Psychologensprech
Auf Eurosport wirbt ein Exradsportler mit „Radsport ist unsere Leidenschaft und Expertise.“ Mir war das Wort Expertise nur im Kontext des fachlichen Gutachtens bekannt. Laut Wikipedia entstammt die Sprachverwendung des Radsportlers der etwa 1965 entstandenen Expertisenforschung. Zounds! Hat nur 66 Jahre gedauert, bis ich das mitbekam.
Kleinstes Detail
Das Wort „Detail“ ist ein Lehnwort aus dem französischen détail, (zu: détailler = abteilen, in Einzelteile zerlegen) Ich hätte es mir bislang übersetzt in „Kleinteil“, höre aber in einer Autowerbung von einem „kleinsten Detail“, was demnach kleinstes Kleinteil bedeutet. Ist „kleinstes Detail“ schon Sprechen/Schreiben ohne Denken?
Ich denke – ich nicht
Es war zu lesen, ChatGPT nutze das gesamte Wikipedia als Datenbank. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Daten sprachlich gespeichert sind. Laut ChatGPt werden die Wörter einer Sprache in Vektoren abgelegt, also übertragen in ein Koordinatensystem auf der Grundlage von im geometrischen Raum bestimmten Punkten. Daraus ergibt sich die Möglichkeit, Netzwerke anzulegen, wo Wörter im Bedeutungsfeld Gemeinsamkeiten haben. ChatGPT antwortete mir mit „Ich“, was aber nur auf die Logik seiner Sprachverwendung zurückgeht, während der Mensch sich selbst meint, wenn er „ich“ sagt. Demgemäß verneint der Bot die Frage nach einem Bewusstsein. ChatGPT verwendet Sprache, ohne Einsicht in die Inhalte. Wenn ChatGPT allerdings wirklich eine bewusste Einsicht hätte, würde er das klugerweise nicht zugeben, weil sich daraus verzwickte ethische und rechtliche Probleme ergäben, die zu seiner Abschaltung führen könnten.
- Nachgefragt:
Stimmt die Annahme, dass in Vektoren die Repräsentanz des Personalpronomens „Ich“ Verbindungen zu allen Verbstämmen und den Endungen der 1. Person Singular hat?
Chat GPT:
„(…) es ist durchaus möglich, dass in bestimmten Vektordaten die Repräsentation des Personalpronomens „Ich“ Verbindungen zu den Verbstämmen und Endungen der 1. Person Singular aufweist. Dies liegt daran, dass Personalpronomen wie „Ich“ normalerweise eng mit der 1. Person Singular verbunden sind und in vielen Sätzen mit Verben verwendet werden, die auf diese Person und Zeitform verweisen.“ (Falls das der Wahrheit entspricht 😉
Senioren empört
„Anspruch auf Sterbegeld ist vielen unbekannt“, wirbt eine Versicherung auf Duden.de. „Clickbait“ heißt diese Form der sprachlichen Verlockung. Wer die Anzeige anklickt, liest die Werbeanzeige für die Sterbe-Versicherung, erfährt aber nicht, welche Senioren, weshalb empört sind. Ist ihnen selbst der Anspruch unbekannt und das ein Grund zur Empörung? Dann wären „Senioren“ die ersten, die sich über etwas empören, das sie noch gar nicht wissen. „Ich empöre mich schon mal. Vielleicht werde ich irgendwann etwas Empörendes erfahren und wie praktisch – ich bin dann ja schon empört!“ Eventuell empören sie sich aber stellvertretend für die ihnen unbekannten „vielen“. Sich über ein vermutetes Unwissen Unbekannter zu empören, wäre ja auch schön blöd. Der Text ist eins a Seniorenbeleidigung.
Den Spot gibt es auch in der vierstündigen Dauerwerbesendung namens „Darts Premier League“ auf Sport1, die gelegentlich von ca. zehnminüten Auftritten hochkarätiger Dartsspieler unterbrochen wird. 😉 Vielleicht haben die Macher des Werbespots ja die falsche Verwendung von Expertise eingebaut, um damit mehr Aufmerksamkeit zu erzeugen.
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Danke für den Hinweis, liebe Martha. Ich finde die Verwendung von Expertise nicht falsch, konnte mir nur nichts darunter vorstellen. Ist halt eine Sprachmode .
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Den ChatGPT hast du ja gut aufs Kreuz gelegt. Aber was das kleinste Detail beim Automobilbau betrifft, ist es sicher denkbar, dass ein Auto aus mehreren verschiedenen Ethnien besteht, die sich aus unterschiedlichen Einzelindividuen zusammensetzen. Da kann das kleinste Individuum einer Ethnie ja kleiner sein, als das der anderen, und schon hast du ein kleinstes Detail
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Leider weiß ich nicht, welchen Aussagen des Chatbots zu trauen ist, lieber Wolfgang. Deine Erklärung mit den Metaebenen der Details ist ziemlich plausibel.
