auch, aber das ist glaube ich eine Frage der Gewöhnung. Ich lese auch viel in Fremdsprache, die meisten verzichten ja auf viele Großbuchstaben, kann man trotzdem lesen
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Danke für deine zustimmung und willkommen im Teestübchen-blog.
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Doch Vorsicht wer Vergleiche zieht es ist ein oft vermint Gebiet. Die Merowinger glaubten wohl, dass die Kraft des Mannes in seinen Haaren sitzt. Gendern war damals noch nicht so angesagt. Dieser Glaube hat sich bis in Mittelalter, ja vielleicht sogar bis in die Neuzeit durchgezogen. So durften die leibeigenen Bauern keine langen Haare haben und in Ungnade gefallene Höflinge bekamen die Haare geschoren. Daher kommt auch der bajuwarische Schimpfspruch vom gescherten Hammel. Die gepuderten Perücken der anderen Höflinge waren wohl ein schlechter Viagra Ersatz. Jedenfalls wachsen meine Haare seit der Corona Initiation ungeschoren weiter und ich bin in Erwartung dessen, was kommen mag. Kleinbuchstaben passen da aber nicht so recht ins Konzept.
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Da kommt ein argument aus einer überaschenden richtung. Danke für deinem einwand und die kleine lektion darin. Ich ware leider kürzlich noch beim kapper.
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Gerne, wie gesagt, wissen tu ich es nicht, ich habe es gelesen und recht daran glauben tue ich auch nicht. Bis jüngst hatte ich ja auch noch kurze Haare und hatte nicht das Gefühl, dass mir etwas fehlt. Jetzt allerdings nehmen mich die Menschen zumindest als erwachsen an.
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ich praktiziere das, und zwar in aller konsequenz, bereits seit allerhand jahren. zumindest im netz. was weiß denn ich, was für dich richtige und falsche großbuchstaben sind? ich habe keine mehr, schon lange nicht.
allerdings hat das dusslige whats-app mich in teilen wieder zum großschreiben gebracht, weil sich diese großbuchstaben vom system her immer wieder einschleichen.
es gibt plattformen, auf denen sich leute tummeln, die es gern als argument verwenden, dass frau ja offenbar nicht einmal die großschreibung beherrscht. aber das geht an mir vorbei. denn ich kann es besser als jene, die wie im würfelsystem adjektive und verben groß schreiben. denen empfehle ich gern meine schreibweise. da kann man wenigstens glauben, jemand beherrsche die groß- und kleindingens, tue es aber absichtlich nicht.
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Danke für dein Votum. Richtige Großbuchstaben nach den regeln der gemäßigten kleinschreibung wären die bei satzanfängen und eigennamen. Wie es übrigens in den sozialen medien gehandhabt wird, interessiert mich wenig. Einerseits regieren ja die von dir genannten automatismen, (so fummelt die WordPress-software uns wie hier eine Binnenmajuskel ins wort) andererseits scheint die digitale schreibweise regelkonformes schreiben zu hintertreiben. Die einen hauen sich vermeintliche kenntnisse um die ohren, den anderen ist’s völlig egal, welche regeln sie verletzen. Diesen effekt habe ich sogar in den e-mails eines germanistikprofessors beobachtet.
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ich meinte schon erkannt zu haben, dass gemäßigt satzanfänge und eigennamen meint, obschon ich glaube, abweichungen gesehen zu haben. egal. ich finde das imgrunde schwieriger als meine konsequente kleinschreibung, aber das mag jeder tun, wie er will. und dass du in sachen sprache pingelich bist, und zwar aus guten gründen, wissen wir ja. das hat mir bereits einiges an erkenntnisgewinn gebracht.
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Du hat recht. Totale kleinschreibung ist sicher einfacher. Aber es schadet auch nicht, der form des schreibens ein wenig aufmerksamkeit zu widmen. Danke fürs lob. Erkenntnisgewinn freut mich.
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Wenn der Inhalt interessant ist, lese ich trotz Kleinschreibung mit, aber ich gestehe: Ich mag es nicht – und hatte auch selbst nie Probleme mit der gewöhnlichen Schreibung. Vermutlich bin ich einfach veränderungsmüde! 🙂
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Freut mich, wenn du trotzdem weiterhin liest. „Veränderungsmüde“ kann man in heutigen zeiten werden, weil ja die veränderungen zu rasch kommen.
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