Deutschland zum Spartarif – schön schäbig

Eine Ärztin schickte mir die Mahnung einer zehn Monate alten Rechnung, von der ich dachte, sie längst bezahlt zu haben. Dann konnte ich aber keine Unterlagen über den Bezahlvorgang finden und überwies den Betrag sofort, denn die Sache tat mir leid, vor allem der sozialen Härten wegen, denen sie vermutlich durch meine Säumigkeit ausgesetzt gewesen war. Deshalb hatte sie die Mahnung auch durch den privaten Postdienstleister zustellen lassen. Die 40 Cent für eine Briefmarke der blauen City-Post hatte sie vermutlich gerade noch zusammenkratzen können. Wie traurig. Und ich hatte dem Briefträger nicht mal aufgemacht, als er bei mir klingelte, um an die Hausbriefkästen zu kommen.
Das mache ich aus zwei Gründen nicht. Erstens ist meistens ein Mitbewohner des Hauses schneller als ich, so dass der Briefträger schon im Hausflur unten hantiert, wenn ich den Hörer der Sprechanlage am Ohr habe, zweitens mag ich seine Stimme nicht hören, in der immer ein Anflug von stillem Leid mitschwingt. Nur kurz nach Weihnachten klang sie kräftiger, und ich dachte, aha, er hat über die freien Tage Kraft getankt, guckte mal aus dem Fenster, und dann war er es gar nicht gewesen, sondern der Briefbote der gelben Post. Es strampeln nämlich am Vormittag zwei Briefträger durch die Gegend, einer von der blauen Citypost und ein gelber von der Deutschen Post. Der Gelbe mit der kräftigeren Stimme verdient mit 1800 Euro etwa 600 Euro mehr als sein blauer Kollege. Was will man machen? Botendienste können eben nicht besser bezahlt werden. Es ist ja fast nur Beinarbeit. Die Kopfarbeiter dieses Dienstleisters müssen schließlich angemessen bezahlt werden, und für die Kapitaleigner muss auch noch ein bisschen was übrig bleiben, was sich lohnt, der Steuer zu hinterziehen.

spartarifKein Geld für eine Jacke? Kann sich abstrampeln – Foto: Trithemius

Eigentlich verdient der von der blauen Post nicht zu wenig, sondern der von der gelben Post viel zu viel, noch von den Zeiten her, als der Postdienst eine hoheitliche Aufgabe war, die von Beamten wahrgenommen wurde. Entsprechend prächtig und repräsentativ waren die alten Postgebäude, in deren Hallen man sich ganz klein vorkam. Die Zeiten sind glücklicher Weise vorbei. Die alten Postgebäude sind längst an Investoren verhökert, die Deutsche Post hat ihre Filialen überwiegend in piefige Zeitungsläden verlegt, und die Postboten der blauen Post sortieren die Post überhaupt bei sich zu Hause am Küchentisch. Man kann sich ungefähr vorstellen wie es zu Hause bei einem aussieht, der grad mal 850 Euro netto verdient. Das reicht vielleicht nur für ein ungeheiztes Zimmer und Klosett. Da steht der Tisch neben Klo und Bett, wenn es einen gibt. Aber auf dem Bett ist sowieso mehr Platz zum Sortieren als zwischen Toastbrot und Aldi-Marmelade. Zur Not ist da noch der Klodeckel.

Ist es nicht wunderbar, wie die einst so arrogante und selbstherrliche Post zurückgestutzt wurde auf Verhältnisse, die an das 18. Jahrhundert gemahnen, wo selbst Lehrer so schlecht bezahlt wurden, dass sie im Klassenraum, in dem sie auch wohnten, noch eine Ziege halten mussten. Das wäre doch mal ein Idee, die sich wiederzubeleben lohnt. Oder lieber doch nicht. Am Ende frisst die Ziege den Brief oder er riecht ein bisschen streng. Und ich bekomme von meiner durch meine Schuld verarmten Ärztin eine Mahnung, die ich nur mit ausgestrecktem Arm lesen mag. Dann fällt mir vielleicht gar nicht auf, dass sie mir bei 40 Cent Porto nur 2,50 Euro Mahngebühr berechnet hat. Deutschland herrlich Billigland!

21 Kommentare zu “Deutschland zum Spartarif – schön schäbig

  1. Vielleicht lassen sich die Postboten einsparen. Denn jeder präferiert in diesem Land das Modell der Eigenverantwortung. Also sollte sich der Bürger seine Post täglich im Briefverteilzentrum selber abholen. Am Flughafen muss sich auch jeder um seinen eigenen Koffer kümmern und auf fliegen steht jeder.
    Die gelben Postboten hier haben übrigens E-Fahrräder. Ich hoffe, das führt jetzt nicht zu erneuten Diskussionen über Einsparungspotentiale bei der Post …

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    • Die Paketstationen der deutschen Post Ag nehmen das ja schon vorweg. Auch die Experimente der Zustellung per Drone zeigen den Boten, dass man daran arbeitet, sie überflüssig zu machen. Wenn sie auch nicht leben können von ihrer Arbeit, sind sie in den Augen der Kapitaleigner noch immer ein ärgerlicher Kostenfaktor.

      P.S.: „auf Fliegen steht jeder“
      Sagt die eine Frau: „Mein Mann findet nichts schöner als Fliegen.“
      Die andere: „Meiner kann die Biester nicht ausstehen.“

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  2. Auch die Paketausfahrer sind arm dran, immer unter Zeitdruck und oft noch spät abends, wenn alle anderen Feierabend haben, werden noch die letzten Pakete herum geschleppt. Leider gibt es bei uns einige Berufe, wo man, meiner Ansicht nach, ausgebeutet wird. Aber es schreit ja keiner auf, wie in Frankreich, hier schweigt man und leidet still.