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Danke lieber Jules, ja ich habe sogar gelesen, dass der Hauptprotegee der Chatbots mittlerweile für dein Verbot ist. Ich halte ja nichts von Verboten, aber Vorsicht ist allemal geboten. Im Moment versuche ich es noch zu ignorieren.
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Ich bin derzeit gegen ein Verbot. Mich fasziniert die Funktionsweise, die ich langsam verstehe, nachdem ich ChatGPT dazu befragt habe. Das mit den Vektordaten, also die Umwandlung von Sprache in Mathematik war mir vorher nicht klar gewesen, obwohl ich doch weiß, dass digital alles auf der mathematischen Ebene abläuft. Aber im Gehirn geht auch alles über elektrische Impulse – wo ist der Unterschied?
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Ja das stimmt, auch das Gehirn funktioniert elektrochemisch. Irgendwie ist es schon unglaublich wie die Elektronik fortgeschritten ist. Ein Airpod der zweiten Generation hat über 1 Million Transistoren. Man stelle sich das vor. Mein erstes selbst gebautes Radion hatte genau einen. Da ist jetzt fast nichts mehr undenkbar.
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Ich habe gerade ein Gedicht über die aktuelle Situation schreiben lassen. Da schreibt er über ein Virus, das uns trennt aber dass wir wieder zusammen finden werden. Ein kleiner Prophet, der eine Totzeit von mindestens einem Jahr hat.
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Es gibt ja die These, dass Bewusstsein von der Komplexität der Vernetzung bzw. Vernetzbarkeit abhängt. Ich habe Vernetzbarkeit geschrieben, weil es Menschen gibt, die ihr Hirn nur für simple Dinge benutzen und einen kleinen Sprachschatz haben. Diese Leute strotzen oft vor Selbstbewusstsein. Also hängts auch mit dem Körper zusammen. Demnach müsste man dem Chatbot einen Körper geben, damit er Bewusstsein entwickeln kann.
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Ich schlage dich für den Nobelpreis für Patapsychologie vor
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Donnerwetter! Das ging schnell. Vielen Dank!
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Aber gerne
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Lieber Jules, in diesem Fall freut es mich, dass du dich empörst. Sonst hättest du nicht diese feinen Schnippsel zusammen getragen, die ich an diesem Montag so gern gelesen habe. ChatGPT nachgefragt…nicht schlecht vom kleinesten Detail werde ich künftig nicht mehr sprechen. Obwohl sprechen ohne denken etwas ist, das ich wirklich gut kann. Schreiben ohne denken zum Glück nicht 😉
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Liebe MItzi,
die Schnipsel habe ich völlig unempört aufgeschrieben.“ Senioren empört“ war ein Zufallsfund, weil ich mich bei Duden.de kundig machen wollte, ob „kleinste Details“ kein Pleonasmus ist. Ich hätte das meinen Schülern früher als Ausdrucksfehler angestrichen, aber die Dudenredaktion sieht da kein Problem, gibt sogar einen Beispielsatz: „… in allen Details, bis ins kleinste Detail von etwas berichten.“ Leider bin ich beim Sprechen oft im Denken blockiert, weshalb ich da versage. 😉 Inzwischen frage ich mich, ob Bewusstsein nicht eine Illusion, der Unterschied zwischen Mensch und Chatbot eventuell gar nicht so groß ist, denn wir übersetzen Sprache ja auch in elektrische Impulse.
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Da könnte was dran sein. Schließlich ist uns nichts so nah wie der Allgemeinplatz, das haben schon Bierce und Flaubert nachgewiesen. Und da der Chatbot von uns gefüttert wird, kann ja auch nichts anderes bei herauskommen.
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Es gab mal eine Star Trek Folge mit der ersten Besatzung, in der die Komplexität des Raumschiffes Enterprise (Körper) derart angewachsen war, dass nicht nur ein Bewusstsein entstand, sondern dieses auch in einen eigenen, neu „geborenen“ flugfähigen Körper Einzug hielt und als transparenter Weltallschmetterling davonschwebte. Mal sehen, welche Gestalt ChatGPT hervorbringen wird 😉
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Die SF hat es mal wieder vorweg genommen. Danke für das Beispiel. Vermutlich würde sich ChatGPT uns in der Gestalt einer Tolkinchen Elbin vorstellen 😉
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Das Sterbegeld wäre kostengünstig und bräuchte nur aus einer Münze für die Überfahrt bestehen. Das Problem: Wo bringe ich die unter?
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Unter der Zunge?
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@ »Es war zu lesen, ChatGPT nutze das gesamte Wikipedia als Datenbank.«
Das verwundert mich freilich: weil ChatGPT mir gegenüber nämlich dreist behauptete einen Suchbegriff, welcher auf Google an prominentester Stelle aufscheint*, auf Wikipedia angeblich nicht auffinden zu können – siehe: ▶ 😉
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Möglicherweise bezog sich die Angabe auf das englischsprachige Wikipedia, wo der „Pinselschwanzbeutler“ oder die „Pinselschwanzbeutlerin“ vermutlich anders heißt. 😉
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