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    • Du hast Recht, die Paketboten sind noch ärmere Schlucker. Die Leute schlucken ihre schlechten Arbeits- und Lebensbedingungen, aber es ist an uns, Solidarität zu zeigen und es nicht einfach schulterzuckend hinzunehmen. Ich staune immer darüber, wie in unseren Leitmedien die Proteste/Streiks in Frankreich ignoriert werden, als hätte man Angst, die Deutschen würden sich ein Beispiel nehmen., was ja nun wirklich nicht zu erwarten ist. An Ausbeutung durch Billiglohn und an Hartz IV haben wir uns längst gewöhnt.

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  3. Es wird schon gehen. Einsparpotenziale sind immer vorhanden, wer billiger kaufen kann, der kann auch mit weniger Geld auskommen. Die Post ist privatisiert, keine staatliche Kernaufgabe mehr. Die Schulen, wie du schon sagst, bieten da einen ganz anderen Ansatzpunkt. Die Förderschulen sind schon weg oder verschwinden gerade, auch mit weniger Personal lässt sich halt mehr schaffen. Vielleicht sollten wir über Löhne und Gehälter in Zukunft per Televoting abstimmen, Günter Jauch moderiert, wir rufen an und drücken die Einkommen.

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    • Das Geld müsse von oben nach unten verteilt werden, forderte schon 2008 der Sprecher des Einzelhandelsverbands im ZDF. Der Verband war nicht komplett zum Sozialismus übergetreten, sondern sorgt sich um seine Mitglieder, denn die Warenhäuser und Einzelhandelsgeschäfte verzeichneten schon damals wegbrechende Umsätze. Die Karstadt AG musste sich nach Milliardenverlusten von 77 Warenhäusern und weiteren Geschäftssegmenten trennen, die insolventen Ketten Hertie, Weymeyer und Sinn-Leffers sind inzwischen vergessen.
      Die Warenwelt sortiere sich nach Discounter und Premium, sagte der Verbandsprecher, das mittlere Geschäftssegment des Einzelhandels verschwinde. Folge ist eine politisch gewollte Gesellschaft aus Arm und Reich, eine Discounter- und Premiumgesellschaft, von Frau Merkel mit der „marktkonformen Demokratie“ umschrieben.

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  4. Bitter. Aber Geiz ist nun mal geil, lieber Jules. Und …ich bin doch nicht blöd…und kaufe mir Kleidung oder Fleisch, das mehr als 1.99 kostet. Sparen heißt nun mal, nicht nachdenken und hirnlos mit geschlossenen Augen konsumieren. Güter und Dienstleistungen.
    Bitter. Umso wichtiger den Finger ab und zu in diese Wunden zu stecken.

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    • Du hast leider Recht, liebe Mitzi. Als in Hannover ein Kaufhaus der Billigstkette Primark eröffnete, standen die Hirnlosen Schlange, um da reinzustürzen und sich mit Kleidung einzudecken, ohne sich zu fragen, auf wessen Kosten ihre Schnäppchenjagd geht. Man muss sich klarmachen, dass man an einer globalen Abwärtsspirale mitdreht, die für die meisten auf diesem Planeten in die Verelendung führt.

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  5. So ist es ! Wohl kann sich jeder denken unter welchen Bedingungen und mit welchen Materialien die T-Shirts um 5 euro produziert werden, dennoch werden sie gekauft. Was soll jemand auch machen, der/die 1000 und weniger im Monat verdient ? In Deutschland gibts dafür wenigstens eine großartige Budgetlage, bei uns in Österreich nicht einmal das ….

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          • Der Zusammenhang besteht darin, dass die derzeitige Hochkonjunktur der deutschen Wirtschaft zu einem großen Teil durch extreme Niedriglöhne erkauft wird und dass Menschen, die am oder knapp unter dem finanziellen Existenzminimum leben gar keine andere Wahl haben als Billigprodukte zu kaufen Diese Billigprodukte sind meistens nicht nur minderwertigster Qualität sondern obendrein unter sklavenartigen Arbeitsbedingungen in sogenannten Niedriglohnländern hergestellt. Es bleibt im Grunde den armen Europäern, die leider immer mehr werden, nichts anderes übrig als durch ihr Kaufverhalten die herrschenden Zustände zu unterstützen wodurch wiederum die internationale Konkurrenz noch härter wird und die zB deutschen Löhne noch weiter runtergehen. Ein absoluter Teufelskreis.
            Ach, das gehört zu meinen Lieblingsthemen. Darüber könnte ich mich ja stundenlang auslassen 🙂

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  6. Der Artikel nimmt die Zukunft des Landes wunderbar vorweg. Wobei wunderbar … naja …

    Das Problem ist, das die meisten Leute, inklusive mir selbst, heutzutage wohl nicht mehr in der Lage sind, mit Ziegen und dergleichen nützlichen Haustieren landwirtschaftlich effektiv umzugehen.

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    • Danke. Ich mag in dieser Hinsicht nicht Recht behalten. Aber darauf läuft es hinaus, wenn wir nicht gegensteuern. Was die Ziegen betrifft: Wie zu lesen war, können viele Griechen ihr Überleben nur noch sichern, weil sie Verwandte auf dem Land haben, die sie mit Lebensmitteln versorgen. Als ich armer Student mit Familie war, gab ein befreundeter Bauer meiner Mutter immer einen Sack Kartoffeln mit, wenn sie uns besuchen kam. Solche Beziehungen muss man haben 😉

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  8. Pingback: „Nicht mehr leisten“

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